:: 7/2008

Regionale Wirtschaftsleistung in Baden-Württemberg

Strukturelles Wachstum, standortbedingtes Wachstum und die Rolle des Innovationspotenzials

Die Wirtschaftsleistung Baden-Württembergs wuchs im Jahr 2007 erneut stärker als die gesamtdeutsche – zu diesem Resultat tragen die regionalen Einheiten des Landes unterschiedlich bei. Im vorliegenden Beitrag werden die Stadt- und Landkreise betrachtet. Als Bestimmungsgründe regionaler Wirtschaftsleistung lassen sich konjunkturelle, strukturelle und standortbedingte Faktoren ausmachen. Für den wirtschaftlichen Erfolg einer Region ist die Attraktivität des Standorts von größerer Bedeutung als eine Wirtschaftsstruktur, die von überdurchschnittlich dynamischen Branchen geprägt ist. Die Innovationsfähigkeit einer Region wiederum steht mit dem strukturbedingten Wachstum im Zusammenhang, ist gemäß dem empirischen Befund jedoch kein Merkmal für Standortgüte.

Baden-Württemberg hat sich in den vergangenen Jahren wiederholt als Bundesland erwiesen, dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Hinsichtlich der Wirtschaftsentwicklung ist das Land allerdings ein durchaus heterogener Wirtschaftsraum, wie ein Blick auf die durchschnittlichen realen jährlichen Veränderungsraten der kreisspezifischen Bruttowertschöpfung der Jahre 1996 bis 2005 zeigt (vgl. Schaubild 1). Welche Einflussgrößen sind für die regional unterschiedlichen Veränderungsraten der Wirtschaftsleistung verantwortlich? Zunächst kann analytisch zwischen Faktoren unterschieden werden, die außerhalb der regionalen Einheit vermutet werden können, und solchen, die standortspezifisch sind.

Zur ersten Kategorie zählt sicherlich die konjunkturelle Großwetterlage, der sowohl wenig dynamische als auch wachstumsstarke Regionen ausgesetzt sind. Wenn man zugesteht, dass die Wirtschaftsstruktur zu einem Gutteil historisch gewachsen ist und über ein gewisses Beharrungsvermögen verfügt, kann auch dieser Faktor – zumindest bei kurzfristiger, jährlicher Betrachtung – als für die jeweilige Region gegeben angenommen werden.

Vergleicht man dagegen in einem Gedankenexperiment zwei hypothetische Regionen, auf die die Konjunktursonne gleichermaßen scheint und die über eine identische Wirtschaftsstruktur verfügen, können sich diese immer noch hinsichtlich ihrer Wertschöpfungsentwicklung unterscheiden, da Unternehmen, die derselben Branche angehören, aber an unterschiedlichen Standorten angesiedelt sind, am Markt unterschiedlich erfolgreich sein können. Regionale Wachstumsunterschiede, die auf diesen und ähnliche Aspekte zurückzuführen sind, lassen sich quantifizieren und sollen als standortbedingt bezeichnet werden (i-Punkt).

Standortfaktoren für Wachstum wichtiger als Wirtschaftsstruktur

Konjunkturelles, strukturelles und standortbedingtes regionales Wirtschaftswachstum bedürfen eines regionalen Vergleichsmaßstabs. Als übergeordneter Vergleichsraum für die 44 Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs dient die Summe dieser regionalen Einheiten, also das Land selber. Die Berechnungen basieren auf der preisbereinigten Bruttowertschöpfung1 für 57 Wirtschaftsbereiche. Um eine längerfristige Perspektive zu ermöglichen, wurden die Ergebnisse der Jahre 1996 bis 2005 zu jahresdurchschnittlichen Veränderungsraten verdichtet. Wie Schaubild 2 bereits intuitiv nahe legt, existiert kaum ein statistischer Zusammenhang zwischen strukturellem und standortbedingtem Wachstum.

Weiterhin fällt auf, dass der strukturelle Wachstumsbeitrag gegenüber dem standortbedingten Wachstumsbeitrag von geringerer Bedeutung ist. Um voreiligen Schlussfolgerungen vorzubeugen muss allerdings das Konzept dieser Differenzierung mitgedacht werden: Selbstverständlich steckt hinter einem überdurchschnittlichen regionalen Wirtschaftswachstum letztlich immer eine regionale Wirtschaftsstruktur, die von dynamisch wachsenden Wirtschaftszweigen geprägt ist. Insofern wäre jedoch jedes regionale Wirtschaftswachstum »strukturbedingtes« Wachstum, und analytisch wäre nichts gewonnen. Strukturbedingtes Wachstum im hier verwendeten Sinn nimmt dagegen zunächst eine überregionale, landesweite Perspektive ein und berücksichtigt dann die Wirtschaftstruktur vor Ort (i-Punkt). Die als standortbedingter Wachstumsbeitrag bezeichnete Größe wird hier nicht näher spezifiziert. Unter diesem Begriff sammeln sich beispielsweise die wachstumsrelevanten Einflüsse einer günstigen Verkehrsanbindung, der örtlichen Wettbewerbsintensität, der Verfügbarkeit und des Preises erschlossener Flächen und anderer Standortfaktoren.

