:: 4/2007

Verbesserung der Ergebnisqualität bei der Fortschreibung des Bruttoinlandsprodukts

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die zentrale Größe zur Beschreibung der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Aktuelle Ergebnisse zum BIP in den Bundesländern sind für die Wirtschafts- und Finanzpolitik von herausgehobener Bedeutung. Der »Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (AK VGR d L) greift bei der Berechnung des BIP auf eine Vielzahl von Datenquellen zu, die teilweise nicht unmittelbar nach Ablauf eines Berichtszeitraums vorliegen, sondern erst später zur Verfügung stehen. Für eine möglichst frühzeitige Abschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den Bundesländern kommt daher ein methodisch abgestimmtes, mehrstufiges »Fortschreibungsverfahren« zur Anwendung. Aufgrund der unvollständigen Datenbasis sind die Fortschreibungsergebnisse des BIP aber wenig belastbar und werden regelmäßig durch die Ergebnisse der späteren Originärberechnung zum Teil deutlich revidiert. Das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (LDS NRW) hat daher im Auftrag des Arbeitskreises VGR d L eine Methode entwickelt, mit der die Qualität der im Brennpunkt der Öffentlichkeit stehenden BIP-Fortschreibungsergebnisse verbessert werden konnte. Im vorliegenden Beitrag werden die Methoden, Berechnungsverfahren sowie die jüngsten Weiterentwicklungsbestrebungen der Berechnung des BIP dargestellt.

Die regionale Inlandsproduktberechnung

Das Inlandsprodukt (BIP) umfasst alle innerhalb einer Region produzierten Waren und Dienstleistungen abzüglich der Vorleistungen und ist die Summe der Bruttowertschöpfung (BWS) aller Wirtschaftsbereiche abzüglich des Saldos aus Gütersteuern und Subventionen. Datennutzer dieser zentralen Größe sind sowohl die öffentliche Verwaltung, die Europäische Kommission, Kammern, Verbände, Hochschulen, Forschungsinstitute als auch viele Unternehmen und Privatpersonen.1

Mitte des Jahres 2005 wurden die Berechnungsmethoden und -ergebnisse der regionalen VGR einer Revision unterzogen. Solche Revisionen werden gewöhnlich alle 5 Jahre durchgeführt, um methodische Verbesserungen, geänderte Konzepte, Klassifikationen und Definitionen einzuführen, neue Datenquellen zu erschließen und eine stärkere europäische Harmonisierung und Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erreichen. Ziel dieser Revisionen ist immer eine verbesserte Anpassung des Zahlenwerks an aktuelle Entwicklungen in einer zunehmend durch Arbeitsteilung und Globalisierung gekennzeichneten Welt, wodurch letztlich die Ergebnisqualität auch für Regionen optimiert werden soll. Wesentliche Schwerpunkte der VGR-Revision 2005 sind:

  • Einführung der Vorjahrespreisbasis und eines Kettenindex bei der preisbereinigten Ergebnisdarstellung,
  • Neuregelung bei der Berechnung und Aufteilung von Bankdienstleistungen (FISIM)2,
  • erstmalige Einbeziehung neuer Ausgangsstatistiken, insbesondere Strukturinformationen aus der Dienstleistungsstatistik,
  • methodische Verbesserung bei der Berechnung zur BWS und zum BIP, insbesondere bei der dritten Fortschreibung.

Die im Rahmen der Fortschreibungsverfahren ermittelten aktuellen Angaben zum BIP stehen stark im Fokus der Öffentlichkeit. Da die Fortschreibungsergebnisse in den vergangenen Jahren zunehmend Schwächen in der Ergebnisqualität auswiesen, die sich in den zum Teil gravierenden Änderungen zur späteren Originärberechnung ausdrückten, ist die Verbesserung der Fortschreibungsqualität eine der zentralen Aufgaben in der aktuellen Revision. Das LDS NRW hat ein Verfahren entwickelt, mit dem es in den gewichtigen Wirtschaftsbereichen »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden« und »Verarbeitendes Gewerbe« möglich ist, Datenquellen und Teile der Methode aus den Originärberechnungen bereits in den Fortschreibungsverfahren zu nutzen. Proberechnungen zeigten eine so deutliche Verbesserung in der Ergebnisqualität, dass die neue Methode bereits in die dritte Fortschreibung des BIP Eingang gefunden hat. Gegenwärtig wird an einer Einbeziehung der neuen Methode auch in die übrigen Fortschreibungsphasen gearbeitet.3

