:: 10/2014

Forschungs- und wissensintensive Wirtschaftszweige in Baden-Württemberg

In modernen Volkswirtschaften sind vor allem die FuE-intensiven Industriebranchen und wissensintensiven Dienstleistungen die Keimzelle für neue Produkte, Prozesse und Dienstleistungen. Sie sind ein bedeutender Indikator für die technologische Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und liefern somit Hinweise zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit sowie zu den Beschäftigungs- und Wachstumspotenzialen eines Landes. Im vorliegenden Beitrag werden diese Wirtschaftszweige anhand gesamtwirtschaftlicher Kennzahlen analysiert. Dabei zeigt sich, dass die FuE-intensiven Industriebranchen in Baden-Württemberg mit einem Wertschöpfungsanteil von gut einem Fünftel im bundesweiten Vergleich weit überdurchschnittlich vertreten sind, dort die Arbeitsproduktivität seit Mitte der 1990er-Jahre um rund 61 % erheblich zugelegt hat und die Arbeitnehmer im Jahr 2013 mit einem Pro-Kopf-Wert von gut 53 340 Euro einen sehr hohen Durchschnittsverdienst erzielen konnten. Besonders stark nahm die Beschäftigung in den wissensintensiven Dienstleistungen zu, wo die Zahl der Erwerbstätigen im Zeitraum 1995 bis 2013 um fast ein Drittel gestiegen ist (Gesamtwirtschaft: 15,1 %).

Forschung und Entwicklung (FuE) stellt eine Kernkompetenz im Innovationsprozess dar. Je nach der Anwendungsnähe von FuE ist zu unterscheiden zwischen der Grundlagenforschung zur Gewinnung neuen wissenschaftlichen Basiswissens, der angewandten Forschung zur Erzielung neuer technischer und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sowie der experimentellen Entwicklung, bei der die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für neue oder wesentlich verbesserte Produkte, Verfahren und Dienstleistungen im Vordergrund steht. Diese FuE-Aktivitäten werden von den Forschungsstätten der Wirtschaft, der Hochschulen und den öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen außerhalb der Hochschulen, dem sogenannten Staatssektor, durchgeführt. Hierbei dominiert in Baden-Württemberg der anwendungsorientierte Wirtschaftssektor, auf den rund vier Fünftel der gesamten FuE-Ausgaben entfallen. Der Rest teilt sich nahezu gleichmäßig auf den Hochschul- und Staatssektor auf.

Ein wesentlich erweitertes Analysespektrum bietet die Differenzierung der Akteure nach Wirtschaftszweigen. Dazu wird auf eine von Eurostat1 praktizierte Abgrenzung FuE-intensiver Industriebranchen, auch bezeichnet als industrielle Hochtechnologiebranchen, und wissensintensiver Dienstleistungen zurückgegriffen (i-Punkt). Sie hat den Vorteil, dass die Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen genutzt werden können. So lässt sich zum einen die makroökonomische Bedeutung dieser Branchen und damit die technologische Leistungsfähigkeit eines Landes einordnen. Zum anderen ergeben sich zumindest ansatzweise Erkenntnisse, inwieweit Zusammenhänge zwischen der FuE- bzw. Wissensintensität und der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigung und dem Wirtschaftswachstum bestehen.

Forschungsintensive Industriebranchen zeichnen sich dadurch aus, dass ein überdurchschnittlich großer Teil des Umsatzes in FuE investiert wird. Hierzu zählen zum Beispiel die Branchen »Herstellung von chemischen Erzeugnissen«, »Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen« sowie der »Maschinenbau« und die »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen«. Charakteristisch für die wissensintensiven Dienstleistungen ist, dass hier der Anteil der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss überdurchschnittlich ist und besonders viele Naturwissenschaftler und Ingenieure beschäftigt sind. Beispiele dafür sind: Luftfahrt, Telekommunikation, Informationsdienstleistungen, ­Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Forschung und Entwicklung,2 Unternehmensdienstleister, Öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht, Gesundheitswesen.

