:: 6/2008

Reale Lohnstückkosten und internationale Wettbewerbsfähigkeit

»Pfui Nokia« titelte eine Boulevardzeitung, nachdem der finnische Konzern beschlossen hatte, die Handy-Produktion in Bochum trotz Gewinnerzielung einzustellen und den Standort nach Rumänien zu verlagern. Droht auch Baden-Württemberg eine Abwanderung der Industrie? Unternehmen wandern im Allgemeinen dahin, wo das Kapital mehr Rendite erwirtschaftet. Über kostenorientierte Direktinvestitionen in Niedriglohnländer können Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. In Rumänien lagen die industriellen Lohnkosten 2006 mit 2,45 Euro pro Stunde bei einem Vierzehntel des baden-württembergischen Niveaus. Um zu entscheiden, ob hohe Arbeitskosten verkraftbar sind, müssen sie allerdings in Relation zur Arbeitsproduktivität gesetzt werden. In Baden-Württemberg stehen einer hohen Produktivität überdurchschnittliche Arbeitskosten gegenüber. Damit sind die Lohnstückkosten1 im Vergleich zur internationalen Konkurrenz beachtlich. Als Konsequenz werden im Verarbeitenden Gewerbe Stellen oftmals umstrukturiert bzw. Stellen ungelernter Mitarbeiter abgebaut und durch Technologie- und Qualitätsvorsprünge die Wettbewerbsvorteile heimischer Produkte auf dem Weltmarkt gesichert.

Setzt man die Arbeitskosten (i-Punkt) ins Verhältnis zur erbrachten Leistung, also zur Bruttowertschöpfung je Arbeitsstunde, so ermitteln sich die realen Lohnstückkosten. Ein internationaler Vergleich der Lohnstückkosten verdeutlicht, ob Arbeitskosten durch eine hinreichend hohe Arbeitsproduktivität kompensiert werden oder ob die heimische Industrie pro Stundenleistung höhere Arbeitskosten zu tragen hat als die Konkurrenz. Die realen Lohnstückkosten im Verarbeitenden Gewerbe lagen in Baden-Württemberg 2006 um 3 % über dem Bundesdurchschnitt. Im internationalen Vergleich schneidet nur das Vereinigte Königreich schlechter ab. Dagegen befanden sich Nationen wie Kanada oder Japan etwa gleichauf mit den Schwellenländern Südkorea und Taiwan am unteren Ende der Lohnstückkostenskala. Damit muss Baden-Württemberg kostenseitig einen Wettbewerbsnachteil verkraften.

Hohe Produktivität versus hohe Arbeitskosten

Dieser Wettbewerbsnachteil resultiert aus den im internationalen Vergleich hohen Arbeitskosten. Im Jahr 2006 umfasste das Arbeitnehmerentgelt je geleistete Arbeitnehmerstunde in Baden-Württemberg 34,79 Euro und lag damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 31,54 Euro. Mit 20,13 Euro je Arbeitnehmerstunde schneidet die ostdeutsche Industrie deutlich günstiger als die westdeutsche mit 33,13 Euro ab. Der Vergleich mit anderen Staaten zeigt, dass die Arbeitskosten für Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes nur in Norwegen höher sind als in Baden-Württemberg. Im internationalen Wettstreit können die USA oder Japan mit viel geringeren Arbeitskosten kalkulieren. Neben Ostdeutschland und den Mittelmeeranrainern Spanien, Griechenland, Portugal wird dieser Wert nur noch von den osteuropäischen Ländern unterboten. In den neuen EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien liegen die Kosten sogar nur bei 2,45 Euro bzw. 1,53 Euro die Stunde.

Die Höhe der Arbeitskosten der Industrie hängt unter anderem mit der Branchenstruktur zusammen. In Baden-Württemberg sind arbeits- und forschungsintensive Wirtschaftszweige wie der Maschinenbau, Automobilbau oder die Automobilzulieferer überdurchschnittlich vertreten, deren qualifizierte Beschäftigtenstruktur und hohe Personalintensität wiederum hohe Arbeitskosten begründet. Zudem sind die hohen Arbeitskosten auch Spiegelbild einer Wohlstandsgesellschaft. Die Frage ist deshalb nicht, ob die Arbeitskosten hoch sind – was zweifelsfrei der Fall ist –, sondern ob sie niedrig genug sind, um die Wettbewerbsfähigkeit und den damit verbundenen Erhalt von Arbeitsplätzen zu garantieren. Ob die Arbeitskosten ökonomisch verkraftbar sind, hängt von der gleichzeitig erbrachten Wirtschaftsleistung ab.

Die nominale Arbeitsproduktivität, also die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigenstunde, in Baden-Württemberg betrug 2006 knapp 47 Euro je Stunde und überstieg damit den Bundesdurchschnitt um 4 Euro bzw. 7 %. Im Vergleich mit weltweit ausgewählten 16 Staaten lag die Industrie Baden-Württembergs an Position 4 und damit im oberen Mittelfeld. An der Spitze findet sich mit deutlichem Abstand Norwegen, das eine um 22 % höhere Produktivität als Deutschland erreicht; danach folgen Belgien und Schweden. Von den Konkurrenzländern überrascht die geringe Produktivität Japans. Spanien, das sogar ein um 40 % niedrigeres Produktivitätsniveau als Deutschland zeigt, wird nur noch von den Schwellenländern Korea und Taiwan unterboten. Der Vergleich mit Taiwan und Südkorea zeigt, dass diese Länder ihren gewaltigen Produktivitätsrückstand durch unglaublich geringe Arbeitskosten ausgleichen.

