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Baden-Württembergs Wanderungsverflechtung mit der Europäischen Union

Zu den Gründen der unterschiedlich hohen Zuwanderung aus den einzelnen EU-Staaten

Baden-Württemberg war und ist für Menschen aus anderen Teilen Deutschlands, Europas und der übrigen Welt attraktiv. Anders ist es nicht zu erklären, dass seit 1952, dem Gründungsjahr des Landes, weit mehr als 3 Mill. Menschen per Saldo in den Südwesten gezogen sind. Der größte Anteil der »Zuzügler« kam in den vergangenen Jahren aus der Europäischen Union. Auffällig ist hierbei, dass es enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten der EU gibt. Im Folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, was die Bestimmungsfaktoren für die regional sehr verschieden ausgeprägte Zuwanderung sind. Zuvor wird die Entwicklung des Wanderungsgeschehens im Südwesten kurz skizziert.

Die Wanderungsbilanz Baden-Württembergs wies im Jahr 2014 einen Gewinn von 89 600 Personen auf.1 Letztmalig wurde im Jahr 1992 ein höheres Wanderungsplus erzielt. Zwei Drittel des Wanderungsgewinns im Jahr 2014 wurden gegenüber den Staaten der Europäischen Union erzielt, ein Drittel gegenüber dem übrigen Ausland. Der Wanderungssaldo Baden-Württembergs gegenüber den anderen Bundesländern war praktisch ausgeglichen. Dagegen entfiel noch zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts das Gros des Wanderungsgewinns gegenüber dem übrigen Bundesgebiet und dabei vor allem gegenüber den neuen Bundesländern, während der Saldo gegenüber den heutigen EU-Staaten zeitweise sogar noch negativ war (Schaubild 1).

Seit dem Jahr 2009 war die Wanderungsbilanz Baden-Württembergs gegenüber der Europäischen Union durchgehend positiv, wobei sich dieses Plus in den vergangenen Jahren erheblich vergrößert hat. Dabei war und ist die Wanderungsverflechtung mit den einzelnen EU-Staaten allerdings sehr unterschiedlich. Um diese Unterschiede in Niveau und Entwicklung etwas näher zu beleuchten, werden die derzeit 27 EU-Staaten – Deutschland bleibt außerhalb der Betrachtung – in vier Gruppen eingeteilt (siehe Übersichtskarte).

  • Die erste Gruppe bilden die sogenannten EU-8 Staaten: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik und Ungarn. Diese sind am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten; für sie gilt seit dem 1. Mai 2011 die vollständige EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit.2
  • Die zweite Gruppe umfasst die sogenannten EU-2 Staaten Bulgarien und Rumänien. Diese wurden am 1. Januar 2007 in die Europäische Union aufgenommen; für sie galt noch bis zum 31. Dezember 2013 eine eingeschränkte Freizügigkeit.3
  • Die dritte Gruppe setzt sich aus den von der Finanz- und Wirtschaftskrise besonders betroffenen EU-Staaten – Griechenland (EU-Beitritt: 1981), Italien (1958), Portugal (1986) und Spanien (1986) – zusammen.
  • Die übrigen EU-27 Staaten bilden die vierte Gruppe. Dabei gilt Kroatien, das der EU zum 1. Juli 2013 beitrat und für das erst seit dem 1. Juli 2015 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt,4 ein besonderes Augenmerk.

EU-8 Staaten: Über 80 % des Wanderungsgewinns entfällt gegenüber Polen und Ungarn

Seit dem Jahr 2000 sind aus den EU-8 Staaten mehr als 500 000 Personen nach Baden-Württemberg zu- und etwa 400 000 weggezogen. Der dadurch erzielte Wanderungsgewinn von gut 100 000 Personen konzentrierte sich hierbei auf Polen (+ 61 000) und Ungarn (+ 30 000); rund 83 % entfielen damit auf diese beiden Staaten. Zwischen 2010 – dem Jahr, bevor den EU-8-Staaten die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeräumt wurde – und 2013 haben sich die Wanderungsgewinne Baden-Württembergs gegenüber Polen und Ungarn mehr als verdreifacht. Im Jahr 2014 ist dieses Plus allerdings wieder deutlich zurückgegangen (Schaubild 2a).

