:: 10/2023

Gewerbetreibende in Baden-Württemberg

Spielt der Pass eine Rolle bei Existenzgründungen?

Ein eigenes Unternehmen zu führen bedeutet viel Verantwortung, eröffnet aber gleichzeitig einige Chancen. Eigene Ideen können verwirklicht, eigenverantwortliche Entscheidungen getroffen und wirtschaftliche Unabhängigkeit kann erreicht werden. Je nach Branche und Art der Selbstständigkeit können flexiblere Arbeitszeiten auch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen. Bei Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft gilt für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger eine Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in ganz Europa. Diese umfasst die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen. Staatsangehörige aus Drittstaaten benötigen zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit einen Aufenthaltstitel. Gleichzeitig gibt es besondere – begünstigende – Vereinbarungen mit anderen Staaten, wie beispielsweise der Türkei, den USA, aber auch Länder wie Iran, Japan und die Philippinen sind darunter, um nur einige zu nennen.1

Anteil ausländischer Gewerbetreibender in den vergangenen 10 Jahren rückläufig

2022 beabsichtigten 82 791 Personen in Baden-Württemberg einen Gewerbebetrieb neu zu gründen, in etwa genauso viele wie 10 Jahre zuvor. Waren die Gründerzahlen in diesem Zeitraum zunächst rückläufig, konnte ab 2019 ein Aufwärtstrend beobachtet werden. Dieser erreichte im stark von der Coronapandemie geprägten Jahr 2021 mit 86 815 Neugründern den höchsten Wert. Die Zahl deutscher und ausländischer Neugewerbetreibender entwickelte sich in diesem Zeitraum jedoch gegenläufig. Während sich die Zahl der deutschen Gewerbetreibenden seit 2013 um 12,8 % auf 65 472 im Jahr 2022 erhöhte, sank die Zahl derer mit ausländischem Pass in diesem Zeitraum um 30,2 % von 24 810 auf 17 319 Personen. Demnach gründeten 2013 noch zu einem knappen Drittel Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, 2022 betrug dieser Anteil nur noch ein Fünftel. Und das, obwohl sich der Anteil der ausländischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter2 von 14,7 % im Jahr 2013 auf 21,1 % in 2022 erhöhte. Ein Blick auf die bevölkerungsbezogene Gründungsbereitschaft zeigt in den vergangenen 10 Jahren einen Anstieg bei deutschen Neugewerbetreibenden von 96 je 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner im erwerbsfähigen Alter auf 114 in 2022. Bei Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft sank dieser Indikator deutlich, von 239 Gründerinnen und Gründer je 10 000 Einwohner/-innen im erwerbsfähigen Alter im Jahr 2013 auf 113 in 2022.

Bedeutung von Nebenerwerbsgründungen nimmt seit 2013 zu

Bei insgesamt steigenden Gründerzahlen sahen Deutsche ihr neues Geschäft zunehmend als Nebenerwerbsquelle. Während 2013 gut die Hälfte (30 633) im Nebenerwerb gegründet wurde, waren es 2022 knapp zwei Drittel (41 684). Bei Betriebsgründungen, deren Rechtsform und Beschäftigtenzahl auf eine größere wirtschaftliche Bedeutung schließen lassen, reduzierte sich der Anteil hingegen von 26,3 % im Jahr 2013 (15 267) auf 22,5 % (14 705) im Jahr 2022. Die Bedeutung von Kleingründungen, das heißt Gründungen von Hauptniederlassungen durch eine natürliche Person, sank hingegen besonders deutlich von 20,9 % auf 13,9 % im Jahr 2022.

Auch ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gründeten – bei insgesamt rückläufiger Gründungsaktivität – verstärkt im Nebenerwerb. Vor 10 Jahren wurde rund ein Fünftel im Nebenerwerb (5 188) gegründet, 2022 entfiel hingegen knapp die Hälfte (8 116) auf diese Gründungsform. Zwar war die Zahl der Betriebsgründungen, deren Rechtsform und Beschäftigtenzahl auf eine größere wirtschaftliche Bedeutung schließen lassen, mit minus 37,3 % stark rückläufig (2013: 5 908, 2022: 3 707), doch ihre Bedeutung im Vergleich der Gründungsformen blieb mit rund einem Fünftel nahezu stabil. Die bei ausländischen Neu-Gewerbetreibenden besonders beliebten Kleingründungen verloren in den letzten 10 Jahren am stärksten an Gewicht. Hier sank der Anteil von 55,3 % (13 714) auf 31,7 % (5 496) im Jahr 2022 (Schaubild 1).

