Interview: Mentoring-Programm „Friends We Share”
Der Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württemberg (LAKA) koordiniert das Mentoring-Programm „Friends We Share“ für und mit Menschen mit Fluchterfahrung. Die Geschäftsführerin des LAKA, Argyri Paraschaki-Schauer, nahm sich die Zeit und beantwortete unsere Fragen zum Projekt.
Liebe Frau Paraschaki-Schauer, der LAKA ist damit beauftragt das ERASMUS+-Projekt „Friends We Share“ in Baden-Württemberg durchzuführen. Wie kam es zur Auftragsvergabe und findet sich das Projekt auch in anderen Bundesländern oder gar auf europäischer Ebene wieder?
Dieses Projekt resultiert aus der guten Zusammenarbeit auf europäischer Ebene im AMIF-Projekt „SHAPE – SHaring Actions for Participation and Empowerment of migrant communities and LAs“ aus den Jahren 2022-2023. Während der Durchführung der Maßnahmen zum Projekt SHAPE wurden immer mehr Anfragen von Mitgliedsorganisationen, aber auch von Geflüchteten selbst an uns als Verband gestellt. Sie müssen wissen, dass unsere Mitgliedsorganisationen mittlerweile auch Geflüchtete als Sachkundige in den kommunalen Migrantenvertretungen vertreten haben, sodass wir den Bedarf aufgegriffen haben. Wir freuen uns, dass unsere Idee auf der europäischen Ebene – bei Erasmus – überzeugen konnte. In diesem Erasmus-Projekt beteiligt sind, außer dem LAKA, auch die Landeshauptstadt Stuttgart, Zypern, Portugal, Polen und Österreich.
Worum geht es im Projekt „Friends We Share“ und was ist das dahinterliegende Ziel?
Das Projekt „Friends We Share – Wellbeing Programme for Refugees with Role Models and Mentors” ist ein Erasmus+-Projekt und wird durch die Europäische Union gefördert. Ziel des Projektes ist es, ein Mentoring-Programm für Menschen mit Fluchterfahrung aufzubauen und dabei soziale Inklusion und Integration von geflüchteten Menschen zu fördern. Im Rahmen dieses Projekts interagieren Mentorinnen und Mentoren mit Fluchterfahrung, die sich in Deutschland in die Gesellschaft integriert fühlen, und seit kurzem in Deutschland lebende Geflüchtete, die als Mentees in ihr neues Leben hineinwachsen wollen, um Peer-Support und den gegenseitigen Austausch von Erfahrungen zu ermöglichen. Das Hauptziel ist, die Resilienz der Geflüchteten zu stärken und ihnen den Zugang zu Netzwerken zu erleichtern bzw. sie im Alltagsleben zu unterstützen. Zudem wird das Projekt durch sechs verschiedene Institutionen in fünf europäischen Ländern durchgeführt und dabei an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort angepasst. Best-Practice-Erfahrungen werden in einem mehrsprachigen E-Book festgehalten. Es wird angestrebt, dass das Projekt als Anstoß dient, durch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in weiteren Kommunen umgesetzt zu werden.
In welchen Projektphasen verläuft das Projekt und in welcher Phase befinden Sie sich aktuell?
Das Projekt verläuft über drei Phasen: In der Vorbereitungsphase werden die Rahmenbedingungen geschaffen, Mentorinnen und Mentoren sowie Mentees ausgewählt und die ersten Schulungen organisiert. Danach folgt die Durchführungsphase: Hier finden die eigentlichen Aktivitäten, wie Workshops, die Mentoring-Treffen und die „Friends We Share Connection Cafés“ (Austauschtreffen in Tandems) statt. In dieser letzten Phase, der Evaluierungsphase, werden die Ergebnisse des Projekts ausgewertet, Best-Practice-Berichte erstellt und Verbreitungs- sowie Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt. Aktuell befinden wir uns in der Durchführungsphase des Projekts, genauer gesagt in der Phase, in der die Mentorinnen und Mentoren mit den Mentees zusammengeführt werden und die ersten Veranstaltungen wie das „Friends We Share Connection Café“ stattfinden.
Was war Ihnen mit Blick auf die Vorbereitungsphase wichtig bei der Auswahl der Mentorinnen und Mentoren bzw. der Mentees?
