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Voraussichtliche Entwicklung der Schulabgängerzahlen in Baden-Württemberg bis 2020

Das herausragende Ereignis im Betrachtungszeitraum dieser Vorausrechnung der Schulabgängerzahlen ist das Abitur im Jahr 2012. Dann wird der erste komplette Jahrgang, der in 8 Jahren das Gymnasium durchlaufen hat, zusammen mit dem letzten Jahrgang des bisherigen 9-jährigen gymnasialen Bildungsgangs in die Abiturprüfung gehen. Voraussichtlich werden deshalb im Jahr 2012 rund 51 000 Abiturienten die allgemein bildenden Gymnasien verlassen. Zusammen mit den gut 14 000 Abgängern der beruflichen Gymnasien und den über 11 000 Schülerinnen und Schülern, die dann wohl die Fachhochschulreife erwerben werden, dürften 2012 rund 77 500 Jugendliche ihre Hochschulzugangsberechtigung erwerben; im Vergleich dazu waren es im Jahr 2002 nur rund 46 000. Abgesehen von diesem einen Jahr wird der mittlere Bildungsabschluss – Realschulabschluss oder Fachschulreife – der häufigste bleiben. Das Maximum wird hier mit über 64 000 im Jahr 2007 erwartet.

Die Ergebnisse der aktuellen Vorausrechnung der Schülerzahlen an den allgemein bildenden und beruflichen Schulen im Land wurden bereits in einem früheren Statistischen Monatsheft dargestellt.1 An den allgemein bildenden Schulen ist im Schuljahr 2005/06 mit 1,305 Mill. Schülerinnen und Schülern der Höhepunkt zu erwarten. Die beruflichen Schulen dürften im Schuljahr 2009/10 mit gut 423 000 Schülerinnen und Schülern ihren höchsten Wert erreichen. Im Folgenden wird die sich daraus ergebende Entwicklung der Schulabgängerzahlen dargestellt. Diese Zahlen sind die Basis für weiter gehende Analysen über zukünftige Hochschulzugänge oder den Bedarf an Ausbildungsplätzen.

2012: Nahezu doppelter Abiturientenjahrgang

Das auffälligste Ergebnis der Abgängerprognose ist auf die flächendeckende Einführung des 8-jährigen gymnasialen Bildungsgangs im Schuljahr 2004/05 zurückzuführen. Diese bewirkt, dass am Ende des Schuljahres 2011/12 der letzte Schülerjahrgang des 9-jährigen gleichzeitig mit dem ersten umfassenden Jahrgang des 8-jährigen Bildungsgangs in die Abiturprüfung geht. Dadurch ergibt sich im Jahr 2012 eine ungewöhnlich hohe Zahl an Abiturienten: Die Tabelle weist hier 51 000 Schülerinnen und Schüler aus, die dann an den allgemein bildenden Gymnasien die Reifeprüfung ablegen werden. Da gemäß den getroffenen Annahmen die Wiederholer des letzten 9-jährigen Jahrgangs erst ein Jahr später in die Abiturprüfung gehen und ein Teil der Schülerschaft bereits vor 2004 in Schulversuchen mit 8-jähriger Dauer unterrichtet wurde, entspricht diese Zahl nicht dem vollen Umfang zweier Abiturientenjahrgänge. Mit der großen Zahl an Abiturienten werden auf die Hochschulen ab dem Wintersemester 2012/13 erhebliche Belastungen zukommen. Falls nicht in entsprechendem Umfang Kapazitäten geschaffen werden können, bedeutet dies für die Studierwilligen, nicht immer das gewünschte Studium an einer Hochschule aufzunehmen zu können, das ihren ursprünglichen Präferenzen entspricht. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Abiturienten in diesen Jahren vermehrt auf den Lehrstellenmarkt oder an die beruflichen Vollzeit-Schulen drängen, um dort eine Alternative zum Studium zu finden.

Im weiteren Verlauf der Abgängerprognose tritt noch eine Unregelmäßigkeit auf: Die an sich rückläufige Abiturientenzahl steigt im Abgangsjahr 2017 wieder an und bleibt in den folgenden beiden Jahren ungefähr auf diesem Niveau. Die Schülerinnen und Schüler der drei auf 13 Monate »erweiterten« Einschulungsjahrgänge aus den Schuljahren 2005/06 bis 2007/08, die ein Gymnasium besucht haben, dürften es überwiegend in den Jahren 2017 bis 2019 nach dem Abitur verlassen.

