:: 5/2010

Der »Jugend-Workshop Demografie« – Konzept eines Informationsangebotes für junge Menschen

Was wissen junge Erwachsene über den demografischen Wandel? Welche Vorstellungen haben sie zu dessen Auswirkungen? Welche Handlungsstrategien für Kommunen, Kreise und Regionen gibt es? Die FamilienForschung Baden-Württemberg im Statistischen Landesamt hat vor dem Hintergrund des spürbaren Informationsbedarfs junger Menschen mit dem »Jugend-Workshop Demografie« ein erstes Konzept erarbeitet, das theoretische Grundlagen zum Thema »Demografischer Wandel« vermittelt und praxisorientiert konkrete Anknüpfungspunkte zur Lebenswelt junger Erwachsener bietet.

Die Grundidee

Der demografische Wandel mit seinen gesellschaftlichen Folgen ist ein Thema, das in der öffentlichen Diskussion viel Raum einnimmt. Es wird breit diskutiert: Zeitungen und Zeitschriften haben das Thema aufgegriffen, Sondersendungen und Talkshows haben sich damit beschäftigt. Aber ist das Thema auch bei jungen Erwachsenen angekommen, aus deren Perspektive zum Beispiel die Rentenproblematik oder die Frage, wer im Alter ihre Pflege übernehmen soll, zunächst weit entfernt scheint?

Mit einem »Jugend-Workshop Demografie« kann dieses Thema der jungen Generation nahe gebracht werden. In diesem Rahmen lassen sich zum einen grundsätzliche Informationen zum Thema »Demografischer Wandel« vermitteln oder auffrischen. Zum anderen geht es darum, konkrete Anknüpfungspunkte des Themas zur heutigen und künftigen Lebenswelt junger Erwachsener aufzuzeigen. Um das Interesse der jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewinnen, sollte ein derartiger Workshop nicht im »üblichen« Vortragsstil gehalten, sondern didaktisch flexibel mit Wissensvermittlung und aktiver Beteiligung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gestaltet werden.

Wissenstest als Einstieg

Am Anfang steht eine kurze Bestandsaufnahme darüber, was junge Erwachsene über den demografischen Wandel wissen. Dies lässt sich zum Einstieg anhand eines standardisierten Fragenkatalogs »abprüfen«. Die Fragen können in Kleingruppen diskutiert werden, aber jede/r ist angehalten, den Bogen selbst auszufüllen, zumal es für die Besten, die die höchste Trefferzahl erreicht haben, eine kleine Anerkennung gibt.

Um nach Auswertung der Eingangsfragen Grundlagenwissen aufzufrischen oder Informationslücken zu füllen, wird anschließend besprochen, was den demografischen Wandel im Wesentlichen ausmacht: Kernpunkte sind die seit Langem niedrigen Kinderzahlen und die steigende Lebenserwartung. Diese führen als direkte Auswirkungen zu einer Verkleinerung und Alterung der Bevölkerung. Anhand einer animierten Bevölkerungspyramide für Deutschland, die das Statistische Bundesamt im Internet anbietet, ist unmittelbar visuell nachzuvollziehen, wie sich die Alterszusammensetzung der Bevölkerung seit 1950 verändert hat und wie die voraussichtliche Entwicklung bis 2060 aussieht (www.destatis.de/bevoelkerungspyramide/). Zur Verdeutlichung der regional unterschiedlichen Entwicklungen in den Bundesländern stehen außerdem im gemeinsamen Datenangebot der statistischen Ämter des Bundes und der Länder animierte Bevölkerungspyramiden für alle Länder zur Verfügung.

Demografie vor Ort: »Demografie-Spiegel« und »Wegweiser Kommune«

Die demografische Entwicklung nimmt auch innerhalb der einzelnen Bundesländer nicht den gleichen Verlauf, sondern fällt dort kleinräumig sehr unterschiedlich aus. Mit Hilfe des »Demografie-Spiegels« des Statistischen Landesamtes (www.statistik-bw.de/BevoelkGebiet/Demografie-Spiegel/) und des »Wegweisers Kommune« (wegweiser-kommune.de/) der Bertelsmann Stiftung – als Informationsgrundlage über die regionale Entwicklung in anderen Bundesländern – können die künftigen demografischen Veränderungen einzelner Regionen und Kommunen visualisiert werden. Anhand konkreter Beispiele wie Stuttgart, Berlin, Kassel oder kleinerer Städte in Ostdeutschland wird deutlich, wie unterschiedliche demografische Verläufe innerhalb Deutschlands aussehen können. Die jungen Erwachsenen können auch selbst Kommunen zur Analyse vorschlagen, über die sie mehr erfahren möchten, zum Beispiel ihren eigenen Wohn- oder Studienort.

