Methodik der regionalisierten Bevölkerungs­vorausberech­nung Basis 2020

Stuttgart,

Ausgangslage der Berechnungen bildete der Bevölkerungsstand1 in den Kommunen zum 31. Dezember 2020 gegliedert nach 100 Altersjahren und Geschlecht. Für die Vorausberechnung werden bestimmte Annahmen zur Entwicklung der Geburten, der Sterblichkeit und des Wanderungsgeschehens getroffen (s. u.). Die Landesvorausberechnung und die regionalisierte Vorausberechnung gehen dabei auf dieselben Annahmen zurück. Nach dem Top-Down-Prinzip werden die vorausgerechneten Landesergebnisse auf Gebietstypen verteilt, wodurch schlussendlich Aussagen über einzelne Gemeinden gemacht werden können. Die Berechnung selbst erfolgte mit dem Programm SIKURS, welches vom KOSIS-Verbund für regionale Bevölkerungsvorausberechnungen entwickelt wurde.

Methodik

Die Vorausberechnung ist eine Status-quo-Rechnung, das heißt sie schreibt die Entwicklungen des Stützzeitraums, in diesem Fall der Jahre 2017 bis 2020, in die Zukunft fort. Wachstumsrestriktionen, die sich vor allem in den großen Städten aufgrund mangelnder Flächenverfügbarkeit ergeben können, werden nicht berücksichtigt. Das bedeutet, dass Gemeinden und Kreise ihre vorausgerechneten Ergebnisse mithilfe ihres lokalen Wissens, insbesondere unter Beachtung von geplanten Bauprojekten und Unternehmensgründungen oder -schließungen, interpretieren sollten.

Um jährliche Schwankungen der Geburten- und Wanderungszahlen in den Gemeinden auszugleichen, werden strukturell ähnliche Gemeinden zu Typen zusammengefasst. Bei der Typisierung wird darauf geachtet, dass sich die Gemeinden innerhalb eines Typs bezüglich ihres Wanderungs- und Geburtenverhaltens möglichst stark ähneln (interne Homogenität), während sie sich von Gemeinden anderer Typen möglichst stark unterscheiden (externe Heterogenität). Die Typisierung erfolgt dabei anhand mehrerer als erklärungsstark identifizierter Einflussfaktoren: der Anteil an Einfamilienhäusern, das Angebot an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen im Umland sowie die Pflegeplatzdichte. Die Ergebnisse der Typisierung wurden kritisch gesichtet, um bei starken Abweichungen vom Typdurchschnitt einzelne Gemeinden manuell anderen Typen zuzuordnen. Gemeinden mit ausreichender Größe sowie alle Oberzentren und Hochschulstandorte wurden auf Basis der Wanderungen, Altersgruppen und Geburten gesichtet und manuell zu Gruppen zusammengefügt. Insgesamt wurden 18 Binnenwanderungs- und Geburtentypen sowie vier Sterbetypen gebildet.

Stützzeitraum

Die Quoten zur Entwicklung von Geburten und Sterbefällen sowie die regionalen Wanderungsverhältnisse werden gestützt auf einen zurückliegenden Zeitraum berechnet. Als Stützzeitraum wurden die Jahre 2017 bis 2020 gewählt.

Modellrechnung ohne Wanderungen

Die Modellrechnung gibt die fiktive Bevölkerungsentwicklung wider, als würde es keine Wanderungen zwischen den Gemeinden und über die Landesgrenze hinweg geben. Als Grundlage dienen dabei dieselben Annahmen wie bei der Berechnung mit Wanderungen. Sie zeigt, wie sich unter der theoretischen Bedingung fehlender Außenbeziehungen die Bevölkerungszahl und -struktur verändern würde. Ihr Nutzen ist analytischer Natur: Die Modellrechnung verdeutlicht erst den großen Effekt von Wanderung auf die Bevölkerungsentwicklung. Sie beschreibt jedoch keine realistische Entwicklungsperspektive. Das gilt auch für Gemeinden, in denen keine über die Eigenentwicklung hinausgehende Siedlungstätigkeit angestrebt ist. Auch in diesen Gemeinden finden in erheblichem Umfang Wanderungen über die Gemeindegrenzen (zum Beispiel zu Ausbildungs-, Paarbildungs- und Erwerbszwecken) statt.

