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Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich: Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe 1991 bis 2021

Baden-Württemberg und Thüringen – zwei Länder mit bemerkenswerten Gemeinsamkeiten in ihrer Landes- und Wirtschaftsgeschichte, aber nach wie vor geprägt durch unterschiedliche Strukturen und Entwicklungstendenzen nach 45 Jahren deutscher Teilung. In Monatsheft 4/2023 wurden die Auswirkungen auf Bevölkerung und Erwerbstätigkeit in beiden Ländern näher untersucht, sowohl mit Vergleichen untereinander als auch im Verhältnis zu West- bzw. Ostdeutschland.1 Als Ergebnis konnte unter anderem festgestellt werden: Während in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung die Entwicklung demografischer und ökonomischer Eckdaten in Baden-Württemberg und Thüringen erheblich auseinandergelaufen ist, hat sich inzwischen vor allem bei Binnenwanderung und Arbeitslosigkeit eine deutliche Angleichung ergeben. Gleichwohl wirken in Thüringen, wie auch in den anderen ostdeutschen Flächenländern, die umfangreichen Abwanderungen vor allem junger Menschen nach, insbesondere in Bezug auf die Altersstruktur und die Erwerbsbeteiligung.

Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die Entwicklung der Wertschöpfung, der Erwerbstätigkeit und der Arbeitsproduktivität beider Länder im Verarbeitenden Gewerbe, analysiert anhand von Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR).2 Eine solche Untersuchung ist insbesondere deshalb spannend, weil Baden-Württemberg und Thüringen nach der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bemerkenswerte Gemeinsamkeiten aufgewiesen und nach wie vor ihre Schwerpunkte in den Wirtschaftsbereichen Maschinen- und Fahrzeugbau, Feinmechanik, Optik und Uhren, Medizintechnik sowie Spiel- und Schmuckwaren haben. Aktuell zeichnen sich beide Länder unter anderem durch eine hohe Innovationskraft aus: 2021 war Baden-Württemberg das mit Abstand patentstärkste Land in ganz Deutschland mit 122 und Thüringen in Ostdeutschland mit 25 Anmeldungen je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Demografische und ökonomische Grunddaten

Um das Verarbeitende Gewerbe als Teil der Gesamtwirtschaft einordnen zu können, empfiehlt sich ein Blick auf wesentliche Gesamtdaten beider Länder. Tabelle 1 zeigt für die Bevölkerung, die Zahl der Erwerbstätigen und das Bruttoinlandsprodukt die Entwicklung seit 1991 sowie die Anteilswerte Baden-Württembergs und Thüringens an Deutschland bzw. am jeweiligen Vergleichsgebiet.

Auffallend ist zunächst, dass bei allen drei Eckdaten sowohl Baden-Württemberg an Westdeutschland als auch Thüringen an Ostdeutschland (jeweils ohne Berlin) einen Anteil von etwa einem Sechstel aufweist. In Bezug auf die Anteile an Deutschland insgesamt ist bezeichnend, dass 2021 in Baden-Württemberg die Werte für das Bruttoinlandsprodukt am höchsten sind (15 %) vor der Erwerbstätigkeit (14 %) und der Bevölkerung (13,4 %), während die Reihenfolge in Thüringen gerade andersherum ausfällt (1,8 %; 2,3 %; 2,5 %). Dies ist Ausdruck der nach wie vor größeren Wirtschaftsstärke Baden-Württembergs bzw. Westdeutschlands im Vergleich zu Thüringen bzw. Ostdeutschland. Bei der Bevölkerung und bei der Erwerbstätigkeit hat Baden-Württemberg zwischen 1991 und 2021 um 12,2 % bzw. 21,9 % zugelegt, Thüringen dagegen 18,4 % bzw. 17 % verloren. Demgegenüber ist das Bruttoinlandsprodukt in diesem Zeitraum in Thüringen erheblich stärker gewachsen als in Baden-Württemberg, nämlich um 284 % gegenüber 121 %.

