:: 8/2007

Regionales Wirtschaftswachstum in Baden-Württemberg

Mit dem Strukturwandel von der Agrar- über die Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft haben sich auch die Anforderungen an den Standort geändert, an dem die Wirtschaftsleistung erbracht wird. Wenn für die Dienstleistungs- und Industriebranchen die Bedeutung herkömmlicher natürlicher Ressourcen im Vergleich zum »Rohstoff Wissen« abnimmt, stellt sich auch in Baden-Württemberg die Frage nach den Konsequenzen dieser Entwicklung für die regionale Verteilung der Wirtschaftskraft. Vor diesem Hintergrund stand ein Auftrag des Staatsministeriums an das Statistische Landesamt, die Bestimmungsgrößen des Wirtschaftswachstums der Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs zwischen 1996 und 2004 zu untersuchen. Der Beitrag gibt einen Überblick über den Gegenstand und die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung. Demnach wird das Wirtschaftswachstum der Kreise neben dem allgemeinen konjunkturellen Einfluss durch eine Kombination verschiedener regionaler Faktoren bestimmt. Dies sind in erster Linie die regionale Wirtschaftsstruktur, die Entwicklung des Anlagevermögens und der Erwerbstätigkeit, das regionale Niveau der Innovationsfähigkeit sowie spezifische Standortbesonderheiten.

Die regionale Verteilung der Wirtschaftsleistung in Baden-Württemberg – eine Bestandsaufnahme

Wenn im Folgenden von regionalen Unterschieden der Wirtschaftsleistung innerhalb Baden-Württembergs die Rede ist, lohnt sich als Vergleichsbasis zunächst ein Blick auf die gesamtdeutsche Situation . Bezüglich der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen belegen 36 der 44 Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs im Bundesvergleich überdurchschnittliche Plätze. Auch Kreise, deren Wirtschaftsleistung innerhalb Baden-Württembergs am unteren Ende der Skala zu verorten ist, liegen bundesweit gesehen in der Nähe mittlerer Rangplätze. Gleichwohl ist der Verweis auf räumlich entferntere Bezugsgrößen zur eigenen Statuseinschätzung gewöhnlich weniger relevant als der Vergleich mit der unmittelbaren Nachbarschaft – ein Phänomen, das sicher nicht nur Privathaushalten eigen ist. Deshalb soll hier ein Vergleich der Kreise Baden-Württembergs untereinander und mit dem Landesdurchschnitt im Mittelpunkt stehen.

Divergenz oder Konvergenz der regionalen Wirtschaftsleistung?

Die regionale Konzentration der Wirtschaftsleistung nimmt von der Mitte der 80er-Jahre an bis zum Ende der 90er-Jahre ab, was bedeutet, dass sich die Bruttowertschöpfung Baden-Württembergs für diesen Zeitraum zunehmend gleichmäßiger verteilt. Diese Entwicklung scheint seit der Jahrtausendwende jedoch zumindest vorläufig wieder in die Richtung einer zunehmenden Konzentration zu gehen. Um zu prüfen, ob sich damit gleichzeitig das regionale Wachstumsmuster verändert hat, werden Niveau und Veränderung der regionalen Wirtschaftsleistung von 1996 bis 2000 und von 2000 bis 2004 betrachtet.

Zwischen 1996 und 2000 dominieren Aufholprozesse

Von 1996 bis 2000 wuchs die preisbereinigte Wirtschaftsleistung in Baden-Württemberg in einer Phase des konjunkturellen Aufschwungs um durchschnittlich 2,9 % pro Jahr. Tabelle 1 veranschaulicht Ausgangsniveau und Stärke der Wachstumsprozesse in den Kreisen. In 25 der 44 Kreise des Landes zeigte die Wirtschaft von 1996 bis 2000 ein Wachstum, das über dem Landesdurchschnitt lag. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um Aufholprozesse: gemessen an der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen sind 21 dieser 25 Kreise von unterdurchschnittlichem Niveau aus gestartet. Die übrigen vier Kreise – Land- und Stadtkreis Heilbronn sowie die Landkreise Böblingen und Karlsruhe – wiesen bereits im Ausgangsjahr 1996 eine überdurchschnittlich hohe oder durchschnittliche Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen auf. Die neun ländlichen Kreise in Baden-Württemberg (siehe i-Punkt) erbrachten 1996 durchgehend eine unterdurchschnittliche Bruttowertschöpfung und zählen bis auf drei Ausnahmen zu den aufholenden Kreisen.