Organisation und Stand der Berechnungen

Die regionalen VGR in Deutschland sind bemüht, die BIP-Ergebnisse so aktuell wie möglich zu berechnen und zu veröffentlichen. Dabei stößt der AK VGR d L aber an Grenzen der Datenverfügbarkeit. So stehen etliche Ausgangsdaten zur Ermittlung der originär berechneten Ergebnisse nicht kurzfristig nach Ablauf eines Berichtsjahres vollständig zur Verfügung. Je nach Erhebungszeitpunkt und Aufbereitungsdauer der Daten kann es unter Umständen recht lange dauern, bis sie in die Berechnungen einbezogen werden können. Das zeigt auch die jüngste Erfahrung mit der für die VGR wichtigen Datenquelle Dienstleistungsstatistik. Einerseits ist es das Bestreben des Arbeitskreises größtmögliche Aktualität zu gewährleisten, das heißt, die Ergebnisse der VGR so frühzeitig wie möglich nach Abschluss des Berichtszeitraums vorzulegen. Andererseits sollen die Berechnungsergebnisse durch Berücksichtigung sämtlicher vorhandener Statistiken – insbesondere auch Erhebungen mit umfangreichem Erhebungsprogramm – so gut wie möglich abgesichert sein. Beides hat dazu geführt, dass die Berechnung des regionalen BIP für jedes Berichtsjahr in einem abgestimmten mehrstufigen Fortschreibungsverfahren durchgeführt wird. Dabei veröffentlicht der AK VGR d L bereits gut einen Monat nach Ende des Berichtsjahres ein erstes Ergebnis zum BIP in den Bundesländern. Natürlich stellt dieses Ergebnis nur eine erste, recht unsichere Schätzung (Schnellrechnung) dar. Sobald weitere, die Berechnungen präzisierende Datenquellen vorliegen, werden die Berechnungen dann an die neue Wissenslage angepasst. Durch den Einbau zusätzlichen Datenmaterials nimmt mit jeder Fortschreibung somit die Ergebnisqualität zu, die auch eine stärkere fachliche Differenzierung der Aggregate erlaubt. Bei den Berechnungen werden drei Fortschreibungsphasen unterschieden, bevor die gut fundierten Originärberechnungen durchgeführt werden können.4

Erste Fortschreibung

Im Januar des dem Berichtsjahr folgenden Jahres werden die Ergebnisse des BIP im Rahmen der sogenannten Schnellrechnung veröffentlicht. Es handelt sich um eine erste Fortschreibung, die mithilfe von noch nicht das ganze Berichtsjahr überdeckenden symptomatischen Basisreihen (vor allem Umsatzangaben) berechnet wird. Die Ergebnisse werden im Februar des dem Berichtsjahr folgenden Jahres veröffentlicht. Sie besitzen eine hohe politische Bedeutung und stehen im Brennpunkt der Öffentlichkeit. Gleichzeitig sind diese ersten Ergebnisse aber auch mit der größten Unsicherheit behaftet.

Zweite Fortschreibung

Im März des dem Berichtsjahr folgenden Jahres werden das zweite vorläufige Ergebnis des BIP und das erste vorläufige Ergebnis der nach Wirtschaftsbereichen gegliederten BWS berechnet. In diese zweite Fortschreibung werden in der Regel die nun das ganze Jahr überdeckenden vollständigen symptomatischen Basisreihen des Vorjahres einbezogen. Die Ergebnisse werden Ende März des dem Berichtsjahr folgenden Jahres veröffentlicht.

Dritte Fortschreibung

Ab November des dem Berichtsjahr folgenden Jahres wird dann eine dritte – seit 2005 in der Methode nun deutlich verbesserte – Fortschreibung des BIP und der BWS nach Wirtschaftsbereichen durchgeführt. Die Ergebnisse werden im Februar des dem Berichtsjahr folgenden zweiten Jahres veröffentlicht.

Originärberechnung

Im Sommer des dem Berichtsjahr folgenden zweiten Jahres werden das BIP und die BWS nach Wirtschaftsbereichen berechnet, und zwar unter Verwendung aller zur Verfügung stehenden Datenquellen aus dem Berichtsjahr. Bei den Ergebnissen handelt es sich nicht mehr um eine Fortschreibung, sondern um originär berechnete Angaben aus den einzelnen Unternehmensmeldungen. Die Ergebnisse werden im Februar des dem Berichtsjahr folgenden dritten Jahres veröffentlicht. Das Ergebnis ist wegen seiner Abstimmungen auf das vorläufige Bundesergebnis ebenfalls noch vorläufig und wird erst im Februar des dem Berichtsjahr folgenden vierten Jahres nach erfolgter Abstimmung endgültig.