Ein Vergleich der Nationalitäten, die unter den Neu-Gewerbetreibenden am stärksten vertreten sind, offenbart bei den Nebenerwerbsgründungen ein relativ stabiles Muster in den vergangenen 10 Jahren. Mit großem Abstand fanden sich hier kontinuierlich Gründerinnen und Gründer mit türkischer Staatsangehörigkeit an der Spitze, gefolgt von Italienerinnen und Italienern sowie rumänischen Staatsangehörigen. Kleingründungen wurden in diesem Zeitraum überwiegend von rumänischen und türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern getätigt, während bei Betriebsgründungen, deren Rechtsform und Beschäftigtenzahl auf eine größere wirtschaftliche Bedeutung schließen lassen, wiederum die türkische Staatsangehörigkeit am häufigsten vertreten war. Den zweiten Platz nahmen hier bis 2019 rumänische Staatsbürgerinnen und -bürger ein, jedoch holten hier ab 2020 Italienerinnen und Italiener auf.

Bedeutender Ausländeranteil bei Unternehmensübernahmen

Der Weg in die Selbstständigkeit kann – abgesehen von der Gründung eines neuen Betriebs – auch durch Übernahme eines bestehenden Gewerbebetriebs erfolgen. Dabei können Unternehmensübernahmen im Rahmen einer Erbfolge, durch Kauf oder Pacht oder auch durch Gesellschaftereintritt getätigt werden. Allerdings spielen Unternehmensübernahmen eine untergeordnete Rolle im Gründungsgeschehen. So kam es 2022 zu nur 8 298 Übernahmen, während 82 791 Personen im Rahmen einer Neugründung den Schritt in die Selbstständigkeit wagten. Unabhängig von der Nationalität ist somit die Gründung eines Gewerbebetriebs am weitesten verbreitet. 17 319 Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft wählten den Weg der Neugründung, was einem Anteil von 20,9 % entsprach. Von diesen Neu-Gewerbetreibenden mit ausländischer Staatsbürgerschaft kamen 47,5 % aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, 34,7 % aus einem anderen europäischen Land und 17,3 % aus dem außereuropäischen Ausland. Dabei variierte der Ausländeranteil je nach Art der Gründung (i-Punkt). Am höchsten war er 2022 mit 37,7 % bei der Gründung von Kleinbetrieben, am niedrigsten mit 16,3 % bei Nebenerwerbsgründungen. Betriebsgründungen mit vermutlich größerer wirtschaftlicher Substanz wurden mit einem Anteil von 20 % von ausländischen Gründerinnen und Gründern gewählt.

Ausländische Neu-Gewerbetreibende hatten 2022 zudem einen bedeutenden Anteil an Unternehmensübernahmen durch Erbfolge, Kauf oder Pacht. Von diesen 5 478 Übernahmen erfolgten 1 813 (33,1 %) durch Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Auf Personen mit türkischer, italienischer oder griechischer Staatsbürgerschaft entfielen hier allein 45,8 %. Knapp ein Drittel der Übernahmen wurde durch Personen aus dem außereuropäischen Ausland getätigt. Typisch sind Unternehmensübernahmen im Gastgewerbe sowie im Handel und hier insbesondere in der Gastronomie und im Einzelhandel. Gesellschaftereintritt ist ein vergleichsweise seltener Anlass, um ein Gewerbe anzumelden. 2022 wählten 515 Deutsche und 362 Ausländerinnen und Ausländer – darunter allein 183 mit Staatsangehörigkeit Rumänien – diesen Weg (Tabelle).

Türkinnen und Türken gründen im Vergleich der Nationalitäten am häufigsten

Eine differenziertere Betrachtung der Nationalitäten innerhalb des Gründungsgeschehens ausländischer Staatsangehöriger zeigt unterschiedliche Vorlieben hinsichtlich des Erwerbscharakters der Gründung. Gründende mit türkischer Staatsangehörigkeit waren auch 2022 sowohl bei Nebenerwerbsgründungen als auch bei Betriebsgründungen, deren Rechtsform und Beschäftigtenzahl auf eine größere wirtschaftliche Bedeutung schließen lassen, am stärksten vertreten. Sie konnten hier Anteile von jeweils rund einem Fünftel an allen ausländischen Gründungen aufweisen. Kleingründungen wurden zu 16,1 % gewählt. Auf Italienerinnen und Italiener entfielen 11,3 % der »ausländischen« Nebenerwerbsgründungen, 10,4 % der Betriebsgründungen sowie 6,8 % der Kleingründungen. Rumäninnen und Rumänen hingegen starteten bevorzugt in Form von Kleingründungen in die Selbstständigkeit und lagen hier mit 16,2 % an der Spitze. Beim Nebenerwerb entfielen 8,9 % und bei Betriebsgründungen 7,8 % auf diese Nationalität. Unter den außereuropäischen Ländern waren mit Abstand am stärksten Neu-Gewerbetreibende aus Syrien vertreten. Immerhin 5,4 % der Kleingründungen, 5 % der Nebenerwerbsgründungen und 4,3 % der Betriebsgründungen wurden von ihnen getätigt (Tabelle).