Ein unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum war in 19 Kreisen des Landes zu beobachten. Davon zeigten sieben Kreise ein überdurchschnittlich hohes Ausgangsniveau. Hierzu gehören unter anderem drei »Kernstädte von hoch verdichteten Agglomerationen« – Mannheim, Stuttgart und Karlsruhe1. Die 12 Kreise, deren unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum mit einer unterdurchschnittlichen Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen im Jahr 1996 verbunden war, sind sehr verschiedenen Kreistypen zuzurechnen. In der Gesamtschau lässt sich der Zeitraum 1996 bis 2000 damit als Phase kennzeichnen, in der Aufholprozesse wirtschaftlich schwächerer Kreise, darunter einiger ländlicher Kreise, dominiert haben.

Weniger Aufholprozesse seit dem Jahr 2000

Im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2004 war das Wirtschaftswachstum im Land infolge der auf den Boom zur Jahrtausendwende folgenden Schwächephase deutlich geringer als in den vier Vorjahren. Die preisbereinigte durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bruttowertschöpfung in Baden-Württemberg betrug in diesem Zeitraum etwa 1,1 %. Unter den 20 Kreisen, in denen das Wirtschaftswachstum über dem Landesdurchschnitt lag, waren nur noch die Hälfte »Aufholer«. Bei der anderen Hälfte ging das Wachstum von einer im Jahr 2000 bereits überdurchschnittlichen Wirtschaftskraft aus. Der Landkreis Biberach gehört zu dieser Gruppe und ist gleichzeitig in diesem Zeitraum der einzige ländliche Kreis mit überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum. Die hoch verdichteten Kreise in Agglomerationsräumen schnitten in Bezug auf das Wirtschaftswachstum deutlich besser ab. In sieben von neun dieser Kreise wuchs die Wirtschaft von 2000 bis 2004 schneller als im Landesdurchschnitt. In den Kernstädten der Agglomerationen – wie auch in den übrigen Kernstädten – war das Wachstumstempo uneinheitlich. So belegen die Städte Mannheim, Stuttgart, Karlsruhe und Heidelberg im Wirtschaftswachstums-Ranking 2000 bis 2004 die Plätze 4, 8, 30 und 40.

Unter den 24 Kreisen des Landes, deren wirtschaftliche Dynamik von 2000 bis 2004 unter dem Landesdurchschnitt lag – in zehn Kreisen ging die Wirtschaftsleistung sogar etwas zurück – waren alle Kreistypen vertreten. So lässt sich für den Zeitraum 2000 bis 2004 zwar festhalten, dass die ländlichen Kreise Baden-Württembergs im Ranking hinsichtlich des Wirtschaftswachstums 2000 bis 2004 deutlich schlechter abgeschnitten haben als in den vier Vorjahren. Eine Trendumkehr von der Suburbanisierung zur Reurbanisierung als Ursache der zunehmenden räumlichen Konzentration der Wirtschaftsleistung lässt sich hieraus jedoch noch nicht ableiten. Zwischen dem Niveau der regionalen Wirtschaftsleistung und ihrer Entwicklung sind die Zusammenhänge zumindest seit 2000 eher uneindeutig. Auch über den gesamten Untersuchungszeitraum betrachtet folgt die wirtschaftliche Entwicklung der Kreise in Baden-Württemberg, mit Ausnahme eines Umland-Stadt-Gefälles, auf das später noch eingegangen wird, keinem generellen räumlichen Muster.

