:: 3/2004

Höhe der Sozialhilfe in Baden-Württemberg

Immer wieder ist die Sozialhilfe Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Anlass hierfür bieten mehr oder weniger spektakuläre Fälle von missbräuchlicher Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen. Aber auch rechtlich nicht zu beanstandende Verfahrensweisen, die etwa die Gewährung von Sozialhilfe im Ausland betreffen, sorgen in der Öffentlichkeit für allgemeine Aufregung. Während in der öffentlichen Diskussion nicht selten vehement über den Missbrauch oder den vermeintlichen Missbrauch von Sozialhilfe diskutiert wird, ist die Höhe des Sozialhilfeanspruchs weit gehend unbekannt. Die amtliche Sozialhilfestatistik erlaubt es unter anderem, Durchschnittswerte über die Höhe des Sozialhilfeanspruchs zu ermitteln.

Der notwendige Lebensunterhalt

Hilfe zum Lebensunterhalt ist nach dem Wortlaut des Bundessozialgesetzes dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Was dem Einzelnen an Hilfen vom Sozialamt zusteht, wird in § 12 des Bundessozialhilfegesetzes definiert. Danach umfasst der notwendige Lebensunterhalt insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Hilfe zum Lebensunterhalt kann durch laufende und einmalige Leistungen gewährt werden.

Im Rahmen der Sozialhilfestatistik werden die laufenden Hilfen zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe im engeren Sinne) einer so genannten Bedarfsgemeinschaft, die in der Regel aber nicht immer mit dem Haushalt gleichzusetzen ist, ermittelt. In einem Haushalt können neben Empfängern von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt auch Personen leben, die keine Sozialhilfe erhalten. Außerdem bilden Kinder über 18 Jahre sowie Verwandte eigene Bedarfsgemeinschaften, selbst wenn sie im gleichen Haushalt leben. In Baden-Württemberg erhielten zum Jahresende 2002 annähernd 223 000 Menschen in 117 200 Bedarfgemeinschaften laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Verglichen mit 2001 ist ihre Zahl um 6,3 % (Bedarfgemeinschaften: + 6,1 %) angestiegen.

Der durchschnittliche Bruttobedarf (siehe i-Punkt) einer Bedarfsgemeinschaft im Land betrug Ende vergangenen Jahres 852 Euro pro Monat. Darin enthalten sind die Aufwendungen für Miete (anerkannte Bruttokaltmiete), die im Durchschnitt bei rund 291 Euro lagen. Da auf den Bruttobedarf die der jeweiligen Bedarfsgemeinschaft zufließenden Einkünfte, im Durchschnitt rund 443 Euro monatlich, angerechnet werden, verbleibt ein monatlicher Nettoanspruch bzw. Bedarf an ergänzender Sozialhilfe in Höhe von 409 Euro. Aussagekräftiger als diese durchschnittliche Betrachtung ist die Darstellung bestimmter Typen von Bedarfsgemeinschaften, die den Haushaltstypen in der Gesamtgesellschaft entsprechen und somit auch eine bessere Beschreibung und Einordnung der ökonomischen Situation des Sozialhilfehaushalts erlauben.

Sozialhilfeanspruch von Bedarfsgemeinschaften

Sieht man von den Aufwendungen für die Unterkunft ab, hängt der Bruttobedarf in erster Linie von der Größe der Bedarfsgemeinschaft sowie vom Alter der Mitglieder und der Stellung des Einzelnen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft ab. Die Höhe des Regelsatzes für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft richtet sich nach Stellung und Alter. Durch die große Zahl der Einpersonenbedarfsgemeinschaften bildeten die Haushaltsvorstände mit rund 45 % zum Jahresende 2002 die größte Gruppe. Ihnen stand am 31. Dezember 2002 ein Regelsatz von 294 Euro pro Monat zu. Für Ehepartner – ihr Anteil lag am 31. Dezember 2002 knapp über 9 % – beträgt der Regelsatz 235 Euro pro Monat. Etwa 37 % waren Kinder und Jugendliche bis zu 18 Jahren, deren Regelsatz altersabhängig zwischen 147 und 265 Euro liegt. Verwandte und sonstige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erhalten je nach Alter zwischen 147 bis 235 Euro monatlich. Werdende Mütter nach der 12. Schwangerschaftswoche, allein Erziehende, behinderte Menschen, Personen mit kostenaufwändiger Ernährung und in anderen Sondersituationen erhalten Mehrbedarfszuschläge in Höhe von 20 bis 60 % des Regelsatzes.