Bei der Auswahl der Mentorinnen und Mentoren lag der Fokus darauf, Personen zu finden, die selbst Deutsch auf B2-Niveau oder besser sprechen und sich in die deutsche Gesellschaft integriert fühlen sowie die Fähigkeit besitzen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen an andere weiterzugeben und diese zu unterstützen. Auch soziale Kompetenzen und die Bereitschaft, sich aktiv in den Prozess einzubringen, waren wichtige Kriterien. Bei den Mentees wurde darauf geachtet, dass sie mit jemandem zusammengebracht werden, der einen ähnlichen Weg gegangen und motiviert ist, sich auf den Prozess einzulassen, um von der Unterstützung durch die Mentorinnen und Mentoren profitieren zu können.
Wie viele Mentorinnen und Mentoren und Mentees gibt es?
Aktuell gibt es acht Mentorinnen und Mentoren sowie fünf Mentees im Projekt. Die Anzahl der Mentees ist etwas geringer, weil eine Mentee aus Zeitgründen kürzlich ausgestiegen ist, da sie einen Vollzeitjob gefunden hat. Zudem wurde bei zwei weiteren Mentees festgestellt, dass sie aufgrund ihrer sehr guten Deutschkenntnisse (u.a. C1-Sprachniveau), ihrer Berufserfahrung, ihres großen Netzwerks und ihrer Motivation, anderen zu helfen, besser als Mentorinnen geeignet sind, obwohl sie vergleichsweise kurz in Deutschland leben. Diese Umstände haben dazu geführt, dass die Anzahl der Mentees reduziert wurde. Aktuell suchen wir drei Mentees und eine ukrainischsprachige Mentorin bzw. einen ukrainischsprachigen Mentor.
Wie wurden Mentoren bzw. Mentorinnen und Mentees zusammengeführt? Worauf wurde dabei geachtet?
Die Zusammenführung von Mentorinnen und Mentoren sowie Mentees basiert auf gemeinsamen Interessen, Bedarfen und Zielen, die in Vorgesprächen und durch Fragebögen ermittelt wurden. Es wurde darauf geachtet, dass die Tandem-Paare gut zusammen zu passen scheinen, damit beide Seiten optimal voneinander profitieren können. Faktoren wie berufliche Interessen, persönliche Erfahrungen sowie Sprachkenntnisse spielten eine wichtige Rolle. Darüber hinaus wurde auch der Wohnort der Teilnehmenden berücksichtigt, um sicherzustellen, dass bei Bedarf persönliche Treffen vor Ort möglich sind und die Nähe die regelmäßige Kommunikation erleichtert. Die Austauschtreffen finden auf Wunsch der meisten Mentees nach Möglichkeit auf Deutsch statt, auch dies wurde bei der Zuordnung von Mentorinnen und Mentoren sowie Mentees berücksichtigt.
Teil der Vorbereitungsphase waren auch Schulungen. Wie können wir uns diese Schulungen vorstellen?
Eine Schulung im Rahmen des Projekts beinhaltet Reflexionsworkshops für die Mentorinnen und Mentoren, in denen sie auf ihre Rolle vorbereitet werden. In diesen Workshops werden Themen wie effektive Kommunikation, Grenzen, kulturelle Sensibilität und die Herausforderungen der Mentees behandelt. Darüber hinaus gibt es Schulungen, die speziell auf die Stärkung der Resilienz der Geflüchteten ausgerichtet sind, mit Strategien und Prozessen, die in die Praxis umgesetzt werden können.
Welche Rolle haben Sie als Projektkoordination nun nach der Zusammenführung inne?
Nach der Zusammenführung der Mentorinnen und Mentoren mit den Mentees und einigen begleiteten Treffen liegt der Fokus darauf, dass die Tandem-Paare sich selbstständig austauschen. Die Projektkoordinatorinnen stehen jedoch weiterhin zur Verfügung, um bei Bedarf Unterstützung zu bieten und den Fortschritt des Projektes zu überprüfen. So gibt es regelmäßige Check-Ins, bei denen Mentorinnen und Mentoren sowie Mentees die Möglichkeit haben, Feedback zu geben und Herausforderungen zu besprechen. Gleichzeitig soll das Programm die Eigenverantwortung der Tandem-Paare fördern, sodass sie ihre Treffen und Aktivitäten selbst organisieren können. Insgesamt ist das Programm so ausgelegt, dass die Teilnehmenden nach der Zusammenführung mehr Selbstständigkeit entwickeln, aber stets die Möglichkeit haben, bei Bedarf auf die Unterstützung der Projektkoordinatorinnen zurückzugreifen.
