:: 5/2018

Die Visegrád-Gruppe ist Baden-Württembergs wichtigster Handelspartner

Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei haben vor über einem Vierteljahrhundert die Visegrád-Gruppe (V4) gegründet. Das damalige Hauptziel – der EU-Beitritt der Staaten – ist seit dem 1. Mai 2004 erreicht. Seitdem führte das lose Bündnis eher ein Schattendasein, bis die Bewältigung der Flüchtlingskrise diese vier Staaten wieder enger zusammenrücken ließ. Die V4 haben seit ihrem EU-Beitritt im Jahr 2004 erheblich an wirtschaftlicher Stärke und Bedeutung gewonnen. So lagen von den 15 Ländern der europäischen Union, die ihre reale Wirtschaftsleistung im Jahr 2017 um mindestens 3 % steigern konnten, zehn im Osten der Gemeinschaft. Dazu gehörten auch die V4-Länder, deren reales Bruttoinlandsprodukt 2017 mit 4,3 % gegenüber dem Vorjahr überdurchschnittlich stark zunahm. Die Visegrád-Gruppe war im Jahr 2017 der mit Abstand wichtigste Handelspartner Baden-Württembergs. Der folgende Beitrag beleuchtet die wirtschaftlichen Verflechtungsbeziehungen mit dieser aufstrebenden Region.

Gewicht der V4-Region in der EU nimmt zu

Die Visegrád-Gruppe ist zum neuen Wachstumsmotor innerhalb der EU aufgestiegen. So legte die reale Wirtschaftsleistung der V4-Länder seit dem EU-Beitritt im Jahr 2004 jahresdurchschnittlich um 3,2 % zu. Die Wachstumsrate war damit zweieinhalbfach so hoch wie im EU-Durchschnitt (1,3 %) und lag auch deutlich über dem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Baden-Württembergs mit 1,8 %. Der Anteil der Wirtschaftsleistung der Visegrád-Länder am BIP der EU betrug zu Beginn der EU-Mitgliedschaft 4,6 % und wuchs bis heute auf knapp 6 %. Stärkstes Land war 2017 Polen mit einem Anteil von 3,2 %, gefolgt von Tschechien mit 1,3 %. Ungarn und die Slowakei trugen lediglich 0,8 % beziehungsweise 0,6 % zum BIP der EU bei. Die wirtschaftliche Dynamik der V4 spiegelt sich auch in der niedrigen Erwerbslosigkeit wider. Gleichauf mit Baden-Württemberg belegte Tschechien mit einer Erwerbslosenquote von 2,9 % im Vergleich der EU-28 Staaten den ersten Platz. Ungarn und Polen folgten mit 4,2 % und 4,9 % auf den Plätzen 4 bzw. 7 im EU-Ranking. Alle drei Staaten lagen damit deutlich unterhalb des EU-Durchschnitts von 7,6 %. Und selbst die Slowakei, das Land mit der höchsten Erwerbslosenquote der V4-Länder, hatte mit 8,1 % eine noch deutlich niedrigere Erwerbslosenquote als die beiden südlichen EU-Länder Griechenland und Spanien, wo 2017 jede fünfte bzw. jede sechste Erwerbsperson auf Arbeitssuche war.

Handelsvolumen mit Visegrád-Staaten stellt USA in den Schatten

Europa war und ist der wichtigste Handelspartner der baden-württembergischen Wirtschaft. Auf die europäischen Handelspartner entfielen mit 251 Mrd. Euro im Jahr 2017 über zwei Drittel des gesamten baden-württembergischen Außenhandelsvolumens in Höhe von 372 Mrd. Euro. Allein der Warenaustausch mit den 27 Ländern der EU erreichte 2017 ein Volumen von 205 Mrd. Euro.

Mit der Visegrád-Gruppe tauschte der Südwesten 2017 Waren im Wert von über 40 Mrd. Euro aus, das ist deutlich mehr als mit der erstplatzierten Einzelnation USA, die sich mit einem Handelsvolumen von 36 Mrd. Euro vor der Schweiz mit 31 Mrd. Euro und den Niederlanden mit 28 Mrd. Euro positionieren konnte. Von den V4 rangierte in einzelstaatlicher Betrachtung allein Tschechien mit einem Handelsvolumen von 14 Mrd. Euro auf Rang 9, vor Polen (12 Mrd. Euro) auf Rang 10 und Ungarn (11 Mrd. Euro) auf Rang 12 der wichtigsten Handelspartner Baden-Württembergs. Die Slowakei belegte mit einem Handelsvolumen von knapp 4 Mrd. Euro den 18. Platz.

