:: 7/2004

Agrarsektor unter 0,8 % – im EU-Vergleich nach Luxemburg der niedrigste Anteil an der Gesamtwirtschaft

Die Bedeutung der Land- und Forstwirtschaft als Wirtschaftsfaktor nimmt im Südwesten mehr und mehr ab. Der Anteil des Agrarsektors an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung, die ein Maßstab für die wirtschaftliche Leistung aller Wirtschaftsbereiche ist, ging in Baden-Württemberg in den letzten Jahren stetig zurück und lag 2003 mit knapp 0,8 % leicht unter dem Bundesdurchschnitt von gut 1 %. Im Vergleich mit den 25 EU-Mitgliedstaaten läge Baden-Württemberg damit vor Luxemburg an der »Spitze« der EU-Länder mit dem geringsten Beitrag der Landwirtschaft zur gesamten Wirtschaftsleistung insgesamt.

Im Jahr 2003 erstellten die hiesigen land- und forstwirtschaftlichen Betriebe Güter und Dienstleistungen im Wert von knapp 2,5 Mrd. Euro.1 Dies entspricht einem Anteil von gut 10 % der insgesamt in Deutschland erzielten Bruttowertschöpfung des Wirtschaftsbereichs Land- und Forstwirtschaft, Fischerei in Höhe von knapp 24 Mrd. Euro. Unter den Bundesländern liegt Baden-Württemberg damit nach Niedersachsen und Bayern mit 19 % bzw. 18 % Anteil und Nordrhein-Westfalen (15 %) an vierter Stelle. Bei leicht rückläufigem Produktionswert und höheren Vorleistungen hat sich die wirtschaftliche Leistung der heimischen Landwirtschaft 2003 erneut stark (5 %) verringert. Gegenüber dem bisherigen Höchststand der landwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung von über 3,1 Mrd. Euro2 im Jahr 2000 fiel die Wirtschaftsleistung im Agrarsektor 2003 somit um gut ein Fünftel zurück. Dementsprechend reduzierte sich auch der Beitrag des Wirtschaftsbereichs Landwirtschaft zur Bruttowertschöpfung insgesamt: In den 90er-Jahren bis einschließlich 2000 noch bei rund 1,1 %, gemessen in jeweiligen Preisen, ist der Anteil des Agrarbereichs an der gesamten Wirtschaftsleistung nunmehr unter 0,8 % gesunken. Unter den Flächenländern weist Baden-Württemberg damit nach Hessen (0,5 %) und Nordrhein-Westfalen (0,7 %) den geringsten Agraranteil an der Gesamtwirtschaft aus. Zum Vergleich: Die Bundesländer mit dem höchsten landwirtschaftlichen Wertschöpfungsbeitrag waren 2003 Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen mit 3,9 % bzw. 2,5 %.3

Allerdings lässt sich die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Agrarbereichs nicht nur auf dessen Anteil an der Bruttowertschöpfung reduzieren. Als Teil der Volkswirtschaft hat der Bereich Landwirtschaft nach wie vor einen beachtlichen Stellenwert. So erzielte die heimische Landwirtschaft 2002 Verkaufserlöse in Höhe von knapp 3 Mrd. Euro, mehr als beispielsweise der Gesamtumsatz der baden-württembergischen Hersteller von Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen mit 2,9 Mrd. Euro. Zudem ist die Landwirtschaft stark mit den übrigen Wirtschaftsbereichen im Land verflochten. Vor allem bei Unternehmen aus Handel, Handwerk und Gewerbe fragen die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe Betriebsmittel, Investitionsgüter sowie Dienstleistungen nach – im Jahr 2002 für knapp 2,8 Mrd. Euro, wovon 0,6 Mrd. Euro auf Investitionen in Maschinen, Geräte und Bauten entfielen.

Darüber hinaus erbringt die Land- und Forstwirtschaft Leistungen, die nicht in die Gesamtrechnungsgrößen eingehen, jedoch einen hohen Beitrag zur Lebensqualität unserer Gesellschaft liefern, wie zum Beispiel die Erhaltung und Pflege einer vielfältigen Kulturlandschaft als Lebens-, Freizeit- und Erholungsraum sowie die Stärkung ländlicher Gebiete als funktionsfähige Siedlungs- und Wirtschaftsräume.

Land- und Forstwirtschaft erzielt erheblichen Produktivitätszuwachs

Stärker noch als der Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung hat sich die Anzahl der Erwerbstätigen im Wirtschaftsbereich Landwirtschaft verringert: 2003 beschäftigte der Agrarbereich hier zu Lande rund 113 000 Personen, ein Drittel oder über 50 000 Personen weniger als Anfang der 90er-Jahre bzw. lediglich noch etwa 2 % der Erwerbstätigen insgesamt (Schaubild 1).

Der Abbau der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft wurde unter anderem durch den Einsatz leistungsstärkerer Landmaschinen und ertragreicherer Pflanzensorten mehr als ausgeglichen. Daher konnte die heimische Agrarwirtschaft im vergangenen Jahrzehnt erhebliche Produktivitätsgewinne verzeichnen. So stieg die reale landwirtschaftliche Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen von 1991 bis 2003 mit einer durchschnittlichen jährlichen Zuwachsrate von mehr als 3,6 % wesentlich stärker als zum Beispiel im Verarbeitenden Gewerbe, das im gleichen Zeitraum lediglich eine jährliche Steigerungsrate von rund 1,3 % verbuchen konnte, oder auch in den Dienstleistungsbereichen Handel, Gastgewerbe, Verkehr, Finanzierung und Unternehmensdienstleister, die im Durchschnitt gar nur einen jährlichen Produktivitätszuwachs von unter 0,8 % erzielten.

Mit ihrem bislang höchsten Stand von rund 27 000 Euro im Jahr 2000 hat sich die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen im Agrarbereich innerhalb eines Jahrzehnts annähernd verdoppelt. Der starke Einbruch des Gesamtwerts der agrarischen Erzeugung unter anderem aufgrund geringerer Getreideerträge, niedrigerer Verkaufspreise für Getreide, Milch und Mastschweine sowie gestiegener betrieblicher Aufwendungen ließ in den letzten Jahren allerdings auch die auf die landwirtschaftlichen Erwerbstätigen bezogene Bruttowertschöpfung wieder deutlich sinken. So besteht trotz der Aufholtendenz noch ein merklicher Rückstand der Land- und Forstwirtschaft gegenüber den anderen Wirtschaftsbereichen: Verglichen mit der im Jahr 2003 in der Gesamtwirtschaft Baden-Württembergs erzielten realen Wirtschaftsleistung von knapp 53 000 Euro je Erwerbstätigen blieb der Agrarbereich mit durchschnittlich weniger als 22 000 Euro deutlich hinter der allgemeinen Entwicklung zurück.

Baden-Württemberg im EU-Vergleich: Weniger Agrarland, stärker industrie- und dienstleistungsorientiert

Mit der Süd- und Osterweiterung der Europäischen Union am 1. Mai 2004 um die zehn neuen Beitrittsländer mit ihren rund 75 Mill. Einwohnern umfasst der EU-Binnenmarkt nunmehr 25 Mitgliedstaaten mit insgesamt 450 Mill. Verbrauchern. Neben den Problemen, die der Zusammenschluss unter anderem aufgrund der Verlagerung von Arbeitsplätzen in die Beitrittsländer mit ihrem vergleichsweise niedrigen Lohnniveau mit sich bringen dürfte, birgt der vergrößerte Absatzmarkt ohne Zollschranken zwischen den alten und den neuen EU-Mitgliedstaaten aber auch Chancen für die hiesige Wirtschaft. Positive Aussichten dürften sich dabei auch für die baden-württembergische Land- und Ernährungswirtschaft abzeichnen. So werden die in den kommenden Jahren in einigen der Beitrittsstaaten zu erwartenden wirtschaftlichen Impulse über steigende Einkommen der Verbraucher zu einer verstärkten Nachfrage nach höherwertigen landwirtschaftlichen Waren und Nahrungsmitteln führen. Vor allem für die Anbieter von Veredlungsprodukten wie zum Beispiel ausgesuchte Fleischwaren und Molkereierzeugnisse bieten sich dann interessante zusätzliche Absatzchancen. Zwar ist der Agrarsektor in den Beitrittsstaaten von erheblich stärkerer Bedeutung als in Baden-Württemberg, jedoch ist das Ertragsniveau im Ackerbau zum Teil deutlich geringer bei schlechteren Qualitäten, und in der Tierhaltung sind ebenfalls noch erhebliche Produktivitätsfortschritte zu bewältigen.

Insgesamt bestehen zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union große Unterschiede hinsichtlich der anteiligen Bedeutung des Wirtschaftsbereichs Landwirtschaft an der gesamten Volkswirtschaft. Mit der Erweiterung der EU um die zehn neuen Mitgliedstaaten sind stärker landwirtschaftlich geprägte Länder hinzugekommen. Ihr Anteil des Agrarbereichs an der Bruttowertschöpfung insgesamt (in jeweiligen Preisen) lag 2003 zusammen im Durchschnitt bei rund 3,5 % verglichen mit 2,0 % in den bisherigen 15 EU-Ländern. Die größte wirtschaftliche Bedeutung hat der Agrarsektor nach diesem Maßstab noch in Litauen mit gut 7 % Wertschöpfungsbeitrag gegenüber weniger als 3 % in Malta. Im Vergleich der 25 EU-Mitgliedstaaten weist Baden-Württemberg mit einem Wertschöpfungsanteil der Land- und Forstwirtschaft von inzwischen weniger als 0,8 % mit den niedrigsten Beitrag des Agrarsektors zur gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftsleistung aus. Lediglich in der Finanz- und Dienstleistungsmetropole Luxemburg ist der Agraranteil an der Bruttowertschöpfung noch geringer. Der Südweststaat zählt demnach eher weniger zu den EU-Agrarländern, sondern zur Spitze der industrie- und dienstleistungsorientierten Regionen Europas (Schaubild 2).