Wo lagen bzw. liegen die Herausforderungen bislang?
Die Herausforderungen im Projekt „Friends We Share“ waren vielfältig. Eine der größten Schwierigkeiten war die Koordination der zeitgleichen Teilnahme sowohl der Mentorinnen und Mentoren als auch der Mentees an den Workshops und Austauschtreffen. Viele Mentorinnen und Mentoren hatten aufgrund beruflicher Verpflichtungen, ehrenamtlicher Tätigkeiten sowie familiärer Verpflichtungen Schwierigkeiten, an den geplanten Terminen teilzunehmen. Dies führte dazu, dass einige Workshops nur mit einer geringen Teilnehmendenzahl stattfinden konnten, was den Austausch und die Gruppendynamik beeinträchtigte. Zusätzlich wurde festgestellt, dass das Sprachniveau und die unterschiedlichen Hintergründe der Teilnehmenden eine Herausforderung darstellen, insbesondere in Bezug auf die Anpassung der Workshop-Inhalte. In einigen Fällen mussten die Inhalte vereinfacht und spontan angepasst werden, um sicherzustellen, dass alle Teilnehmenden folgen und aktiv mitmachen konnten. Ein weiteres Thema war die geografische Verteilung der Teilnehmenden in Baden-Württemberg. Einige Mentees sowie Mentorinnen und Mentoren kommen aus kleineren Kommunen und eher abgelegenen Gebieten, was die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen erschwert. Gleichzeitig wurde jedoch ein starkes Interesse an persönlichen Treffen bekundet, da diese als effektiver für den Beziehungs- und Vertrauensaufbau angesehen werden.
Wie geht es nach dem Ablauf der Projektlaufzeit im besten Fall weiter?
Im besten Fall wird das Projekt „Friends We Share“ nach Ablauf der offiziellen Projektlaufzeit nachhaltig weitergeführt. Dies könnte durch die Bildung eines dauerhaften Netzwerks geschehen, in dem Mentorinnen und Mentoren sowie Mentees auch nach dem Projekt in Kontakt bleiben und sich gegenseitig unterstützen. Die positiven Erfahrungen und das gewonnene Vertrauen der Teilnehmenden legen nahe, dass viele bereit wären, das Projekt in ihren eigenen Städten oder Gemeinschaften weiterzuführen und ähnliche Initiativen zu starten. Einige Mentees haben Interesse bekundet, selbst zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu werden und das Projekt in ihren Netzwerken zu verbreiten. Dadurch könnte das Modell des Projekts auf andere Regionen ausgeweitet und die positive Wirkung auf die Integration von Geflüchteten und die soziale Inklusion weiter gesteigert werden. Darüber hinaus könnte das Projekt durch Folgeveranstaltungen, weiterführende Workshops und kontinuierliche Unterstützung erweitert werden. Die im Projekt gesammelten Erfahrungen und erarbeiteten Ressourcen könnten genutzt werden, um weitere Schulungen und Unterstützungsmaßnahmen anzubieten, die über die ursprüngliche Zielgruppe hinausgehen. Ein weiteres Ziel ist zudem, dass das Projekt als Modell für ähnliche Programme in anderen Regionen Deutschlands und darüber hinaus dienen könnte, um die Integration und das Wohlbefinden von Geflüchteten nachhaltig zu fördern.
Habe ich etwas vergessen, was Sie gerne noch ergänzen möchten?
Ein ergänzender Punkt, der erwähnt werden sollte, ist das starke Engagement und die Motivation der Teilnehmenden, insbesondere der Mentorinnen und Mentoren. Trotz der Herausforderungen, die im Laufe des Projekts aufgetreten sind, wie etwa die Koordination von Terminen und die Anpassung der Inhalte an unterschiedliche Bedarfe, haben die Beteiligten stets eine hohe Bereitschaft gezeigt, das Projekt voranzutreiben und ihre Erfahrungen und Kenntnisse zu teilen. Diese positiven Entwicklungen unterstreichen die Effektivität des Projekts und das Potenzial, langfristig einen nachhaltigen Beitrag zur Integration und sozialen Inklusion von Geflüchteten zu leisten.
Herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg!