:: 6/2004

Verdienstentwicklung 2003

Die Tarifrunde 2003 fand, wie bereits im Vorjahr, unter außergewöhnlich schwierigen politischen sowie ökonomischen Rahmenbedingungen statt. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung war weiterhin durch Stagnation gekennzeichnet. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen stieg im Jahresdurchschnitt bundesweit erneut an. Auch in Baden-Württemberg beschleunigte sich dieses Problem, jedoch liegt der Südwesten im Ländervergleich noch am günstigsten. Das Tarifjahr 2003 wurde überlagert von dem politischen Konflikt um die Zukunft des Flächentarifvertrages. Mit dem Verzicht der Bundesregierung auf eine gesetzliche Änderung des Tarifvertrags- und des Betriebsverfassungsgesetzes dürfte dieses Thema aber nur vorläufig von der politischen Tagesordnung verschwunden sein. Wie sich unter diesen Rahmenbedingungen die Verdienste der verschiedenen Arbeitnehmergruppen im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg entwickelten, soll im folgenden Beitrag untersucht werden.

Tarifabschlüsse 2003 erreichen nicht mehr das Vorjahresniveau

Im Jahr 2003 wurden nur für einen kleineren Teil der Beschäftigten neue Lohn- und Gehaltstarifverträge abgeschlossen, weil wegen der länger laufenden Vergütungsabkommen aus dem Jahr 2002 eine ganze Reihe von Wirtschaftszweigen nicht an der Tarifrunde teilnahmen. Bei der Ermittlung der kalenderjährlichen Steigerung der Tarifverdienste werden die Auswirkungen aus der Lage (Beginn) und Laufzeit der Tarifabkommen berücksichtigt und auch gegebenenfalls wirksam werdende Abschlüsse aus den Vorjahren sowie zusätzliche Einmalzahlungen und Pauschalzahlungen als Ausgleich für Abschlussverzögerungen mit einbezogen. Die so durch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut des DGB (WSI) ermittelte Steigerung der Tarifverdienste 2003 gegenüber 2002 betrug für Deutschland 2,5 %.

Am höchsten fiel die jahresbezogene Tarifsteigerung mit 3,0 % in den Bereichen Gebietskörperschaften, Sozialversicherung und Baugewerbe und am niedrigsten bei Kreditinstituten und Versicherungen mit 2,1 % aus (Schaubild 1). Die Verdienste der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes wurden am 1. Januar 2003 (Vergütungsgruppen X bis IVa BAT) bzw. am 1. April 2003 (übrige Vergütungsgruppen) um 2,4 % erhöht. Die Beamtenbezüge erhöhten sich am 1. April 2003 (Besoldungsgruppen A 2 bis A 11) bzw. am 1. Juli 2003 (Besoldungsgruppen A12 bis A 16) ebenfalls um 2,4 %. Bei einer Steigerung des Preisindex für die Lebenshaltung um 1,1 % im Bundesgebiet und um 1,3 % in Baden-Württemberg (2002 bis 2003) konnten somit rechnerisch alle an den Tariferhöhungen partizipierenden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine reale Verdienstverbesserung erreichen.

Die Entwicklung der Tarifabschlüsse kann zwar hilfreiche Grundinformationen über die Veränderung der Verdienste liefern, da das effektiv gezahlte Entgelt jedoch von weiteren Faktoren abhängt, kann die Höhe der tatsächlichen Durchschnittsverdienste mehr oder weniger stark davon abweichen. Um dies zu untersuchen, werden im Folgenden die Ergebnisse der laufenden Verdiensterhebung (siehe i-Punkt) herangezogen.

Durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst der Angestellten bei 3 483 Euro

Die Bruttomonatsgehälter der vollzeittätigen Angestellten im Produzierenden Gewerbe, Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe in Baden-Württemberg lagen im Jahresdurchschnitt 2003 bei 3 483 Euro. Erstmals seit 1995 lag mit einem Anstieg von 3,4 % gegenüber dem Vorjahr die Zuwachsrate damit wieder über 3 %. Bei den Angestellten im Produzierenden Gewerbe wurde dabei mit 3 882 Euro gegenüber den Dienstleistungsbereichen Handel, Banken und Versicherungen mit 2 907 Euro ein merklich höheres Verdienstniveau ermittelt. Erklären lässt sich dieser Verdienstunterschied unter anderem mit dem höheren Anteil an männlichen Angestellten im Produzierenden Gewerbe. Nahezu drei Viertel aller Angestellten im Produzierenden Gewerbe sind Männer, während im Bereich Handel, Banken und Versicherungen mit einem Anteil von rund 44 % fast die Hälfte der erfassten Angestellten weiblich sind – ein Tatbestand, der sich bei den nach wie vor bestehenden Verdienstunterschieden zwischen den Geschlechtern spürbar auf den Durchschnittsverdienst auswirkt.

Etwas schwächer als bei den Angestellten fiel der Anstieg der Bruttomonatslöhne gewerblicher Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe mit 2,4 % aus. Bei einem deutlich niedrigeren Durchschnittsverdienst von 2 606 Euro gegenüber den Kollegen im Angestelltenverhältnis wurde eine Arbeitsstunde dabei mit 16,03 Euro brutto entlohnt.

Drei Viertel aller Angestelltengehälter liegen unter dem Durchschnittswert

3 483 Euro als durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst eines vollzeittätigen Angestellten scheint auf den ersten Blick ein überraschend hoher Wert zu sein. Tatsächlich sind die Verdienste je nach Qualifikation erheblichen Schwankungen unterworfen. Vor allem die besser verdienenden Angestellten der Leistungsgruppe II, die rund ein Viertel aller Angestellten bilden, ziehen den Gesamtdurchschnitt mit einem Bruttomonatsverdienst von 4 775 Euro deutlich überproportional nach oben (Schaubild 2). Bereits die nachfolgende Leistungsgruppe III liegt mit einem Monatsverdienst von 3 420 Euro unterhalb des ermittelten Durchschnitts von 3 483 Euro. Zugleich bedeutet dies, dass drei Viertel aller Angestellten Gehälter unterhalb des ermittelten Durchschnittsverdienstes beziehen.

Ebenfalls spielt die berufliche Ausrichtung der Angestellten in den technischen oder kaufmännischen Bereich eine wichtige Rolle. Ein technischer Angestellter im Produzierenden Gewerbe, Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe verdiente im Jahresdurchschnitt 2003 mit 4 043 Euro fast 900 Euro mehr als sein kaufmännischer Kollege mit 3 149 Euro.

Spitzenverdiener im Fahrzeugbau – Einzelhandel am Ende der Verdienstskala

Insgesamt lässt sich auch eine erhebliche Streuung zwischen den Verdienstmöglichkeiten in den einzelnen Wirtschaftszweigen beobachten. Die Spitzenverdiener waren auch im Jahr 2003 im Fahrzeugbau tätig. Mit einem Bruttomonatsverdienst von 4 510 Euro lagen hier die Gehälter der Angestellten deutlich höher als in allen anderen Branchen. Am Ende der Verdienstskala lagen, wie in den Vorjahren, die Gehälter der Angestellten im Einzelhandel. Mit 2 376 Euro erreichten sie nur etwas mehr als die Hälfte des Durchschnittsverdienstes ihrer Kolleginnen und Kollegen im Fahrzeugbau.

Analog zu den Angestellten wurden auch bei den Arbeiterinnen und Arbeitern die besten Verdienstmöglichkeiten im Fahrzeugbau ermittelt. Mit 3 128 Euro brutto im Monat war der Fahrzeugbau der einzige Wirtschaftszweig mit einem durchschnittlichen Monatslohn von über 3 000 Euro. Das geringste Verdienstniveau wurde bei den Arbeiterinnen und Arbeitern im Textil- und Bekleidungsgewerbe mit einem Monatsverdienst von 1 984 Euro festgestellt.