Den höchsten Bruttobedarf haben erwartungsgemäß Paare und allein Erziehende mit Kindern, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Ehepaare mit Kindern kommen im Durchschnitt auf 1 402 Euro pro Monat. Mit der Zahl der Kinder steigt der Bruttobedarf, da für jede zusätzliche Person in der Bedarfsgemeinschaft der ihr zustehende Regelsatz hinzukommt und größere Bedarfsgemeinschaften in der Regel auch mehr Wohnraum benötigen, was zu höheren Mietaufwendungen führt. Zum Jahresende errechnete sich für Einkindfamilien im Durchschnitt ein monatlicher Bedarf von 1 119 Euro, bei zwei Kindern von 1 368 Euro und bei drei und mehr Kindern von 1 831 Euro (Tabelle). Ähnliche Ergebnisse wurden auch für nicht eheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern ermittelt. Für allein erziehende Mütter und Väter in einer Bedarfsgemeinschaft mit einem oder mehreren Kindern wurde ein durchschnittlicher Bruttobedarf von 1 189 bzw. 1 150 Euro errechnet. Allein erziehende Mütter mit einem Kind kamen auf durchschnittlich 989 Euro und bei zwei Kindern auf 1 307 Euro, während sich für 3 und mehr Kinder im Einelternhaushalt im Durchschnitt ein Bruttobedarf in Höhe von 1 689 Euro errechnete. Bei allein erziehenden Vätern wich der durchschnittliche Bruttobedarf nur geringfügig von dem allein erziehender Mütter ab. Allein Erziehende, die mit einem oder mehreren Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft leben, bilden die größte Gruppe unter den Bedarfsgemeinschaften mit Kindern. Ihr Anteil an den Bedarfsgemeinschaften liegt bei rund 27 %, Ehepaare und nicht eheliche Bedarfsgemeinschaften mit Kindern haben dagegen lediglich einen Anteil von rund 10 %. Bei den Bedarfsgemeinschaften ohne Kinder dominieren allein lebende Einzelpersonen, die annähernd 39 % aller Bedarfsgemeinschaften stellen. Ihr errechneter Bruttobedarf belief sich monatlich im Durchschnitt auf 559 Euro für Männer und 631 Euro für Frauen. Ehepaare und nicht eheliche Lebensgemeinschaften ohne Kinder kamen im Durchschnitt auf 919 bzw. 908 Euro.

Angerechnetes Einkommen

Auf den Bruttobedarf der Bedarfsgemeinschaft werden die Einkommen der Bedarfsgemeinschaft angerechnet. 48 % des durchschnittlichen Bruttobedarfs wurden im Jahre 2002 durch die Sozialhilfe abgedeckt, 52 % standen den Bedarfsgemeinschaften aus anderen Quellen zur Verfügung. Die bei der Anrechnung zu berücksichtigenden Einkommensarten sind neben Erwerbseinkommen und Renten unter anderem auch Transferzahlungen wie Kindergeld, Wohngeld und Unterhaltsausfallleistungen sowie Unterhaltsleistungen Dritter.

Bei 48 % der Bedarfsgemeinschaften waren Transferleistungen (Kinder- und Wohngeld) die Haupteinkommensarten. Alters-, Betriebs-, Hinterbliebenenrente sowie Rente wegen Erwerbsminderung bildeten in 13 % der Bedarfsgemeinschaften das Haupteinkommen. Knapp 5 % hatten Unterhaltsleistungen als Haupteinkommensquelle. Für jede achte Bedarfsgemeinschaft war ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit die größte eigene Einnahmequelle, bei 8 % Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Fast jede dreizehnte Bedarfsgemeinschaft mit eigenem Haushaltsvorstand (8 %) verfügte zum Jahresende 2002 über keinerlei eigenes Einkommen und war zu diesem Zeitpunkt vollständig auf die Leistungen des Sozialamts angewiesen.

Je nach Größe der Bedarfsgemeinschaft unterscheidet sich der durchschnittliche Anteil des angerechneten Einkommens am Bruttobedarf (Schaubild). Den kleinsten Eigenanteil am Bruttobedarf wiesen Ende des Jahres 2002 Bedarfsgemeinschaften mit einer Person auf. Mehr als die Hälfte (58 %) ihres Bruttobedarfs bestritt das Sozialamt. Mit wachsender Personenzahl in der Bedarfsgemeinschaft nahm der Anteil des Sozialamts ab und der Eigenanteil der Bedarfsgemeinschaft wurde größer. Bei Bedarfsgemeinschaften mit sechs und mehr Personen entfiel auf das Sozialamt durchschnittlich nur noch ein Drittel des Bruttobedarfs, während zwei Drittel durch die Bedarfsgemeinschaft selbst aufgebracht wurden.

