:: 6/2004

Einkommensströme in Baden-Württemberg im Jahr 2002

Einkommen entsteht aus drei Quellen: abhängiger Arbeit, Unternehmertätigkeit und Bereit-stellung von Vermögen. Die wichtigste unter diesen drei Quellen ist das Arbeitnehmereinkommen, das rund sieben Zehntel des Primäreinkommens in Baden-Württemberg ausmacht.

Das Primäreinkommen ist allerdings nicht mit dem Verfügbaren Einkommen gleichzusetzen, da vielfältige Umverteilungsprozesse stattfinden. Das Verfügbare Einkommen in Baden-Württemberg bezifferte sich im Jahr 2002 auf 189,4 Mrd. Euro. Die Steigerungsrate gegenüber dem Vorjahr war mit 0,4 % die geringste seit dem Beginn gesamtdeutscher Berechnungen 1991.

Im Jahr 2002 bezifferte sich das Primäreinkommen (siehe i-Punkt) in Baden-Württemberg nach ersten Berechnungen des Arbeitskreises »Volkwirtschaftliche Gesamtrechnungen (VGR) der Länder« auf 233,2 Mrd. Euro. Wichtigster Bestandteil des Primäreinkommens war (und ist) das Arbeitnehmerentgelt, das sich im Jahr 2002 auf 164,1 Mrd. Euro belief und damit einen Anteil von 70,4 % am Primäreinkommen erreichte. Das Arbeitnehmerentgelt stellt die Gesamtentlohnung aller Beschäftigten dar, die in Baden-Württemberg ansässig sind, und schließt auch die von den Arbeitgebern zu entrichtenden Beiträge für die Sozialversicherungssysteme (Sozialbeiträge der Arbeitgeber) ein.

Im Jahr 2002 hat sich der Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Primäreinkommen wieder erhöht, nachdem er im Vorjahr mit 69,1 % den niedrigsten Wert seit 1991, dem Beginn gesamtdeutscher VGR-Berechnungen, erreicht hatte. Der höchste Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Primäreinkommen war im Jahr 1993 mit 72,9 % zu verzeichnen. Weil das Arbeitnehmerentgelt in der Definition der VGR durch die Einbeziehung der Sozialbeiträge der Arbeitgeber wesentlich mehr umfasst als die Bruttolöhne und -gehälter und erst recht mehr als die Nettolöhne und -gehälter, lässt sich kein direkter Rückschluss auf die Entwicklung der unmittelbaren Arbeitnehmereinkommen ziehen.

Deutlicher Anstieg der Vermögenseinkommen

Augenfällig ist ein deutlicher Anstieg der Vermögenseinkommen in den wirtschaftlichen Boom-Jahren gegen Ende der 90er-Jahre (Schaubild 1). Die Vermögenseinkommen umfassen Zinsen, Kapitalerträge, Dividenden, Pachten und Vermögenseinkommen aus Versicherungsverträgen. Der Saldo der Vermögenseinkommen (empfangene abzüglich geleistete Vermögenseinkommen) erreichte sein Maximum mit 38,1 Mrd. Euro im Jahr 2001, fast doppelt so viel wie im Jahr 1991 (20,5 Mrd. Euro). Im Jahr 2002 ging der Saldo der Vermögenseinkommen infolge der bereits abgekühlten wirtschaftlichen Entwicklung auf 34,2 Mrd. Euro zurück. Der Anteil der Vermögenseinkommen am Primäreinkommen beziffert sich im Jahr 2002 auf 14,7 %.

In ähnlicher Größenordnung (34,9 Mrd. Euro bzw. 15,0 % Anteil am Primäreinkommen) bewegt sich die Bedeutung der Kategorie »Betriebsüberschüsse/Selbstständigeneinkommen«. Sie umfasst die Gewinne kleinerer inhabergeführter Unternehmen. Die Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften sowie die Gewinnentnahmen von Quasi-Kapitalgesellschaften wie OHG oder KG sind dagegen im Saldo der Vermögenseinkommen enthalten.