Regionale Unterschiede durch Struktur- und Standorteffekte bedingt

Ein weiterer möglicher Bestimmungsgrund des regionalen Wirtschaftswachstums ist die kreisspezifische Wirtschaftsstruktur. Die einzelnen Wirtschaftsbranchen im Land2 weisen hinsichtlich ihres Beitrags zur Wertschöpfung unterschiedlich dynamische Entwicklungen auf: Industriebranchen, in denen viel geforscht und entwickelt wird, sind in Baden-Württemberg in den letzten Jahren stärker gewachsen als andere Industriebranchen; ebenso zeichnen sich einige wissensintensive Dienstleistungsbranchen durch ein stärkeres Wachstum aus als die übrigen tertiären Wirtschaftszweige. Es stellt sich die Frage, ob allein die Tatsache, dass landesweit wachstumsstarke Branchen in einem Kreis stark vertreten sind, ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum bewirkt oder ob weitere standortspezifische Faktoren eine entscheidende Rolle spielen? Zur Beantwortung dieser Frage wird das Wirtschaftswachstum – gemessen als preisbereinigte durchschnittliche Veränderungsrate der Bruttowertschöpfung im Untersuchungszeitraum 1996 bis 2004 – für alle Kreise und Regionen rechnerisch in zwei Bestandteile zerlegt: in eine struktur- und eine standortbedingte Veränderungsrate der Bruttowertschöpfung.

Die Berechnung der strukturbedingten Veränderungsrate der Bruttowertschöpfung eines Kreises oder einer Region wird durch eine modellhafte Vereinfachung möglich3. Es wird angenommen, dass jeder der dort vertretenen Wirtschaftszweige4 sich von Jahr zu Jahr genau wie im Landesdurchschnitt entwickelt und auch die konjunkturellen Effekte landesweit gleichmäßig wirken. Die so berechnete strukturbedingte Veränderungsrate zeigt das Wirtschaftswachstum5 im Kreis bzw. in der Region aufgrund der dort in den einzelnen Jahren gegebenen Wirtschaftsstruktur. Wachstumseffekte durch regionale Standortbedingungen und »Zufälle« sind herausgerechnet.

Als erstes Ergebnis der Berechnungen fällt auf, dass die Unterschiede im Wirtschaftswachstum der Kreise und Regionen von 1996 bis 2004 deutlich geringer gewesen wären als tatsächlich beobachtet, wenn allein die Wirtschaftsstruktur und landesweite konjunkturelle Effekte das regionale Wirtschaftswachstum bestimmt hätten. Dies zeigt bereits der Blick auf die Streuung der strukturbedingten Veränderungsraten und der Veränderungsrate der Bruttowertschöpfung insgesamt für diesen Zeitraum.

Gute Wirtschaftsstruktur ist eine Voraussetzung für ein hohes Wirtschaftswachstum der Kreise

Die strukturbedingte Veränderungsrate weicht in 23 von 44 Kreisen Baden-Württembergs um höchstens ein Viertel von der Veränderungsrate der Bruttowertschöpfung insgesamt ab. Insofern ist die Wirtschaftsstruktur zur Erklärung des Wirtschaftswachstums der Kreise als relevant einzustufen. Allerdings sind gerade sehr starke Abweichungen der Kreise vom landesdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum oft nicht allein durch die Wirtschaftsstruktur zu erklären. Ein Blick auf das Wachstumsranking in Schaubild 4 verdeutlicht, dass der Unterschied zwischen der Veränderungsrate der Bruttowertschöpfung insgesamt und der strukturbedingten Veränderungsrate bei den Kreisen am oberen und unteren Ende der Rangfolge besonders groß wird.

Die Abweichungen zwischen der Veränderungsrate der Bruttowertschöpfung insgesamt und der strukturbedingten Veränderungsrate folgen einer weiteren Gesetzmäßigkeit, die ebenfalls an Schaubild 4 nachzuvollziehen ist: Die Mehrheit der Kreise, deren Bruttowertschöpfung zwischen 1996 und 2004 überdurchschnittlich gewachsen ist, hätten aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur ein etwas geringeres Wachstum erwarten lassen. Die Mehrheit der Kreise, deren Bruttowertschöpfung zwischen 1996 und 2004 insgesamt nur unterdurchschnittlich gewachsen ist, hätte aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur ein etwas höheres Wachstum erwarten lassen. Diese Beobachtungen legen die Schlussfolgerung nahe, dass die Wirtschaftsstruktur allein für die Kreise nicht als »regionaler Erfolgsfaktor«, sondern neben anderen Einflussgrößen eher als eine notwendige Voraussetzung für Wirtschaftswachstum zu interpretieren ist.