Die jeweiligen Fortschreibungsphasen unterscheiden sich in den Zeiträumen, für welche die einbezogenen Indikatoren (in der Regel der Umsatz) vorliegen und in den unterschiedlichen Berechnungsphasen, die ihrerseits als Fortschreibungsbasis dienen. So stützen sich die erste und zweite Fortschreibung auf die dritte Fortschreibung des Vorjahres. Diese dritte Fortschreibung basiert wiederum auf der (vorläufigen) Originärberechnung des Vorvorjahres (Schaubild 1, vgl. auch Schaubild 4).

Ergebnisbrüche zwischen Fortschreibung und Originärberechnung

Seit einigen Jahren zeigen die Kostenstrukturen der Unternehmen und Betriebe in Deutschland eine zunehmende Unbeständigkeit auf, was sich durchaus in ebenfalls wechselnden Veränderungsraten der regionalen BWS und des regionalen BIP niederschlägt. Insbesondere das Wirtschaftswachstum und dessen Veränderungsrate besitzt eine herausgehobene Bedeutung in der amtlichen Statistik nicht nur für Deutschland insgesamt, sondern auch für die Bundesländer. In den einzelnen Ländern stellt das Wirtschaftswachstum des eigenen Landes im Vergleich zum Bundesdurchschnitt eine wesentliche Orientierungsgröße und Argumentationsgrundlage der Politik dar.

Größere Abweichungen von über einem Prozentpunkt oder gar gegensätzliche Ausrichtungen der Wachstumsraten mit einem Vorzeichenwechsel zwischen den Fortschreibungsergebnissen und der Originärberechnung des BIP ließen bei den Datennutzern Zweifel an der Validität der vorgelegten BIP-Ergebnisse aufkommen. Diese Entwicklung stellt ein großes Problem in den regionalen VGR dar, denn im Rahmen der BIP-Fortschreibung kann nicht mehr mit der ehemals gewohnten Sicherheit von sich stetig entwickelnden Vorleistungsquoten ausgegangen werden. Gleichzeitig ist eine hinreichend verlässliche Prognose oder Schätzung der aktuellen Kostenstrukturen, insbesondere für Wirtschaftsbereiche oder gar für einzelne Unternehmen, damit ausgeschlossen. Eine vorrangige Aufgabe im Arbeitskreis VGR d L ist es daher, auch künftig qualitativ verlässliche und fundierte Länderergebnisse für das Wirtschaftswachstum von der ersten Fortschreibung bis zur Originärberechnung zu erstellen.

Methodische Unterschiede zwischen Fortschreibung und Originärberechnung

Mit den BIP-Fortschreibungsverfahren des AK VGR d L sollen möglichst frühzeitig die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen in den Bundesländern abgeschätzt und die entstandene BWS in den Wirtschaftsbereichen mit jeder Fortschreibungsphase differenzierter dargestellt werden. Zum Zeitpunkt der ersten und zweiten Fortschreibungen wurden noch keine Informationen zu den Produktionswerten und den unterschiedlichen Vorleistungen der Unternehmen erhoben, aus denen die Wertschöpfung berechnet werden könnte. Erst in der Originärberechnung stehen für jedes Unternehmen aus der Kostenstrukturerhebung (KSE), die speziell für Zwecke der VGR erstellt wird, spezifische Angaben zum Produktionswert und zur Kostenstruktur zur Verfügung. Zeitnah zum Berichtsjahr liegen nur die Umsätze der Unternehmen und Betriebe vor, die als »Ersatz-Produktionswerte« in die Fortschreibungsverfahren einbezogen werden. Umsatzangaben eignen sich aber nur sehr bedingt zur Messung der Wirtschaftskraft. So sind in den Umsätzen auch die Kosten für bezogene Vorprodukte enthalten, die von anderen Unternehmen produziert worden sind. Weiterhin beinhalten die Umsätze auch Einnahmen aus dem Verkauf von reiner Handelsware. Hier liegt ebenfalls keine Eigenleistung vor, da diese Güter bereits von anderen Unternehmen erzeugt wurden. Insofern überzeichnen Umsatzangaben ebenso wie die reinen Produktionswerte die wirtschaftliche Eigenleistung des Unternehmens. Um Doppelzählungen zu vermeiden, müssen deshalb die Vorleistungen und die Handelsware von den Produktionswerten abgezogen werden.