Frauen verdienen im Durchschnitt nach wie vor weniger

Auch eine im Jahresdurchschnitt 2003 höhere Steigerungsrate, sowohl bei Arbeiterinnen mit 2,7 % (Arbeiter 2,2 %) als auch bei weiblichen Angestellten mit 3,5 % (männliche Angestellte 3 %), konnte das unterschiedliche Verdienstniveau zwischen den Geschlechtern nur unmerklich verringern. Im Durchschnitt aller Angestellten des Produzierenden Gewerbes sowie im Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe lag der Bruttomonatsverdienst von Frauen mit 2 677 Euro um rund ein Drittel niedriger als die Männerverdienste mit 3 889 Euro.

Aufgrund des geringeren Spektrums an Tätigkeiten und Qualifikationsstufen war der geschlechtsbezogene Verdienstunterschied im gewerblichen Bereich weniger stark ausgeprägt. Arbeiterinnen erhielten monatlich mit 2 002 Euro rund ein Viertel weniger als Arbeiter mit einem Monatsverdienst von 2 727 Euro.

Der bemerkenswert hohe Verdienstabstand über alle Leistungsgruppen hinweg bei den Angestellten liegt vor allem daran, dass Frauen vergleichsweise selten in verantwortlichen Positionen anzutreffen sind. So war von allen weiblichen Angestellten im Oktober 2003 lediglich jede Zehnte in verantwortlicher Position (Leistungsgruppe II) tätig. Bei den Männern hingegen war es immerhin jeder Dritte. Ein auffallendes Qualifikationsdefizit lässt sich auch bei den Arbeiterinnen feststellen. Weniger als 10 % aller Frauen besaßen im Oktober 2003 eine Ausbildung zur Facharbeiterin; über die Hälfte dagegen verrichteten Tätigkeiten, für die keinerlei fachliche Ausbildung erforderlich ist. Im Gegensatz hierzu lag die Quote der zu Facharbeitern ausgebildeten Männer bei über 60 %. Darüber hinaus sind Frauen bevorzugt in Wirtschaftszweigen mit eher geringem Verdienstniveau tätig. Vor allem im Kreditgewerbe sowie im Groß- und Einzelhandel waren überdurchschnittlich viele Frauen angestellt – allesamt Wirtschaftszweige, die auf den hinteren Plätzen der Verdienst-Rangliste stehen.

Bezahlte Wochenarbeitszeit nahezu unverändert bei 37,4 Stunden

Nach dem gescheiterten Versuch der IG Metall im vergangenen Jahr, in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie die 35-Stunden-Woche einzuführen, und dem erstmaligen Verlust eines Arbeitskampfes seit fast 50 Jahren sowie der Verlängerung der Arbeitszeit für die Beamtinnen und Beamten in Baden-Württemberg auf 41 Stunden pro Woche verstärkten sich die öffentlichen Diskussionen über die Wochenarbeitszeiten.

Mit durchschnittlich 37,4 Stunden lag die bezahlte wöchentliche Arbeitszeit der Arbeiterinnen und Arbeiter im Produzierenden Gewerbe in Baden-Württemberg im Jahr 2003 nahezu unverändert auf dem Vorjahresniveau (37,5 Stunden). Die Arbeitswoche der Männer war dabei mit 37,5 Stunden um 0,7 Stunden länger als die Arbeitswoche der Frauen (36,8 Stunden). Hauptursache hierfür ist die um durchschnittlich 0,9 Stunden größere Anzahl an geleisteten wöchentlichen Mehrarbeitsstunden1 von Männern gegenüber Frauen mit 0,3 Stunden. Die längsten Arbeitszeiten wurden im Bereich Gewinnung von Steinen und Erden mit 41,7 Stunden sowie im Holzgewerbe (ohne Herstellung von Möbeln) mit 40,1 bezahlten Wochenstunden ermittelt. Die kürzeste Arbeitswoche hatten, wie bereits im Vorjahr, die gewerblichen Arbeitnehmer im Bereich Rundfunk- und Nachrichtentechnik (36 Stunden) und im Fahrzeugbau mit 36,2 Wochenstunden.