Bruttowertschöpfung

Zu diesem hohen Wachstum der Thüringer Wirtschaft hat in großem Maße das Verarbeitende Gewerbe beigetragen. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, ist die Bruttowertschöpfung dieses Wirtschaftsbereichs nominal, also in jeweiligen Preisen zwischen 1991 und 2021 in Thüringen um 469 % angestiegen, in Baden-Württemberg waren es nur 78 %. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft ist damit das Verarbeitende Gewerbe in Thüringen deutlich überdurchschnittlich, in Baden-Württemberg dagegen unterdurchschnittlich gewachsen.

Die im Schaubild Teil a aufgezeichnete Entwicklung unterstreicht allerdings, dass dieses Wachstum in Thüringen 1991 auf einem erheblich niedrigeren Niveau aufgesetzt hat als in Baden-Württemberg. Bezogen auf 100 % im Referenzjahr 2015 lag der Ausgangswert 1991 in Thüringen bei 18,6 %, in Baden-Württemberg bei 59,5 % und damit um 40,9 Prozentpunkte höher. Um etwa den gleichen Betrag (41,5 Prozentpunkte) sind die Werte 1991 in Ost- gegenüber Westdeutschland (25,6 % zu 67,1 %) auseinandergefallen. Nach 1992 haben sich – aufgrund überproportionaler Wachstumsraten – die Kurven von Thüringen bzw. Ostdeutschland kontinuierlich an diejenigen von Baden-Württemberg bzw. Westdeutschland angenähert. Ab 2005 ist die Entwicklung mehr oder weniger im Gleichschritt verlaufen, insbesondere haben beide Länder bzw. Vergleichsgebiete sowohl die Rezession 2007 bis 2009 als auch den anschließenden, spiegelbildlichen Aufschwung bis 2011 gemeinsam mitgemacht. Deutlich wird aber auch, dass sich ab dem Jahr 2005 der Aufholprozess der ostdeutschen Industrie nicht weiter fortgesetzt hat.

Eine Folge des niedrigen Ausgangsniveaus der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe Thüringens ist der 1991 mit 0,6 % dort sehr geringe Anteil der Bruttowertschöpfung an Deutschland insgesamt (Tabelle 2). Diese Quote hat sich in den Folgejahren schrittweise erhöht und ab 2005 bei 1,9 % bzw. ab 2014 bei 2 % eingependelt. Die entsprechenden Anteilswerte Thüringens an Ostdeutschland haben ebenfalls zugenommen, und zwar ausgehend von 15,8 % im Jahr 1991 bis aktuell rund 22 %.

Gleichermaßen hat sich in Thüringen der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Bruttowertschöpfung merklich ausgeweitet, nämlich von 14,5 % im Jahr 1991 auf zuletzt 21,8 % im Jahr 2021; zwischenzeitlich, nämlich in den Jahren 2016 bis 2018, waren es sogar rund 24 %. Seit 1994 hat Thüringen unter den ostdeutschen Ländern den höchsten Wertschöpfungsanteil des Verarbeitenden Gewerbes erzielt: Im Jahr 2021 betrug die entsprechende Quote in Sachsen 18,5 %, in Sachsen-Anhalt 18,3 %, in Brandenburg 11,6 % und in Mecklenburg-Vorpommern 10,3 %. Thüringen hat sich also wieder als bedeutender Industriestandort in Deutschland etabliert.

Allerdings kann Thüringen in dieser Hinsicht noch lange nicht mit Baden-Württemberg konkurrieren. Tatsächlich weist Baden-Württemberg unter allen deutschen Ländern den größten Beitrag des Verarbeitenden Gewerbes zur gesamten Bruttowertschöpfung auf, und zwar durchgehend im ganzen hier untersuchten Zeitraum; er hat nur in wenigen Jahren die 30-%-Marke unterschritten.