FuE-intensive Industriebranchen stark präsent

In Baden-Württemberg sind die FuE-intensiven Industriebranchen mit ihren High-Tech-Produkten weit überdurchschnittlich vertreten. So belief sich ihr Wertschöpfungsanteil im Jahr 2013 auf gut 21 %. Dagegen waren es in Deutschland nur rund 12 %, wodurch die technologische Leistungsfähigkeit der baden-württembergischen Industrie in besonderem Maße unterstrichen wird. Seit Mitte der 1990er-Jahre nahm hierzulande der Wertschöpfungsanteil der industriellen Hochtechnologiebranchen fast kontinuierlich zu (1995: 17,1 %). Einen erheblichen Einschnitt gab es allerdings im Jahr 2009, als die weltweite Finanz- und Wirtschafts­krise zur stärksten Rezession seit Bestehen des Landes führte und dabei insbesondere die ausgesprochen exportorientierten industriellen Hochtechnologiebranchen traf.

Vergleichsweise gering hat sich in Baden-Württemberg der Wertschöpfungsanteil der wissensintensiven Dienstleistungen im Zeitablauf erhöht, der im Jahr 2013 einen Wert von rund 32 % erreichte (1995: 30,8 %). Damit blieb das Land hinter dem Bundesdurchschnitt von 36 % doch deutlich zurück. Das schlechtere Abschneiden Baden-Württembergs dürfte auch damit zusammenhängen, dass hierzulande die Industrie hochwertige Dienstleistungen wie Forschung und Entwicklung, Logistik, Planung, Marketing, Softwareerstellung in nicht unerheblichem Umfang selbst erbringt. In der Summe lag der Anteil der FuE- bzw. wissensintensiven Wirtschaftszweige in Baden-Württemberg 2013 mit gut 53 % jedoch merklich über dem Bundeswert von 48 %.

Spiegelbildlich dazu verringerte sich in Baden-Württemberg der Wertschöpfungsanteil der nicht-forschungsintensiven Industriebranchen und nicht-wissensintensiven Dienstleistungen sowie der übrigen Wirtschaftsbereiche im Zeitabschnitt 1995 bis 2013 auf zusammen fast 47 % und im Bund auf 52 %. Damit können dem Südwesten insgesamt größere Fortschritte bei der Wissensbasierung seiner Wirtschaft attestiert werden.

High-Tech treibt Wirtschaftswachstum

Treibende Kraft des Wirtschaftswachstums sind sowohl in Baden-Württemberg als auch im Bund hauptsächlich die forschungsintensiven Industriebranchen. Ihre Wirtschaftsleistung hat 2013 gegenüber 1995 preisbereinigt um rund 76 % bzw. 61 % zugenommen – Veränderungsraten, die weit über dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von rund 32 % bzw. 26 % lagen. Überdurchschnittlich entwickelten sich auch die wissensintensiven Dienstleistungen in Baden-Württemberg und Deutschland mit ­realen Wachstumsraten von rund 38 % bzw. 36 %. Bemerkenswerterweise konnten die nicht-wissensintensiven Dienstleistungen (zum Beispiel Handel, Gastgewerbe, Grundstücks- und Wohnungswesen) in ähnlicher Größenordnung zulegen. Dagegen erwiesen sich die nicht-forschungsintensiven Industriebranchen und insbesondere die übrigen Wirtschaftsbereiche, zu denen zum Beispiel die Land- und Forstwirtschaft, die Energieversorgung, die Wasserversorgung, die Abwasser- und Abfallentsorgung sowie das Baugewerbe gehören, als Wachstumsbremse.

Allerdings sollte dieser langfristige Befund nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der kurzfristigen Betrachtung je nach Konjunkturphase und Konjunkturreagibilität der Wirtschaftsbereiche die Lage gerade umgekehrt sein kann. Dies zeigt die Darstellung der jährlichen Wachstumsbeiträge zum preisbereinig­ten Bruttoinlandsprodukt, differenziert nach den hier betrachteten Zusammenfassungen von Wirtschaftszweigen nach der Forschungs- und Wissensintensität. Besonders plastisch wird dies im Rezessionsjahr 2009, als die weltweiten Märkte für die Produkte der FuE-intensiven Industriebranchen einbrachen und somit diese Branchen für die enorme Minusrate des Bruttoinlandsprodukts in Baden-Württemberg ausschlaggebend waren. Weitaus weniger dramatisch fielen die Minusraten bei den Dienstleistungen aus. Von den übrigen Wirtschaftsbereichen sind dank der Konjunkturprogramme, von denen vor allem der öffentliche Bau profitiert hat, sogar positive Wachstumseffekte ausgegangen3. Umso kräftiger haben die industriellen Hochtechnologiebranchen das Wirtschaftswachstum in der anschließenden Aufschwungphase beflügelt.