Annahmen

Geburtenhäufigkeit

Wie sich die Geburtenrate in Zukunft entwickeln wird, kann nur schwer abgeschätzt werden. Bei der Festlegung der Annahmen hierzu spielten insbesondere die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Baden-Württembergs eine wichtige Rolle. Die gestiegene (wirtschaftliche) Unsicherheit aufgrund der Corona-Pandemie wurde als dämpfender Effekt auf die Geburtenrate angesehen. In wirtschaftlich guten Zeiten verwirklichen mehr Paare einen bestehenden Kinderwunsch als in Phasen wirtschaftlicher Ungewissheit. Gleichzeitig wurde angenommen, dass die Pandemie auf die mittel- bzw. langfristige Geburtenrate keinen nennenswerten Einfluss haben wird, weshalb ab dem Jahr 2023 die durchschnittliche Fruchtbarkeitsziffer der Jahre 2017 bis 2019 herangezogen und für den restlichen Vorausberechnungszeitraum konstant gehalten wurde. Insgesamt wurde eine durchschnittliche Kinderzahl je Frau von 1,56 angenommen. Ein weiterer Trend hin zur »späteren Geburt« wurde nicht mehr unterstellt. Zwar hat die Geburtenhäufigkeit unter den älteren Frauen zugenommen, allerdings ist die der jüngeren Frauen nicht gesunken.

Lebenserwartung

Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Lebenserwartung in Baden-Württemberg weiter erhöhen wird. Allerdings mit der Einschränkung, dass sich der Anstieg im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten eher abschwächen wird. Bei der Vorausberechnung auf Landesebene wurde daher die Zunahme der Lebenserwartung im Vergleich zu vorangegangenen Vorausberechnungen bis zum Jahr 2060 leicht, um ca. 0,3 Jahre, linear abgesenkt. Bis zum Jahr 2040 ergibt sich dadurch ein Anstieg der Lebenserwartung der Männer um ca. 1,3 Jahre und bei Frauen um ca. 1,1 Jahre. Die Sterberaten wurden abhängig von der angenommenen Lebenserwartung differenziert nach Geschlecht und Altersjahren berechnet. Die Berechnung erfolgte anhand der Sterbefälle der vorangegangenen Jahre bezogen auf die mittlere Bevölkerung des jeweiligen Jahres. Im Falle der ersten Vorausberechnungsjahre wurden die Daten des Jahres 2020 stärker gewichtet, um die coronabedingten zusätzlichen Sterbefälle in den höheren Altersgruppen zu berücksichtigen.

Wanderungen

Seit mehreren Jahrzehnten weist Baden-Württemberg einen positiven Wanderungssaldo auf – d. h. pro Jahr ziehen mehr Menschen nach Baden-Württemberg als das Land verlassen. Besonders hoch waren die Zugewinne zuletzt in den Jahren 2015 und 2016, in denen viele Schutzsuchende nach Deutschland und damit auch nach Baden-Württemberg kamen. In den darauffolgenden Jahren waren die Wanderungsgewinne allerdings rückläufig, weshalb für die Hauptvariante der Vorausberechnung auf Landesebene angenommen wurde, dass die Wanderungsgewinne nach dem »Einbruch« durch Corona nur moderat ansteigen werden. Ab dem Jahr 2029 wurde ein jährlicher Wanderungssaldo von 30 000 angenommen. Im Gegensatz dazu wurde bei der oberen Variante davon ausgegangen, dass die Wanderungsgewinne deutlich schneller und stärker zunehmen werden. Hintergrund dieser Annahmen bildet die Überlegung, dass sich Baden-Württemberg auch in Zukunft wirtschaftlich gut entwickeln und daher weiterhin sehr attraktiv für Arbeitssuchende aus dem EU-Ausland bleiben wird. Zudem erscheint es plausibel, dass die EU ihre in den letzten Jahren restriktive Flüchtlingspolitik wieder lockern könnte und dadurch der Zustrom von außerhalb der EU unter anderem auch aufgrund des Klimawandels wieder zunehmen könnte. Ab dem Jahr 2028 wurde daher ein jährlicher Wanderungsgewinn von 40 000 Personen unterstellt. In Anbetracht des Kriegs in der Ukraine sind die Annahmen über die Wanderungen mit besonderer Unsicherheit behaftet (s. u.).