In Baden-Württemberg gibt es neben den allgemein bildenden Gymnasien auch ein gut ausgebautes Angebot an beruflichen Gymnasien. Dort ist in bis zum Jahr 2012 ebenfalls mit einer zunehmenden Zahl von Abiturienten zu rechnen, in dem 14 200 Schülerinnen und Schüler die Hochschulreife an einem beruflichen Gymnasium erwerben könnten. Die flächendeckende Einführung des 8-jährigen Gymnasiums wirkt sich auch hier aus: Zum Schuljahr 2009/10 haben die Schülerinnen und Schüler zweier Jahrgänge an allgemein bildenden Gymnasien die Möglichkeit, nach Erwerb des Realschulabschlusses auf ein berufliches Gymnasium zu wechseln. Da es sich bei den meisten beruflichen Gymnasien um Einrichtungen der 3-jährigen Aufbauform handelt, streben diese Schülerinnen und Schüler im Jahr 2012 den Erwerb der Hochschulreife an.

Deutlicher Anstieg der Studierberechtigtenquote zu erwarten

Insgesamt könnten im Jahr 2012 mehr als 65 000 Schülerinnen und Schüler das Abitur erwerben. Außerdem resultiert aus den Annahmen dieser Vorausrechnung die Zahl von über 12 000 Schülerinnen und Schülern, die in diesem Jahr die Fachhochschulreife bescheinigt bekommen. Zusammen ergäbe dies für die baden-württembergischen Schulen 77 500 Absolventen, die über eine Hochschulzugangsberechtigung verfügen. Das Schaubild verdeutlicht die herausragende Stellung dieses Jahres. Im Jahr 2002 waren es im Vergleich dazu lediglich rund 46 000 Schulabgänger mit Abitur oder Fachhochschulreife. Im Jahr 2020 werden immer noch deutlich über 50 000 Jugendliche mit entsprechender Qualifikation erwartet.

Der Anteil eines Altersjahrgangs, der eine Hochschulzugangsberechtigung erwirbt, wird somit weiter ansteigen. Die Berechnung dieser Studierberechtigtenquote wird zukünftig aber problematischer. Bisher wurde als Bezugsgrundlage die durchschnittliche Besetzungszahl eines Altersjahrgangs auf Basis der 18- bis unter 21-Jährigen ermittelt. Durch die Verkürzung der Gymnasialschulzeit auf 8 statt 9 Jahre werden die Absolventen dementsprechend ein Jahr jünger sein. Deshalb ist die Basis zur Ermittlung um ein Altersjahr vorzuverlegen und die Zahl der 17- bis unter 20-Jährigen heranzuziehen. Dies gilt jedoch nur für die Berechnung der Abiturientenquote, am Erwerb der Fachhochschulreife an Berufskollegs ändert sich nichts. Die Ermittlung der zusammengefassten Studierberechtigtenquote wird hier daher ab dem Abgangsjahrgang 2013 auf den Durchschnitt der 17- bis unter 21-Jährigen umgestellt. Demnach ergibt sich in der Vorausrechnung eine deutliche Steigerung der Quote. Sie lag Mitte der 90er-Jahre bei rund 35 % und erhöhte sich bis zum Jahr 2002 bereits auf über 37 %. Schon 2005 dürfte sie demnach die 40%-Marke übersteigen. Im weiteren Verlauf könnten rund 45 % der Angehörigen eines Altersjahrgangs eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben.