Die Bedeutung von Erwerbstätigkeit, Anlagevermögen und Innovationsfähigkeit im Produktionsprozess

Wenn die Bedeutung der Wissenswirtschaft für die regionale Wirtschaftsentwicklung untersucht werden soll, kann dies neben dem oben verfolgten strukturbezogenen Ansatz auch produktionsbezogen6 versucht werden. Zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen sind insbesondere Arbeitskräfte und Sachkapital maßgeblich. Das bloße Vorhandensein von potenziellen Arbeitskräften und Kapitalgütern reicht allerdings noch nicht aus, um Güter und Dienstleistungen zu produzieren. Es muss ein dritter Faktor hinzukommen, den man als technologisch nutzbares Wissen oder schlicht als Wissen bezeichnen kann. Die Ausstattung der Kreise mit Arbeit, Kapital und Wissen bzw. die Veränderung dieser Ausstattung von 1996 bis 2004 galt es für die produktionsbezogene Untersuchung in statistischen Größen zu erfassen.

Der Faktor Arbeit wird durch die Zahl der Erwerbstätigen gemessen, was insofern mit Ungenauigkeiten verbunden ist, als die bloße Anzahl der Erwerbstätigen die tatsächlich geleistete Arbeit nur unvollkommen abbildet. Das wird deutlich, wenn man sich die Definition von Erwerbstätigkeit vergegenwärtigt: Zu den Erwerbstätigen zählen alle Personen im Alter von 15 Jahren und mehr, die in der Berichtswoche mindestens eine Stunde eine auf Bezahlung ausgerichtete Tätigkeit ausgeübt haben, unabhängig von der Bedeutung dieser Tätigkeit für den Lebensunterhalt. Hinter einem Erwerbstätigen verbirgt sich also nicht zwangsläufig ein Vollzeitbeschäftigungsverhältnis7.

Der Faktor Kapital wird durch das Anlagevermögen repräsentiert. Da Daten zum Anlagevermögen nicht originär auf Kreisebene zur Verfügung stehen, wird den Kreisen mittels geeigneter Schlüsselgrößen ein Ausgangswert zugewiesen. Auch die Abgänge aus dem Anlagevermögen in den Kreisen werden geschätzt. Die Zugänge zum Anlagevermögen liegen als Wert der neu erstellten Anlagen auf Kreisebene vor, sodass der Bestand des Anlagevermögens in die Untersuchung einbezogen werden kann.

Innovationsfähigkeit als Indikator für technologisch nutzbares Wissen

Wenn schon die Messung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital aus den genannten Gründen mit Vorbehalten verbunden ist, gilt dies umso mehr für die abstrakte Größe Wissen. Hier wird dieser Faktor durch einen Indikator dargestellt, der die Innovationsfähigkeit der privaten Unternehmen abbilden soll. Diese Innovationsfähigkeit kann von der amtlichen Statistik zwar nicht unmittelbar erfasst werden, allerdings bieten sich verschiedene Hilfsgrößen an. Zunächst kann der Aufwand der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung (FuE) herangezogen werden. Eigene, über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführte FuE-Aktivitäten der Unternehmen sind eine entscheidende Bestimmungsgröße für Innovationserfolg und -geschwindigkeit der Wirtschaft.8 Dabei sind vor allem die wissensintensiven Dienstleistungen für die Innovationsdynamik des Verarbeitenden Gewerbes von besonderer Bedeutung. Sie treten als Nachfrager neuer Technologien auf und geben die Impulse für weitere Forschung und Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe. Insgesamt setzt sich der Indikator »Innovationsfähigkeit« im Kontext der nachfolgenden Berechnungen daher aus drei Teilindikatoren in der Gewichtung 1:1:2 zusammen9:

  • FuE-Personal in den Unternehmen (in Vollzeitäquivalenten) bezogen auf die Erwerbstätigen (als Kopfzahl) in den Wirtschaftsbereichen Verarbeitendes Gewerbe und Grundstückswesen, Unternehmensdienstleistungen;
  • interne FuE-Aufwendungen der Unternehmen bezogen auf die jeweils wirtschaftszweigspezifisch preisbereinigte Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche Verarbeitendes Gewerbe und Grundstückswesen, Unternehmensdienstleistungen;
  • Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in wissensintensiven Dienstleistungsbranchen an den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern insgesamt.
  • Jedem Kreis wird dabei der Wert seiner Region zugeordnet, da einiges für die Annahme spricht, dass die Innovationskraft eines Kreises über seine Grenzen hinaus wirkt10.