Konsequenzen für die Bürger: Computeranimation Stadtrückbau

Der Workshop soll den jungen Erwachsenen aber auch das Gespür dafür vermitteln, dass die in Zahlen sichtbaren demografischen Veränderungen ganz praktische Konsequenzen für die Menschen vor Ort haben. Rückläufige Einwohnerzahlen und Verschiebungen in der Altersstruktur können auch eine Verschlechterung der Lebensqualität bedeuten: Das Schwimmbad wird geschlossen, das Schulgebäude muss anderweitig genutzt werden, ein Kindergarten ist nicht mehr vor Ort, Einkaufsmöglichkeiten fallen weg, ältere Menschen bleiben zurück, jüngere Menschen ziehen weg, Unternehmen verlegen aufgrund von Arbeitskräftemangel ihren Standort. So lässt sich am Beispiel Eisenhüttenstadt computeranimiert zeigen, was passieren kann, wenn eine Stadt jährlich in gravierendem Maße Einwohner verliert. Stadtviertel werden zurückgebaut, Wohnraum wird abgerissen, innerstädtische Brachen entstehen.1

Gründe für niedrige Geburtenraten aus der Sicht von jungen Erwachsenen

Der demografische Wandel wird aus heutiger Sicht so schnell keine Umkehrung finden. Aber langfristig könnte durch eine Erhöhung der Geburtenrate die demografische Situation positiv beeinflusst werden. Auch die jungen Erwachsenen stehen in Zukunft vor der Entscheidung, ob sie eine Familie gründen möchten oder nicht. Daher soll in einem weiteren Abschnitt des Workshops herausgearbeitet werden, woran es aus Sicht der jungen Teilnehmer liegt, dass Menschen in Deutschland sich keine Kinder wünschen oder bekommen. Während die Wissenschaft ein komplexes Ursachengeflecht für niedrige Geburtenraten in den Fokus stellt – von der mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und Familie und unzureichend ausgebauter Kinderbetreuung über Einkommensbenachteiligungen von Familien mit Kindern und hohe Opportunitätskosten für Frauen bis hin zu veränderten Einstellungen und Werthaltungen zur »Familie« –, soll hier eine subjektive Einschätzung zu dieser Frage im Vordergrund stehen. Ziel ist es, auf diese Weise die »persönliche Betroffenheit« von Fragen des demografischen Wandels zu veranschaulichen.

Das Planspiel »Demografischer Wandel – Handlungsstrategien für Kommunen«

Demografische Entwicklungen und ihre lokalen und regionalen Auswirkungen sind eine wesentliche Planungsgrundlage für Kommunen – von der Planung von Kinderbetreuungsangeboten und örtlicher Schulinfrastruktur bis hin zu Kapazitäten des öffentlichen Nahverkehrs und zur Neuerschließung von Bauplätzen. Darüber hinaus sind familienfreundliche Rahmenbedingungen zu einem wirtschaftlichen Standortfaktor geworden. Betriebe müssen sich längerfristig auf ein gutes Angebot an Fach- und Arbeitskräften und eine gut ausgebaute Infrastruktur verlassen können. Wenn es im Interesse von Kommunen liegt, die Unternehmen vor Ort zu halten, gilt es nicht nur, gemeinsam die Bildung und Ausbildung der nachwachsenden Arbeitskräfte zu fördern, sondern auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern sowie die Potenziale älterer Beschäftigter zu fördern.

Vor diesem Hintergrund bietet im zweiten Teil des Workshops ein Planspiel den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Möglichkeit, für Modellkommunen unter »realen Bedingungen« vordringliche familienpolitische Handlungsfelder auszuwählen und entsprechende Maßnahmen zu planen. Die jungen Erwachsenen übernehmen im Rahmen einer »Gemeinderatsklausur« verschiedene Rollen, wie zum Beispiel Bürgermeisterin und Bürgermeister, Hauptamtsleiterin und Hauptamtsleiter oder Kämmererin und Kämmerer. Die zu den Rollen vorgegebenen fachlichen Voraussetzungen, persönlichen Interessen und sozialen Beziehungen sind – wie in der Realität – begünstigende bzw. erschwerende Einflussfaktoren im politischen Aushandlungsprozess. Die Modellkommunen unterscheiden sich nicht nur was ihre Einwohnerzahl angeht, sondern zum Beispiel auch in Bezug auf ihre Wirtschaftsstruktur oder ihren Migrantenanteil. Im Rahmen dieser Vorgaben versuchen die Arbeitsgruppen, einen Konsens zum vordringlichsten kommunalpolitischen Handlungsfeld zu finden und einen Maßnahmenplan für die Weiterentwicklung dieses Feldes zu erstellen.