Auch gegenüber den anderen EU-8 Staaten sind die Wanderungsgewinne Baden-Württembergs seit 2010 zum Teil deutlich angestiegen – jedoch ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau. Lediglich gegenüber der Slowakei lag der jährliche Saldo in den vergangenen Jahren bei rund 1 000 Personen.

EU-2 Staaten: Verdoppelung des Wanderungsgewinns

Die Wanderungsverflechtung Baden-Württembergs mit Bulgarien und insbesondere mit Rumänien, also die Zahl der Zu- und Fortzüge, hatte bereits vor der Einräumung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Januar 2014 eine relativ hohe Intensität. Allerdings war der dabei erzielte Wanderungsgewinn Baden-Württembergs gegenüber den beiden Staaten bis etwa Mitte des vergangenen Jahrzehnts noch verhältnismäßig gering (Schaubild 2b). Danach hat sich das Wanderungsplus stetig erhöht und 2014 gegenüber 2013 – bedingt durch die Einräumung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit – sogar nochmals um rund 70 % gesteigert. Rumänien erzielte im Jahr 2014 mit + 18 500 – wie auch bereits in den Jahren zuvor – den mit Abstand höchsten Wanderungsgewinn aller EU-Staaten.

EU-Krisenstaaten: Trend hin zur »Normalisierung«?

Noch bis zum Jahr 2009 war der Wanderungssaldo Baden-Württembergs gegenüber den sogenannten EU-Krisenstaaten – vor allem aufgrund der Rückwanderung nach dem Renteneintrittsalter in die ehemalige Heimat – negativ. Den höchsten Wanderungsverlust seit der Jahrtausendwende gab es im Jahr 2004, als per Saldo über 7 000 Personen den Südwesten verließen und in einen der späteren Krisenstaaten zogen. Seit dem Jahr 2010 verzeichnet Baden-Württemberg gegenüber jedem der vier Staaten ein – allerdings zunächst nur relativ geringes – Wanderungsplus. Zwischen 2010 und 2013 hat sich dann aber die Zuwanderung sprunghaft erhöht. Im Jahr 2014 lag sie per Saldo – mit Ausnahme Italiens – wieder deutlich niedriger (Schaubild 2c).

»Übrige EU-Staaten«: Gegenüber Kroatien höchster Wanderungsgewinn

Baden-Württemberg hatte in den vergangenen Jahren nur gegenüber vier der 13 »übrigen EU-Staaten«, nämlich gegenüber Frankreich, Kroatien, Österreich und dem Vereinigten Königreich, nennenswerte Wanderungsverflechtungen.5 In den Jahren 2002 bis 2010 sind allerdings noch per Saldo – ähnlich wie gegenüber den Krisenstaaten – mehr Menschen aus Baden-Württemberg in diese Staaten weg – als hierher zugezogen.

Seit dem Jahr 2011 hat Baden-Württemberg aber einen stetig steigenden Wanderungsgewinn erzielt, wobei diese Entwicklung ganz überwiegend auf eine starke Zuwanderung aus Kroatien zurückzuführen ist. Während Baden-Württembergs Wanderungssaldo gegenüber dem jüngsten EU-Mitglied in den Jahren 2001 bis 2011 noch negativ und im Jahr 2012 praktisch ausgeglichen war, ist der Wanderungsgewinn in den Jahren 2013 und 2014 sprunghaft auf 2 900 und danach auf 7 200 Personen angestiegen (Schaubild 2d).

Neuer Indikator: Der Zuwanderungsindex

Der Blick zurück hat gezeigt, dass Baden-Württemberg für die Bewohner der einzelnen Staaten der Europäischen Union sehr unterschiedlich attraktiv war und ist und dass sich diese Attraktivität insbesondere im Zusammenhang mit der Einräumung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch im Zeitablauf verändert hat. So sind beispielsweise im Jahr 2014 etwa 15-mal so viele Menschen aus Rumänien wie aus der Slowakei nach Baden-Württemberg gezogen, 10 Jahre zuvor waren es »nur« viermal so viele.