Auch beim Anteil an Deutschland insgesamt kann Baden-Württemberg mit seiner Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe sehr hohe Werte verbuchen: Zwischen 1991 und 2021 bewegten sie sich die Quoten zwischen 20 und 22 ½ %. Ab 2010 haben sie diejenigen im bevölkerungsreicheren Nordrhein-Westfalen übertroffen und lagen Jahr für Jahr etwa gleichauf mit Bayern. 2021 betrugen die Bundesanteile in Baden-Württemberg 22,3 %, in Bayern 22 % und in Nordrhein-Westfalen 17,8 %. Entsprechend sieht die Situation in Bezug auf die Anteile an Westdeutschland aus. Baden-Württemberg ist also, gemessen an der Bruttowertschöpfung, nach wie vor ein herausragender Industriestandort in Deutschland.

Erwerbstätige

Das starke Wertschöpfungswachstum des Verarbeitenden Gewerbes in Thüringen zu Beginn der 1990er-Jahre hat sich allerdings nicht in einer vergleichbaren Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen niedergeschlagen, im Gegenteil. Zwischen 1991 und 1994 hat sich die Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes in Thüringen um knapp sieben Zehntel von 2,27 Milliarden (Mrd.) auf 3,85 Mrd. Euro erhöht, aber die Zahl der dort beschäftigten Erwerbstätigen hat sich von 368 900 auf 181 500 Personen mehr als halbiert. Der Arbeitsplatzabbau im Verarbeitende Gewerbe Thüringens um 187 400 Personen oder 50,8 % war damit umfangreicher als die Verringerung der gesamten Erwerbstätigkeit in Thüringen, die sich in diesem Zeitraum auf – 175 600 Personen oder – 14,3 % belief. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung zahlreiche zuvor im Thüringer Verarbeitenden Gewerbe Beschäftigte nicht nur in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden oder in Westdeutschland bzw. im Ausland einen Arbeitsplatz gefunden haben, sondern auch in anderen Wirtschaftsbereichen Thüringens untergekommen sind, vor allem im Baugewerbe und in Dienstleistungsbereichen.

Es gibt verschiedene Erklärungen für diese dramatische Entwicklung, also ein starkes Wirtschaftswachstum in Kombination mit einem gigantischen Arbeitsplatzabbau und damit einer erheblichen Steigerung der Arbeitsproduktivität. Genannt seien die Verschlankung vor allem der Verwaltungsbereiche, die schrittweise Einführung neuer, arbeitsplatzsparender Technologien und nicht zuletzt die umfangreiche Abwicklung zahlreicher Betriebe. Ziel war zum einen der Aufbau einer international konkurrenzfähigen Industrie in den neuen Ländern, zum anderen aber auch die Beseitigung nationaler Konkurrenz. Der von der Treuhandanstalt begleitete Transformations- und Umstrukturierungsprozess war prinzipiell erforderlich, aber im Ergebnis sehr schmerzhaft und hat viel Unverständnis und Enttäuschung bei den betroffenen Menschen und ihren Familien hervorgerufen.

Der Vergleich mit Baden-Württemberg illustriert anschaulich die Besonderheit der skizzierten Entwicklung in Thüringen bzw. in der ehemaligen DDR. So hat die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe Baden-Württembergs zwischen 1991 und 1994, anders als in Thüringen (+ 69,9 %), abgenommen, und zwar um 7,2 %, gleichzeitig ist aber der Rückgang der Erwerbstätigenzahlen um 12,9 % erheblich geringer ausgefallen als in Thüringen (– 50,8 %). Die Wertschöpfungs- und Erwerbstätigenentwicklung in Baden-Württemberg ist durchaus typisch für eine konjunkturelle Rezession hochentwickelter Industrieländer, in Thüringen ist sie Ausdruck eines außergewöhnlichen Umstrukturierungsprozesses.

