:: 10/2004

Leben in Europa – neue EU-Statistik zu Einkommen und Lebensbedingungen privater Haushalte

Das Arbeitsprogramm der amtlichen Statistik wurde im vergangenen Sommer um eine neue EU-Statistik zu Einkommen und Lebensbedingungen privater Haushalte erweitert, die vor allem fundierte Daten über die Einkommenssituation und Einkommensverteilung, aber auch die unterschiedlichen Lebensbedingungen privater Haushalte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereitstellen soll. Erhebungsdesign und Datenangebot der neuen Erhebung »Leben in Europa« werden im Folgenden dargestellt.

Auf europäischer Ebene wird seit einigen Jahren die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung als politisches Ziel von hoher Priorität verfolgt.1 Armut wird dabei in der begrifflichen Abgrenzung nicht nur in Zusammenhang mit »unzureichenden oder fehlenden« Einkommen oder Vermögen, also materiellen Dingen gesehen, sondern sehr viel umfassender »als Mangel von Zugangschancen« interpretiert. Nach diesem Ansatz gelten Menschen dann als arm, wenn sie über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von der üblichen Lebensweise im jeweiligen Land ausgeschlossen sind, also keinen oder einen eingeschränkten Zugang beispielsweise zu Arbeit, Bildung oder ärztlicher Versorgung haben. In diesem Zusammenhang entstand ein zusätzlicher Bedarf nach vergleichbaren und vor allem aktuellen Daten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der mit der neuen EU-Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen privater Haushalte EU-SILC2 abgedeckt werden soll. EU-SILC, in der Erhebungspraxis als »Leben in Europa« bezeichnet, wird damit künftig die maßgebliche Datenquelle für vergleichbare Informationen über Einkommen, Einkommensverteilung und Lebensbedingungen in der Europäischen Union sein. Mit den Daten können dann Fragestellungen beantwortet werden:

  • nach der Anzahl der Haushalte, die im europäischen Vergleich von Armut betroffen sind,
  • nach der Verteilung der Einkommen,
  • nach der Betreuungssituation von Kindern unter 12 Jahren nicht nur durch Kindertagesstätten, sondern auch durch Tagesmütter oder im Familien- oder Nachbarschaftsverband bzw.
  • nach der Art und Weise, wie die Einkommenssituation die Lebens- und Wohnbedingungen bestimmt.

Auf nationaler Ebene finden die Daten aus EU-SILC aber auch für den jeweils zur Mitte einer Wahlperiode zu erstellenden Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sowie für die alle 2 Jahre zu erarbeitenden nationalen Aktionspläne zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung eine entsprechende Verwendung.

Gesetzliche Grundlagen: ein Bündel von EU-Verordnungen

Erhebungsprogramm und Erhebungsverfahren sind in einem Bündel von EU-Verordnungen geregelt. In der »Basisverordnung« sind zunächst die Grundstrukturen festgelegt, wie die zu erhebenden Themengebiete, die Mindestumfänge der nationalen Stichproben und die Termine der Datenübermittlung an die Kommission.3 Die Datenerhebung hat in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten bereits im Jahr 2004 begonnen, in Deutschland, im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden startet sie allerdings erst im Frühjahr 2005. Hinsichtlich der Finanzierung der neuen Erhebung enthält diese Verordnung eine Regelung, nach der für die ersten 4 Jahre der Datenerhebung ein Zuschuss der Europäischen Union gewährt wird, der allerdings die entstehenden Kosten bedauerlicherweise nicht deckt. Die anzuwendenden Definitionen und zahlreiche erhebungstechnische Details werden durch Durchführungsverordnungen der Kommission unter Beteiligung des Ausschusses für das Statistische Programm festgelegt. EU-SILC umfasst neben dem fixen Erhebungsprogramm auch jährlich wechselnde variable Module, die es ermöglichen, auch Daten für aktuelle Fragestellungen bereitzustellen.

In den Verordnungen sind lediglich die an das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) zu liefernden Daten in Form von so genannten Zielvariablen festgelegt. Manche Zielvariable können unmittelbar aus Erhebungsmerkmalen abgeleitet werden, wie die soziodemografischen Daten, andere Zielvariable müssen unter Verwendung mehrer Angaben der Haushalte zunächst erzeugt werden. Alle Mitgliedstaaten haben zwar die Verpflichtung, vergleichbare Informationen in Form dieser Zielvariablen zu liefern, entscheiden jedoch selbst über das Erhebungsdesign. In Deutschland wird EU-SILC als eigenständige Erhebung durchgeführt.

Wie ist die Erhebung ausgestaltet?