Dass mehr Menschen aus Rumänien als aus der Slowakei zuziehen, ist allerdings nicht verwunderlich, weil Rumänien mehr Einwohner als die Slowakei hat. Zur Messung der regional unterschiedlichen Intensität der Zuwanderung sollte deshalb nicht nur die Zahl der Zuwanderer aus einem Staat, sondern auch die Einwohnerzahl dieses Staates betrachtet und zueinander in Relation gesetzt werden. Um dabei die Daten stärker an den vermuteten Bestimmungsfaktoren der unterschiedlichen Zuwanderung auszurichten (siehe Tabelle 1), wurden nur die Wanderungsfälle der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter herangezogen. Konkret wurde der Anteil der Zugewanderten im Erwerbsalter aus einem bestimmten Herkunftsstaat an allen Zuwanderern aus der EU dem Anteil der Erwerbspersonen eines Staates an allen Erwerbspersonen in der EU gegenübergestellt.6 Werte über 1 deuten auf eine überdurchschnittliche, Werte kleiner 1 auf eine unterdurchschnittliche Intensität der Zuwanderung hin.

Die Tabelle 1 zeigt, dass der so berechnete Zuwanderungsindex7 im Jahr 2014 für Kroatien am höchsten und für Staaten im Norden Europas, nämlich für Großbritannien, Dänemark und Schweden, am geringsten ist.

Was sind die Bestimmungsfaktoren der Zuwanderung?

Der Zuwanderungsindex liefert keine Informationen darüber, weshalb Menschen aus den einzelnen Staaten der EU häufiger bzw. seltener nach Baden-Württemberg zuziehen. Um dies herauszufinden, wurden potentielle Bestimmungsfaktoren für die regional unterschiedliche Intensität der Zuwanderung analysiert. Diese potentiell erklärenden Daten müssen zeitlich vor 2014, dem Jahr, für das der Zuwanderungsindex berechnet wurde, liegen, weil nur dann Kausalitäten vorliegen können; mit anderen Worten: Die Ursache muss zeitlich vor der Wirkung liegen.8

Um herauszufinden, ob es tatsächlich einen statistischen Zusammenhang zwischen zwei Datenreihe gibt, wird üblicherweise auf die Korrelationsanalyse zurückgegriffen (siehe i-Punkt »Was sagen Korrelationskoeffizienten aus?«). Konkret wurden folgende Indikatoren näher betrachtet:

  • Erwerbslosenquote in den Herkunftsstaaten;
  • Einkommensniveau in den Herkunftsstaaten;
  • Armutsgefährdung in den Herkunftsstaaten;
  • Relative Häufigkeit von einzelnen Staatsangehörigkeiten in Baden-Württemberg (Repräsentanzwert);
  • Politische Stabilität in den Herkunftsstaaten.

Erwerbslosigkeit – nur relativ geringer Einfluss

Die Annahme liegt nahe, dass vor allem dann, wenn in einem Staat hohe Arbeitslosigkeit herrscht, verhältnismäßig viele Menschen von dort wegziehen, weil sie sich beispielsweise in Baden-Württemberg bessere wirtschaftliche Perspektiven erhoffen. Wenn dem so ist, müsste es eine positive Korrelation zwischen dem Zuwanderungsindex und der regionalen Erwerbslosenquote geben.

Das Schaubild 3a zeigt unter anderem, dass vier Staaten einen sehr hohen Zuwanderungsindex und gleichzeitig eine Erwerbslosenquote wenig über oder unter dem EU-Durchschnitt aufweisen. Neben Bulgarien, Ungarn und Rumänien zählt hierzu das jüngste EU-Mitglied Kroatien, das im Betrachtungsjahr den mit Abstand höchsten Zuwanderungsindex aufwies. Eine zweite Gruppe setzt sich aus den Krisenstaaten Spanien und Griechenland zusammen, die durch eine sehr hohe Arbeitslosigkeit und einem allenfalls durchschnittlichen Zuwanderungsindex gekennzeichnet sind. Die übrigen Staaten bilden eine dritte Gruppe.

Der Wert für den Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman liegt bei 0,36, der Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson sogar nur bei 0,13. Damit liefert die Höhe der Erwerbslosenquote in den einzelnen Herkunftsstaaten allein nur bedingt einen Erklärungsansatz für die unter­schiedlich hohe Zuwanderung aus den einzelnen Staaten.