Wachstumsbeiträge der Produktionsfaktoren hängen stark von Standortbedingungen ab

Die Beiträge der genannten Größen Erwerbstätigkeit, Anlagevermögen und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft können hinsichtlich ihrer Bedeutung für das kreisspezifische Wirtschaftswachstum durch eine Schätzung quantifiziert werden, deren Ergebnisse in der Tabelle 2 wiedergegeben sind. Vereinfacht ausgedrückt, ergibt sich der Beitrag einer Variablen zum Wirtschaftswachstum eines Kreises aus dem Produkt eines landesdurchschnittlichen Faktors und der kreisspezifischen Ausprägung der Variablen.

Eine allgemeine Erkenntnis aus Tabelle 2 ist, dass die Wachstumsbeiträge der Veränderung des Anlagevermögens fast durchweg höher sind als die der Veränderung der Erwerbstätigenzahl (Ausnahmen sind die Stadtkreise Stuttgart und Baden-Baden, sowie die Landkreise Rastatt und Rhein-Neckar). Für den wachstumsstärksten Kreis, den Landkreis Heilbronn, zeigt sich, dass dieser nicht nur bezüglich der Entwicklung des Anlagevermögens, sondern auch hinsichtlich der Anzahl der Erwerbstätigen an erster Stelle liegt. Bemerkenswert ist, dass diese Entwicklung mit einem deutlich unterdurchschnittlichen Indexwert für die Innovationsfähigkeit einhergeht. Für die meisten anderen Kreise ist das Bild sehr heterogen: viele Kreise, die eine unterdurchschnittliche Entwicklung der Erwerbstätigenzahl verzeichnen, weisen eine überdurchschnittliche Entwicklung der Investitionstätigkeit auf.

Die Ausprägungen der unerklärten Restgrößen11 in den Kreisen zeigen zum Teil deutliche Unterschiede. So entspricht beispielsweise der geschätzte Wert für die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der preisbereinigten Bruttowertschöpfung im Zollernalbkreis, im Landkreis Karlsruhe oder im Landkreis Schwäbisch Hall der tatsächlichen Entwicklung ziemlich genau. In anderen regionalen Einheiten unterscheidet sich der geschätzte vom tatsächlichen Verlauf dagegen teilweise: die wirtschaftliche Entwicklung im Landkreis Sigmaringen wird zum Beispiel überschätzt. Das bedeutet, dass sich hier offensichtlich besonders stark wachstumshemmende Faktoren auswirken, diese im Einzelfall zu spezifizieren würde über die Zielsetzung der Untersuchung hinausgehen. Dieser Landkreis ist einer von sechs Kreisen, in denen die Erwerbstätigkeit im Untersuchungszeitraum durchschnittlich rückläufig war. Für sich genommen würde dieser Umstand auf einen Rückgang der Wirtschaftsleistung hinweisen, was in dem in der Tabelle ausgewiesenen negativen Wachstumsbeitrag der Erwerbstätigenentwicklung zum Ausdruck kommt. Demgegenüber steht eine positive Entwicklung der Investitionstätigkeit, die den negativen Wachstumsbeitrag der Erwerbstätigenentwicklung leicht überkompensiert.

Es ist allerdings bemerkenswert, dass der ziemlich wachstumsschwache Landkreis Sigmaringen – im Sinne des hier verwendeten Indikators – der hoch innovativen Region Bodensee-Oberschwaben angehört. Diese liegt bezüglich der Innovationsfähigkeit unter den zwölf Planungsregionen Baden-Württembergs immerhin an dritter Stelle, was in erster Linie der hohen Innovationsfähigkeit des Bodenseekreises zu verdanken ist. Dieser ist zudem mit 3,3 % auch überaus wachstumsstark und nimmt hier unter den Kreisen den dritten Rang ein. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass der Landkreis Sigmaringen an einen weiteren innovativen und ebenfalls sehr wachstumsstarken Landkreis einer Nachbarregion grenzt, nämlich Biberach (durchschnittliches jährliches preisbereinigtes Wirtschaftswachstum 3,4 %), könnte eine wirtschaftspolitische Strategie für Sigmaringen darin bestehen, sich diese vorhandenen Innovationspotenziale durch eine intensive Vernetzung nutzbar zu machen.