Anhand dieser Aufgabenstellung können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer realistische Planungs- und Entscheidungskonstellationen durchspielen. Ein Ziel ist dabei zu verdeutlichen, wie anspruchsvoll es ist, vor Ort tatsächlich alle Kräfte zu bündeln und mit auf den Weg zur nachhaltigen familienfreundlichen Kommune zu nehmen.

Zur Unterstützung ihrer Planungen nutzen die Arbeitsgruppen die von der FamilienForschung Baden-Württemberg mit herausgegebene »Handreichung Familienfreundliche Kommune«. Die 2010 in grundlegend überarbeiteter Neuauflage erschienene Arbeitshilfe für Kommunen benennt 9 zentrale Handlungsfelder einer nachhaltigen kommunalen Familienpolitik und ist für die Bestandsaufnahme zu familienfreundlichen Angeboten vor Ort gedacht. Anhand der Bestandsaufnahme lassen sich im nächsten Schritt Ziele für die weitere familienfreundliche Entwicklung ableiten (Übersicht und i-Punkt Seite 24).

Die Planspiel-Teams wählen zunächst aus ihrer Sicht besonders vordringliche Handlungsfelder aus. Bei der anschließenden Maßnahmenentwicklung üben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann in Kompromissbereitschaft und können Kreativität, aber auch Problembewusstsein und Realitätsnähe beweisen. Am Ende des Planspiels können als Team-Ergebnis zum Beispiel folgende Maßnahmen stehen:

Handlungsfeld »Betreuung, Erziehung, Bildung«

Maßnahmen

  • Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse zur Betreuung
  • Familiencafé (als Gesprächsplattform)
  • Leihoma/Leihopa bzw. Leihschwester/Leihbruder
  • Betriebskita
  • Hausaufgabenbetreuung durch Schülerpatenschaften, Ehrenamtliche
  • Bildungs-, Betreuungs- und Begegnungs-Zentrum
  • Herausgabe eines Familienratgebers

Handlungsfeld »Älter werden in der Kommune«

Maßnahmen

  • Bürgerumfrage
  • Mehrgenerationenhaus
  • Leihgroßeltern
  • Vereinsintegration und Kirche
  • Nachbarschaftshilfe/Pflegedienste
  • Hausaufgabenbetreuung/AGs durch Senioren
  • Verbesserte Mobilitätsangebote

Fazit

Der »Jugend-Workshop Demografie« bietet die Gelegenheit, das Thema »Demografischer Wandel« mit seinen Langzeitfolgen bei jungen Erwachsenen stärker zu verankern. Durch den Einsatz datengestützter »Lehrinstrumente« wird den jungen Menschen außerdem der Nutzen amtlicher Statistiken für die Bewältigung von Zukunftsfragen unmittelbar vor Augen geführt. Durch die ansprechende, lebenswelt- und praxisorientierte Präsentation der Inhalte lassen sich Vorwissen und Interesse weiter vertiefen. Auf diese Weise können junge Menschen eine präzisere Vorstellung von zukünftigen Auswirkungen des demografischen Wandels auf ihr eigenes Leben und auf das nachfolgender Generationen gewinnen. Die Frage nach einer bedarfsgerechten Infrastruktur in den Kommunen, die sich heute schon stellt, wird künftig noch stärker im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger liegen. Deshalb ist es wichtig, junge Erwachsene für die Auswirkungen des demografischen Wandels zu sensibilisieren und ein Verständnis für die Bedingungen zu vermitteln, unter denen weichenstellende politische Entscheidungen zustande kommen. Darüber hinaus kann es vor Ort ein wichtiger Schritt und ein großer Gewinn für eine nachhaltige Kommunalentwicklung sein, junge Menschen mit ihrer Kreativität, ihren Ideen und ihrem Engagement politisch zu beteiligen.