Einkommensniveau – sehr entscheidend

Rumänien war in den vergangenen Jahren derjenige Staat, aus dem per Saldo die meisten Menschen nach Baden-Württemberg gezogen sind – und das trotz einer dort relativ geringen Arbeitslosigkeit. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die meisten Arbeitssuchenden zwar eine Arbeit finden, aber die Entlohnung und generell die Einkommen in Rumänien eher gering sind. Um dies zu prüfen und um hierfür einen möglichst aussagekräftigen Vergleich der Einkommensverhältnisse in den einzelnen EU-Staaten zu ermöglichen, wurde auf das sogenannte Äquivalenzeinkommen, umgerechnet in einen Kaufkraftstandard, zurückgegriffen (siehe i-Punkt »Wie berechnet sich das Äquivalenzeinkommen?«). Tatsächlich lag das Einkommensniveau in Rumänien im Jahr 2013 von allen EU-Staaten mit Abstand am niedrigsten. Es betrug lediglich 3 728 Euro und damit nicht einmal ein Fünftel des baden-württembergischen Wertes.

Schaubild 3b zeigt unter anderem, dass bei Kroatien, Rumänien, Ungarn und Bulgarien ein sehr hoher Zuwanderungsindex jeweils mit einem relativ geringen Einkommensniveau einhergeht. Insgesamt betrachtet ist der (negative) Zusammenhang zwischen Zuwanderungsindex und Einkommensniveau deutlich stärker ausgeprägt als zwischen Zuwanderungsindex und Arbeitslosigkeit. Der Wert des Rangkorrelationskoeffizienten von Spearman liegt bei – 0,66, der Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson immerhin bei – 0,57. Relativ geringe Einkommen sind damit sicherlich ein wichtiger Bestimmungsgrund für starke Abwanderungstendenzen aus einem Staat.

Zu erwarten war auch, dass dort, wo in einem Staat Einkommensarmut häufig anzutreffen ist, überdurchschnittlich viele fortziehen, beispielsweise auch nach Baden-Württemberg. Der hier positive Zusammenhang mit der sogenannten Armutsgefährdungsquote9 ist allerdings nicht so stark wie mit dem Einkommen ausgeprägt (Tabelle 2).

Repräsentanzwert – hohe Aussagekraft

Es war zu vermuten, dass für das regional unterschiedliche Zuwanderungsniveau neben dem Einkommensniveau in den Herkunftsstaaten auch entscheidend sein könnte, ob verhältnismäßig viele Menschen einer bestimmten Staatsangehörigkeit bereits in Baden-Württemberg leben und der Südwesten damit »ein Stück Heimat in der Fremde« bietet. Um dies zu verifizieren, haben Tanja und Lothar Eichhorn einen neuen Indikator, den sogenannten Repräsentanzwert, entwickelt. Hierzu wurde die ausländische Bevölkerung in Baden-Württemberg nach den einzelnen Staatsangehörigkeiten in Bezug zur jeweiligen Einwohnerzahl dieses Staates gesetzt.10 Beispielsweise lebten Ende 2013 rund 20 400 Personen mit einer bulgarischen Staatsangehörigkeit in Baden-Württemberg. Bulgarien selbst hatte zu diesem Stichtag knapp 7,3 Mill. Einwohner. Der Repräsentanzwert für Bulgarien lag somit bei 281 je 100 000 Einwohner und damit so hoch wie für Italien.11 Mit Abstand am höchsten war der Repräsentanzwert aber für Kroatien; er lag gut sechsmal so hoch wie für Bulgarien und Italien (Tabelle 1).

Wie erwartet, zeigt sich insgesamt ein relativ starker Zusammenhang zwischen Repräsentanzwert und Zuwanderungsindex.12 Der Wert für den Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman liegt immerhin bei 0,88, der Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson etwas niedriger (0,77). Schaubild 3c verdeutlicht hierzu wiederum die »Sonderstellung« Kroatiens. Der höchste Zuwanderungsindex geht einher mit dem höchsten Repräsentanzwert aller 27 EU-Staaten.

