:: 7/2004

Mit vereinten Kräften – Erzieherische Einzelbetreuung gewinnt in der Jugendhilfe weiter an Bedeutung

Seit Beginn der 90er-Jahre hat die erzieherische Einzelbetreuung stetig an Bedeutung gewonnen. In Baden-Württemberg nimmt die soziale Gruppenarbeit im Vergleich zum gesamten Bundesgebiet einen besonders starken Stellenwert ein. Dabei kommt diese Hilfeform häufiger bei jüngeren Kindern zum Einsatz als in anderen Bundesländern. Seit 1998 steigt auch die Zahl der jungen Menschen, die Hilfe durch einen Erziehungsbeistand erhalten. Eher selten ist in Baden-Württemberg die Unterstützung durch Betreuungshelfer. Jungen nehmen diese Erziehungsmaßnahmen stärker in Anspruch als Mädchen, während die jungen Frauen oder Mädchen vergleichsweise lange betreut werden.

Als Erziehungshilfen werden die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zusammengefasst, die in besonderen Lebenssituationen Unterstützung und Hilfe für Heranwachsende und ihre Familien vermitteln. Sie stellen einen zentralen Bestandteil der öffentlichen Jugendhilfe dar. Entsprechend dem Präventionsgedanken werden die Erziehungsmaßnahmen bevorzugt, die jungen Menschen helfen, während sie in ihren Familien und im gewohnten Umfeld bleiben können. Fast 90 % aller im Jahr 2002 beendeten Maßnahmen wurden als ambulante Hilfeform durchgeführt. Neben Erziehungs-, Familien- oder Jugendberatungen und sozialpädagogischen Familienhilfen haben die Betreuungen einzelner junger Menschen durch Erziehungsbeistände, Betreuungshelfer oder sozialer Gruppenarbeit nur einen Anteil von unter 10 %. Dennoch hat die Einzelbetreuung seit Beginn der 90er-Jahre stetig an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2002 wurden je 100 000 Einwohner unter 27 Jahren 194 Betreuungen durchgeführt, deutlich mehr als doppelt so viele wie 10 Jahre zuvor. In den meisten Fällen werden die Betreuungsmaßnahmen von den Jugendämtern einschließlich der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) oder den Eltern der Kinder, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen angeregt. Wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Einzelbetreuung ist die Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen und deren Familien.

Mädchen und junge Frauen nutzen die Betreuungsangebote in weitaus geringerem Maße als ihre männlichen Altersgenossen. Im Jahr 2002 kamen auf 100 000 weibliche Einwohner »nur« 128 durchgeführte Betreuungsmaßnahmen, auf 100 000 männliche Einwohner mit 257 doppelt so viele. Häufigste Betreuungsform ist die soziale Gruppenarbeit, in der Erziehungs-, Übungs-, Erfahrungs- und soziale Trainingskurse angeboten werden. Diese Maßnahmen dauern durchschnittlich 12 Monate. Mädchen oder junge Frauen werden zwar weniger häufig, mit einer Dauer von rund 19 Monaten aber vergleichsweise lange betreut.

Im Jahr 2002 wurde in Baden-Württemberg 6 238 Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen durch Erziehungsbeistände, Betreuungshelfer oder in Form von sozialer Gruppenarbeit bei der Bewältigung von Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensproblemen geholfen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Betreuungen damit um 12 %. Die stärksten Zuwächse (22 %) gab es bei den Erziehungsbeiständen.

Die Gewichtung der Hilfearten zur erzieherischen Einzelbetreuung hat sich in Baden-Württemberg seit Beginn der 90er-Jahre zugunsten der sozialen Gruppenarbeit verschoben. Mit einem Anteil von 52 % stellte die soziale Gruppenarbeit 2002 die häufigste Form der erzieherischen Einzelbetreuung dar. Einen deutlich geringeren Stellenwert nehmen heute die Betreuungshelfer ein. Für Deutschland insgesamt fiel die Entwicklung nicht so deutlich aus (Schaubild 1). Hier stieg der Anteil der sozialen Gruppenarbeit im gleichen Zeitraum kontinuierlich von 20 auf 30 %. Die Hilfen zur Erziehung sind in den regionalen Jugendhilfeszenen sehr unterschiedlich ausgebaut. Sowohl die unterschiedliche Wahrnehmung der Gestaltungsspielräume durch die öffentliche Jugendhilfe als auch die verschiedenen regionalen Gegebenheiten (Großstädte, Städte, ländliche Regionen) stellen Gründe hierfür dar.

