:: 3/2009

Typisierung baden-württembergischer Kreise aufgrund ihres wirtschaftlichen Profils

Der vorliegende Beitrag untersucht die räumlichen Unterschiede des wirtschaftlichen Erfolgs und der Ausstattung mit Wachstumsfaktoren in Baden-Württemberg auf der Ebene der Stadt- und Landkreise. Mithilfe des in der Regionalökonomie bewährten Instruments der Clusteranalyse werden die baden-württembergischen Kreise typisiert, das heißt in Gruppen zusammengefasst, die in sich möglichst homogen sind.1 Die 44 baden-württembergischen Kreise können in 6 Cluster gruppiert werden.

Erläuterung des Untersuchungsansatzes

Im vorliegenden Beitrag werden die baden-württembergischen Kreise aufgrund ihres aktuellen wirtschaftlichen Profils typisiert. Die Typisierung erfolgt anhand eines Systems von insgesamt 19 Indikatoren aus 6 Themenfeldern (siehe Übersicht und i-Punkt). Bei der Auswahl der Indikatoren wurde angestrebt, mit diesen einerseits das Ergebnis des regionalen Wirtschaftens und andererseits jene Faktoren möglichst gut abzubilden, die im Allgemeinen als wesentlich für das Zustandekommen dieses Ergebnisses angesehen werden. Das Ergebnis des regionalen Wirtschaftens wird im Themenfeld Wohlstand dargestellt. Andere Themenfelder, die sich auf die hinter dem Ergebnis der regionalen Wirtschaftstätigkeit stehenden Faktoren beziehen, können demgegenüber Hinweise auf das künftige Entwicklungspotenzial geben. Es handelt sich hier zunächst um die Wachstumsfaktoren Humankapitalbestand, Sachkapitalbildung und Innovationspotenzial. Des Weiteren finden Indikatoren Berücksichtigung, die näherungsweise Auskunft über die Themenfelder Wirtschaftsstruktur und Produktivität geben können.

Zu beachten ist, dass die angestrebte Trennung der verwendeten Indikatoren nach Ergebnisgrößen und den hinter ihnen stehenden Determinanten nicht immer eindeutig möglich ist. So werden zum Beispiel private Investitionen vor allem in Kreisen getätigt, die über gute Wachstumsbedingungen verfügen. Andererseits führen aber hohe Investitionen selbst zu einer Verbesserung der Wachstumschancen in diesen Kreisen. Zudem setzt auch der Umstand, dass die Entwicklung in einem Kreis durch Verflechtungen mit benachbarten Kreisen beeinflusst werden kann, einer Herstellung von eindeutigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen Grenzen.

Mit einem regionalökonomischen Indikatorensystem kann immer nur ein vielschichtiges wirtschaftliches Profil einer regionalen Ebene wiedergegeben werden. Es wird daher davon abgesehen, die verschiedenen Indikatoren zu einem Gesamtindikator zu aggregieren und daraus folgernd ein eindeutiges »Ranking« der Cluster herzustellen. Wie die anschließenden Abschnitte zeigen werden, sind für alle Cluster sowohl positive als auch negative Ausprägungen einzelner Indikatoren zu konstatieren.

Die Anwendung der Clusteranalyse (vgl. i-Punkt) auf das gewählte Indikatorensystem identifiziert in Baden-Württemberg 6 Cluster. Diese werden im Folgenden auf ihre Stärken und Schwächen untersucht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das Stärken-Schwächen-Profil der Cluster aus einem Vergleich innerhalb Baden-Württembergs, einem der wirtschaftlich erfolgreichsten Bundesländer, ergibt. Ein innerhalb des Landes in einem Themenfeld ungünstig abschneidender Cluster steht möglicherweise in einem bundesdeutschen Vergleich recht gut da.