Der Verlauf der Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe beider Länder sowie ihrer Vergleichsregionen geht aus Schaubild Teil b hervor. Deutlich wird der rasante Rückgang der Erwerbstätigenzahlen in Thüringen zwischen 1991 und 1993, also innerhalb von nur 2 Jahren, um fast die Hälfte (48,9 %); er ist damit stärker ausgefallen als in jedem der anderen ostdeutschen Flächenländer – in der Summe hat dort ein Erwerbstätigenabbau um 43,8 % stattgefunden. Der Erwerbstätigenverlust in Baden-Württemberg (– 8,4 %) bzw. in Westdeutschland (– 7,4 %) war deutlich geringer. Schon 1994 gegenüber 1993 war der Rückgang der Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe in Thüringen (– 3,7 %) schwächer als in Ostdeutschland (– 4,7 %) bzw. in Baden-Württemberg (– 4,9 %) und in Westdeutschland (– 5 %). Der Tiefpunkt wurde in Thüringen im Jahr 1997 erreicht, als der Erwerbstätigenstand mit 175 200 Personen um 52,5 % unter dem Wert von 1991 geblieben ist. In Ostdeutschland hat der Rückgang innerhalb dieser 7 Jahre 49,7 %, in Westdeutschland 18,1 % und in Baden-Württemberg 16 % betragen. Anschließend ging es in Thüringen mehr oder weniger stetig bergauf, während die niedrigsten Erwerbstätigenstände in Ostdeutschland erst 2005 und in Baden-Württemberg sowie in Westdeutschland sogar erst 2010 erreicht wurden. Von 1994 bis 2001 ist die Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe in Thüringen ziemlich parallel zu Baden-Württemberg verlaufen, danach hat sie sich in Thüringen etwas besser entwickelt; ab 2010 ist ein Gleichschritt für beide Länder und ihre Vergleichsgebiete festzustellen, mit einem allerdings etwas stärkeren Rückgang in Thüringen im aktuellen Jahr 2021.

Wie Tabelle 3 zeigt, haben sich die Erwerbstätigenzahlen des Verarbeitenden Gewerbes im Gesamtzeitraum 1991 bis 2021 in Baden-Württemberg um 12,7 % vermindert, in Thüringen um 43,4 %. In beiden Ländern ist damit die Erwerbstätigenentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe hinter der Entwicklung in der Gesamtwirtschaft zurückgeblieben, wo für Baden-Württemberg eine Zunahme um 21,9 % und für Thüringen ein Rückgang um 17 % ermittelt wurde (Tabelle 1). Tabelle 3 unterstreicht nochmals, dass der Arbeitsplatzverlust in den ersten Jahren (bis 1996) in beiden Ländern besonders ausgeprägt war und die anschließende Erholung in Thüringen, insgesamt betrachtet, stärker ausgefallen ist als in Baden-Württemberg.

Baden-Württemberg konnte den Anteil seiner im Verarbeitenden Gewerbe Erwerbstätigen an Deutschland insgesamt zwischen 1991 (17,2 %) und 2008 (20,2 %) kontinuierlich ausbauen, in den folgenden Jahren haben sich Anteilswerte um 20 % eingestellt. Nachdem bis 2014 Nordrhein-Westfalen noch die höchsten Quoten aufweisen konnte, hatte Baden-Württemberg danach, zusammen mit Bayern, die Nase vorn. Auch innerhalb Westdeutschlands hat die Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe in Baden-Württemberg an Boden gewonnen, die Anteilswerte sind recht kontinuierlich von 21,3 % (1991) auf 23,5 % (2021) angestiegen.

Wie schon bei der Bruttowertschöpfung, so hat Baden-Württemberg auch bei den Erwerbstätigen im gesamten Zeitraum unter allen Ländern den mit Abstand höchsten Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Volkswirtschaft erzielt, allerdings sind die Anteilswerte kontinuierlich von 33,4 % im Jahr 1991 auf 23,9 % im Jahr 2021 und damit um 9,5 Prozentpunkte zurückgegangen.

Ähnlich wie im Südwesten haben sich die Bundesanteile des Verarbeitenden Gewerbes in Thüringen entwickelt, wo nach einem kräftigen Einbruch zwischen 1991 (3,7 %) und 1993 (2,2 %) bis 2010 eine Zunahme auf 2,9 % stattgefunden hat und dieses Niveau im Anschluss im Wesentlichen erhalten geblieben ist. Hinter dem deutlich bevölkerungsreicheren Sachsen hat Thüringen über die Jahre hinweg die höchsten Anteilswerte erzielen können. Weitgehend parallel hierzu haben sich die Anteile der im Verarbeitenden Gewerbe Erwerbstätigen Thüringens an Ostdeutschland verändert.