Noch deutlichere Unterschiede als beim Wertschöpfungsbeitrag zeigen sich hinsichtlich der Bedeutung des Agrarsektors zwischen den neuen Mitgliedstaaten und den bisherigen EU-Ländern beim Anteil der Erwerbstätigen im Wirtschaftsbereich Landwirtschaft. Während im Durchschnitt der zehn neuen Länder noch rund 11 % der Erwerbstätigen im Agrarbereich beschäftigt sind, bei einer allerdings großen Schwankungsbreite von weniger als 2 % in Malta bis zu knapp 15 % in Polen bzw. 16 % in Litauen, lag der Durchschnitt für die 15 EU-Länder 2003 unter 3,5 %. In Baden-Württemberg beschäftigt die Landwirtschaft noch rund 2 % der Erwerbstätigen.

2003: Ertragslage verschlechtert sich – Ökobetriebe besser

Die Lage der Landwirtschaft hat sich im Wirtschaftsjahr 2002/2003 markt- und witterungsbedingt merklich verschlechtert. Die baden-württembergischen Landwirte mussten bereits im zweiten Jahr in Folge merkliche Einkommensverluste hinnehmen. Gegenüber dem Vorjahr ging der Gewinn je Unternehmen in den landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetrieben um fast 16 % auf durchschnittlich 29 500 Euro zurück.

Der Unternehmensgewinn der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe in Baden-Württemberg liegt damit knapp über dem Bundesdurchschnitt von rund 27 000 Euro. Die Verschlechterung der Ertragslage in der Landwirtschaft 2002/2003 ist vor allem auf Erlöseinbußen in der Pflanzenproduktion, der Milcherzeugung und Schweinehaltung zurückzuführen. Ausschlaggebend waren spürbar geringere Getreideerträge, niedrigere Verkaufspreise für Getreide, Milch und Mastschweine sowie gestiegene betriebliche Aufwendungen für Saatgut und Energie (Schaubild 3).

Je nach Produktionsschwerpunkt bestehen erhebliche Unterschiede: Die im Land am meisten verbreitete Betriebsform der vorwiegend auf Milcherzeugung und Rindermast ausgerichteten Futterbaubetriebe liegen mit einem durchschnittlichen Unternehmensgewinn von rund 21 700 Euro nach wie vor am unteren Ende der Einkommensskala. Wegen der anhaltend schlechten Schweinepreise im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2002/03 mussten die auf Schweine- und Ferkelproduktion spezialisierten Veredlungsbetriebe mit einem Gewinneinbruch von annähernd 45 % die größten Einkommenseinbußen hinnehmen. Je nach der Preisentwicklung im Schweinemarkt schwanken die Einkommen der Veredlungsbetriebe jedoch von Jahr zu Jahr sehr stark. Höhere Weinmostpreise, ein höherer Ertrag und die gute Qualität der Weinernte 2002 haben die wirtschaftliche Entwicklung der Weinbaubetriebe 2002/03 deutlich verbessert. Mit dem Anstieg ihres Unternehmensgewinns um 17 % auf über 50 000 Euro im Durchschnitt setzten sich die auf Weinbau spezialisierten Dauerkulturbetriebe an die Spitze der Einkommen der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe. Ökobetriebe haben 2002/03 ebenfalls besser abgeschnitten. Gegenüber dem vorangegangenen Wirtschaftsjahr konnten die ökologisch wirtschaftenden Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland (spezifische Landesergebnisse für Baden-Württemberg liegen nicht vor) ihren Gewinn um 0,5 % auf durchschnittlich rund 33 600 Euro je Unternehmen steigern. Die Ökobetriebe erzielten damit immerhin einen um rund 22 % höheren Gewinn als die konventionell wirtschaftenden Betriebe. Da die Schweinehaltung im Ökolandbau nur eine sehr geringe Bedeutung hat, wirkten sich die niedrigen Schweinepreise kaum aus. Dagegen hatte die positive Erlösentwicklung in der Rindermast hier ein größeres Gewicht.

Die Aussichten auf eine Verbesserung der Einkommenssituation der Landwirtschaft im laufenden Wirtschaftsjahr 2003/04 stehen ungünstig. Voraussichtlich werden sich die Einkommen aufgrund der weiter rückläufigen Milchpreise, des anhaltend niedrigen Preisniveaus für Schlachtschweine und Ferkel sowie der geringeren Erzeugerpreise für Mastbullen und Schlachtrinder erneut verschlechtern. Dagegen konnten die durch die extreme Trockenheit im Sommer 2003 bedingten Mengenverluste zumindest bei Getreide und Kartoffeln durch höhere Erzeugerpreise teilweise ausgeglichen werden. Bei steigenden Einkaufspreisen für Saatgut, Dünge- und insbesondere Futtermittel müssen die Landwirte wohl auch im Wirtschaftsjahr 2003/04 mit spürbaren Einkommenseinbußen rechnen, was nicht ohne Auswirkung auf den Strukturwandel in der Landwirtschaft bleiben dürfte.

1 Bruttowertschöpfung in Preisen von 1995.

2 Bruttowertschöpfung in Preisen von 1995.

3 Bruttowertschöpfung in jeweiligen Preisen.