Mittlerer Bildungsabschluss bleibt der häufigste

Im Jahr 2002 verließen etwa 54 700 Schülerinnen und Schüler die Schulen des Landes mit einem mittleren Bildungsabschluss. Dieser ist somit der häufigste Schulabschluss, den Jugendliche in Baden-Württemberg erwerben. Rund 80 % der Schulabgänger erwarben den Realschul- oder einen vergleichbaren Abschluss an einer allgemein bildenden Schule, die anderen 20 % die Fachschulreife an einer beruflichen Schule. An der quantitativen Vorrangstellung des mittleren Bildungsabschlusses wird sich während des Vorausschätzungszeitraums nichts ändern – mit der einzigen Ausnahme des Jahres 2012. Im Jahr 2009 wird mit 51 900 die höchste Zahl an Schulabgängern mit Realschulabschluss an allgemein bildenden Schulen erwartet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in diesem Schuljahr die beiden parallelen 8- und 9-jährigen Gymnasialjahrgänge den Punkt erreichen, an dem die Schüler mit Realschulabschluss das Gymnasium verlassen können. In den letzten Jahren machten jeweils rund 6 bis 7 % eines Jahrgangs von dieser Möglichkeit Gebrauch. An den Realschulen wird der Höhepunkt der Abgängerzahlen dagegen wahrscheinlich bereits zwei Jahre vorher erreicht. Die vorübergehend höheren Zahlen in den Jahren 2015 bis 2017 sind wieder eine Auswirkung der Verschiebung des Einschulungsstichtags.

Während an den allgemein bildenden Schulen die Zahl der Realschulabschlüsse von 2002 bis 2009 um immerhin gut 19 % zunehmen dürfte, ist an den beruflichen Schulen wohl eine geringere Steigerung um 13 % zu erwarten. Verglichen mit dem Jahr 2002 wird mit einer Zunahme um rund 1 500 Abgänger auf dann 12 600 im Jahr 2008 gerechnet. Etwas überraschend ist vielleicht, dass das Maximum an mittleren Abschlüssen weder im Jahr 2009 erreicht wird, in dem die allgemein bildenden Schulen die meisten Abgänge verzeichnen, noch im Jahr 2008, in dem die beruflichen Schulen ihren Höhepunkt haben, sondern schon im Jahr 2007.

Die Zahl der Schulabgänger mit Hauptschulabschluss wird sich wahrscheinlich nicht mehr stark erhöhen. Im Jahr 2006 werden insgesamt 47 800 Abgänger mit Hauptschulabschluss erwartet, gut 3 000 mehr als im Jahr 2002. Bei den Schulabgängern wird voraussichtlich im Jahr 2010 die Abiturientenzahl die Zahl der Hauptschulabschlüsse übersteigen. Bedingt durch den Einfluss der Verlegung des Einschulungsstichtags verschieben sich jedoch zwischen 2014 und 2016 noch einmal die Verhältnisse. Für die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die ohne Schulabschluss die allgemein bildenden Schulen verlassen, geht die Vorausrechnung für die nächsten fünf bis sechs Jahre von einem bei knapp 9 000 stagnierenden Wert aus. Im weiteren Verlauf sollte sie bis 2020 auf 7 000 zurückgehen.

Aussagen zum Abschluss von Berufsausbildungen schwierig

Ein interessanter Aspekt bei der Betrachtung der voraussichtlichen Entwicklung an beruflichen Schulen ist die Frage, wie viele Menschen pro Jahr ihre Berufsausbildung abschließen werden. Die Antwort auf diese Frage kann hier nur grob umrissen werden. Ein grundsätzliches Problem ist die Abgrenzung des Begriffs »Berufsausbildung«. Unzweifelhaft ist hier die Ausbildung in gemäß Berufsbildungsgesetz bzw. Handwerksordnung anerkannten Berufen, deren schulischer Teil an den Berufsschulen stattfindet. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Berufe, deren Ausbildung ganz oder überwiegend an Berufsfachschulen, Berufskollegs oder an Schulen für Berufe des Gesundheitswesens durchgeführt wird. Hierzu gehören beispielsweise die Ausbildung zur Erzieherin, in gewerblich-technischen Assistentenberufen oder in der Krankenpflege.