Neben der Verwendung von Umsatzangaben anstelle von Produktionswerten wirkt sich in den gegenwärtigen Fortschreibungsverfahren besonders nachteilig aus, dass je Wirtschaftsbereich bundeseinheitliche Vorleistungsquoten herangezogen werden, die zudem auf der 2 Jahre zurückliegenden Originärberechnung basieren. Die Wirtschaftsstruktur in den Bundesländern weicht aber zum Teil beträchtlich voneinander ab. Da der Anteil bestimmter Wirtschaftsbereiche an der Gesamtwirtschaft in einigen Ländern deutlich höher als in anderen ist, können vom Durchschnitt abweichende branchenspezifische Kostenstrukturen gravierend auf die gesamte Wirtschaftsleistung der jeweiligen Bundesländer wirken. Werden wie gegenwärtig in den ersten beiden Fortschreibungen bundeseinheitliche Vorleistungsquoten einbezogen, dann wird häufig die Wertschöpfung – als Differenz aus Produktionswert und Vorleistungen – über- oder unterzeichnet, mit entsprechenden Auswirkungen auf das ausgewiesene Wirtschaftswachstum des Landes.

Aufgrund unterschiedlicher produktionstechnischer Prozesse sowie unterschiedlicher Kostenstrukturen kann zudem die Höhe von Produktion, Vorleistung und damit letztlich der Wertschöpfung auch zwischen den Unternehmen einer Branche zum Teil beträchtlich voneinander abweichen. Die Verwendung einheitlicher Vorleistungsquoten berücksichtigt somit keine aktuellen unternehmensindividuellen Gegebenheiten. So liegen beispielsweise innerhalb des Kraftfahrzeugbaus die Vorleistungsanteile am Produktionswert zwischen knapp 70 und gut 85 %. Diese Unterschiede wirken sich natürlich direkt auf die Wertschöpfung der jeweiligen Unternehmen und mittelbar auf die Wirtschaftsleistung der entsprechenden Region aus.

Unternehmensspezifische Angaben zum Produktionswert und zur Kostenstruktur können nicht nur zwischen Unternehmen einer Branche deutlich abweichen, sondern sie verändern sich mitunter auch gravierend im Zeitverlauf. Hintergrund sind durch den Wettbewerb induzierte Anpassungen in den Produktionsabläufen und Produktoffensiven, die innerhalb eines Jahres die individuellen Vorleistungskosten beträchtlich verändern können. Dieses gilt insbesondere für global agierende Unternehmen, in deren Kostenstrukturen auch Weltmarktpreise und Wechselkursschwankungen bei international bezogenen Vorprodukten eingehen. Analysen und Gespräche mit Unternehmen, insbesondere der DaimlerChrysler AG, bestätigen, dass sich Kostenstrukturen in den vergangenen Jahren zunehmend rascher verändert haben. Offenbar gelingt den Unternehmen nur so die Anpassung an den rapiden technischen Fortschritt und die schnellen Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung.

Aufgrund der späten Verfügbarkeit von unternehmensindividuellen Daten lassen sich die teilweise sprunghaften Veränderungen der Kostenstrukturen mit den bisherigen Fortschreibungsverfahren, die auf Umsatzangaben und bundeseinheitliche Vorleistungsquoten des Vor- oder Vorvorjahres zurückgreifen müssen, statistisch nicht immer treffend abbilden. Sind hiervon bedeutende Unternehmen betroffen, dann verändern diese unternehmensinternen Vorgänge mitunter auch die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten des Landes zwischen den Berechnungsständen. Bislang konnten diese Entwicklungen aber erst im Rahmen der Originärberechnung gemessen werden, da dann nahezu vollständige Einzelangaben zur Wertschöpfungskette für jedes Unternehmen und damit zur unternehmensindividuellen Kostenstruktur vorliegen. Aus diesem Grund werden die fortgeschriebenen Ergebnisse in den Veröffentlichungen als vorläufig deklariert. Damit ist gleichzeitig auch der Grund für die Abweichungen zwischen den Ergebnissen der BIP-Fortschreibungen und der Originärberechnung umrissen.