Stadt-Umland-Gefälle bei der Wirtschaftsentwicklung ist auf unterschiedliche Entwicklung der Erwerbstätigkeit zurückzuführen

Bemerkenswert – weil deutlich unterschiedlich – entwickeln sich der Stadtkreis Heilbronn und der Landkreis Heilbronn. Da beide Kreise derselben Region angehören, weisen sie beim Indikator Innovationsfähigkeit auch die gleichen Werte aus, die allerdings im Vergleich der Regionen deutlich im unteren Drittel liegen. Trotz dieser vermeintlich ungünstigen Ausgangsposition bei der Innovationsfähigkeit realisiert der Landkreis Heilbronn mit einem Durchschnittswachstum von 3,5 % den Spitzenwert im Land, während der Stadtkreis Heilbronn lediglich auf eine Wachstumsrate von 0,7 % kommt und damit den fünftletzten Platz belegt. Die Wachstumsbeiträge der Produktionsfaktoren zeigen, dass die Erwerbs- und Investitionstätigkeit im Landkreis beträchtlich höher ausgefallen ist als im Stadtkreis. Ein ähnliches Muster zeigt sich für die Wirtschaftsentwicklung im Stadtkreis Karlsruhe und im Landkreis Karlsruhe. Die Wirtschaftsleistung im Landkreis wuchs um durchschnittlich 2,8 % jedes Jahr, während der Stadtkreis sogar einen leichten Rückgang um jahresdurchschnittlich 0,1 % hinnehmen musste. Die hohe Wachstumsrate im Landkreis ist auch hier auf eine deutlich stärkere Zunahme der Erwerbstätigkeit und des Anlagevermögens als im Stadtkreis zurückzuführen (im Stadtkreis ging das Anlagevermögen sogar zurück). Ein ähnliches Muster zeigt sich für den Stadtkreis Ulm (1,6 % jährliches Durchschnittswachstum) und den Alb-Donau-Kreis (2,7 % jährliches Durchschnittswachstum). Im Stadtkreis Pforzheim stellt man eine Stagnation der Erwerbstätigkeit fest, während diese im umliegenden Enzkreis zunimmt und ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum zur Folge hat als in Pforzheim. Für Stuttgart gilt, dass das Wachstum in drei der vier unmittelbaren Nachbarkreise höher war (der Landkreis Esslingen verzeichnete das gleiche Wachstum), was vor allem daran zu liegen scheint, dass das Anlagevermögen im Umland stärker gestiegen ist. Bezüglich der Erwerbstätigkeit ragt lediglich der Landkreis Böblingen heraus.

Diese Ergebnisse deuten auf die engen regionalökonomischen Stadt-Umland-Verflechtungen hin. Durch höhere Bodenpreise sowie die zum Teil mangelnde Verfügbarkeit entsprechender Erweiterungsflächen kann es zu Verlagerungen in den Umlandkreis oder über diesen hinaus kommen. Diese Zusammenhänge stellen eine Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit städtischer Wirtschaftsstandorte dar. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass in den betrachteten »Stadtkreis-/Umlandkreis-Paaren« ein Teil des Wachstums im Landkreis auf Kosten des Stadtkreises stattgefunden hat, wenngleich es Ausnahmen gibt: der Stadtkreis Baden-Baden entwickelte sich dynamischer als der umliegende Landkreis Rastatt. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Baden-Baden mit ca. 55 000 Einwohnern ein vergleichsweise kleiner und nicht so hoch verdichteter Stadtkreis ist und insofern unter den Stadtkreisen Baden-Württembergs einen Sonderfall darstellt. Der Stadtkreis Freiburg im Breisgau und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald hatten im Beobachtungszeitraum eine ähnliche Wirtschaftsentwicklung.

Eine genauere Untersuchung bestätigt trotz der genannten Ausnahmen einen signifikant negativen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Stadt- und Umlandkreisen, das heißt, wirtschaftliche (Erwerbs-)Tätigkeit verlagert sich von hoch verdichteten Stadtkreisen eher an die Peripherie. Ein genereller Zusammenhang der Erwerbstätigenentwicklung in Nachbarkreisen besteht jedoch nicht. Was die Veränderung des Anlagevermögens angeht, so ist ebenfalls kein genereller Zusammenhang zwischen Nachbarkreisen, aber auch nicht zwischen Stadt- und Umlandkreisen festzustellen. Weitere regionale Muster sind nicht feststellbar.