Maßnahmen zur Verbesserung der Produktivität in Baden-Württemberg

Um trotz hoher, tariflich festgelegter Arbeitskosten wettbewerbsfähig zu sein – und vor allem zu bleiben – sind produktivitätssteigernde Maßnahmen notwendig. Die Produktivität je Erwerbstätigenstunde kann durch eine hohe Kapitalintensität, ein hohes Technologieniveau, eine effiziente Arbeitsorganisation oder einen guten Qualifikationsstand der Beschäftigten gesteigert werden. Auf der anderen Seite führt der Einsatz hoch qualifizierter Arbeitskräfte zu höheren Arbeitskosten.

Um die Produktivität zu erhöhen, senkte die Industrie in Baden-Württemberg die insgesamt zu leistenden Arbeitsstunden der Arbeitnehmer zwischen 2002 und 2006 sowohl durch reduzierte Arbeitszeiten wie durch Stelleneinsparungen um 6,6 %. Eine Analyse der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die etwa 93 % aller Arbeitnehmer im Verarbeitenden Gewerbe stellen (i-Punkt), zeigt, dass der Stellenabbau fast ausschließlich zu Lasten der Arbeitskräfte ohne Berufsabschluss ging, während im Gegenzug neue Stellen für Hochqualifizierte geschaffen wurden.

So ging die Zahl der Arbeitsplätze von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne Berufsausbildung zwischen 2002 bis 2006 um 17,3 % zurück. Auch der konjunkturelle Aufschwung hat diesen Trend 2007 nicht umgekehrt. Ebenfalls eingespart wurden zwischen 2002 und 2006 gut 6,3 % der Arbeitsplätze von Beschäftigten mit Berufsfach-, Fachschulabschluss, abgeschlossener Lehre oder Anlernberufen. Deren hoher Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 60 % hat sich damit dennoch leicht erhöht, da die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt einen noch höheren Stellenabbau von 6,6 % hinnehmen mussten. 2007 wurden dann wieder mehr Beschäftigte mit Berufsfach-, Fachschulabschluss, abgeschlossener Lehre oder Anlernberufen eingestellt. Um 7,1 % mehr Arbeitsplätze sind von 2002 bis 2006 dagegen für Abgänger von Fachhochschulen sowie von Wissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten geschaffen worden.

Der Abnahme der Arbeitsplätze mit vergleichsweise geringem Qualifikationsbedarf bei gleichzeitiger Zunahme der Zahl qualifizierter Arbeitskräfte ist auch dadurch zu erklären, dass die Lohnunterschiede zwischen den beiden Gruppen geringer sind als die Produktivitätsunterschiede. Über Rationalisierungsmaßnahmen, das heißt den Abbau vieler unrentabler Stellen (74 400) und der Schaffung weit weniger Stellen für qualifizierte Arbeitskräfte (gut 15 900), konnte im Verarbeitenden Gewerbe eine Ausweitung der Bruttowertschöpfung bei gleichzeitiger Reduzierung der geleisteten Arbeitsstunden erreicht werden.

Die Arbeitskosten haben aufgrund höherer Gehaltszahlungen an Qualifizierte zwar ebenfalls zugenommen2, insgesamt sind die Arbeitskosten (10,5 %) jedoch weniger gestiegen als die Produktivität (16,9 %), sodass die Lohnstückkosten seit 2002 bis 2006 um insgesamt 5,5 % gesenkt werden konnten.

Wissen sichert Technologie- und Qualitätsvorsprung

Baden-Württemberg hat vergleichsweise hohe Lohnstückkosten. Daher muss das Land auch in Zukunft seine internationale Wettbewerbsfähigkeit bei industriellen Gütern vor allem über Technologie- und Qualitätsvorsprünge in Verbindung mit einem hohen Spezialisierungsgrad sichern, oder wie Ministerpräsident Oettinger sagt: »Wettbewerbsfähigkeit bedeutet dabei nicht um jeden Preis billiger zu sein … Aber wir müssen soviel besser sein, wie wir teurer sind.«3 Platz 1 beim Innovationsindex für die Regionen der Europäischen Union in Verbindung mit dem Exportrekordwert von 142 Mill. Euro im Jahr 2006 belegen die Wettbewerbsfähigkeit Baden-Württembergs und zeigen, dass Innovationen als Basis für Wachstum und Export es auch einem Hochlohnland ermöglichen, sich im Wettbewerb mit kostengünstigeren Anbietern zu behaupten.

Um dies auch weiterhin zu gewährleisten, hat sich die Beschäftigungsstruktur im Verarbeitenden Gewerbe zugunsten qualifizierter Beschäftigter geändert, während Stellen ungelernter Mitarbeiter aufgrund ihrer geringen Rentabilität an Bedeutung verloren haben. Dieser Prozess dürfte sich in Zukunft weiter fortsetzten. Diese Arbeitsmarktdynamik ist aus volkswirtschaftlicher Sicht positiv zu werten, da sie die notwendige Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit an geänderte Rahmenbedingungen erfüllt. Die Schattenseite dieser Entwicklung ist, dass sich die Einkommen zwischen Hochqualifizierten und Ungelernten in Zukunft weiter auseinander entwickeln werden. Deshalb sind die Sicherung eines hohen Bildungs- und Ausbildungsniveaus sowie weitere Anstrengungen bei Forschung und Entwicklung von zentraler Bedeutung und eine unverzichtbare Notwendigkeit.

1 Lohnstückkosten als das Verhältnis der Arbeitskosten in Preisen und Wechselkursen von 2006 zur Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigenstunde in Preisen und Wechselkursen 2006.

2 Dabei erhöhen Unternehmen ihre Arbeitskosten auch freiwillig über hohe Sonderzahlungen, die im Produzierenden Gewerbe insbesondere in Unternehmen mit wirtschaftlich dynamischen Märkten üblich sind.

3 Siehe: www.guenther-oettinger.de