:: 2/2004

Strafgefangene und Sicherungsverwahrte in Baden-Württemberg

Kriminologische und demografische Strukturen

Im Jahr 2003 waren in den Justizvollzugsanstalten Baden-Württembergs gut 6 200 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte inhaftiert, fast genau so viele wie zum letzten Höchststand im Jahr 1984. Bezogen auf die strafmündige Bevölkerung lag die Zahl der Strafgefangenen aber deutlich niedriger. Während die Zahl der ausländischen Strafgefangenen in den letzten vier Jahren spürbar abgenommen hat, ist die Zahl der deutschen Strafgefangenen seit Mitte der 90er-Jahre kontinuierlich gestiegen. Erfreulich ist, dass der Anteil der Strafgefangenen mit Vorstrafen abgenommen hat, was als Indiz für eine sinkende Rückfälligkeit gewertet werden kann. Im Vergleich zu anderen Bundesländern sind die Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg stark ausgelastet. Bundesweit weisen sie die vierthöchste Belegungsquote auf.

Am Stichtag 31. März 2003 verbüßten in den 20 Justizvollzugsanstalten des Landes gut 6 200 Strafgefangene eine Freiheits- oder Jugendstrafe oder befanden sich in Sicherungsverwahrung. Im Zeitraum 1975 bis 1983 war ihre Zahl kontinuierlich gestiegen und hatte 1984 ihren bisherigen Höchststand erreicht. An diesen Zeitraum schloss sich von 1985 bis 1992 eine Phase der Entspannung an. Seit 1993 liegt die Zahl der Strafgefangenen tendenziell wieder im Aufwärtstrend und erreichte 2003 fast das hohe Niveau des Jahres 1985 (Tabelle).

Auf 100 000 strafmündige Einwohner kommen rund 70 Strafgefangene

Die vergleichsweise hohe Zahl an Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten im Jahr 2003 und der Vergleich mit dem Niveau Mitte der 80er-Jahre relativiert sich, wenn man die Strafgefangenenzahl zur strafmündigen Bevölkerung – also zur Zahl der Einwohner mit einem Mindestalter von 14 Jahren – in Beziehung setzt. Je 100 000 Einwohner im strafmündigen Alter gab es hier zu Lande im vergangenen Jahr 69 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte, im Jahr 1984 waren es mit 80 noch deutlich mehr. Allerdings ist seit 1993 auch unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung wieder eine Zunahme der Strafgefangenen-Häufigkeit festzustellen (Schaubild 1). Binnen 10 Jahren stieg die Häufigkeitsziffer von 58 je 100 000 Einwohner im strafmündigen Alter auf 69 im Jahr 2003.

Je nach Staatsangehörigkeit entwickelt sich die Zahl der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten sehr unterschiedlich. Unter den 6 200 Personen, die im Jahr 2003 in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten wegen einer Haftstrafe oder Sicherungsverwahrung inhaftiert waren, waren gut 4 500 deutsche Strafgefangene und knapp 1 700 ausländische Strafgefangene. Der Anteil deutscher Strafgefangener hat 2003 demnach bei fast 75 % gelegen. Im Jahr 1985 hatte er noch fast 90 % betragen, war jedoch in den 80er- und 90er-Jahren im Zuge der kräftigen Zunahme der Zahl ausländischer Strafgefangener spürbar gesunken. Erst in den letzten Jahren zeigt die Zahl der ausländischen Strafgefangenen einen rückläufigen Trend.

Nur 5 % aller Strafgefangenen sind Frauen

Frauen sind unter den Strafgefangenen sehr schwach vertreten. Nur knapp 300 oder 5 % aller Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten sind weiblich. Die Tatsache, dass der Frauenanteil bei den rechtskräftig Verurteilten mit rund 17 % spürbar höher liegt, macht deutlich, dass Frauen häufiger als Männer leichtere Straftaten verüben, die eine Haftstrafe entbehrlich machen und eher mit Geldstrafen oder zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen geahndet werden.

