Methodische Erläuterungen zum Innovationsindex 2020 für die Länder und Regionen der Europäischen Union
Der wirtschaftliche Erfolg einer Volkswirtschaft wird auch zukünftig von innovativen Produkten und Innovationen im Dienstleistungssektor abhängen. Aus diesem Grund benötigen Unternehmen für die Auswahl geeigneter Forschungs- und Entwicklungsstandorte, ebenso wie die Politik zur Gestaltung günstiger Rahmenbedingungen, fundierte Kenntnisse über die Innovationsfähigkeit des Landes, seiner Regionen und Kreise. Um das Innovationspotenzial verschiedener Wirtschafträume vergleichen zu können, wurde deshalb vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg ein Innovationsindex entwickelt. In diesem Index werden mehrere Innovationsindikatoren in einer Kennzahl gebündelt. Der Innovationsindex wird für die Länder und Regionen der Europäischen Union1 im 2-jährigen Turnus berechnet. In diesen Innovationsvergleich werden 60 Regionen einbezogen, und zwar die 27 EU-Mitgliedstaaten und 33 Regionen auf NUTS-1-Ebene2.
1. Innovationsindikatoren
In die Berechnung des Innovationsindex für die Länder und Regionen der Europäischen Union fließen folgende Indikatoren ein:
Innovationsindikatoren für die Länder bzw. Regionen der EU*) | ||||||
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Indikator/Berichtsjahr1) | Berechnungsjahr | |||||
2010 | 2012 | 2014 | 2016 | 2018 | 2020 | |
*) EU-27. Die Berechnung berücksichtigt auf EU-Ebene die Daten von insgesamt 60 Regionen bzw. Länder. 1) Für einige Länder bzw. Regionen lagen die Daten für die genannten Berichtsjahre nicht vor. In diesen Fällen wurden die zuletzt verfügbaren Daten verwendet. 2) Forschungs- und Entwicklungsausgaben des Wirtschafts-, Staats- und Hochschulsektors. FuE: Forschung- und Entwickung. 3) VZÄ: Vollzeitäquivalente. 4) Eurostat-Klassifikation. NACE Rev. 2: 2-Steller-Ebene. 5) HRST-O (occupation): Personen, die in wissenschaftlich-technischen Berufen arbeiten (Erwerbstätige), unabhängig davon, ob sie einen formalen wissenschaftlich-technischen Bildungsabschluss vorweisen können. 6) Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt. Die Auswertung erfolgte über die weltweite Patentstatistik-Datenbank PATSTAT, und zwar nach Erfinderwohnsitz. Die regionalen Patentdaten auf NUTS-1-Ebene des Jahres 2017 wurden anhand der aktuellsten zur Verfügung stehenden regionalen Verteilung der Jahre 2011 bis 2015 aus den nationalen Werten 2017 geschätzt. Datenquellen: Eurostat, Europäisches Patentamt, OECD, eigene Berechnungen. © Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, 2021 | ||||||
FuE-Ausgaben insgesamt2) / nominales Bruttoinlandsprodukt | 2007 | 2009 | 2011 | 2013 | 2015 | 2017 |
FuE-Personal (VZÄ)3) / Erwerbspersonen insgesamt | 2007 | 2009 | 2011 | 2013 | 2015 | 2017 |
Erwerbstätige in industriellen Hochtechnologiebranchen4) / Erwerbstätige insgesamt | 2009 | 2011 | 2013 | 2015 | 2017 | 2019 |
Erwerbstätige in wissensintensiven Dienstleistungsbranchen4) / Erwerbstätige insgesamt | 2009 | 2011 | 2013 | 2015 | 2017 | 2019 |
Erwerbstätige in wissenschaftlich-technischen Berufen (HRST-O)5) / Erwerbstätige insgesamt | 2009 | 2011 | 2013 | 2015 | 2017 | 2019 |
Patentanmeldungen6) / 1 Mill. Einwohner | 2007 | 2009 | 2011 | 2013 | 2015 | 2017 |
2. Berechnung des Innovationsindex
Um die Information dieser Indikatoren in einer Kennzahl verdichten zu können, müssen diese auf ein einheitliches Messniveau gebracht, d.h. standardisiert werden. Hierzu wird das bei zusammengesetzten Indikatoren allgemein übliche Minimum-Maximum-Verfahren angewendet.
