:: 6/2015

Die EU möchte noch mehr Daten

Die Statistiker kommen heutzutage anders als früher zu ihren Daten; nicht nur die Fragebogen gehören der Vergangenheit an. Was sich geändert hat und welche künftige Entwicklung sich abzeichnet, erläutert die Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Carmina Brenner.

Die amtliche Statistik gehört zu den Bürokratielasten, über die die Wirtschaft immer wieder klagt. Wie hoch sind die Belastungen, und warum ist der Aufwand nötig?

Gemessen an dem sogenannten Papierkrieg, den ein Unternehmen führen muss, hat die Statistik einen Anteil von acht Prozent. Der Rest entfällt auf Steuern, auf Arbeitsrecht und inzwischen auch auf Umweltdokumentationen. Der Aufwand ist erforderlich, weil wir ja unabhängig, objektiv und neutral Daten liefern sollen, auf denen dann andere Planungen aufsetzen können. Auf unsere Daten verlassen sich viele Institutionen; die Politik ebenso wie die Verbände, die sich zum Beispiel auf Tarifverhandlungen vorbereiten, die Universitäten mit ihren Forschungsinstituten und die Kommunen mit ihren Gremien.

Wie viele Unternehmen sind betroffen?

Wir haben in Baden‑Württemberg 490 000 Unternehmen, die teilweise mehr als nur eine Betriebsstätte haben; zusammen sind das 690 000 Betriebe. Die sind aber nicht alle berichtspflichtig, das ist lediglich die Basis. Wirklich herangezogen werden nur 15 Prozent, 85 Prozent sind befreit.

Kleine Unternehmen sind nach früheren Untersuchungen stärker belastet als große.

Das stimmt so schon lange nicht mehr. Beginnend 2006 mit insgesamt drei Mittelstandsentlastungsgesetzen, die vom Land Baden‑Württemberg auf den Weg gebracht wurden, sind Abschneidegrenzen heraufgesetzt worden. Seitdem sind Kleinstunternehmen überhaupt nicht mehr in der Statistik. Existenzgründungen sind im ersten Jahr nicht drin und in den beiden folgenden in der Regel auch nicht.

Wer wird wie häufig befragt?

Die Auskunftspflicht kann monatlich, vierteljährlich oder jährlich bestehen. So melden uns rund 3 900 Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes monatlich ihre Daten; im Bauhauptgewerbe sind es 850 Betriebe monatlich sowie 6 800 Betriebe jährlich. Bei der jährlichen Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich sind 19 000 Unternehmen meldepflichtig. Darunter muss etwa der Einzelhandel mit mehr als 250 000 Euro Jahresumsatz monatlich in einer Stichprobe melden. In der Beherbergungsstatistik werden nur die 6 800 Betriebe mit mehr als zehn Betten erfasst; Ferien auf dem Bauernhof fällt da nicht darunter. Wir werden übrigens von den Verbänden bisweilen gefragt, weshalb wir diese Zahlen nicht haben. Da können wir nur sagen: weil ihr euch mal beschwert habt und es dann die Entlastungen für die Kleinen gab.

Muss eigentlich immer wieder neu gefragt werden? Die Statistikämter könnten doch auf die Daten anderer Behörden zugreifen.

Das machen wir auch. So greifen wir auf unser Unternehmensregister und auf die Register der Handwerkskammern zurück. Das bedeutet, dass wir 4 500 Handwerksbetriebe nicht mehr befragen müssen. Ein anderes Beispiel ist im Bereich der Landwirtschaft die HIT-Datei (Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere), aus der wir die Informationen über den Rinderbestand holen.

Warum wird die Industrie – vor allem die Metallindustrie – so stark herangezogen?