Möglichkeiten und Ansatzpunkte für Qualitätsverbesserungsmaßnahmen

Bereits im Jahr 2002 sah sich der AK VGR d L veranlasst, die Abweichungen zwischen den Ergebnissen der Originärberechnung und den einzelnen Fortschreibungen des BIP und der BWS näher zu untersuchen und kam zu folgenden Ergebnissen:

Die Fortschreibungen basieren auf einer unvollständigen Datengrundlage, die je nach Berechnungsphase sukzessive komplettiert wird. Jeder Berechnungsstand stellt immer einen Kompromiss aus größtmöglichster Aktualität auf der einen Seite und höchstmöglicher Genauigkeit auf der anderen Seite dar. Insbesondere das Fehlen von aktuellen unternehmensspezifischen Angaben zur Kostenstruktur und damit zu den Vorleistungen – was die Substitution durch outputorientierte Größen, wie den Umsatz, notwendig macht – wiegt besonders schwer. Die Abweichungen zwischen den Ergebnissen der Fortschreibung und der Originärberechnung sind damit vor allem in den unterschiedlichen Berechnungsmethoden und Datenquellen begründet. Zudem stehen in den gewichtigen Dienstleistungsbereichen keine vergleichbar umfassenden und aktuellen Primärstatistiken zur Verfügung. Hier wird vielfach mit bundeseinheitlichen Indikatoren fortgeschrieben, die die Besonderheiten in den einzelnen Ländern natürlich nicht exakt abbilden können.

Gleichwohl sucht der AK VGR d L nach Möglichkeiten für eine Anhebung der Ergebnisqualität. Insbesondere in den Bereichen »Erziehung und Unterricht« sowie dem »Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen« konnten bereits Verbesserungsmaßnahmen realisiert werden, indem Komponenten der späteren Originärberechnung in die Fortschreibungsverfahren integriert wurden. Bei den weiteren Bemühungen, die Qualität der Fortschreibungsergebnisse zu verbessern, stehen die Wirtschaftsbereiche »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden« und »Verarbeitendes Gewerbe« im Mittelpunkt. Einerseits weisen hier sowohl die Wirtschaftsstrukturen zwischen den Bundesländern beträchtliche Abweichungen auf, das heißt der Anteil bestimmter Wirtschaftszweige in einigen Ländern ist deutlich höher als in anderen. Vom Durchschnitt abweichende branchenspezifische Kostenstrukturen können sich somit gravierend auf die gesamte BWS der einzelnen Bundesländer auswirken. Andererseits steht mit individuellen Angaben für fast alle Unternehmen und Betriebe eine umfassende Datengrundlage zur Verfügung. Eine Verbesserung in den Berechnungsverfahren ließe sich in den genannten Wirtschaftsbereichen am ehesten in absehbarer Zeit bewerkstelligen und sehr wahrscheinlich würde diese eine bedeutende Qualitätssteigerung der Ergebnisse erbringen.

Das Modell einer vorgezogenen Originärberechnung der Bruttowertschöpfung

Aufgrund der Zuständigkeit des LDS NRW für die Bereiche »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden« und »Verarbeitendes Gewerbe« lag es nahe, dass hier ein Verfahren entwickelt wurde, in dem zunächst im Rahmen der dritten Fortschreibung der BWS originäre Datenquellen genutzt werden, soweit diese vorliegen. Dabei wird von der Methode der Originärberechnung ausgegangen. Im Rahmen der Originärberechnung wird ein großer Teil der BWS – im Durchschnitt etwa 70 % – aus Angaben der Kostenstrukturerhebung (KSE), als Differenz von Produktionswert (Gesamtleistung) und den von anderen Unternehmen bezogenen Vorleistungen, errechnet. Die originäre Berechnungsmethode verteilt die BWS der einzelnen Mehrbetriebs- bzw. Mehrländerunternehmen mit geeigneten betriebsbezogenen Größen aus anderen Datenquellen auf die zugehörigen Zweigbetriebe. Dieses Vorgehen ist zwingend erforderlich, da die beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital regional mit verschiedenem Einsatzverhältnis am Produktionsergebnis beteiligt sein können. Für die sogenannten Einbetriebsunternehmen mit nur einem Standort kann die Wertschöpfung regional direkt zugeordnet werden. Diese differenzierte Verteilung der Wertschöpfung von Mehrbetriebs- und Mehrländerunternehmen nach Arbeit und Kapital entspricht voll den Anforderungen von Eurostat.