Unter den Abgängern der Berufsschulen lässt sich auf Grundlage der Ergebnisse der amtlichen Schulstatistik die Zahl der erfolgreichen Abschlüsse ermitteln. Im Jahr 2002 verließen 63 500 der insgesamt rund 78 800 Abgängerinnen und Abgänger die Berufs- und Sonderberufsschulen mit einem Abschlusszeugnis. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle anderen gut 15 000 die Ausbildung vorzeitig abgebrochen hätten. Ein Teil von ihnen waren Praktikantinnen im Vorpraktikum der Erzieherinnenausbildung, Jugendliche in Fördermaßnahmen der Arbeitsverwaltung, junge Arbeitslose oder andere Jugendliche, die keinen Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf anstrebten. Im Schuljahr 2002/03 waren dies annähernd 4 600 Schülerinnen und Schüler. Aus welchen Gründen und nach welcher Verweildauer die anderen Abgänger ohne Abschlusszeugnis die Berufsschulen verließen, wird nicht erhoben. Deshalb kann nicht gesagt werden, ob sie derzeit keine Berufsausbildung mehr anstreben oder nun eine Ausbildung an einer beruflichen Vollzeitschule begonnen haben.

Nimmt man die durchschnittlichen Abgängerzahlen der letzten Jahre als Basis, so ergibt sich zunächst für die Jahre bis 2006 eine weit gehende Stagnation der Zahl der Abgänger mit Abschlusszeugnis in einem Bereich zwischen 61 500 und 63 000. Danach wäre bis zum Jahr 2011 mit einem Anstieg auf knapp 69 000 erfolgreiche Ausbildungsabschlüsse zu rechnen. Anschließend würde die Zahl der Abschlüsse bis 2020 auf etwa 65 000 absinken. Für diese Zahlen gilt selbstverständlich der Vorbehalt des entscheidenden Einflusses der konjunkturellen Entwicklung.

Aussagen zu den anderen schulischen Ausbildungsgängen sind im Rahmen der Vorausrechnung noch schwieriger. Im Schuljahr 2002/03 erlernten an den Schulen Baden-Württembergs gut 44 600 Schülerinnen und Schüler einen Beruf an einer Berufsfachschule, einem Berufskolleg oder einer Schule für Berufe des Gesundheitswesens. Letztere sind nicht in die Vorausrechnung einbezogen. Zieht man deren Schülerzahl ab, blieben im Schuljahr 2002/03 noch rund 29 600 Schülerinnen und Schüler von Berufsfachschulen und Berufskollegs, die einen Beruf erlernten. Dies entsprach etwa 30 % der Schülerschaft dieser beiden Schularten. Legt man diese Quote an die erwarteten Schülerzahlen an, so ergibt sich bis zum Schuljahr 2007/08 ein Anstieg auf etwa 32 000 Schülerinnen und Schüler. Im weiteren Verlauf der Vorausrechnung ginge die Schülerzahl bis 2020/21 auf dann noch gut 26 500 zurück.

Die Vorausrechnung ist keine Prophezeiung

Abschließend soll noch einmal auf die Unwägbarkeiten der Vorausrechnung hingewiesen werden. Nicht nur externe Einflüsse, wie beispielsweise die Wanderungsbewegung oder konjunkturelle Gegebenheiten, können in der Realität zu einer von der Vorausrechnung abweichenden Entwicklung führen. Auch das Verhalten der im System Agierenden – Schüler und Eltern – kann und wird von den getroffenen Annahmen abweichen. In der Vorausrechnung wird man daher versuchen, die Annahmen so zu gestalten, dass ein »mittlerer Entwicklungspfad« beschrieben wird, der die mittelfristige Entwicklung gemäß den aktuell vorliegenden Erkenntnissen beschreibt.

Ebenso beeinflussen bildungspolitische Entscheidungen maßgeblich die Entwicklung der Schüler- und Schulabgängerzahlen. Die hier oft zitierte flächendeckende Einführung des 8-jährigen gymnasialen Bildungsgangs und die Verlegung des Einschulungsstichtags verdeutlichen dies. Sicher hat nicht jede schulorganisatorische Änderung solch durchgreifende Auswirkungen, es ist aber im Einzelfall zu prüfen, ob Wirkungen zu erwarten sind. Eine Vorausrechnung kann lediglich die zum Berechnungszeitpunkt herrschenden bzw. abzusehenden Rahmenbedingungen berücksichtigen.

1 Vgl. Wolf, Rainer: Voraus-sichtliche Entwicklung der Schülerzahlen an allgemein bildenden Schulen bis zum Jahr 2020, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg, Heft 10/2003, S. 12-20.