Beim Beitrag des Verarbeitenden Gewerbes zum Erwerbstätigenvolumen des Landes insgesamt hat im Zuge der genannten Konstellationen zwischen 1991 und 1996 in Thüringen ein Rückgang von 30,1 % auf 16,7 % stattgefunden, der sich aber im Anschluss in einen kontinuierlichen Anstieg gedreht hat; die höchsten Quoten wurden 2018 und 2019 mit 21,1 % erzielt, 2021 waren es 20,5 %. Damit hat zwischen 1991 und 2021 in Thüringen ein genauso umfangreicher Anteilsverlust (– 9,6 Prozentpunkte) stattgefunden wie in Baden-Württemberg (– 9,5 Prozentpunkte), und zwar ausgehend von ähnlich hohen Anteilswerten im Jahr 1991 (30,1 % bzw. 33,4 %). Der Verlauf dieser Entwicklungen unterscheidet sich aber erheblich: Während die Beschäftigungsquote des Verarbeitenden Gewerbe in Baden-Württemberg im Zuge einer für hochentwickelte Länder typischen Verlagerung der Erwerbstätigkeit auf Dienstleistungsbereiche kontinuierlich abgenommen hat, konnte sie sich in Thüringen – nach einer kurzen und äußerst schmerzhaften Deindustrialisierung – ab Mitte der 1990er-Jahre nachhaltig erholen. Seit der Wende durfte Thüringen unter den ostdeutschen Ländern stets die mit Abstand höchsten Erwerbstätigenanteile des Verarbeitenden Gewerbes an der Gesamtwirtschaft verbuchen; bezogen auf das Jahr 2021 mit 20,5 % in Thüringen waren es in Sachsen 17,3 %, in Sachsen-Anhalt 15,6 %, in Brandenburg 11,3 % und in Mecklenburg-Vorpommern 11,1 %.

Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen

Die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen wird gerne als Indikator für die Produktivität einer Volkswirtschaft oder eines Wirtschaftsbereichs verwendet, mithin als Maßstab für die Leistungsfähigkeit des betreffenden Gebiets bzw. Bereichs. Ideal ist die Bezugnahme auf die reale, also preisbereinigte Bruttowertschöpfung, allerdings weisen die VGR die reale Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen für Wirtschaftsbereiche nicht in absoluten Werten, sondern nur in Form von Veränderungsraten bzw. Indizes nach.

Bei der volkswirtschaftlichen Arbeitsproduktivität wird die Wertschöpfung nur auf den Wirtschaftsfaktor Arbeitseinsatz bezogen, obwohl auch andere Faktoren wie Kapital (zum Beispiel Maschinen und Gebäude), Boden und Umwelt ihren Beitrag zum Output leisten. Tatsächlich wird das Produktionsergebnis in hochentwickelten Volkswirtschaften in großem Maße durch verstärkten bzw. verbesserten Einsatz von Maschinen, Computern und Robotern, also die Nutzung technischen Fortschritts bestimmt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass gerade im Verarbeitenden Gewerbe ein erheblicher Teil der Bruttowertschöpfung aus den gezahlten Löhnen und Gehältern besteht, Unterschiede bei interregionalen Vergleichen deshalb auch auf eine abweichende Entlohnung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgeführt werden können. Dies alles ist zu beachten, wenn die Wirtschaft in zwei Gebieten mit unterschiedlichen Ausgangsniveaus analysiert wird.