Abschließend wurde analysiert, ob zwischen Wanderungsintensität und politischer Stabilität in den EU-Staaten ein Zusammenhang besteht. Hierzu wurde auf einen von der Weltbank entwickelten Index13 zurückgegriffen, dessen Werte sich zwischen – 2,5 und + 2,5 bewegen können. Alle EU-Staaten – mit Ausnahme Griechenland – hatten positive Werte (Tabelle 1). Der höchste und damit beste Wert hatte Finnland (1,36). Insgesamt lässt sich aber nur ein relativ geringer (negativer) Zusammenhang zwischen Zuwanderungsindex und der jeweiligen politischen Stabilität nachweisen. Er fällt deutlich schwächer als beim Einkommen und vor allem beim Repräsentanzwert aus (Tabelle 2).

Fazit:

Die vorliegende Analyse hat unter anderem gezeigt, dass die unterschiedlich starke Zuwanderung aus den Staaten der Europäischen Union nur sehr bedingt im Zusammenhang mit der Höhe der Arbeitslosigkeit in den Herkunftsstaaten zu sehen ist.14 Dagegen haben (zu geringe) Einkommen einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidung, das Heimatland zu verlassen und beispielsweise nach Baden-Württemberg zu ziehen.

Darüber hinaus hat die Untersuchung ergeben, dass die Zuwanderung vor allem davon bestimmt wird, ob die Zuwandernden ein Netzwerk von Menschen des gleichen Herkunftsstaates vorfinden.15 In Baden-Württemberg ist dies sicherlich nicht zuletzt bei den italienischen Staatsangehörigen der Fall. Der Anteil der Italienerinnen und Italienern an allen EU-Ausländern in Baden-Württemberg liegt bei 24 %, während es im Bundesdurchschnitt nur 16 % sind, in Bremen und Hamburg sogar nur 6 bzw. 7 %. Dagegen beträgt der Anteil der polnischen Staatsangehörigen an allen EU-Ausländern in Baden-Württemberg lediglich 10 % – in allen anderen Bundesländern liegt dieser Anteil höher, in Brandenburg mit 45 % am höchsten.16 In diesen Ergebnissen spiegeln sich sicherlich auch geografische und historische Gegebenheiten wider.

Die Verfügbarkeit von ethnischen Netzwerken in Baden-Württemberg als Zielland und das relative Einkommensniveau in den Herkunftsstaaten sind damit wohl die entscheidenden Bestimmungsfaktoren für die Zuwanderung. Dabei ist allerdings bei der Bewertung der Ergebnisse ein weiterer Aspekt zu beachten. Die vorliegende Untersuchung war ausschließlich mit dem Fokus auf Baden-Württemberg angelegt. Damit konnte »nur« festgestellt werden, wie viele Menschen aus den einzelnen EU-Staaten in den Südwesten, nicht aber, wie viele in andere Bundesländer oder andere EU-Staaten gezogen sind. Anders ausgedrückt: Relativ geringe Zuzüge aus einem Staat nach Baden-Württemberg bedeuten nicht unbedingt, dass aus diesem Staat nicht doch verhältnismäßig viele Menschen fortziehen. Ziele können selbstverständlich auch andere Teilräume der Europäischen Union oder andere Staaten sein. So sind beispielsweise bereits in früheren Jahren verhältnismäßig viele Menschen aus Rumänien fortgezogen, viele Jahre aber überwiegend nach Italien und Spanien und nicht nach Deutschland. Erst mit der Finanzkrise, von der Italien und Spanien besonders betroffen waren, wurden große Teile der Abwanderung nach Deutschland und damit auch nach Baden-Württemberg »umgelenkt«.17 Ob damit die ermittelten Bestimmungsfaktoren für die Zuwanderung zum Tragen kommen, ist damit auch von der ökonomischen Lage in den konkurrierenden Zielstaaten abhängig.

1 Die Ergebnisse für das Jahr 2015 liegen noch nicht vor.

2 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Zügig nach Deutschland? – Ein Jahr uneingeschränkte Freizügigkeit für Migranten aus den EU-8-Ländern, 2015, S. 1.

3 Hanganu, Elisa u.a.: Zuwanderung aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien, in: Forschungsbericht 24, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.), 2014, S. 5.

4 Volle Freizügigkeit ab 1. Juli – Arbeitsmarkt für Kroaten offen. www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/06/2015-06-17-arbeitnehmerfreizuegigkeit-kroatien.html (Abruf: 9. 2. 2016).