Primäreinkommen nur rechnerische Zwischengröße

Das Primäreinkommen ist ein Betrag, der sich aus den systematischen Annahmen der VGR ergibt und ein Abbild der Einkommensentstehung liefert, der aber so in der Realität nicht auf den Konten der Haushalte erscheint und dessen Veränderung daher keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die wahren Einkommensverhältnisse zulässt. Am Beispiel der Arbeitnehmerentgelte lässt sich dieser Sachverhalt gut verdeutlichen: Eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge bewirkt eine Zunahme des Arbeitnehmerentgelts, da die Arbeitgeberanteile zugeschlagen werden.

Im Hinblick auf die Nettolöhne und -gehälter bewirkt dagegen eine solche Maßnahme eine Reduktion, weil die Beitragserhöhung auch den Arbeitnehmeranteil betrifft. Ein anderes Beispiel für den »abstrakten« Charakter des Primäreinkommens ist die Position »Betriebsüberschüsse/Selbstständigeneinkommen«, die unter anderem auch einen Einkommensansatz für Wohnungsvermietung, das heißt für die Eigennutzung von Wohnraum, umfasst. Bei diesem Einkommensansatz werden, wie auch anderenorts in der VGR, Annahmen über Nutzwerte oder unterstellte Leistungen getroffen, denen keine realen Zahlungsströme gegenüberstehen.

Das Primäreinkommen erlaubt daher eine Analyse der allgemeinen Entwicklung der Einkommensquellen nach ihrer funktionalen Herkunft, es sagt aber wenig über den tatsächlichen materiellen Wohlstand aus, da eine Vielzahl von Umverteilungsprozessen einsetzt, durch die das Primäreinkommen massiv verändert wird (Schaubild 2). Erst am Ende dieser Umverteilungsprozesse steht mit dem Verfügbaren Einkommen eine Größe, die Rückschlüsse auf den tatsächlichen (oder vermeintlichen) Wohlstand zulässt.

Umverteilung staatlich induziert

Die im Zuge der Umverteilung festzustellenden Geldströme sind vielfältig und umfangreich. Durch Steuern und Beiträge werden den Haushalten Geldbeträge entzogen, durch Zahlungen fließen große Beträge wieder zurück. Da Zahler und Empfänger meist nicht identisch sind, kommt es über den Umweg meist staatlicher Institutionen in der Summe zu Umverteilungseffekten: vom Lohn- und Einkommensteuerzahler zum Empfänger von Kindergeld, Sozialhilfe, ..., vom Arbeitgeber/-nehmer zum Rentner oder Arbeitslosen, vom Autofahrer (private Kfz-Steuer) zum Wohngeldempfänger. Durch die Umverteilung kommt es zu einer Verschiebung von Einkommen zwischen den Haushalten. Die Wirkung der Umverteilung kann angesichts der vielen Faktoren individuell sehr unterschiedlich ausfallen.

Bei der Umverteilung treten staatliche Institutionen vielfach direkt in Erscheinung, sei es in der Gestalt von Finanzämtern beim Einzug der Lohn- und Einkommensteuer oder Sozialämtern bei der Gewährung von Sozialhilfe. Häufig setzt der Staat aber auch nur die Rahmenbedingungen und überlässt die Ausführung anderen, wie zum Beispiel im Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Hier sind Aufgaben an Institutionen wie die Rentenversicherung, die Bundesagentur für Arbeit oder an die Krankenkassen delegiert.

44 % des Primäreinkommens werden umverteilt

Im Jahr 2002 flossen in Baden-Württemberg rund 102,6 Mrd. Euro – das entspricht einem Anteil von 44,0 % am Primäreinkommen – in die Umverteilung. Rund 60,2 Mrd. Euro entfielen auf die geleisteten Sozialbeiträge (von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Selbstständigen, Nichterwerbstätigen) zur Renten-, Kranken-, Pflege-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung. Zweitwichtigste Größe sind die von den privaten Haushalten entrichteten Steuern (im Wesentlichen Lohn- und Einkommensteuer) mit insgesamt 32,8 Mrd. Euro, was einem Anteil von 14,1 % am Primäreinkommen entspricht. Unter den sonstigen geleisteten Transfers (9,6 Mrd. Euro bzw. 4,1 % des Primäreinkommens) spielen die Beiträge zu privaten Schadensversicherungen die wichtigste Rolle (Schaubild 2).