Zunächst wird jede Indikatorreihe i(1 bis 6) standardisiert. Dem höchsten Indikatorreihenwert maxij (j = 1 bis n, n = Anzahl der Daten je Indikatorreihe) wird der Wert 100 und dem kleinsten Indikatorreihenwert min xij der Wert 0 zugewiesen. Die Einzelindikatorwerte xij werden gemäß der Formel (xij - min xij)/(max xij - min xij)x 100 umgerechnet.
Vom Einzelindikatorwert wird der niedrigste Wert der Reihe abgezogen, durch die Spannweite der Reihe geteilt und dieser Quotient mit 100 multipliziert. Durch diese Standardisierung wird für jede Indikatorreihe ein identischer Wertebereich geschaffen. Die Daten der Indikatorreihen liegen nun einheitlich zwischen 0 und 100. Diese standardisierten Einzelindikatoren gehen dann mit gleichem Gewicht in den Innovationsindex ein.
Die vorliegende Zeitreihe wurde über eine Rückrechnung realisiert. Die Innovationsindizes der Jahre 2008, 2010, 2012, 2014 und 2016 wurden hierzu neu berechnet. Die Standardisierung der Innovationsindikatoren dieser Jahre erfolgte auf Basis der Minimum-Maximum-Festlegung der Indexberechnung 2020, damit wird der intertemporale Vergleich der Werte möglich.3 Die Zeitreihe zeigt die relative Entwicklung der Innovationsfähigkeit der Regionen, und zwar im Vergleich zu den in die Berechnung einbezogenen Wirtschaftsräumen auf.
Ausgangspunkt zur Bestimmung der Innovationsdynamik ist die Hypothese, dass die Innovationsfähigkeit einem linearen Zeittrend folgt. Ob eine lineare Trendschätzung eine angemessene Modellierung ist, kann nicht abschließend beurteilt werden, denkbar wäre auch ein anderer Verlauf. Da die Anzahl der Beobachtungen gering ist, kann das lineare Modell als zulässige Vereinfachung angesehen werden. Die OLS-Schätzung (Ordinary Least Squares, Kleinste-Quadrate-Schätzung) des linearen Modells ist an bestimmte Bedingungen geknüpft, die sich vor allem auf die Eigenschaften der Störgrößen beziehen. Das Vorliegen dieser Bedingungen soll ebenfalls angenommen werden, auch im Hinblick auf die geringe Anzahl der zur Verfügung stehenden Daten. Die Bewertung der Innovationsdynamik erfolgte über die Steigung der Regressionsgeraden. Ist diese größer 0,25 Indexpunkte pro Jahr (kleiner minus 0,25)4 wird davon ausgegangen, dass ein positiver (negativer) Trend bezüglich der Innovationsfähigkeit vorliegt, das heißt, die Entwicklung der Innovationsfähigkeit war im betrachteten Wirtschaftsraum von der Tendenz her in den letzten Jahren aufwärts gerichtet (abwärts gerichtet)5. Liegt die Steigung der Trendgeraden im Bereich von ± 0,25 Indexpunkten, so kann für den Wirtschaftsraum keine Aussage bezüglich der Veränderung der Innovationsfähigkeit getroffen werden, beziehungsweise diese war im betrachteten Zeitraum vergleichsweise konstant.
3. Regionale Vergleichbarkeit
Um eine bessere Vergleichbarkeit mit Baden‑Württemberg zu erreichen, wurden für die Berechnung des Innovationsindex auf EU-Ebene die EU-Staaten6 Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Polen, Spanien und das Vereinigte Königreich gemäß der EU-Gebietssystematik NUTS in so genannte NUTS-1-Regionen gegliedert.7
Ein Vergleich der Indexwerte auf Landesebene mit den Werten auf EU-Ebene ist nicht möglich. Der Innovationsindex wird für diese beiden unterschiedlichen Wirtschaftsräume separat berechnet. Für die Berechnung werden ähnliche Innovationsindikatoren eingesetzt; die gleichen Innovationsindikatoren liegen nicht vor.
4. Hochtechnologie und wissensintensive Dienstleistungsbranchen
Die statistische Abgrenzung der Hochtechnologie- und der wissensintensiven Dienstleistungsbranchen im Innovationsindex folgt der Klassifikation von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union.