Die meisten Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten sind mittleren Alters: Rund die Hälfte ist zwischen 30 und 50 Jahre alt. Dies gilt für deutsche wie für ausländische Strafgefangene. Anders bei den Älteren über 50 Jahre und den Jüngeren unter 30 Jahren. In den oberen Altersklassen sind ausländische Strafgefangene weniger stark vertreten, in den unteren Altersklassen dafür eher stärker. Unter den ausländischen Strafgefangenen waren 2003 nur 4 % älter als 50 Jahre und 25 % zwischen 25 und 30 Jahre alt, bei den deutschen Strafgefangenen lagen die entsprechenden Anteile bei 14 % bzw. 16 %. Generell bilden Jugendliche in den Justizvollzugsanstalten mit einem Anteil von 1 % nur eine kleine Gruppe, weil deutsche und ausländische Straftäter im Alter von 14 bis unter 18 Jahren nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden. Auch Heranwachsende im Alter von 18 bis unter 21 Jahren werden in rund der Hälfte der Fälle nach Jugendstrafrecht verurteilt. In über 90 % aller Urteile gegen Jugendliche und Heranwachsende werden andere Strafformen wie Zuchtmittel, Erziehungsmaßregeln und Freiheitsentzug auf Bewährung verhängt.

Rund 17 % aller Freiheitsstrafen im offenen Vollzug

Die mit Abstand häufigste Vollzugsart in den baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten ist die Freiheitsstrafe, gefolgt von der Untersuchungshaft (Schaubild 2). 1995 und 2003 verbüßten jeweils rund 90 % aller Häftlinge eine Freiheitsstrafe oder befanden sich in Untersuchungshaft. Allerdings hat sich das Gewicht in den letzten 8 Jahren immer mehr in Richtung der Freiheitsstrafe verschoben. Im Jahr 1995 waren noch ein Drittel aller Strafgefangenen Untersuchungshäftlinge, 2003 nur noch gut ein Viertel. Von eher untergeordneter Bedeutung sind mit Anteilen unter 10 % Jugendstrafen und sonstige Formen der Freiheitsentziehung wie Strafarrest und Abschiebungshaft einschließlich der Sicherungsverwahrung.

Der Anteil der Strafgefangenen im offenen Vollzug liegt seit Jahren nahezu unverändert bei rund 17 %. Durch die mit dem offenen Vollzug verbundenen Lockerungen wie beispielsweise die Möglichkeit, außerhalb der Vollzugsanstalt zu arbeiten, soll die Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie bei kürzeren Freiheitsstrafen die begrenzte Weiterführung des normalen Arbeitslebens ermöglicht werden.

Bezüglich der Häufigkeit des offenen Strafvollzugs zeigen sich zwischen den deutschen und ausländischen Strafgefangenen erhebliche Unterschiede. Bei den ausländischen Strafgefangenen waren 2003 nur 6 % aller Inhaftierten im offenen Vollzug, bei den deutschen Strafgefangenen lag der Anteil mit 21 % mehr als dreimal so hoch. Die Frage, ob einem Strafgefangenen die Möglichkeit des offenen Vollzugs eingeräumt wird, hängt neben der Schwere der Straftat auch von der Einschätzung einer möglichen Fluchtgefahr ab.

Über 40 % der Haftstrafen wegen Vermögensdelikten

Allein 44 % der 6 200 Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten verbüßten 2003 eine Freiheits- bzw. Jugendstrafe wegen Vermögensdelikten, unter ihnen 1 200 bzw. 19 % wegen Diebstahl und Unterschlagung, gut 700 bzw. 12 % wegen Raub, Erpressung und räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und weitere 600 bzw. 10 % wegen Betrug und Untreue (Schaubild 3). Wie ein 10-Jahres-Vergleich der Deliktstruktur von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten zeigt, haben Vermögensdelikte mit Ausnahme von Betrug und Untreue jedoch an Bedeutung verloren. Seinerzeit waren noch 50 % aller Strafgefangenen wegen Vermögensdelikten zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt worden.

Häufiger als vor 10 Jahren verbüßten dagegen im Jahre 2003 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte Haftstrafen wegen Straftaten gegen die Person (außerhalb des Straßenverkehrs). Der Anteil der aufgrund dieser Straftaten Inhaftierten stieg von 23 auf 27 %, was auf die Zunahme der Haftstrafen wegen Körperverletzung und wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zurückzuführen ist. Dagegen spielen heute Straftaten gegen das Leben wie Mord und Totschlag erfreulicherweise eine geringere Rolle als noch vor Jahren. Drogendelikte sind dagegen immer häufiger Ursache für einen Freiheitsentzug.