Soziale Gruppenarbeit gewinnt an Bedeutung

Die Bezeichnung »Soziale Gruppenarbeit« umfasst gruppenpädagogische Angebote, die unter unterschiedlichen Bezeichnungen, wie soziale Trainingskurse, Übungs- und Erfahrungskurse, Erziehungskurse etc., entwickelt wurden. Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII, § 29) soll die Teilnahme an sozialer Gruppenarbeit älteren Kindern und Jugendlichen bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensproblemen helfen. Generelles Ziel dieser Gruppenangebote ist die Verbesserung der sozialen Handlungskompetenz. Mehr als bei den anderen Hilfearten ist hier der junge Mensch selbst der Adressat: Durch die auf Freiwilligkeit beruhende Teilnahme soll er lernen, die eigene Problemlage in der Familie oder in seinem sozialen Umfeld zu erkennen und zu bewältigen. Die soziale Gruppenarbeit stärkt das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen der Kinder und Jugendlichen. Sie nimmt Einfluss auf das Wohlbefinden, die Wertbildung und die Übernahme von Rollenfunktionen. Sie vermittelt alternative Handlungsstrategien und kann helfen, Verhaltensänderungen des jungen Menschen auf Dauer zu stabilisieren. Im Unterschied zum Erziehungsbeistand und Betreuungshelfer wirkt diese Form der Hilfe zur Erziehung weniger auf das familiäre und soziale Umfeld ein. Voraussetzung für die soziale Gruppenarbeit ist es daher auch, dass die Familie noch ausreichend tragfähig ist, um das Ziel der Hilfe nicht infrage zu stellen.

In den letzten 10 Jahren hat die soziale Gruppenarbeit in Baden-Württemberg immer mehr an Gewicht gewonnen. 1992 wurden nur 529 junge Menschen durch soziale Gruppenarbeit betreut, 2002 waren es 3 234. Nahezu unverändert geblieben ist das Geschlechterverhältnis. Seit Mitte der 90er-Jahre liegt der Anteil der männlichen Teilnehmer in der sozialen Gruppenarbeit bei gut zwei Drittel. Wie in anderen Bereichen der Jugendhilfe übernehmen auch bei der sozialen Gruppenarbeit immer häufiger freie Träger die Hilfeleistungen. Im Jahr 2002 lag ihr Anteil bei 65 %, 5 Jahre zuvor waren es noch 42 % gewesen.

In der Praxis gibt es sehr unterschiedliche Konzepte, was Dauer, Zahl und Alter der Teilnehmenden oder das Ziel und die konkrete Ausgestaltung sozialer Gruppenarbeit anbelangt. Gemeinsame Basis ist die Arbeit mit gruppenpädagogischen Methoden. Hier gibt es zum einen handlungs- und erlebnisorientierte Ansätze (Freizeitpädagogik), bei denen das erfahrungsbezogene Lernen, also Lernen auf der Basis eigener Aktivitäten, im Vordergrund steht. Zum anderen existieren themenorientierte Ansätze, die eine verbale Auseinandersetzung mit Themen, welche die Teilnehmenden betreffen oder die diese selbst einbringen, in den Mittelpunkt stellen. Auch Mischformen aus beiden Ansätzen werden praktiziert. In der Organisationsform können zeitlich begrenzte Kurse (feste Struktur, thematische Vorgaben) von fortlaufenden Gruppen (langfristig angelegt, Ein- und Ausstieg jederzeit möglich) unterschieden werden.

Zahl der jüngeren Kinder in der sozialen Gruppenarbeit gestiegen

Die Soziale Gruppenarbeit ist – erklärtermaßen – eine primär auf ältere Kinder und Jugendliche ausgerichtete Hilfeart. Eine bestimmte Altersgrenze wird durch das Gesetz jedoch nicht festgelegt. In Baden-Württemberg haben vor allem die unter 15-Jährigen an Bedeutung gewonnen. Während ihr Anteil 1992 noch bei 32 % lag, sind heute 77 % der jungen Menschen, die erzieherische Hilfe in Form von sozialer Gruppenarbeit erhalten, jünger als 15 Jahre (Schaubild 2). Fast die Hälfte (47 %) von ihnen ist sogar unter 12 Jahre alt. Im Bundesländervergleich zeigt sich: Nur in Berlin gibt es einen ähnlichen hohen Anteil (72 %) der unter 15-Jährigen in der sozialen Gruppenarbeit, allerdings bei deutlich niedrigerem Anteil (34 %) der unter 12-Jährigen. Deutschlandweit stellen die unter 15-Jährigen 51 % der jungen Menschen, die an einer sozialen Gruppenarbeit teilnehmen.

Die Teilnahme von Jüngeren an der sozialen Gruppenarbeit setzt ein geeignetes methodisches Vorgehen voraus. Steht die verbale Auseinandersetzung im Mittelpunkt der sozialen Gruppenarbeit, dürfte eine Mitarbeit für jüngere Kinder eher schwierig sein. In Betracht kommen eher handlungs- und erlebnisorientierte Ansätze im Sinne der Freizeitpädagogik, da sie durch die Integration von Spiel, Sport, Ausflügen etc. stärker an den Bedürfnissen der Kinder orientiert sind. Auch Mischformen aus den beschriebenen Ansätzen sind für jüngere Kinder geeignet. Dementsprechend könnte der relativ hohe Anteil der unter 12-jährigen Kinder in der sozialen Gruppenarbeit auch ein Hinweis auf die methodischen Präferenzen in Baden-Württemberg sein. Allerdings beeinflussen auch regionale Gegebenheiten (wie zum Beispiel die Nähe des Hilfeangebots zum Wohnort der Kinder und Jugendlichen) die Auswahl der Hilfearten in der Regel maßgeblich; dies ruft unweigerlich entsprechende Schwerpunkte hervor.