Beschäftigtenanteil in wissensintensiven Dienstleistungen unter Bundesdurchschnitt

Gemessen an der Beschäftigtenzahl sind die FuE-intensiven Industriebranchen in Baden-Württemberg ebenfalls erheblich stärker als im Bundesdurchschnitt vertreten. So belief sich im Jahr 2013 hierzulande der Erwerbstätigenanteil dieser Branchen auf gut 13 %, in Deutschland auf nur knapp 8 %. Wie bei der Wertschöpfung schnitt auch der Beschäftigtenanteil der wissensintensiven Dienstleistungen im Südwesten mit fast 37 % schlechter ab als im Bund, wo der Anteil knapp 40 % betrug.

Insgesamt hat in Baden-Württemberg im Zeitraum 1995 bis 2013 die Erwerbstätigenzahl um gut 15 % (Deutschland: 10,7 %) zugenommen. Zurückzuführen ist dieser Beschäftigungsaufbau vor allem auf den Dienstleistungssektor, wobei die wissensintensiven Dienstleistungen mit einem Plus von nahezu 33 % die nicht-wissensintensiven Dienstleitungen (24,2 %) deutlich übertroffen haben. Entgegen der Entwicklung im Bund konnten in Baden-Württemberg auch die industriellen Hochtechnologiebranchen 2013 gegenüber 1995 einen Beschäftigtenzuwachs von fast 9 % verzeichnen (Deutschland: −2,1 %) – und dies trotz der rezessionsbedingten Einbrüche Ende der letzten Dekade.

Hohe Zunahme der Arbeitsproduktivität in forschungsintensiver Industrie

Bei den FuE-intensiven Industriebranchen ­Baden-Württembergs ist das enorme Plus der realen Wirtschaftsleistung (2013/1995: 75,7 %) bei einer vergleichsweise moderaten Zunahme der Beschäftigung (8,9 %) Ausdruck einer erheblich verbesserten Arbeitsproduktivität. Sie wies 2013 im Vergleich zu 1995 ein Zunahme von gut 61 % auf. Noch etwas größer war die Produktivitätszunahme im Bundesdurchschnitt (64,6 %). Auch die nicht-FuE-intensiven Industriebranchen konnten sich im Land wie im Bund deutlich verbessern (25,2 % bzw. 32,8 %), Dahinter blieben selbst die wissensintensiven Dienstleistungen (3,8 % bzw. 4,4 %) spürbar zurück und fanden nicht einmal den Anschluss an den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs (Baden-Württemberg: 14,9 %; Deutschland: 13,9 %). Der Spitzenwert bei den industriellen Hochtechnologiebranchen deutet darauf hin, dass es diesen Branchen – nicht zuletzt auch aufgrund ihrer speziellen produktionstechnischen Anforderungen – wesentlich stärker gelungen ist, durch neues Sachkapital den technischen Fortschritt verbunden mit Prozessinnovationen zu implementieren.

Gewinne und Löhne

Das Wirtschaftswachstum ist in den FuE-intensiven Industriebranchen seit Mitte der 1990er-Jahre mit einem außergewöhnlichen Anstieg der Unternehmensgewinne4 einhergegangen. In Baden-Württemberg war der Bruttobetriebsüberschuss dieser Branchen 2013 mit einem Plus von 182 % fast dreimal so groß wie 1995 (Deutschland: 127,8 %), während sich das geleistete Arbeitnehmerentgelt nur um rund 64 % (Deutschland: 46,6 %) erhöht hat. Folglich ist die entsprechende Gewinnquote hierzulande mittlerweile auf gut 35 % angestiegen und die Lohnquote auf knapp 65 % gesunken. Insgesamt haben die Unternehmensgewinne in diesem Zeitraum im Land nur um rund 64 % (Deutschland: 58,2 %) zugenommen. Diese Zuwachsraten wurden von den wissensintensiven Dienstleistungen (Baden-Württemberg: 56 %, Deutschland: 44,7 %) nicht ganz erreicht.