Auch Branchenwahl variiert mit Nationalität

Bei der Wahl der Branche zeigten sich 2022 unter den deutschen und ausländischen Neu-Gewerbetreibenden unterschiedliche Präferenzen. Betriebsgründungen mit vermutlich größerer wirtschaftlicher Substanz wurden allerdings unabhängig von der Staatsangehörigkeit bevorzugt im Handel getätigt. Deutsche Staatsangehörige führten 2022 19,7 % der Betriebsgründungen im Handel durch, bei ausländischen Staatsangehörigen belief sich der Anteil auf 21,1 %. Ein weiterer Schwerpunkt deutscher Gründerinnen und Gründer lag in der Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen, zu denen neben der Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung, Werbung und Marktforschung beispielsweise auch Ingenieurbüros gehören (15,9 %). An dritter Stelle folgte das Baugewerbe (9,7 %). Bei ausländischen Betriebsgründungen lag 2022 das Geschäftsinteresse am zweithäufigsten im Baugewerbe (20,2 %), gefolgt vom Gastgewerbe (16,4 %) (Schaubild 2).

Im Nebengewerbe zeichneten sich deutsche Gründerinnen und Gründer durch ähnliche Präferenzen aus wie bei Betriebsgründungen mit vermutlich größerer wirtschaftlicher Substanz. Mehr als ein Viertel der Nebenerwerbsgründungen wurden im Handel getätigt. Nahezu vergleichbar häufig wurden Gründungen im Bereich der Dienstleistungen favorisiert. Insbesondere die Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen sowie sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen standen im Fokus (12,0 % bzw. 11,1 %). Diese umfassen beispielsweise die Vermietung unterschiedlichster Maschinen und Fahrzeuge, Arbeitnehmerüberlassung, Hausmeisterdienste, Gebäudereinigung oder Büroservice. Neu-Gewerbetreibende mit ausländischer Herkunft bevorzugten mit einem Anteil von 27,9 % an allen ausländischen Gründungen noch etwas stärker das Handelsgewerbe. Am zweithäufigsten fanden Nebenerwerbsgründungen im Bereich der Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen statt (17,4 %). Den Platz des dritthäufigsten Geschäftsinteresses im Nebenerwerb teilten sich bei Gründerinnen und Gründern mit ausländischer Staatsangehörigkeit das Baugewerbe und die Erbringung von sonstigen Dienstleistungen (jeweils über 11 %). Zu letzteren gehören unter anderem Wäschereien, Friseursalons sowie Sonnen- und Nagelstudios (Schaubild 3).

Frauen gründen seltener

Frauen spielen traditionell eine vergleichsweise untergeordnete Rolle im baden-württembergischen Gründungsgeschehen. 2022 war nur etwas mehr als jeder dritte Gewerbetreibende mit deutschem Pass (22 412) und etwas mehr als jeder vierte mit ausländischem Pass (4 771) weiblich. Seit 2013 hat sich der Anteil deutscher Gründerinnen nahezu nicht verändert, während der Anteil ausländischer weiblicher Gewerbetreibender hingegen damals bei nur einem Fünftel lag. Um festzustellen, ob deutsche Frauen eher den Schritt in die Selbstständigkeit als Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit wagen, sollten auch die unterschiedlichen Bevölkerungsgrößen berücksichtigt werden. 2022 haben von 10 000 deutschen Frauen im erwerbsfähigen Alter rund 79 den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Von 10 000 ausländischen Frauen suchten hingegen nur 66 ihr berufliches Glück im eigenen Gewerbe. Zum Vergleich: 2013 waren von 10 000 deutschen Frauen 62 Existenzgründerinnen, von 10 000 Frauen mit ausländischer Staatsbürgerschaft waren es 93.

Fazit

Abgesehen von einigen Schwankungen planten 2022 wieder nahezu genauso viele Personen wie schon 10 Jahre zuvor die Gründung eines neuen Gewerbes. Doch entwickelte sich die Zahl deutscher und ausländischer Gründerinnen und Gründer in diesem Zeitraum gegenläufig: Gegenüber 2013 gibt es deutlich mehr Gründende mit deutschem Pass, die Zahl der ausländischen Neugewerbetreibenden war hingegen stark rückläufig. Unverändert führen türkische und italienische Neu-Gewerbetreibende 2022 wie schon 2013 die Rangliste der Nationalitäten an. Hier zeigt sich, dass viele erfolgreiche Geschäftsideen unmittelbar mit dem kulturellen und sozialen Hintergrund von Migranten zusammenhängen. Am bekanntesten sind die Beispiele aus der Gastronomie. Weitere erfolgreiche Ideen gibt es mittlerweile auch in anderen Branchen wie beispielsweise dem Handel oder im Bereich der Dienstleistungen. Frauen sind nach wie vor unterrepräsentiert, auch wenn die Gründungsbereitschaft in den vergangenen 10 Jahren bei deutschen Frauen gestiegen ist.

1 Industrie- und Handelskammer Stuttgart: Selbständige Tätigkeit durch Nicht-EU-Ausländer: https://www.ihk.de/stuttgart/fuer-unternehmen/recht-und-steuern/arbeitsrecht/auslaenderrecht/selbstaendige-taetigkeit-durch-auslaender-684940 (Abruf: 11.09.2023).

2 Im Alter von 15 bis unter 65 Jahren.