Die KSE ist eine Stichprobe von Unternehmen mit 20 und mehr tätigen Personen, die allerdings für die Bundesländer nicht repräsentativ ist. Aus diesem Grunde kann nur für einen Teil der Unternehmen die BWS direkt ermittelt werden. Es handelt sich hier aber um den größten Teil (ca. 70 %) der gesamten BWS. Die großen Unternehmen werden normalerweise vollständig in die KSE einbezogen. Dennoch müssen die Werte für die übrigen Wirtschaftseinheiten hinzugeschätzt werden. Dieses geschieht über die Umsätze aus dem Monatsbericht für Betriebe und dem Jahresbericht für Mehrbetriebsunternehmen. Für den Rumpfberichtskreis ist die Ermittlung der BWS vergleichsweise nicht so gut durch die Datenlage abgesichert. Hier werden Ergebnisse aus verschiedenen Statistiken miteinander kombiniert, und es wird wie in den Fortschreibungsverfahren mit bundesdurchschnittlichen Vorleistungsquoten je Wirtschaftsbereich gearbeitet. Ein Vorteil der Methode ist aber die Anwendung des Betriebsschwerpunkt-Konzeptes, da hierdurch die Wirtschaftsstrukturen innerhalb der Länder realitätsnäher dargestellt werden können als nach dem früher angewendeten Unternehmensschwerpunkt-Konzept. Insgesamt werden mit der Methode der Originärberechnung alle verfügbaren Informationen optimal genutzt, sodass bei der gegebenen Datenlage für die Länderrechnung eine größtmögliche Genauigkeit erreicht wird. Dabei ist die im Zusammenhang mit der KSE ermittelte BWS besonders gut abgesichert (Schaubild 2).

Das LDS NRW erhielt vom AK VGR d L den Auftrag, für Zwecke der dritten Fortschreibung eine um ein Jahr vorgezogene Originärberechnung der BWS in den Wirtschaftsbereichen »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden« und »Verarbeitendes Gewerbe« nach dem neuen Verfahren zu erstellen. Zum Zeitpunkt der dritten Fortschreibung liegen in der KSE bereits für über 90 % der Unternehmen Ergebnisse vor. Die sogenannte Schnell-KSE besitzt zum Bearbeitungsstand Ende November damit einen zur 6 Monate später vorliegenden endgültigen KSE nahezu vollständigen Bestand. Das nordrhein-westfälische Modell sieht vor, die Angaben aus der Schnell-KSE für eine vorgezogene Originärberechnung in den genannten Bereichen zu nutzen. Die methodischen Neuerungen gegenüber der Originärberechnung sind in Schaubild 3 farbig stärker hinterlegt. Zum Berechnungsverfahren im Einzelnen:

  • Die vorgezogene Originärberechnung wird grundsätzlich nach der gültigen Methode der Originärberechnung erstellt, das heißt die BWS der KSE-Unternehmen wird individuell berechnet.
  • In der Schnell-KSE zum Bearbeitungsstand Ende November des dem Berichtsjahr folgenden Jahres sind mindestens 90 % aller KSE-Unternehmen erfasst. Die noch fehlenden KSE-Unternehmen müssen gesondert behandelt werden. Für diese Unternehmen wird ersatzweise die unternehmensindividuelle Vorleistungsquote aus der KSE des Vorjahres herangezogen.
  • Die BWS der nicht zur KSE meldenden Unternehmen wird entsprechend der Originärberechnungs-Methode über den Umsatz anhand bundeseinheitlicher Vorleistungsquoten (je Wirtschaftsbereich) ermittelt.
  • Der Umsatz der nicht zur KSE meldenden Unternehmen wird um die Handelsware des Vorjahres reduziert.

Für die Berichtsjahre 2002 und 2003 wurde im Rahmen von Proberechnungen eine vorgezogene Originärberechnung durchgeführt. Ein Vergleich der Ergebnisse von Originärberechnung, vorgezogener Originärberechnung und herkömmlich berechneter dritter Fortschreibung zeigte eine deutliche Qualitätsverbesserung durch das neue Verfahren. So lagen die Ergebnisse der künftig ein Jahr früher vorliegenden vorgezogenen Originärberechnung wesentlich näher an den Ergebnissen der Originärberechnung als diejenigen der nach dem alten Verfahren berechneten dritten Fortschreibung.

Durch das neue Verfahren ist es möglich, bereits für die dritte Fortschreibung im »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden« und »Verarbeitenden Gewerbe« Methoden und Datenquellen der Originärberechnung zu nutzen. Es stehen also zum Zeitpunkt der dritten Fortschreibung die Ergebnisse einer um ein Jahr vorgezogenen Originärberechnung für das jeweilige Berechnungsjahr zur Verfügung. Dieses bedeutet in zweifacher Hinsicht einen Qualitätsgewinn. Zum einen wird die Wertschöpfung dieser Bereiche anhand unternehmens- und betriebsindividueller Merkmale berechnet und zum anderen liegen die Ergebnisse mit einem Zeitgewinn von einem Jahr vor. Der Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder« hat sich daher für das vom LDS NRW entwickelte Verfahren entschieden und wendet dieses ab Februar 2006, also erstmals für das Berichtsjahr 2004, an.