Danach umfasst der Hochtechnologiesektor folgende Wirtschaftszweige:8
- Herstellung von chemischen Erzeugnissen (20)
- Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen (21)
- Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen (26)
- Herstellung von elektrischen Ausrüstungen (27)
- Maschinenbau (28)
- Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen (29)
- Sonstiger Fahrzeugbau (30)
- Herstellung, Verleih und Vertrieb von Filmen und Fernsehprogrammen; Kinos; Tonstudios und Verlegen von Musik (59)
- Rundfunkveranstalter (60)
- Telekommunikation (61)
- Erbringung von Dienstleistungen der Informationstechnologie (62)
- Informationsdienstleistungen (63)
- Forschung und Entwicklung (72)
Zu den industriellen Hochtechnologiebranchen bzw. FuE-intensiven Industriezweigen zählen die Wirtschaftszweige 20, 21 und 26 bis 30.
Als wissensintensiv gelten Wirtschaftszweige des Dienstleistungssektors, in denen der Anteil der Hochschulabsolventen, der Beschäftigten mit natur- und ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung und/oder der Beschäftigten mit Forschungs-, Entwicklungs- und Konstruktionstätigkeiten überdurchschnittlich hoch ist.
Zu den wissensintensiven Dienstleistungsbranchen werden folgende Wirtschaftszweige gezählt:9
- Schifffahrt (50)
- Luftfahrt (51)
- Verlagswesen (58)
- Herstellung, Verleih und Vertrieb von Filmen und Fernsehprogrammen; Kinos; Tonstudios und Verlegen von Musik (59)
- Rundfunkveranstalter (60)
- Telekommunikation (61)
- Erbringung von Dienstleistungen der Informationstechnologie (62)
- Informationsdienstleistungen (63)
- Erbringung von Finanzdienstleistungen (64)
- Versicherungen, Rückversicherungen und Pensionskassen (ohne Sozialversicherung), (65)
- Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen verbundene Tätigkeiten (66)
- Rechts- und Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung (69)
- Verwaltung und Führung von Unternehmen und Betrieben; Unternehmensberatung (70)
- Architektur- und Ingenieurbüros; technische, physikalische und chemische Untersuchung (71)
- Forschung und Entwicklung (72)
- Werbung und Marktforschung (73)
- Sonstige freiberufliche, wissenschaftliche und technische Tätigkeiten (74)
- Veterinärwesen (75)
- Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften (78)
- Wach- und Sicherheitsdienste sowie Detekteien (80)
- Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung (84)
- Erziehung und Unterricht (85)
- Gesundheitswesen (86)
- Heime (ohne Erholungs- und Ferienheime), (87)
- Sozialwesen (ohne Heime), (88)
- Kreative, künstlerische und unterhaltende Tätigkeiten (90)
- Bibliotheken, Archive, Museen, botanische und zoologische Gärten (91)
- Spiel-, Wett- und Lotteriewesen (92)
- Erbringung von Dienstleistungen des Sports, der Unterhaltung und der Erholung (93)
5. Wissenschaftlich-technische Berufe
Die statistische Abgrenzung von wissenschaftlich-technischen Berufen folgt einer Klassifikation von Eurostat und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Im Rahmen der EU-Arbeitskräfteerhebung werden Haushalte u. a. nach dem Ausbildungsniveau und der beruflichen Tätigkeit der einzelnen Haushaltsmitglieder befragt. Die dieser Eurostat-Daten zugrunde liegende Klassifikation (International Standard Classification of Occupation – ISCO-88) umfasst Beschäftigte, die über gute bis sehr gute berufliche oder technische Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich der Natur-, Ingenieur-, Human-, Lebens- oder Sozialwissenschaften verfügen (ISCO-88, Hauptgruppen 3 + 4). Dazu zählen zum Beispiel Physiker, Biowissenschaftler, Wissenschaftliche Lehrkräfte, Technische und Biowissenschaftliche Fachkräfte.
6. Index – kritisch betrachtet
Die Verdichtung von Informationen zu einer Kennzahl ist praktisch und hilfreich, da sie den Vergleich von Regionen erleichtert. Dabei gehen jedoch zwangsläufig auch Informationen verloren. Die angewandte Methode zur Verdichtung dieser Daten und im Besonderen die Anzahl, Auswahl und die Gewichtung der eingesetzten Indikatoren hat einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis. Bei deren Auswahl stehen die Validität und Reliabilität im Vordergrund, jedoch gibt es derzeit keine zuverlässige Methode, welche die Bedeutung der einzelnen Indikatoren für die Innovationsfähigkeit einer Region zuverlässig empirisch bestimmen kann.