Cluster 1:Stärken bei Wachstumsfaktoren, aber vergleichsweise geringer Wohlstand

Cluster 1 weist in fast allen untersuchten Themenfeldern gute Ergebnisse auf. Zum Cluster 1 zählen die 6 Stadtkreise Stuttgart, Karlsruhe, Heidelberg, Mannheim, Freiburg im Breisgau und Ulm. Spitzenwerte erreicht dieser Cluster bei den Indikatoren Anlagevermögensbildung im primären und sekundären Sektor, KfW-Infrastrukturprogramm, Beschäftigtenanteil in wissensintensiven Dienstleistungen und Arbeitsproduktivität im Produzierenden Gewerbe. Bei den Indikatoren des Themenfelds Wohlstand schneidet der Cluster 1 dagegen eher schlecht ab. Das am Wohnort des Einkommensbeziehers nachgewiesene Verfügbare Einkommen je Einwohner liegt nur leicht über dem Landesdurchschnitt; die Arbeitslosenquote und die Verbraucherinsolvenzhäufigkeit, die beiden anderen Indikatoren dieses Themenfelds, sind deutlich höher als im Landesmittel. Gleichzeitig ist aber die Wirtschaftskraft, gemessen anhand des am Ort der Einkommensentstehung nachgewiesenen Indikators Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, in diesem Cluster landesweit am höchsten. Dieser Befund spiegelt wohl die bekannten Pendlerverflechtungen wider: Während viele gut verdienende Erwerbstätige von ihrem Wohnort im Umland in die Stadtkreise zu ihrem Arbeitsplatz pendeln, leben Arbeitslose und Personen in prekären Lebensumständen häufig in der Stadt.

Cluster 2:Große Humankapitalausstattung und günstige Wirtschaftsstruktur, aber Schwächen bei anderen Wachstumsfaktoren

Cluster 2 zeichnet sich vor allem durch einen großen Humankapitalbestand und eine günstige Wirtschaftsstruktur aus. Dieser Cluster, der die Stadtkreise Heilbronn, Baden-Baden und Pforzheim umfasst, weist im Durchschnitt die meisten Erwerbstätigen je Einwohner auf und dabei ist der Besatz mit wissensintensiven Arbeitsplätzen weitaus höher als im Land insgesamt. Im Themenfeld Wirtschaftsstruktur sticht insbesondere eine hohe Gründungs- und KMU-Förderung heraus. Dieses Programm fördert zum einen Existenzgründungen in der gewerblichen Wirtschaft und in Freien Berufen und zum anderen Investitionen mittelständischer Unternehmen. Auf der anderen Seite deuten die Indikatoren auf eine vergleichsweise geringe Anlagevermögensbildung und Produktivität sowie ein eher geringes Innovationspotenzial hin. Im Themenfeld Wohlstand werden in Cluster 2 gegensätzliche Ergebnisse erkennbar, die auf vergleichsweise große Einkommensunterschiede in der Bevölkerung schließen lassen: Das Verfügbare Einkommen je Einwohner ist hier im Durchschnitt zwar am höchsten, das Gleiche trifft aber auch auf die Arbeitslosenquote und die Verbraucherinsolvenzhäufigkeit zu.

Cluster 3:Viele Stärken, kaum Schwächen

Die Landkreise in Cluster 3 weisen viele Stärken und kaum Schwächen auf. Hierzu gehören die beiden Landkreise Böblingen und Bodenseekreis. Hervorzuheben sind der hohe und – darauf verweist die landesweit geringste Verbraucherinsolvenzhäufigkeit – breit angelegte Wohlstand und das sehr hohe Innovationspotenzial. Letzteres kommt insbesondere in Spitzenwerten bei der Patentanmeldungsdichte, der Forschungs- und Entwicklungspersonalintensität der Unternehmen und dem Beschäftigtenanteil in industriellen Hochtechnologiebranchen zum Ausdruck. Der Erwerbstätigenbesatz liegt in Cluster 3 zwar nur leicht über dem Landesmittel, der Besatz mit Akademikern und wissensintensiven Arbeitsplätzen2 liegt aber deutlich darüber.

Cluster 4:Keine ausgeprägten Stärken und Schwächen

Cluster 4 zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er weder ausgeprägte Stärken noch ausgeprägte Schwächen erkennen lässt. In diesem Cluster finden sich die 8 Landkreise Esslingen, Ludwigsburg, Rems-Murr-Kreis, Heidenheim, Ostalbkreis, Karlsruhe, Rastatt und Rhein-Neckar-Kreis. In allen Themenfeldern wechseln sich Licht und Schatten ab. So liegt beispielsweise im Themenfeld Innovationspotenzial die Patentanmeldungsdichte und der Beschäftigtenanteil in industriellen Hochtechnologiebranchen weit über dem Landesdurchschnitt, bei den Indikatoren ERP-Innovationsprogramm und Forschungs- und Entwicklungspersonalintensität der Unternehmen wird das Landesmittel aber deutlich verfehlt. Mit dem ERP-Innovationsprogramm werden die Erforschung, Entwicklung und Markteinführung innovativer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen gefördert.