Künftig auch für übrige Fortschreibungen ein geändertes Verfahren – ein Ausblick

Der Ergebnisvergleich der Proberechnungen für die Jahre 2002 und 2003 hat gezeigt, dass die Ergebnisqualität der dritten Fortschreibungen, die jeweils auf der Originärberechnung 2001 und 2002 aufsetzten, deutlich zunahm. Da die erste und zweite BIP-Fortschreibung eine Fortschreibung der dritten Fortschreibung des Vorjahres ist, kann jedoch erwartet werden, dass sich tendenziell eine Angleichung der einzelnen Fortschreibungsergebnisse an die Resultate der später folgenden Originärberechnung ergibt. Damit stiege auch die Belastbarkeit der Ergebnisse der ersten und zweiten Fortschreibung. Dennoch ist zu befürchten, dass aufgrund der bestehenden Methodenunterschiede eine gewisse Abweichung zwischen Originärberechnung und dritter Fortschreibung einerseits und erster und zweiter Fortschreibung andererseits verbleiben dürfte. Das ursprüngliche Problem eines Ergebnisbruchs wäre somit nur zwischen den Berechnungsständen verschoben.

Das gegenwärtig angewandte Verfahren der ersten und zweiten Fortschreibung zur BWS sieht vor, bundeseinheitliche Vorleistungsquoten je Wirtschaftsbereich aus der Originärberechnung des Vorvorjahres zu nutzen und damit von den Umsätzen der Betriebe (als »Ersatz-Produktionswerte«) ausgehend eine BWS je Branche zu berechnen. Wie bereits erläutert hat dies zur Folge, dass die zum Teil deutlichen Veränderungen in den Kostenstrukturen einzelner Unternehmen und deren Betriebe regional nicht zeitnah in die Fortschreibungsberechnungen einbezogen werden können.

Das LDS NRW hat deshalb für die Wirtschaftsbereiche »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden« und »Verarbeitendes Gewerbe« nach Möglichkeiten gesucht, nun auch für die übrigen Fortschreibungsverfahren eine Ergebnisverbesserung zu erreichen. Die angestellten Überlegungen zur Ergebnisverbesserung der ersten und zweiten Fortschreibung gehen dahingegen davon aus, soweit wie möglich die Berechnungsmethode der Originärberechnung zu verwenden. Möglich ist dies durch die konsequente Auswertung der sogenannten Schnell-KSE, die bereits in der dritten Fortschreibung einbezogen wird und wo nunmehr über 90 % der auch in der Originärberechnung genutzten individuellen Kostenstrukturen aktuell verwendet werden können. Gegenüber dem Vorgehen in der Originärberechnung und der dritten Fortschreibung wird künftig bei den ersten beiden Fortschreibungen nicht die Wertschöpfung der Unternehmen regional auf die Betriebe verteilt, sondern direkt von der Betriebsebene ausgegangen (Schaubild 4).

In der Übersicht wird für den aktuellen Berechnungsstand dargestellt, welche KSE-Informationen für welche BIP-Berechnungsphase vorliegen bzw. nach dem Modell genutzt werden sollen.

Zum Berechnungszeitraum der ersten und zweiten Fortschreibung stehen weder aktuelle Daten der Schnell-KSE noch der KSE rechtzeitig zur Verfügung. Damit müssen die Basisdaten – in der Regel Umsätze für Betriebe – wie zuvor aus den Monatsberichten entnommen werden. Das nordrhein-westfälische Modell besteht aus vier Berechnungssäulen:5