31 % des Verfügbaren Einkommens sind umverteilt

Mehr als die Hälfte der im Rahmen der Umverteilung eingezogenen Beiträge und Steuern fließen wieder an die Haushalte zurück: Insgesamt rund 58,8 Mrd. Euro wurden im Jahr 2002 in Baden-Württemberg als Renten, Pensionen, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Sozialhilfe etc. ausbezahlt. Zusammen mit den vom Primäreinkommen nach Abzug der Sozialbeiträge und Steuern verbliebenen 130,6 Mrd. Euro errechnet sich in Baden-Württemberg im Jahr 2002 ein Verfügbares Einkommen von 189,4 Mrd. Euro für die privaten Haushalte. Gemessen am Primäreinkommen beträgt der Anteil des Verfügbaren Einkommens damit 81,2 %, das heißt, gut vier Fünftel des Primäreinkommens fließen letztendlich den Haushalten zu, wobei ein knappes Drittel (31,1 %) des Verfügbaren Einkommens aus dem Umverteilungsprozess stammt. Das Verfügbare Einkommen umschreibt jenen Geldbetrag, der den Haushalten für den Verbrauch oder zum Sparen zur Verfügung steht.

Renten und Pensionen wichtigste empfangene Sozialleistung

Größter Einzelposten unter den den Haushalten zufließenden Transferleistungen sind die Zahlungen im Rahmen der Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Mit 30,9 Mrd. Euro entfällt mehr als die Hälfte der Transferzahlungen auf die Alterseinkommen in Form von Alters-, Witwen- und Waisenrenten, Pensionen und Beihilfen. Unter den sonstigen empfangenen Sozialleistungen (19,2 Mrd. Euro) sind insbesondere die Ersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit und die Sozialhilfe von Bedeutung. Bei den empfangenen sonstigen Transfers (8,7 Mrd. Euro) spielen die Leistungen von Versicherern bei Schadensfällen die größte Rolle.

Anstieg des Verfügbaren Einkommens im Jahr 2002 um 0,4 %

Im Jahr 2002 haben die Verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in Baden-Württemberg insgesamt um nur 0,4 % zugenommen. Dies ist die geringste Wachstumsrate seit dem Beginn gesamtdeutscher Berechnungen im Jahr 1991 (Schaubild 3). Damit weist das Verfügbare Einkommen immerhin noch einen leichten nominalen Zuwachs auf, während das die eigentlichen Einkommensquellen abbildende Primäreinkommen im gleichen Zeitraum um 0,3 % zurückgegangen ist (Schaubild 1). Diese gegenläufige Entwicklung weist auf eine fundamentale Problemlage hin: Der wirtschaftlichen Entwicklung, erkennbar an der Veränderung der Primäreinkommen, fehlt die Dynamik. Gleichzeitig steigt durch die demografischen Veränderungen der Bedarf an Transferzahlungen zur Sicherung der Alterseinkünfte, die wirtschaftliche Schwäche erhöht den Aufwand zur Unterstützung von Arbeitslosen, die Zahl der Sozialhilfefälle steigt usw.

Die ohnehin geringe Zunahme des Verfügbaren Einkommens in Baden-Württemberg im Jahr 2002 beruht im Wesentlichen auf einer Erhöhung der Transferzahlungen. Vom Volumen besonders gewichtig ist hierbei der Bereich der Alters- und Hinterbliebenenversorgung (+ 4,1 %), bei der relativen Zunahme (+ 18,7 %) fällt der Bereich Arbeitslosenversicherung, -hilfe sowie Geldleistungen der Sozialhilfe auf. Der Zunahme des Verfügbaren Einkommens steht auf der Ebene des Primäreinkommens (- 0,3 %) keine vergleichbare Entwicklung gegenüber, sodass allein durch die Gegenüberstellung dieser beiden Größen die Probleme für die Finanzierung des umfassenden, möglichst allen Ansprüchen gerecht werdenden Umverteilungssystems in Deutschland sichtbar werden.