Ein Beispiel für die Bedeutung standortspezifischen Wachstums ist die Entwicklung des Spitzenreiters des Wachstumsrankings, der Landkreis Biberach: Die Wirtschaftsstruktur als solche hätte nicht nur ein deutlich geringeres, sondern sogar ein unterdurchschnittliches Wachstum erwarten lassen. Dass die Wirtschaftsleistung tatsächlich überaus dynamisch gewachsen ist, führt das Konzept der Analyse auf eine besondere Standortgüte zurück. Ein bemerkenswerter Einzelfall, der der allgemeinen Aussage zur Bedeutung der Wachstumsbeiträge zuwider läuft, ist der Landkreis Böblingen, der ebenfalls zu den wirtschaftlich besonders leistungsfähigen Kreisen zählt: Das dortige Wachstum wird wesentlich von der regionalen Wirtschaftsstruktur getragen, die, legte man landesdurchschnittliche branchenspezifische Wachstumsraten an, ein noch höheres regionales Wachstum hätte erwarten lassen. Der unterdurchschnittliche standortbedingte Wachstumsbeitrag zeigt jedoch an, dass dieser Erwartungswert nicht erreicht wurde. Ein ähnliches Muster zeigt auch der Rhein-Neckar-Kreis mit einem Platz im unteren Mittelfeld des Wachstumsrankings. Am unteren Ende der Skala zeigt sich, dass wachstumsschwache Kreise nicht nur durch Wirtschaftstrukturen gekennzeichnet sind, die unterdurchschnittliches Wachstum erwarten lassen, sondern darüber hinaus auch noch mit ungünstigen Standortbedingungen.

Innovationspotenzial und strukturelles Wirtschaftswachstum stehen in Zusammenhang

Die Besonderheiten der genannten Einzelfälle lassen sich zum Teil möglicherweise auf dort ansässige Unternehmen zurückführen, die sich entgegen dem Branchentrend über- oder unterdurchschnittlich entwickeln und dabei so bedeutend sind, dass sie zur regionalen Wirtschaftsleistung wesentlich beitragen. Hier offenbart sich eine Schwäche des Ansatzes, wonach die analytische Unterscheidung zwischen struktur- und standortbedingtem Wachstum für sich genommen letztlich nur eine verfeinerte Beschreibung des Sachverhaltes ist. Als Ausgangspunkt für Untersuchungen, die regionales Wirtschaftswachstum zu erklären versuchen und die über die Betrachtung von Einzelfällen hinausgehen, erweist sich dieser deskriptive Ansatz jedoch als nützlich.

Innovationen stellen für moderne Volkswirtschaften die Basis für Wachstum und Beschäftigung dar, indem sie den technologischen Wandel vorantreiben, neuen Produkten zur Marktreife verhelfen und über Qualitätsverbesserungen Produktdifferenzierung ermöglichen. Insofern ist zu erwarten, dass regionale Einheiten mit einem hohen Innovationspotenzial sich auch durch hohe Wachstumsraten auszeichnen. Mit dem vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg entwickelten Innovationsindex liegt auch auf Ebene der Stadt- und Landkreise eine Messgröße vor, mit der der Versuch unternommen wird, die Innovationskraft abzubilden. Es handelt sich dabei um einen zusammengesetzten Wert, in den die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE), FuE-Personal, Erwerbstätige in Hochtechnologiebranchen, Erwerbstätige in wissensintensiven Dienstleistungsbranchen, Erwerbstätige in wissenschaftlich-technischen Berufen und die Anzahl der Patentanmeldungen als innovationsrelevante Einzelindikatoren eingehen. Der Gesamtindikator gewichtet das Niveau der Einzelwerte zu drei Viertel und deren Entwicklung zu einem Viertel.2 Setzt man den Innovationsindex zu den regionalen Wachstumsbeiträgen in Beziehung, so ergibt sich ein positiver mathematisch-statistischer Zusammenhang zwischen Innovationsfähigkeit und strukturbedingtem Wachstum. Dieses Resultat ist insofern plausibel, als sich die Einzelindikatoren des Innovationsindex hauptsächlich auf wissensintensive Wirtschaftsbereiche beziehen, deren Wachstumsraten die der übrigen Wirtschaftsbereiche in der Summe übertreffen. Allerdings deutet sich kein nennenswerter mathematisch-statistischer Zusammenhang an zwischen kreisspezifischer Innovationsfähigkeit und regionaler Wettbewerbsfähigkeit, gemessen als standortbedingter Wachstumsbeitrag (vgl. Schaubild 3).

Innovationsfähigkeit geht also mit strukturbedingtem Wirtschaftswachstum einher (wobei die Wirkungsrichtung offen bleiben muss), scheint aber für die Stadt- und Landkreise kein besonders ausgeprägter Standortfaktor zu sein. Dieses Ergebnis hängt möglicherweise mit der kleinräumigen Perspektive zusammen. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das dem jeweiligen Kreis zugeordnete Innovationspotenzial über die administrativen Grenzen hinaus wirksam sein kann. Es wäre zu prüfen, ob Innovationsfähigkeit im Bundesländervergleich oder im internationalen Vergleich einen relevanten Standortfaktor darstellt. Auf Kreisebene scheinen andere Faktoren für die Attraktivität eines Standorts bedeutender zu sein, wobei historische Gründe, die sich dem statistischen Zugriff entziehen, auch eine bedeutende Rolle spielen dürften.