  • In der ersten Säule wird für alle Betriebe, deren Unternehmen bereits in der Schnell-KSE des dem Berichtsjahr vorangegangenen Jahres vorhanden war, die betriebsindividuelle Quote des Vorjahres aus Bruttowertschöpfung zum Umsatz herangezogen. Diese Quote wird an den Umsatz aus dem Monatsbericht des Berichtsjahres angelegt. Darüber wird eine aktuelle Betriebswertschöpfung errechnet. Der Arbeitshypothese folgend, dass individuelle Vorleistungsquoten gegenüber einheitlichen Quoten je Wirtschaftsbereich eine Ergebnisverbesserung erbringen, werden also die individuellen Kostenstrukturen aus der Schnell-KSE des dem Berichtsjahr vorangehenden Jahres herangezogen, die auch in die dritte Fortschreibung des Vorjahres Eingang gefunden haben.
  • Für diejenigen Betriebe, deren Unternehmen nicht in der Schnell-KSE, wohl aber in der KSE des jeweiligen Vorvorjahres enthalten ist, wird in einer zweiten Berechnungssäule die betriebsindividuelle Quote des Vorvorjahres aus Bruttowertschöpfung zum Umsatz herangezogen und mit dem aktuellen Umsatz eine Betriebswertschöpfung berechnet. Hier werden also die individuellen Kostenstrukturen aus der KSE genutzt, die auch in der Originärberechnung des Vorvorjahres verwendet wurden.
  • In einer dritten Berechnungssäule wird für alle übrigen Betriebe mit mehr als 20 beschäftigten Personen mit der betriebsindividuellen BWS-Quote des Vorvorjahres, die letztlich auf der bundeseinheitlichen BWS-Branchenquote aus der Originärberechnung basiert, eine aktuelle Wertschöpfung ermittelt.
  • Schließlich wird in Ermangelung einer aktuellen Datenquelle für Betriebe mit weniger als 20 beschäftigten Personen, analog zur Originärberechnung, die Wertschöpfung der sogenannten Kleinbetriebe anhand einer bundeseinheitlichen BWS-Quote errechnet, die auf der Quote aller Unternehmen mit 20 bis 49 beschäftigten Personen aus der KSE des Vorvorjahres basiert.

Statt einheitlicher Quoten je Wirtschaftsbereich können mit der neuen Methode in den ersten beiden Fortschreibungsverfahren nun betriebsindividuelle Kostenstrukturen verwendet werden. Zudem wird es möglich, den zeitlichen Abstand der einbezogenen individuellen Wertschöpfungsquoten zum Berichtsjahr um ein Jahr zu verkürzen. Beides wird vermutlich eine deutliche Ergebnisverbesserung erbringen. Demnach können die Fortschreibungsverfahren in den Bereichen »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden« sowie »Verarbeitendes Gewerbe« künftig in einem einheitlichen und auf die Originärberechnung abgestimmten Berechnungsmodus durchgeführt werden.

Gegenwärtig wird in Nordrhein-Westfalen das theoretische Konzept technisch umgesetzt. Proberechnungen zur ersten und zweiten Fortschreibung (Schaubild 5) sollen dann für die Berichtsjahre 2005 und 2006 folgen. Da nur in der Originärberechnung vollständige Informationen über individuelle Kostenstrukturen vorliegen, muss diese als Maßstab dienen. Die Ergebnisse der Proberechnungen sind also mit den Ergebnissen der jeweiligen Originärberechnungen und natürlich auch mit denen der dritten Fortschreibung zu vergleichen und auf ihre Qualitätsverbesserung hin zu beurteilen. Ein Umstieg auf die neue Methode könnte bei positivem Befund frühestens mit dem Berichtsjahr 2007 im Jahr 2008 stattfinden. Neben der Verbesserung in den Wirtschaftsbereichen »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden« und »Verarbeitendes Gewerbe« sind aber auch Maßnahmen zur Qualitätssteigerung in den Dienstleistungsbereichen, insbesondere bei den Datenquellen Dienstleistungs- und Umsatzsteuerstatistik, notwendig.

1 Vgl. Scharmer, Marco: Wirtschaftskraft und Wirtschaftsentwicklung in den kreisfreien Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens, in: Statistische Analysen und Studien, Band 27, 2006, S. 28 ff.

2 Financial Intermediation Services Indirectly Measured = Finanzserviceleistungen, indirekte Messung.

3 Zu den einzelnen Fortschreibungsphasen des BIP siehe Kapitel »Organisation und Stand der Berechnungen«.

4 Auf die Darstellung des Schätzverfahrens für das BIP im jeweils 1. Halbjahr wird mit Blick auf die Zielsetzung des Beitrages verzichtet. Im Grunde wird bei der Halbjahresrechnung die Methode der ersten Fortschreibung angewendet. Jedoch gehen nur Basisdaten aus den ersten 6 Monaten in das Schätzverfahren für das BIP im 1. Halbjahr ein.

5 Vgl. Schaubild 5: Berechnung der Bruttowertschöpfung im Rahmen der ersten und zweiten Fortschreibung.