Hauptgrund für den wachsenden Anteil des angerechneten Einkommens am Bruttobedarf bei größeren Haushalten ist das Kindergeld, das die Summe des angerechneten Einkommens bei Familien und allein Erziehenden deutlich erhöht. Derzeit erhalten zum Beispiel Bedarfsgemeinschaften mit zwei Kindern 308 Euro Kindergeld pro Monat. Das entspricht je nach Typ der Bedarfsgemeinschaft zwischen 36 und 42 % des angerechneten Einkommens. Daher ist die Höhe des Kindergeldes von nicht unwesentlicher Bedeutung für die Frage, ob eine Familie die Sozialhilfeschwelle überwinden kann.

Sozialhilfeschwelle überwinden

Der Nettoanspruch der Bedarfsgemeinschaften ist deutlich geringer als der berechnete Bruttobedarf. Ein Ehepaar ohne Kinder hat derzeit im Durchschnitt einen Bruttobedarf von 919 Euro und einen Nettoanspruch von 419 Euro. Für ein Ehepaar mit 2 Kindern errechnete sich Ende 2002 ein Bruttobedarf von 1 368 Euro im Durchschnitt, während der durch den örtlichen Träger der Sozialhilfe aufzubringende Nettoanspruch durchschnittlich 542 Euro betrug. Da diese Werte nur den Durchschnitt wiedergeben, gibt es auch zahlreiche Bedarfsgemeinschaften, die zum Teil deutlich weniger Unterstützung durch das Sozialamt benötigen. Daher könnte hypothetisch gefragt werden, wie sich die Zahl der Bedarfsgemeinschaften ausgehend von den Ergebnissen der Sozialhilfestatistik 2002 verändern würde, wenn je Bedarfsgemeinschaft ein gewisser Betrag mehr an eigenem Einkommen zur Verfügung gestanden hätte. Wäre das anzurechnende Einkommen je Bedarfsgemeinschaft (mit Haushaltsvorstand) für alle Bedarfsgemeinschaften zum Beispiel um 100 Euro höher gelegen, als dies tatsächlich der Fall war, hätte sich die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die Ende 2002 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhielten, um rund 13 000 verringert. Das entspräche einem Rückgang von 11 %.

Vor den letzten Bundestagswahlen wurden von den Parteien Kindergelderhöhungen auf bis zu 300 Euro pro Monat in Aussicht gestellt. Würde das Kindergeld für jedes Kind von derzeit 154 Euro (1., 2. und 3. Kind) verdoppelt werden, könnten mehr als 25 % der Bedarfsgemeinschaften mit zwei Kindern (Stand 2002) die ergänzende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Anspruch nehmen, die Sozialhilfeschwelle überspringen und damit aus eigenen Kräften den Lebensunterhalt bestreiten. Die Höhe des Kindergeldes beeinflusst die Zahl der Haushalte, die auf die laufende Unterstützung durch das Sozialamt angewiesen sind. Eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes wäre nicht nur ein zusätzlicher Ausgleich für die privat finanzierten Investitionen von Familien in das Humankapital der Gesellschaft, sondern würde auch zu einer Entlastung der Kommunen führen. Eine rückläufige Zahl der Sozialhilfeempfänger führt zu einer Verminderung der direkten Sozialhilfeaufwendungen und zusätzlich zu einer Verringerung des Verwaltungsaufwandes in den Kommunen.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass eine größere Zahl von Bedarfsgemeinschaften nur einen relativ geringen Betrag an zusätzlichem eigenen Einkommen benötigen würde, um unabhängig von der Sozialhilfe leben zu können. Andererseits verfügt etwa jeder fünfte allein lebende männliche Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt über keine eigene Einkommensquelle und ist somit vollständig auf die öffentliche Fürsorge angewiesen. Dieser für manche Zeitgenossen »typische Sozialhilfeempfänger« bildet innerhalb der Gruppe der Sozialhilfeempfänger eindeutig eine Minderheit. Die Mehrzahl sind Mütter und Väter und deren Kinder, die auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen sind.