Anderseits werden in den industriellen Hochtechnologiebranchen die höchsten Bruttolöhne und -gehälter5 je Arbeitnehmer geleistet. 2013 waren es in Baden-Württemberg rund 53 340 Euro (Deutschland: 50 442 Euro). Dahinter blieben selbst die Beschäftigten in den wissensintensiven Dienstleistungen, die ebenfalls einen überdurchschnittlichen Anteil höher qualifizierten Personals aufweisen, in Baden-Württemberg und Deutschland mit einem Pro-Kopf-Wert von jeweils rund 33 000 Euro weit zurück. Sie bewegten sich damit nur im Bereich des gesamtwirtschaftlichen Durchschnitts. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass die Teilzeitbeschäftigung auch bei den wissensintensiven Dienstleistungen eine viel größere Rolle als in den FuE-intensiven Industriebranchen spielt und die auf die Kopfzahl bezogenen Löhne und Gehälter tendenziell schmälert.

Wettbewerbsvorteile FuE-intensiver Industriebranchen

Im Rahmen der für den vorliegenden Beitrag erstellten Zusammenfassungen von Wirtschaftsbereichen sind nur bei den FuE-intensiven Industriebereichen sowohl in Baden-Württemberg als auch in Deutschland im Jahr 2013 gegenüber 1995 die Lohnkosten weniger stark als die Arbeitsproduktivität gestiegen. Dadurch sind hier die Lohnstückkosten gesunken (Baden-Württemberg: −6,8 %, Deutschland: −8,9 %), während sich in den anderen Bereichen die Kostensituation durch das Überschreiten der Produktivitätsspielräume bei der Lohnentwicklung verschlechtert hat. Damit haben die industriellen Hochtechnologiebranchen ihre Wettbewerbsposition nicht nur mit ihren weltweit gefragten High-Tech-Produkten, sondern auch durch ein günstigeres Kostenprofil gestärkt. Bemerkenswert ist die hohe Zunahme der Lohnstückkosten in den wissensintensiven Dienstleistungen Baden-Württembergs um 21 %. Sie fiel fast doppelt so groß aus wie die Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten.

1 Eurostat = Statistisches Amt der Europäischen Union.

2 Die WZ 2008 klassifiziert die statistischen Einheiten nach ihrer Haupttätigkeit. Beim Wirtschaftszweig »Forschung und Entwicklung« besteht der Tätigkeitsschwerpunkt in der Forschung und Entwicklung in den Bereichen Natur-, Ingenieur-, Agrarwissenschaften und Medizin, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Sprach-, Kultur- und Kunstwissenschaften. Als Nebentätigkeit kann Forschung und Entwicklung mit unterschiedlicher Intensität jedoch auch in jedem anderen Wirtschaftszweig vorkommen, wobei die industriellen Hochtechnologiebranchen für FuE-Tätigkeiten besonders prädestiniert sind.

3 Der im Schaubild 1 dargestellte negative Wachstumsbeitrag der übrigen Wirtschaftsbereiche ist auf den negativen Wachstumsbeitrag des dort aus methodischen Gründen miterfassten Saldos Gütersteuern abzüglich Gütersubventionen zurückzuführen.

4 In der Entstehungsrechnung des Bruttoinlandsprodukts ergibt sich der gesamtwirtschaftliche Unternehmensgewinn (Synonym für Bruttobetriebsüberschuss) als die Differenz der Bruttowertschöpfung abzüglich des geleisteten Arbeitnehmerentgelts. Er setzt sich zusammen aus dem Nettobetriebsüberschuss (einschließlich Selbstständigeneinkommen), den Abschreibungen und dem Saldo der sonstigen Produktionsabgaben und Subventionen (= sonstige Nettoproduktionsabgaben).

5 Bruttolöhne und -gehälter = Arbeitnehmerentgelt abzüglich Sozialbeiträge der Arbeitgeber.