Wie Tabelle 4 zeigt, betrug im Ausgangsjahr 1991 die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen (ET) im Verarbeitenden Gewerbe in Baden-Württemberg mit 47 204 Euro je ET das 7,7-Fache der entsprechenden Größe in Thüringen mit 6 144 Euro je ET. Im Anschluss ist die Arbeitsproduktivität in Thüringen deutlich angestiegen – bis 1994, also innerhalb von 3 Jahren, um jährlich rund 5 000 Euro je ET. Für eine Zunahme in dieser Größenordnung nach 1991 hat Baden-Württemberg insgesamt 4 Jahre gebraucht – die Arbeitsproduktivität im Südwesten ist im gesamten Zeitraum 1991 bis 1995 um 5 395 Euro je ET (oder jährlich 1 349 Euro je ET) auf 52 599 Euro je ET angestiegen. Wie aus Schaubild Teil c hervorgeht, hat sich der Produktivitätsanstieg in Thüringen in den Folgejahren zwar etwas abgeschwächt, gleichwohl war er nach wie vor stärker ausgeprägt als in Baden-Württemberg. Ab dem Jahr 2002 hat sich ein beachtlicher Gleichschritt eingestellt, auch hinsichtlich des konjunkturellen Verlaufs. Als Folge dieser Entwicklung hat die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen 2002 in Baden-Württemberg nur noch gut das 1,6-Fache des Betrags in Thüringen betragen (60 023 gegenüber 37 011 Euro je ET), und 2021 nur noch etwas mehr als das 1,5-Fache (96 370 gegenüber 61 822 Euro je ET).

Der 1991 mit 6 144 Euro je ET sehr geringe Wert der Arbeitsproduktivität im Thüringer Verarbeitenden Gewerbe ist das Ergebnis des Zusammenbruchs der Industrie in der ehemaligen DDR unmittelbar nach der Wende. Vor allem durch den Wegfall der Ex­porte sowie die plötzliche und mächtige Konkurrenz durch westdeutsche und ausländische Anbieter ist die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe massiv eingebrochen – der Anteil am entsprechenden Bundeswert betrug wie bei Tabelle 2 ausgeführt 1991 gerade einmal 0,6 %. Zwar wurde auch der Beschäftigtenstand schon 1991 deutlich abgebaut, dennoch war der Anteil Thüringens an den Erwerbstätigen im gesamtdeutschen Verarbeitenden Gewerbe mit 3,7 % merklich höher als bei der Wertschöpfung.

Der sich anschließende steile Anstieg der Arbeitsproduktivität im Thüringer Verarbeitenden Gewerbe fußt erstens auf dem geschilderten Abbau der Arbeitskräfte Anfang der 1990er-Jahre, zweitens auf dem Wachstum einer sich allmählich erholenden und inzwischen etablierten Industrie, bedingt und begleitet durch den Einsatz moderner Technologien, und drittens auf der zunehmend besseren Entlohnung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch in Kombination mit einer Verlagerung auf höher qualifizierte und damit besser bezahlte Beschäftigungsverhältnisse. In der Folge hat die Arbeitsproduktivität des Verarbeitenden Gewerbes in Thüringen 2021 den Wert von 1991 um 906 % übertroffen, in Baden-Württemberg, wo sich die Industrie mehr oder weniger in normalen Bahnen entwickelt hat, waren es nur + 104 %.

Gemessen an der bundesdurchschnittlichen Arbeitsproduktivität hat Thüringen nach 1991 (damals noch 15,7 % bei Deutschland = 100 %) schrittweise und deutlich zugelegt und zwischen 2001 und 2021 zumeist Vergleichswerte zwischen knapp 65 % und gut 70 % erzielt. In Baden-Württemberg lagen die entsprechenden Werte nach 1991, als aufgrund der niedrigen Produktivität in Ostdeutschland noch 120,6 % erreicht wurden, regelmäßig zwischen 100 % und gut 110 %. Insoweit hat sich ab 2000 ein nahezu konstanter Abstand zwischen Baden-Württemberg und Thüringen in Höhe von rund 40 Prozentpunkten eingestellt. Im Vergleich zu Westdeutschland konnte das Verarbeitende Gewerbe in Baden-Württemberg über die Jahre ein etwas höheres Produktivitätsniveau realisieren, während Thüringen 1991 und 1992 deutlich, danach aber nur noch geringfügig hinter dem Durchschnitt der ostdeutschen Länder zurückgeblieben ist. Bei diesem Indikator ist Sachsen-Anhalt aufgrund seiner hochkapitalisierten Chemieindustrie zumeist ganz vorne gelegen.