Das ist ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Stärke und der großen Zahl der Industrieunternehmen in Baden‑Württemberg, denn die gesetzliche Auskunftspflicht ist in ganz Deutschland gleich. 39 % der Bruttowertschöpfung im Südwesten kommt aus der Industrie. Das ist einzigartig in Deutschland und Platz zwei in der EU. Je stärker ein Unternehmen heraussticht, desto wahrscheinlicher ist, dass weitere Meldepflichten zum Beispiel bei Energie oder Umweltstatistiken bestehen.

Wären nicht längere Erhebungsintervalle eine sinnvolle Entlastung?

Wir legen die Intervalle nicht willkürlich fest; da gibt es gesetzliche Grundlagen, die meist auf EU-Wünschen beruhen. Das geht von monatlich bis mehrjährlich. Monatlich kommt etwa die Beherbergungsstatistik. Uns würde viertel- oder halbjährlich reichen, aber das wollen die Verbände nicht.

Werden konsequent alle Möglichkeiten genutzt, die das Internet bietet?

Seitdem wir das E-Government-Gesetz haben, also seit dem letzten Jahr, dürfen wir an Unternehmen keine Fragebögen mehr verschicken, sie müssen ihre Meldungen online abgeben. Das ist auch kein Problem, heutzutage hat ja jeder einen PC. Die Unternehmen bekommen mit Passwort einen Zugang zu unserer Internetseite, rufen den Fragebogen auf und machen online ihre Angaben. Es gibt aber auch eine noch elegantere Möglichkeit. Mit Hilfe eines kleinen Zusatzprogramms werden die Daten selbstständig aus der Buchhaltung gezogen, was allerdings nicht bei allen Anbietern funktioniert.

Gibt es grundsätzlich die Bereitschaft, auf Daten zu verzichten?

Das sehe ich gegenwärtig nicht. Es ist eher andersherum. Die EU möchte eigentlich noch sehr viel mehr Daten haben. Dabei geht es aber weniger um die Industrie. Das Interesse gilt eher Bevölkerungsdaten, zum Beispiel über Arbeitsbedingungen. Hinzu kommt, dass die Daten sehr viel schneller als bisher gewünscht werden. Da müssen wir schauen, wie wir das hinkriegen. Denn die EU hat da ziemlich harsche Disziplinierungsmaßnahmen.

Es gibt viele Informationen über Landwirtschaft und Industrie. Über Dienstleistungen wissen wir weniger. Ist das noch zeitgemäß?

Die Landwirtschaft hat nicht mehr die Bedeutung wie früher. Alles, was unter einer Fläche von fünf Hektar liegt, fällt unter die Abschneidegrenze. Die großen Erhebungen sind nicht mehr jährlich. Allerdings kommt 2016 auf die 49 000 land- und forstwirtschaftlichen Betriebe im Land eine umfangreiche Agrarstrukturerhebung zu. Der Dienstleistungsbereich mit seinen 117 000 Unternehmen im Land ist seit Jahren der Jobmotor. Architektur- und Ingenieurbüros darunter haben sich in den vergangenen Jahren besonders dynamisch entwickelt. Der Dienstleistungsbereich ist sehr heterogen. Da gibt es manchmal auch Zuordnungsprobleme. Zum Beispiel versteht sich nicht jeder Online-Händler als Händler, also dem Einzelhandel zugehörig.

Was wissen wir über Gründungen?

Wir kennen die Zahl der Existenzgründungen und die Zahl der Insolvenzen. Ob das dann dieselben sind, wissen wir aber nicht. Erst wenn die Gründer bestimmte Umsatzklassen erreichen, tauchen sie auch in der Statistik auf. Mitte des Jahres kommt voraussichtlich ein neues Bürokratieentlastungsgesetz. Durch dieses sollen die Gründer weiter stark entlastet werden. So wird die Umsatzgrenze auf 800 000 Euro heraufgesetzt; was darunterliegt, soll nicht berichtspflichtig sein. Aber eines ist klar: Diese genauen Daten zum Gründungsgeschehen werden wir dann auch nicht mehr anbieten können.