:: 6/2017

Inobhutnahmen aufgrund von unbegleiteten Einreisen Minderjähriger aus dem Ausland – Ein Sachstandsbericht

In akuten Krisensituationen werden Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zu ihrem eigenen Schutz vorübergehend von Jugendämtern in Obhut genommen. Sie werden vorläufig bei einer geeigneten Person, Einrichtung oder sonstigen Wohnform untergebracht. Neben Unterkunft und Verpflegung stehen sozialpädagogische Beratung und Unterstützung im Vordergrund der Schutzmaßnahme. Im Rahmen der Statistik der vorläufigen Schutzmaßnahmen werden jährlich alle in einem Kalenderjahr beendeten Maßnahmen zum vorübergehenden Schutz von Kindern und Jugendlichen erfasst. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Inobhutnahmen die aufgrund einer unbegleiteten Einreise aus dem Ausland veranlasst wurden. Die entsprechenden statistischen Angaben beziehen sich auf das Berichtsjahr 2015.

Inobhutnahmen aufgrund unbegleiteter Einreisen Minderjähriger vervierfacht

Im Jahr 2015 wurden in Baden-Württemberg insgesamt knapp 8 400 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen, darunter aufgrund unbegleiteter Einreisen aus dem Ausland rund 4 900. Damit lag der Anteil der Fälle unbegleiteter Einreisen von Minderjährigen an allen Inobhutnahmen bei 59 %. Im Vorjahr betrug der Anteil mit 1 227 Fällen knapp 27 %.

Bis zum Berichtsjahr 2012 lag der Anteil der Fälle unbegleiteter Einreisen Minderjähriger an allen Inobhutnahmen deutlich unter 10 %. Seit dem Jahr 2013 ist ein stetig steigender Trend zu beobachten.

Hauptsächlich männliche Jugendliche

Bezüglich der Geschlechter- und Altersverteilung unterscheiden sich die unbegleiteten Minderjährigen aus dem Ausland deutlich von den sonstigen in Obhut genommenen Kindern und Jugendlichen. Im Jahr 2015 waren 95 % der Kinder und Jugendlichen, die ohne Begleitung aus dem Ausland kamen, männlich. Bei den weiteren Inobhutnahmen lag der Anteil der Jungen hingegen bei 45 %.

Während bei den Inobhutnahmen insgesamt der Anteil der Jugendlichen im Alter von 16 bis unter 18 Jahren rund 54 % betrug, gehörten fast drei Viertel der Kinder und Jugendlichen, bei denen die Schutzmaßnahme aufgrund einer unbegleiteten Einreise durchgeführt wurde, dieser Altersgruppe an. Weitere 21 % waren zwischen 14 und 16 Jahre alt. Nur rund 2 % aller unbegleiteten Minderjährigen aus dem Ausland waren jünger als 12 Jahre.

Insgesamt gesehen waren 90 % der Kinder und Jugendlichen, die ohne Begleitung aus dem Ausland kamen, männlich und zwischen 14 und 18 Jahre alt.

Inobhutnahmen enden meist mit anschließender Jugendhilfe

Im Jahr 2015 betrug die durchschnittliche Dauer der Inobhutnahmen 34 Tage. Trotz der erheblich gestiegenen Anzahl der Schutz­maßnahmen hat sich deren Durchschnittsdauer im Vergleich zum Vorjahr um lediglich 2 Tage erhöht. Grundsätzlich soll die Inobhutnahme eine kurzzeitige Maßnahme zum Schutz der Kinder und Jugendlichen darstellen, an welche sich gegebenenfalls längerfristige Hilfen anschließen.

Für 1 330 der unbegleitete Minderjährige aus dem Ausland, dies entspricht 27 %, endete im Jahr 2015 die Inobhutnahme mit der Einleitung einer erzieherischen Hilfe außerhalb des Elternhauses, also in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder einer anderen betreuten Wohnform. 680 (14 %) erhielten sonstige stationäre Hilfen. Dies sind insbesondere stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung oder der Hilfe für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten sowie stationäre Aufnahme in einem Krankenhaus, in der Psychiatrie oder in einer Rehabilitationseinrichtung. 1 461 (29 %) unbegleitete Minderjährige aus dem Ausland wurden an ein anderes Jugendamt weitergeleitet. Allerdings erhielten die allermeisten von ihnen, nämlich 1 367 (27 %) keine anschließenden Hilfen. Dies trifft dann zu, wenn die Kinder oder Jugendlichen nicht mehr in der Unterkunft leben (auch nach eigenmächtigem Entfernen), der Polizei übergeben wurden, in eine Jugendvollzugsanstalt zu- oder rückgeführt wurden oder eine Ab­schiebung ins Ausland erfolgte.

Regional bestehen deutliche Unterschiede

Die Zahlen der vorläufigen Schutzmaßnahmen in den Stadt- und Landkreisen weisen große Unterschiede auf. Dies ist – neben anderen Ursachen wie beispielsweise Unterschiede in der Bevölkerungszahl – auch darauf zurückzuführen, dass im Jahr 2015 die Kreise in sehr unterschiedlichem Ausmaß von Schutzmaßnahmen aufgrund unbegleiteter Einreisen von Minderjährigen betroffen waren.

Während in sechs Landkreisen weniger als 20 Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet aus dem Ausland einreisten, in Obhut genommen werden mussten, waren in den Stadtkreisen Karlsruhe 982, Stuttgart 713 und Freiburg im Breisgau 370 solcher Fälle zu verzeichnen. Damit konzentrierten sich 42 % aller Schutzmaßnahmen aufgrund einer unbegleiteten Einreise von Minderjährigen auf diese drei Stadtkreise. Entsprechend ist in jedem diese Kreise der Anteil der Schutzmaßnahmen aufgrund unbegleiteter Einreisen von Minderjährigen an allen Schutzmaßnahmen sehr hoch und erreicht im Stadtkreis Stuttgart sogar über 80 %. Im Stadtkreis Ulm und im Landkreis Biberach waren zwar die absoluten Zahlen der Schutzmaßnahmen aufgrund unbegleiteter Einreisen von Minderjährigen deutlich geringer, die Anteile an allen Inobhutnahmen erreichten hier jedoch mit 87 % und 85 % noch höhere Werte.

Ausblick

Durch das am 1. November 2015 eingeführte bundes- und landesweite Verteilungsverfahren ist damit zu rechnen, dass sich seit der Erhebung im Jahr 2015 hinsichtlich der regionalen Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen aus dem Ausland entsprechende Veränderungen ergeben haben. Statistischen Angaben zu den vorläufigen Inobhutnahmen können ab dem Berichtsjahr 2017 abgebildet werden.