Entwicklung von Bruttowertschöpfung und Arbeitsproduktivität in konstanten Preisen

Bruttowertschöpfung und Arbeitsproduktivität des Verarbeitenden Gewerbes wurden hier in jeweiligen Preisen, also in nominaler Rechnung dargestellt, weil für beide Größen nur in dieser Darstellung absolute Werte vorliegen. In vielerlei Hinsicht ist es jedoch empfehlenswert, das Wirtschaftswachstum und die Produktivitätsentwicklung preisbereinigt, also in realer Rechnung zu betrachten, was aber nur in Form von Veränderungsraten bzw. Indizes möglich ist.

Der von niedrigem Niveau ausgehende, rasante Erholungsprozess des Verarbeitenden Gewerbes in Thüringen kommt auch in der Veränderung der realen Bruttowertschöpfung deutlich zum Ausdruck, nicht zuletzt im Vergleich zu Baden-Württemberg. Während sich die reale Wertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes zwischen 1991 und 1996 in Thüringen verdoppelt hat, ist sie in Baden-Württemberg um fast 14 % zurückgegangen. Zwischen 1996 und 2005 hat in Thüringen eine weitere Verdoppelung stattgefunden, während das Verarbeitende Gewerbe in Baden-Württemberg nur um gut 20 % gewachsen ist. Danach ist auch in realer Rechnung ein ziemlicher Gleichschritt im Wertschöpfungsanstieg erfolgt. Im gesamten Zeitraum 1991 bis 2021 wurde für Thüringen eine Zunahme um 414 %, für Baden-Württemberg um 36 % ermittelt.

Insbesondere in den beiden ersten hier betrachteten Teilperioden (1991 bis 1996 bzw. 1996 bis 2005) ist die Entwicklung in Baden-Württemberg und in Westdeutschland ziemlich parallel verlaufen, danach ist das Wachstum in Baden-Württemberg kräftiger ausgefallen. Dagegen war der Wertschöpfungsanstieg in Thüringen, verglichen mit den anderen ostdeutschen Flächenländern, in den Anfangsjahren besonders ausgeprägt. Im gesamten Zeitraum 1991 bis 2021 hat Thüringen mit den genannten + 414 % das mit Abstand stärkste Wachstum des Verarbeitenden Gewerbes in Ostdeutschland erzielt, vor Brandenburg mit + 292 %, Sachsen mit + 276 %, Sachsen-Anhalt mit + 212 % und Mecklenburg-Vorpommern mit + 92 %.

Wie ausgeführt würde das rasante Wachstum der Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe Thüringens von einen dramatischen Beschäftigtenabbau begleitet bzw. durch eine rasche und konsequente Nutzung moderner Technologien erreicht. Dies schlägt sich in der Entwicklung der Arbeitsproduktivität nieder, gemessen an der realen Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen. Die dadurch ausgedrückte volkswirtschaftliche Produktivität hat sich im Verarbeitenden Gewerbe in Thüringen bereits von 1991 auf 1992, also binnen Jahresfrist, fast verdoppelt. In den folgenden 3 Jahren, nämlich zwischen 1992 und 1995, hat dann die nächste Verdoppelung stattgefunden, und innerhalb von weiteren 10 Jahren (zwischen 1995 und 2005) die dritte. Zwischen 1991 und 2005 ist die reale Arbeitsproduktivität des Verarbeitenden Gewerbes in Thüringen um 630 % gewachsen, in Baden-Württemberg lediglich um 23 %. Im Anschluss an diesen Aufholprozess hat sich die Produktivitätsentwicklung in Thüringen in etwa gleichem Tempo wie in Baden-Württemberg fortgesetzt. 2021 hat sie sich gegenüber 1991 in Thüringen um 808 %, in Baden-Württemberg um 56 % ausgeweitet.