Erziehungsbeistände und Betreuungshelfer

Die Betreuung junger Menschen durch Erziehungsbeistände oder Betreuungshelfer ist eine ambulante Erziehungshilfe in Form von Begleitung, Beratung und Intervention. Sie wird in § 30 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) geregelt. Während der Begriff des Erziehungsbeistands aus dem Jugendwohlfahrtsgesetz stammt, ist der des Betreuungshelfers neu im SGB VIII. Seine Aufnahme ist notwendig geworden, um Betreuungspersonen einzubeziehen, die im Rahmen des Jugendgerichtsgesetzes bestellt werden. Im Gegensatz zum Erziehungsbeistand werden Betreuungshelfer also aufgrund richterlicher Weisung tätig. Die Aufgabenstellung des Betreuungshelfers entspricht jedoch im Wesentlichen der eines Erziehungsbeistands.

Vornehmliches Ziel der Hilfe ist es, die jungen Menschen bei der Bewältigung von aktuellen Problemen zu unterstützen und ihre Verselbstständigung zu fördern. Erziehungsbeistände oder Betreuungshelfer vermitteln Alltagskompetenzen, unterstützen die Aufarbeitung von belastenden Erfahrungen und fördern den Aufbau stabiler sozialer Kontakte, die den jungen Menschen in positiver Weise beeinflussen. Vielfach konzentriert sich die Tätigkeit der Erziehungsbeistände und Betreuungshelfer auch auf lebenspraktische Hilfen, wie zum Beispiel gemeinsame Gänge zu öffentlichen und privaten Institutionen (etwa Schule, Arbeitsamt, Gericht) oder die Suche nach geeignetem Wohnraum für ältere Jugendliche und junge Volljährige (wie betreute Wohnformen oder Wohngemeinschaften).

Mehr als bei der sozialen Gruppenarbeit handelt es sich bei der Betreuungshilfe und Erziehungsbeistandschaft um eine sozialraumorientierte Hilfe, die das individuelle Umfeld einbezieht (zum Beispiel über Beratungsgespräche mit den Erziehungsberechtigten) und am Erhalt oder der Wiederherstellung einer tragfähigen Beziehung zur Familie orientiert ist. Allerdings kann die Förderung der Verselbstständigung auch zu einer räumlichen Trennung von den Eltern oder Erziehungsberechtigten führen.

Die Erziehungsbeistände werden in Baden-Württemberg nach wie vor mehrheitlich von Fachkräften der öffentlichen Jugendhilfe gestellt. Jedoch ist deren Anteil in den letzten 5 Jahren von 95 % (1997) auf 58 % (2002) gesunken. Bei der Betreuungshilfe ist der Anteil öffentlicher Träger über die Jahre konstant geblieben; sie liegt bei ca. 66 %.

Seit 1998 nimmt die Zahl der jungen Menschen, die Hilfe und Unterstützung durch einen Erziehungsbeistand erhalten, stetig zu. Im Jahr 2002 waren es 2 171 Hilfen, 22 % mehr als im Vorjahr. Die Hälfte dieser Hilfen wurde von Jugendämtern bzw. Allgemeinen Sozialen Diensten veranlasst, ein Viertel von den Eltern oder einem Elternteil. Die größte Gruppe bilden mit 38 % Kinder und Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren, gefolgt von den 12- bis 14-Jährigen mit einem Anteil von 27 %. Nur in 14 % der Fälle handelt es sich um junge Volljährige. Die Altersverteilung innerhalb der Hilfe entspricht damit den Verhältnissen in Deutschland insgesamt.

Die Unterstützung junger Menschen durch Betreuungshelfer nimmt in Baden-Württemberg eher einen geringen Stellenwert ein. Die Zahl der Hilfen hat sich zwar leicht erhöht, im Gesamtgefüge der Hilfen zur Betreuung einzelner junger Menschen ist die Betreuungshilfe heute jedoch von geringerem Gewicht als Mitte der 90er-Jahre. Im Jahr 2002 wurden in Baden-Württemberg 833 junge Menschen durch Betreuungshelfer unterstützt. In 349 Fällen war diese Hilfe durch eine vorangegangene Straftat veranlasst. Vor allem bei Kindern unter 15 Jahren stieg der Hilfebedarf deutlich. Sie stellen heute 32 % der jungen Menschen, die Betreuungshilfe erhalten. Damit hat sich der Anteil der unter 15-Jährigen in den letzten 5 Jahren verdoppelt: 1997 betrug er noch 16 %.