EU-SILC wird in Deutschland als freiwillige Haushaltsstichprobe realisiert. Berücksichtigt werden dabei alle privaten Haushalte und ihre Mitglieder, die zum Erhebungszeitpunkt in Deutschland wohnen. Personen, die in Anstaltshaushalten oder Gemeinschaftsunterkünften leben, werden allerdings nicht einbezogen. Die Stichprobe für EU-SILC wird erstmals bei freiwilligen Haushaltsbefragungen in Deutschland auf Basis einer Zufallsauswahl gezogen. Hierfür wird HAUSHALTE HEUTE genutzt, ein Anschriftenpool befragungsbereiter Haushalte, die sich nach ihrer auskunftspflichtigen Mitarbeit beim Mikrozensus zu einer weiteren freiwilligen Mitwirkung an Projekten der amtlichen Statistik bereit erklärt haben. Da mit dem Aufbau von HAUSHALTE HEUTE erst 2004 begonnen werden konnte, lässt die »Basis-Verordnung« eine schrittweise Umstellung von der bisher bei freiwilligen Haushaltsbefragungen in Deutschland üblichen Quoten- auf eine Zufallsstichprobe zu.4 Die Quotenhaushalte werden aus bereits vorliegenden Anschriftenbeständen mitwirkungsbereiter Haushalte heraus auf eine Teilnahme an EU-SILC angesprochen.

Bundesweit wird der Gesamtstichprobenumfang voraussichtlich bei rund 14 100 Haushalten liegen, auf Baden-Württemberg entfallen rund 1 800 Haushalte. Zur Ausgestaltung des Stichprobenplans werden als Schichtungsmerkmale neben dem Bundesland der Haushaltstyp, die soziale Stellung und das Haushaltsnettoeinkommen gegliedert nach verschiedenen Einkommensklassen genutzt.5

Mit EU-SILC werden Querschnitts- und ausgewählte Längsschnittsangaben erhoben. Haushalte, die sich entscheiden, an »Leben in Europa« teilzunehmen, werden maximal in vier aufeinander folgenden Jahren befragt. Die Erhebung wird postalisch durchgeführt. Jeweils im März erfolgt dabei der Versand der Unterlagen, die neben einem Haushaltsfragebogen auch Personenfragebogen für die Haushaltsmitglieder, die 16 Jahre oder älter sind, umfassen. Für die Mitarbeit erhalten die teilnehmenden Haushalte eine kleine finanzielle Anerkennung.

Was wird erhoben?

Das Erhebungsprogramm ist breit gefächert und umfasst neben demografischen Basisdaten wie der Zusammensetzung des Haushalts nach Alter und Geschlecht auch Fragen zur Wohnsituation, den Kosten rund ums Wohnen und der Situation im Wohnumfeld. Auch Einschätzungen wie etwa Umweltbelastungen durch Verschmutzung oder Lärm fließen mit ein. Von zentraler Bedeutung ist allerdings die Bereitstellung differenzierter Daten zur finanziellen Situation privater Haushalte und zu einzelnen Einkommenskomponenten. Hierbei spielen neben den Einkommen aus Erwerbstätigkeit auch öffentliche Zahlungen wie Kindergeld, Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld eine Rolle, aber auch die Einkommen aus Vermögen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet der Themenkomplex des »Auskommens mit dem Einkommen«. Dabei wird untersucht, ob Zahlungsrückstände oder Schulden vorhanden sind und was sich der Haushalt nach eigener Einschätzung finanziell leisten kann. Fragen zur aktuellen Erwerbsbeteiligung und zur Erwerbsbiografie, der Betreuung von Kindern bis 12 Jahren, der Ausgestaltung der privaten Altersvorsorge und zur Einschätzung des Gesundheitszustands runden das Erhebungsprogramm ab. Als variabler Erhebungsbestandteil ist schließlich für 2005 die Lebenssituation im Elternhaus vorgesehen; damit sollen Daten zur generationenübergreifenden Weitergabe von Armut gewonnen werden.

Wann liegen Ergebnisse vor?

Selbstverständlich werden alle Angaben der mitwirkenden Haushalte streng vertraulich behandelt und sämtliche datenschutzrechtlichen Vorschriften eingehalten. Es ist ein umfassendes Datenangebot für nationale Zwecke geplant. Für größere Bundesländer – also auch für Baden-Württemberg – wird es ein Basisdatenangebot geben. Erste Ergebnisse aus »Leben in Europa« sollen im Frühjahr 2006 vorliegen. In der »Basisverordnung« zu EU-SILC ist zudem die Möglichkeit einer Nutzung der Mikrodaten für wissenschaftliche Zwecke bei Eurostat eröffnet worden.

1 Vgl. Statistik kurz gefasst, Hrsg. Eurostat, Thema 3–14/2001 Bevölkerung und Lebensbedingungen, S.2.

2 EU-SILC: European Survey on Income and Living Conditions.

3 Verordnung (EG) Nr. 1177/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Juni 2003 für die Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC), Amtsblatt der Europäischen Union vom 3. Juli 2003, L 165/1.

4 Der Anteil der Quotenstichprobe soll dabei im Jahr 2005 drei Viertel, im Jahr 2006 die Hälfte und 2007 ein Viertel des Gesamtstichprobenumfangs ausmachen.

5 Beim Haushaltstyp werden Einpersonenhaushalte, Ehepaare ohne /mit Kinder, allein Erziehende und sonstige Haushalte unterschieden. Bei der sozialen Stellung wird nach selbstständig/unselbstständig Erwerbstätigen, Rentnern oder Pensionären und sonstigen Nichterwerbstätigen differenziert.