Cluster 5:Stärken bei Fördermitteln und kommunalen Investitionen, Defizite bei Innovationspotenzial und Wirtschaftsstruktur

Charakteristisch für Cluster 5 ist ein vergleichsweise hoher Zugang an Fördermitteln und eine relativ hohe kommunale Sachkapitalbildung, während die Indikatoren zum Innovationspotenzial und zur Wirtschaftsstruktur Defizite erkennen lassen. Cluster 5 umfasst die folgenden 19 Landkreise: Göppingen, Schwäbisch-Hall, Main-Tauber-Kreis, Neckar-Odenwald-Kreis, Calw, Freudenstadt, Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen, Ortenaukreis, Rottweil, Schwarzwald-Baar-Kreis, Konstanz, Lörrach, Waldshut, Reutlingen, Tübingen, Zollernalbkreis, Ravensburg und Sigmaringen. Dass ein Cluster einen Großteil des Landes abdeckt, könnte als ein Ausdruck der großen wirtschaftlichen Homogenität innerhalb des Landes interpretiert werden. Die Kreise des Clusters 5 entsprechen weitgehend dem Ländlichen Raum im engeren Sinne.

Hier werden viele Fördermittel aus dem ERP-Innovationsprogramm und dem Gründungs- und KMU-Förderungsprogramm eingeworben. Darüber hinaus ist die Anlagevermögensbildung der Kommunen hoch. Im Themenfeld Wohlstand zeigen die Indikatoren uneinheitliche Ergebnisse: Cluster 5 weist zwar das geringste Verfügbare Einkommen je Einwohner auf, gleichzeitig liegen aber auch die Arbeitslosenquote und die Verbraucherinsolvenzhäufigkeit unter dem Landesdurchschnitt. Defizite zeigen sich dagegen beim Innovationspotenzial und bei der Wirtschaftsstruktur. So verfehlt die Forschungs- und Entwicklungspersonalintensität der Unternehmen und die Patentanmeldungsdichte einerseits sowie der Anteil der Wachstumsbranchen und die Exportquote andererseits das Landesmittel teilweise erheblich.

Cluster 6:Hohe Investitionen und geringe Arbeitslosigkeit, aber geringe Humankapitalausstattung

Cluster 6 ist durch eine hohe Sachkapitalbildung und eine geringe Arbeitslosigkeit, aber auch durch einen geringen Humankapitalbestand gekennzeichnet. Zu Cluster 6 zählen die 6 Landkreise Heilbronn, Hohenlohekreis, Enzkreis, Tuttlingen, Alb-Donau-Kreis und Biberach. Dieser Cluster schneidet bei der Anlagevermögensbildung des Dienstleistungssektors und der Kommunen, der Arbeitslosigkeit, dem ERP-Innovationsprogramm, der Gründungs- und KMU-Förderung sowie der Arbeitsproduktivität im Dienstleistungssektor von allen Clustern am besten ab. Die Schwächen von Cluster 6 beim Humankapitalbestand manifestieren sich im landesweit geringsten Erwerbstätigenbesatz, der sich auch in dem geringsten Besatz mit Akademikern und wissensintensiven Arbeitsplätzen3 widerspiegelt. Ungünstig ist ferner die Tatsache, dass der Anteil der Wachstumsbranchen landesweit am geringsten ist.

1 Als Vorlage für diesen Beitrag diente folgender Aufsatz: Barjak, Franz/Franz, Peter/Heimpold, Gerhard/ Rosenfeld, Martin T. W. (2000): Regionalanalyse Ostdeutschland: Die wirtschaftliche Situation der Länder, Kreise und kreisfreien Städte im Vergleich, in: Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Hrsg.), Wirtschaft im Wandel, Heft 2/2000, S. 31 ff.

2 Sind in der Clusterung nicht berücksichtigt; siehe i-Punkt.

3 Vgl. Fußnote 2.