Herausfordernde Rahmenbedingungen

Corona-Pandemie

Bezogen auf die Berechnung der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung hatte die Corona-Pandemie im Jahr 2020 aufgrund der damals geltenden Maßnahmen insbesondere Auswirkungen auf das Wanderungsgeschehen. Die vorläufigen Bevölkerungszahlen für das Jahr 2021 zeigen allerdings, dass die Wanderungen schneller wieder zum »vor-Pandemie-Niveau« zurückgekehrt sind, als ursprünglich für die Hauptvariante der Landesvorausberechnung angenommen wurde. Aus diesem Grund wurde für die Berechnung der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung nicht die Hauptvariante der Landesvorausberechnung verwendet, sondern direkt die obere Variante als Bezugsgröße herangezogen. Die obere Variante unterschiedet sich von der Hauptvariante lediglich bezüglich des angenommenen Wanderungssaldos. Während in der Hauptvariante von einem eher moderaten Wanderungsgewinn ausgegangen wurde, nimmt die obere Variante an, dass die Wanderungsgewinne früher und insgesamt stärker ansteigen werden.

Des Weiteren erscheint auch ein Effekt auf die Geburtenrate aufgrund der Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie plausibel. Allerdings würde sich dieser Einfluss erst ab dem Jahr 2021 deutlich zeigen, da viele Schwangerschaften bereits mit Beginn der Pandemie bestanden. Zudem war im Jahr 2020 für viele noch nicht absehbar, wie lange diese Ausnahmesituation andauern würde, was auch für ein späteres Einsetzen des dämpfenden Effekts auf die Geburtenhäufigkeit sprechen würde. Vorläufige Ergebnisse für das 1. Halbjahr 2021 legen nahe, dass es zu keinem deutlichen Geburtenrückgang aufgrund von Corona gekommen ist. Insgesamt wurde daher entschieden, die Ergebnisse des Jahres 2020 bei der Parameterfestlegung nur für die ersten Vorausberechnungsjahre heranzuziehen, nicht aber bei der Vorgabe für die mittel- bis langfristige Entwicklung.

Krieg in der Ukraine

Während auf die bereits absehbare, schnellere Erholung der Wanderung im Jahr 2021 reagiert werden konnte, indem für die Berechnung der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung die oberen Variante der Landesvorausberechnung verwendet wurde, bestand diese Möglichkeit in Bezug auf die Fluchtbewegungen aus der Ukraine als Folge des Angriffskrieges Russlands gegen das Land, nicht. Eine Neudurchführung der Vorausberechnung auf Landesebene sowie der regionalisierten Vorausberechnung wurde aufgrund der nach wie vor unsicheren Lage, bezüglich der weiteren Entwicklungen in diesem Konflikt, nicht durchgeführt. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass auch die Verwendung der oberen Variante den Zahlen der nach Deutschland und damit auch nach Baden-Württemberg Flüchtenden nicht gerecht werden wird. Ob die Geflüchteten aus der Ukraine längerfristig in Baden-Württemberg bleiben werden, hängt maßgeblich von der weiteren Entwicklung des Kriegs ab und kann daher aktuell nicht mit Sicherheit gesagt werden. Es bleibt also abzuwarten, ob nach einem höheren Anstieg der Zuwanderung in diesem Jahr, in der (nahen) Zukunft ein Rückzug der aktuell Geflüchteten erfolgen wird.