Beim Export allerdings konnte die USA im Jahr 2017 ihre Position als wichtigstes Zielland baden-württembergischer Waren weiter ausbauen und lag mit einem Anteil von 12 % an allen baden-württembergischen Exporten weit vor den zweitplatzierten V4-Staaten mit einem Anteil von 9 %. Bei den Importen stand hingegen die Visegrád-Gruppe mit einem Anteil von 13 % an der Spitze der wichtigsten Importländer des Südwestens.

Handelsvolumen bei Maschinen steigt

Kraftwagen und Kraftwagenteile, Maschinen und elektrische Ausrüstungen sind die drei wichtigsten Warengruppen für den Handel Baden-Württembergs mit den V4-Staaten. Zusammen machten sie im Jahr 2017 die Hälfte des Handelsvolumens mit diesen Ländern aus.

Besonders eng ist die Verzahnung dieser Region mit der deutschen Automobilindustrie, die große Werke und Zulieferbetriebe in den Visegrád-Ländern unterhält. Baden-Württemberg exportierte 2017 Kraftwagen und Kraftwagenteile im Wert von rund 3 Mrd. Euro und bezog im Gegenzug Produkte dieser Warengruppe im Wert von rund 5 Mrd. Euro aus diesen vier Ländern. Allerdings sank das Handelsvolumen bei Kraftwagen und Kraftwagenteilen gegenüber dem Vorjahr um 5,4 %. Deutlich zugenommen hat dagegen der Warenaustausch mit den V4-Ländern mit Maschinen (+ 5,5 %). Baden-Württemberg exportierte 2017 Waren aus dieser Warengruppe im Wert von knapp 4 Mrd. Euro und importierte Maschinen aus diesen vier Ländern Osteuropas im Wert von gut 3 Mrd. Euro.

Von zunehmender Bedeutung ist auch der Handel mit elektrischen Ausrüstungen. In dieser für den Südwesten drittwichtigsten Warengruppe mit einem Handelsvolumenanteil von 12 % legte der Warenaustausch 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 10,7 % auf rund 5 Mrd. Euro zu.

20 % der deutschen Direktinvestitionen aus Baden-Württemberg

2016 lagen deutsche Unternehmen hinter den Unternehmen aus den Niederlanden und Luxemburg an dritter Stelle der führenden Investoren in die Visegrád-Staaten. Das deutsche Direktinvestmentvolumen in diese vier Staaten belief sich auf fast 84 Mrd. Euro. Der Südwesten trug mit über 15 Mrd. Euro dazu bei. Davon wurden alleine rund 5,4 Mrd. Euro in Polen und 4,8 Mrd. in Tschechien investiert. Baden-württembergische Unternehmen besaßen 2016 in den vier Ländern der Visegrád-Gruppe rund 820 Produktionsstätten mit insgesamt 260 000 Mitarbeitern. An der Spitze stand hierbei Ungarn mit 284 Niederlassungen und 65 000 Mitarbeitern gefolgt von Tschechien mit 211 Betrieben und 83 000 Mitarbeitern.

Arbeitnehmerfreizügigkeit erhöht Zuzug aus den V4-Staaten

Nachdem seit dem 1. Mai 2011 für die im Jahr 2004 der EU beigetretenen Länder die vollständige EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt, hat sich die Zahl der Arbeitskräfte aus dieser Region in Baden-Württemberg stark erhöht. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren Mitte des Jahres 2017 etwa 75 000 Personen aus den V4 als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Südwesten registriert. Mehr als die Hälfte kam aus Polen, 34 % aus Ungarn, die restlichen 11 % verteilten sich auf die Slowakei und Tschechien. Ihre Gesamtzahl hat sich seit 2011 mehr als verdreifacht, die Zahl der ungarischen Beschäftigten in diesem Zeitraum sogar versechsfacht.