Verdienste in Baden-Württemberg liegen im Bundesvergleich im vorderen Drittel

Sowohl Angestellte als auch Arbeiterinnen und Arbeiter aus Baden-Württemberg lagen bei den jahresdurchschnittlichen Bruttomonatsverdiensten für das Jahr 2003 im Ländervergleich im vorderen Bereich. Die Angestellten im Produzierenden Gewerbe, Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe wurden mit 3 483 Euro lediglich von Hamburg, Hessen und Bremen übertroffen (Schaubild 3). Im Bundesdurchschnitt lagen die Angestelltengehälter bei 3 304 Euro brutto im Monat. Vergleichbar war die Situation auch bei den Arbeiterinnen und Arbeitern im Produzierenden Gewerbe. Hinter Hamburg, Bremen und dem Saarland liegt Baden-Württemberg auch hier an vierter Stelle. Mit 2 606 Euro lag der Bruttomonatslohn auch deutlich über dem Durchschnittslohn in ganz Deutschland mit 2 460 Euro. Vor allem branchencharakteristische Gegebenheiten tragen in den beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen zu hohen Durchschnittsverdiensten bei. Insbesondere die Ansiedlung von Wirtschaftszweigen mit überdurchschnittlichem Verdienstniveau wie dem Luft- und Raumfahrzeugbau oder der Mineralölindustrie wirken sich in den regional begrenzten und urban strukturierten Gebieten der Hansestädte positiv auf die Verdiensthöhe der Arbeitnehmer aus. In Hessen tragen die überdurchschnittlichen Gehälter im Kreditgewerbe zum zweiten Platz im Ländervergleich der Angestelltengehälter bei.

Ein nach wie vor beträchtlicher Verdienstunterschied besteht zwischen den alten und neuen Bundesländern. Angestellte im Produzierenden Gewerbe im früheren Bundesgebiet verdienten mit 3 824 Euro rund ein Drittel mehr als ihre Kolleginnen und Kollegen in den neuen Ländern einschließlich Berlin-Ost mit 2 853 Euro. Parallelen lassen sich zu den gewerblichen Arbeitnehmern ziehen. Auch hier lagen die Bruttomonatslöhne der Arbeiterinnen und Arbeiter mit 2 546 Euro im Westen mehr als ein Drittel über den Löhnen der Kolleginnen und Kollegen im Osten mit 1 874 Euro.

Ausblick

Die Tarifrunde 2004 findet wie auch im vergangenen Jahr vor dem Hintergrund einer schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situation statt. Insbesondere Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich werden von der Arbeitgeberseite in den verschiedensten Branchen sowie von politischer Seite gefordert. Die Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften, soweit sie bisher quantifiziert wurden, bewegen sich zwischen 3 % und 4 %. Für einige Branchen stehen die Tariferhöhungen für 2004 bereits aus früheren Tarifabschlüssen fest. Sie liegen zwischen 1,0 % im Bankgewerbe und 3,2 % bei der Deutschen Bahn. Angesichts der auch im Frühjahr 2004 angespannten konjunkturellen Lage und der immer lauter werdenden Forderungen nach Arbeitszeitverlängerungen ist es fraglich, ob trotz moderater Preissteigerung im 1. Quartal im laufenden Jahr ein Kaufkraftverlust vermieden werden kann. Zumindest auf Stundenverdienstbasis erscheint dies derzeit unwahrscheinlich.

1 Nachgewiesen wird in der laufenden Verdiensterhebung jedoch nur die Anzahl der bezahlten Überstunden. Mehrarbeitsstunden, die durch Freizeit abgegolten werden, sind hierbei nicht berücksichtigt.