Schlussfolgerungen für die regionale Wirtschaftspolitik

Wenn von ungleicher Wirtschaftsentwicklung in Baden-Württemberg die Rede ist, muss das allgemein hohe Niveau der Wirtschaftsleistung in den Kreisen und die vergleichsweise geringe Streuung mit berücksichtigt werden. Die kreisspezifische Wirtschaftsstruktur ist dabei nur ein Aspekt, der einen Erklärungsbeitrag zu diesem Komplex liefert. Objektive und abstrakte Kriterien für die Standortgüte entlang geografischen oder siedlungsstrukturellen Merkmalen sind, mit Ausnahme eines Stadt-Umland-Effekts, mit den hier verarbeiteten Daten kaum auszumachen. Dies unterstreicht die Bedeutung der Besonderheiten vor Ort für die regionale Wirtschaftsentwicklung. Maßnahmen, die eine Stärkung der Innovations- und Investitionsfähigkeit bewirken, können die regionale Wirtschaftsentwicklung positiv beeinflussen, wie beispielsweise die Förderung von Forschung und Entwicklung. Für die Entwicklung von Kreisen, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter dem Landesdurchschnitt liegt, kann eine Strategie auch darin liegen, das vorhandene Innovationspotenzial gegebenenfalls durch Vernetzung mit umliegenden Kreisen auch außerhalb der Region nutzbar zu machen, um Anschluss an die Dynamik des Landes zu finden. Die Wirtschaftsförderung in den Kreisen und Regionen steht weiterhin vor der Aufgabe, das Stärken-Schwächen-Profil ihres Wirtschaftsstandorts zu erstellen und im Zusammenschluss mit den regionalen Akteuren entsprechende Handlungsstrategien und -programme auszuarbeiten.

1 Der vierte Stadtkreis dieses Typs – Heidelberg – wuchs überdurchschnittlich, allerdings von unterdurchschnittlichem Niveau aus.

2 Dabei erfolgt die Gliederung der Wirtschaftszweige nach 60 Abteilungen (A60) der Wirtschaftszweigsystematik 2003 (WZ 2003). Sie ist die feinste Gliederung nach der die regionale Bruttowertschöpfung berechnet wird. Unterschiede in der regionalen Wirtschaftsstruktur unterhalb der A60 können in dieser Zerlegung des Wirtschaftswachstums nicht berücksichtigt werden.

3 Die errechneten Werte sind daher als Näherungsgrößen zu interpretieren.

4 Die Berechnung wird nach 60 verschiedenen Wirtschaftszweigen differenziert – siehe Fußnote 2. Es wird angenommen, dass diese Wirtschaftszweige sich regional nicht unterscheiden.

5 Für die Berechnung wurden die Branchendaten zur Bruttowertschöpfung preisbereinigt.

6 Vergleiche hierzu im Einzelnen Abschnitt 5 in Trends und Fakten 2006/07.

7 Aussagekräftiger wären eher die geleisteten Arbeitsstunden, die auf Kreisebene allerdings nicht als hinreichend lange Reihe vorliegen.

8 Im Verarbeitenden Gewerbe werden diese Aktivitäten durch die FuE-Statistik des Stifterverbandes Wissenschaftsstatistik anhand der Merkmale FuE-Personal und FuE-Aufwendungen erfasst. Im Dienstleistungssektor unterschätzt die FuE-Statistik allerdings das Niveau der FuE-Aktivitä­ten.

9 Da die beiden erstgenannten Indikatoren in erster Linie die Innovationsfähigkeit des Verarbeitenden Gewerbes abbilden, geht der Teilindikator »wissensintensive Dienstleistungen« zum Ausgleich mit doppeltem Gewicht in den Indikator »Innovationsfähigkeit« ein.

10 Allerdings ist dieser Regionalbezug nur eine Hilfsannahme, die ihrerseits nicht unproblematisch ist: wenn die Kreisgrenze eine administrative und keine funktionale Grenze ist, gilt dies für die Regionengrenze natürlich in abgeschwächter Weise.

11 Hier finden sich Zufallseinflüsse ebenso wieder wie andere Faktoren, die aufgrund der modellhaften Schätzung nicht berücksichtigt werden konnten. Insofern kann beispielsweise ein positiver Wert als Indikator für Standortvorteile angesehen werden.