Bezüglich der Dauer des Freiheitsentzugs überwiegen eindeutig kürzere Haftstrafen. Fast 2 400 der insgesamt 6 200 Häftlinge – dies entspricht einem Anteil von 38 % – verbüßten 2003 Haftstrafen mit einer Dauer von unter einem Jahr, in 19 % aller Fälle war den Strafgefangenen eine Haftstrafe von 1 bis 2 Jahren, in 27 % aller Fälle eine Haftstrafe von 2 bis 5 Jahren auferlegt worden. Längerfristige Gefängnisstrafen sind eher selten. Rund 11 % aller Strafgefangenen verbüßten eine Haftstrafe von 5 bis 15 Jahren, 4 % eine lebenslange Freiheitsstrafe, und 1 % der Häftlinge waren Sicherungsverwahrte mit unbestimmter Haftdauer.

Während die Haftdauer längerfristig kaum Strukturverschiebungen erkennen lässt, zeichnet sich bezüglich der Häufigkeit von Vorstrafen eine positive Tendenz ab: Ein immer geringerer Teil der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten ist vorbestraft. Waren 1993 noch fast 75 % aller Strafgefangenen ein- oder mehrmals vorbestraft, sank ihr Anteil bis 2003 auf 67 %.

Betrachtet man ausschließlich die vorbestraften Strafgefangenen, die bereits mindestens ein Mal zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe mit oder ohne Bewährung verurteilt waren, sank der Anteil an allen Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten zwischen 1993 und 2003 von 65 % auf 57 %. Diese Entwicklung kann als Indiz für eine geringere Rückfälligkeitsgefahr und als Erfolg der durchgeführten Kriminalpräventions- und Resozialisierungsprogramme gewertet werden.

Bundesländervergleich: Wenige Strafgefangene, aber hohe Belegungsquote der Justizvollzugsanstalten im Südwesten

Ein Vergleich der Situation im baden-württembergischen Strafvollzug mit der in anderen Bundesländern zeigt, dass es im Südwesten – gemessen an der Bevölkerung im strafmündigen Alter – vergleichsweise wenige Strafgefangene und Sicherungsverwahrte gibt. Anfang des Jahres 2003 betrug der Bundesanteil der strafmündigen Bevölkerung Baden-Württembergs 12,7 %, während der Anteil der in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten inhaftierten Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten mit 10 % niedriger lag.

Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Justizvollzugsanstalten im Südwesten nicht ausgelastet sind. Ganz im Gegenteil: Im März 2003 kamen hier zu Lande auf 100 planmäßig zur Verfügung stehende Plätze in den Justizvollzugsanstalten 108 Häftlinge mit Freiheits- oder Jugendstrafe, in Untersuchungshaft, in Sicherungsverwahrung oder mit sonstigem Freiheitsentzug. Baden-Württemberg war damit das Land mit der bundesweit vierthöchsten Belegungsquote. Lediglich in Thüringen, im Saarland und in Bayern fiel das Verhältnis

zwischen der tatsächlichen Belegung und der Zahl der planmäßig zur Verfügung stehenden Plätze mit 119, 110 bzw. 109 Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten je 100 verfügbare Haftplätze noch höher aus. Rechnet man zusätzlich noch die am 31. März 2003 vorübergehend abwesenden Strafgefangenen mit ein, wies Baden-Württemberg sogar die dritthöchste Belegungsquote auf.

Kurzfristig dürfte sich die Lage in den baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten kaum entspannen. Die Zahl der Verurteilungen war zuletzt wieder höher als in den Jahren zuvor. Diese Entwicklung wird wegen der zum Teil mehrere Jahre andauernden Haftstrafen einige Zeit »nachwirken«. Selbst für den Fall, dass die Verurteiltenzahlen wieder sinken, ist erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung und in geringerem Ausmaß als bei den Verurteilungen mit einem Rückgang der Strafgefangenenzahlen zu rechnen.