5 Gegenüber den anderen Staaten in dieser Gruppe lag der jährliche Wanderungssaldo jeweils bei unter 100 Personen.

6 Wünschenswert wäre es gewesen, wenn nicht der Anteil der Zuwanderung aus einem Staat sondern der Anteil des Wanderungssaldos zugrunde gelegt werden könnte, da eine starke Zuwanderung nicht in jedem Fall mit einem hohen Wanderungsgewinn einhergeht. Da aber der Wanderungssaldo Baden-Württembergs gegenüber sechs Staaten (leicht) negativ war, konnten hierfür keine Anteilswerte berechnet werden. Dennoch ist die Aussagekraft bei einem Rückgriff auf die jeweilige Zuwanderung nur relativ geringfügig eingeschränkt, da diese Werte sehr hoch mit dem Wanderungssaldo korrelieren (Bravais-Pearson: 0,95).

7 Dieser Indikator wurde von Tanja und Lothar Eichhorn entwickelt: Bestimmungsfaktoren der Zuwanderung von Menschen im Erwerbsalter aus der EU nach Niedersachsen, in: Statistische Monatshefte Niedersachsen, Heft 7/2015, S. 384.

8 Eichhorn, Tanja/Eichhorn, Lothar: Bestimmungsfaktoren der Zuwanderung von Menschen im Erwerbsalter aus der EU nach Niedersachsen, in: Statistische Monatshefte Niedersachsen, Heft 7/2015,S. 379.

9 Sie ist definiert als Anteil der Personen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60 % des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung beträgt.

10 Eichhorn, Tanja/Eichhorn, Lothar: Bestimmungsfaktoren der Zuwanderung von Menschen im Erwerbsalter aus der EU nach Niedersachsen, in: Statistische Monatshefte Niedersachsen, Heft 7/2015, S. 385.

11 Bei den Ergebnissen zum jeweiligen Repräsentanzwert sind gewisse »Unschärfen« zu beachten, die aber die Aussagekraft des Indikators nur unwesentlich schmälern dürften. Zum einen sind ausländische Staatsangehörige, die sich zwischenzeitlich einbürgern ließen, in den Berechnungen unberücksichtigt; zum anderen sind bei der Personenzahl in den jeweiligen Herkunftsstaaten auch Staatsangehörige enthalten, die eine andere Staatsangehörigkeit aufweisen.

12 Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: Romiti, Agnes u.a.: Lohnanpassungen von Migranten – Das soziale Umfeld gibt die Richtung vor, IAB-Kurzbericht 25/2015, S. 3; ebenso: Brenke, Karl: Arbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa: Bisher keine starke Zuwanderung – und auch keine Belastungen für den Arbeitsmarkt zu erwarten, in: DIW Wochenbericht Nr. 18. 2011, S. 11.

13 Weltbank: Political stability and absence of violence/terrorism. http://info.worldbank.org/governance/wgi/pdf/pv.pdf (Abruf: 9. 2. 2016).

14 Dieses Ergebnis spiegelt sich beispielsweise auch darin wider, dass es noch im Jahr 2010 einen sehr starken Zustrom von Rumänien nach Spanien gab, obwohl die Arbeitslosigkeit in Spanien deutlich höher als in Rumänien war. Vergleiche Geis, Wido: Der Europäische Arbeitsmarkt – Erfolg durch Flexibilität und Mobilität, Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), 2013, S. 6.

15 Hanganu, Elisa u.a.: Zuwanderung aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien, Forschungsbericht 24, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.), 2014, S. 46.

16 Eigene Berechnungen auf Basis der Fachserie 1, Reihe 2 »Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Ausländische Bevölkerung«, 2014, Statistischen Bundesamt (Hrsg.), S. 99 ff.

17 Hanganu, Elisa u.a.: Neue Ost-West-Migration nach Deutschland? Zuwanderung im Kontext von Freizügigkeit und Wirtschaftskrise am Beispiel Bulgariens und Rumäniens, in: DGD-Online-Publikation, Nr. 01/2015, S. 57 f. www.demographie-online.de/fileadmin/dgd/meeting2015/dgd-online_01_2015.pdf (Abruf: 9. 2. 2016).