Bei der realen Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen ist zwischen Baden-Württemberg und Westdeutschland in der Entwicklung von 1991 bis 2021 kaum ein Unterschied festzustellen (+ 56 % gegenüber + 55 %). Dagegen hat sich Thüringen (+ 808 %) nicht nur von Ostdeutschland insgesamt (+ 553 %) abgehoben, sondern auch von allen anderen ostdeutschen Flächenländern (Brandenburg + 631 %, Sachsen + 580 %, Sachsen-Anhalt + 524 % und Mecklenburg-Vorpommern + 177 %).

Abschließende Bewertung

Baden-Württemberg und Thüringen: Zwei traditionsreiche Industrieländer mit Schwerpunkten in den Wirtschaftsbereichen Maschinen- und Fahrzeugbau, Feinmechanik, Optik und Uhren, Medizintechnik sowie Spiel- und Schmuckwaren haben nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen angehört. Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und damit der Übernahme marktwirtschaftlicher Bedingungen war die Wirtschaft in Thüringen, wie in allen neuen Ländern, mit tiefgreifenden Problemen konfrontiert: Langjährig bestehende Exportmärkte sind weggebrochen, westdeutsche und ausländische Anbieter sind über Nacht zu mächtigen und erfolgreichen Konkurrenten geworden, zahlreiche Betriebe wurden, aus unterschiedlichen Gründen und Motiven, radikal abgewickelt. Die Folge war eine Halbierung der Erwerbstätigenzahlen innerhalb von nur 2 Jahren und ein Einbruch der industriellen Wertschöpfung im Ausgangsjahr 1991.

In den Folgejahren hat sich die Industrie in Thüringen radikal umstrukturiert, Schritt für Schritt wieder etabliert und durch Nutzung technologischen Fortschritts in Verbindung mit gut ausgebildeten Fachkräften erneut als ein bedeutender Industriestandort in Deutschland etabliert. Unter den ostdeutschen Ländern weist Thüringen inzwischen die mit Abstand höchsten Anteile des Verarbeitenden Gewerbes an der Gesamtwirtschaft und der gesamten Erwerbstätigkeit auf. Gleiches trifft für Baden-Württemberg im Verhältnis zu den anderen westdeutschen Ländern zu. Baden-Württemberg und Thüringen sind also die beiden herausragenden Industrieländer in West- bzw. Ostdeutschland.

Zwischen 1991 und Mitte der 2000er-Jahre hat im Thüringer Verarbeitenden Gewerbe ein rasanter Anstieg der Bruttowertschöpfung und der Arbeitsproduktivität stattgefunden. Das Wachstum war beeindruckend, gerade auch im Vergleich zum etablierten Industriestandort Baden-Württemberg. Im Anschluss haben sich diese Kennziffern in beiden Ländern mehr oder weniger im Gleichschritt bewegt, der Aufholprozess im Osten hat damit (zunächst) ein Ende gefunden. Beispielsweise übertrifft die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen in Baden-Württemberg diejenige in Thüringen nach wie vor um etwa die Hälfte. Dies ist Ausdruck einer stärkeren Nutzung des technischen Fortschritts, der größeren Zahl von Unternehmenszentralen sowie der nach wie vor deutlich höheren Pro-Kopf-Arbeitnehmerentgelte in Westdeutschland.

Besonders dramatisch war der Erwerbstätigenrückgang im Thüringer Verarbeitenden Gewerbe, wo innerhalb von 2 Jahren fast die Hälfte der dort Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verloren haben. Nach einer gewissen Konsolidierung haben die Erwerbstätigenzahlen im Verarbeitenden Gewerbe Thüringens leicht, aber stetig zugenommen, und ab 2010 haben sie sich ziemlich parallel zu Baden-Württemberg entwickelt.

1 Münzenmaier, Werner: Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit 1991 bis 2021, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 4/2023, S. 29-44

2 Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (Hrsg.): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Reihe 1, Länderergebnisse Band 1, Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland 1991 bis 2021, Berechnungsstand November 2021/Februar 2022, Stuttgart, März 2022.