:: 3/2005

TBC – eine Geißel der Menschheit

Tuberkulose und Cholera, Pest und Pocken, Typhus, Diphtherie und Fleckfieber zogen in den vergangenen Jahrhunderten wie die apokalyptischen Reiter über die Erde und somit auch über das Gebiet des heutigen Baden-Württembergs und vereitelten nicht selten die Pläne von Feldherren und Politikern. Eine so gefährliche Volkskrankheit wie die Tuberkulose ist in letzten 50 Jahren in unserem Bundesland stark zurückgedrängt worden. Ob damit die Gefahr für alle Zeiten gebannt ist, scheint aus heutiger Sicht fraglich.

Häufigste Todesursache um 1900

Tuberkulose – früher in Deutschland als Schwindsucht bezeichnet – ist eine Infektionskrankheit, die durch die Bakterienart Mykobakterium tuberculosis verursacht wird. Die Tuberkulose befällt in erster Linie die Lunge. Von dort aus kann sich die Infektion über die Blutbahn auch auf andere Organe – wie die Knochen, die Harnwege, den Darm und die Haut – im Körper ausbreiten. Die Ansteckung erfolgt in der Regel durch die Einatmung infizierter Speicheltröpfchen. Die Krankheit verlief bis zur Entdeckung und Anwendung von Antibiotika in den meisten Fällen tödlich. So war in den USA die Tuberkulose im Jahr 1900 noch die häufigste Todesursache überhaupt. Im Zeitraum 1902/04 wurden im Deutschen Reich 285 918 Tuberkuloseerkrankte als Zugänge in den allgemeinen Krankenhäusern registriert. Die Gartenlaube, das damals auflagenstärkste illustrierte Blatt Deutschlands, prangert im Heft 1 des Jahrgangs 1891 die durch Tbc verursachten Zustände folgendermaßen an: » Der siebte Teil der Menschheit erliegt der Lungenschwindsucht, dass, um Zahlen in ihrer brutalen Nüchternheit sprechen zu lassen, in Deutschland jährlich durchschnittlich 160 000 Menschen dieser bisher ungezügelten Krankheit zum Opfer fallen, und dass diese sich größtenteils in einem sonst in der Vollkraft der Entwicklung stehenden Lebensalter befinden.« Wie stark die Tuberkulose wütete, zeigt sich auch noch Jahrzehnte später. Laut den Todesursachenstatistiken starben 1923 in Württemberg 3 608 Personen an Tuberkulose; das waren 9,9 % aller Gestorbenen. In Baden erlagen im gleichen Jahr 3 913 oder 12,1 % aller Gestorbenen der Tuberkulose (siehe Tabellen 1 und 2).

Ursachen der Verbreitung

Bei der Zunahme der Tbc ist eine besonders starke Korrelation mit Notzeiten, wie sie in Deutschland nach den beiden Weltkriegen und zur Zeit der Hochinflation der Weimarer Republik herrschten, zu verzeichnen. Ungesunde, feuchte Wohnungen, mangelnde Hygiene, schlechte, oftmals einseitige Ernährung, ungenügende Gesundheitsvorsorge und das Zusammenleben vieler Menschen auf engstem Raum förderten seit Beginn der Industrialisierung die Ausbreitung der Tuberkulose in der westlichen Welt. Welche gesellschaftliche Relevanz diese Krankheit besaß, lässt sich auch daran ermessen, dass zwei der bedeutendsten Dichter Deutschlands des 20. Jahrhunderts ihr breiten Raum in ihrem literarischen Werk einräumten. Thomas Manns »Zauberberg« spielt ausschließlich in einem Schweizer Lungensanatorium und in Carl Zuckmayers Drama »Der Hauptmann von Köpenick« stirbt ein junges Arbeitermädchen an einer damals nicht therapierbaren Tbc.

Anlass zur Hoffnung

Im Wirtschaftswunderland Baden-Württemberg ging die Zahl der an Tuberkulose Erkrankten von 63 600 im Jahr 1953 auf 4 500 im Jahr 1983 drastisch zurück. Die Ursachen für den Rückgang waren neue Medikamente, Röntgen-Reihenuntersuchungen, der Bau neuer und gesunder, das heißt trockener und gut beheizbarer Wohnungen und eine deutliche Verbesserung der Ernährung. Die Tuberkulosekliniken des Landes – wegen ihres quarantäneartigen Ambientes umgangssprachlich auch »Hustenburgen« genannt – schlossen oder verlagerten ihr Aufgabenspektrum. Der Krankheit wurde in Baden-Württemberg wie in allen Industriestaaten der westlichen Hemispäre durch die stationäre Langzeitbehandlung mit den so genannten Antituberkolitika viel von ihrem Schrecken genommen. Die Epidemiologen hofften zum ersten Mal um 1990, die Krankheit zumindest in den Industriestaaten besiegen zu können. Für das Jahr 2003 verzeichnete das Robert-Koch-Institut1 903 neue Fälle von Tuberkuloseerkrankungen in Baden-Württemberg; damit ist auch hier ein dezenter Rückgang auf sehr niedrigem Niveau für die letzen 10 Jahre zu verzeichnen.

Die neue Gefahr durch resistente Erreger

Weltweit stellt die Tbc weiterhin eine riesige Bedrohung dar. Mit derzeit jährlich 2,5 Millionen Todesfällen verursacht Tuberkulose neben Aids global die meisten Opfer unter den Infektionskrankheiten. Im März 2004 warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nachdrücklich vor einer weltweiten Gefahr durch antibiotikaresistente Tuberkulosebakterien. Bereits 50 Millionen Menschen sind mit multiresistenten Stämmen infiziert und jährlich erkranken 300 000 an dieser Form, die mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr behandelt werden kann. In Osteuropa und Zentralasien haben die Antibiotika-Resistenzen erschreckende Ausmaße angenommen. Die Resistenz gegenüber Medikamenten ergibt sich vielfach dadurch, dass die Antibiotika nicht über die gesamte erforderliche Dauer eingenommen werden – sei es wegen der Unachtsamkeit der Patienten, ungenügender medizinischer Ausbildung oder mangelnder staatlicher Unterstützung für die Medikamente. Die Tbc-Bakterien erhalten somit die Möglichkeit, Abwehrkräfte gegen die Wirkstoffe zu entwickeln. Laut dem Robert-Koch-Institut stammt rund ein Viertel der derzeit akut an Tbc erkrankten Menschen in Deutschland aus Zentral- und Osteuropa, fast 6 % dieser ausländischen Patienten leiden an antibiotikaresistenten Formen der Tbc. Dies kann mittelfristig für ein Bundesland wie Baden-Württemberg, dessen Bevölkerung sich durch eine hohe Mobilität in den Bereichen Zuwanderung und Tourismus auszeichnet, zu einem Problem werden. Nach WHO-Angaben reicht es nicht aus, noch mehr Medikamente in die betroffenen Länder zu schicken oder neue Antibiotika zu entwickeln, vielmehr müssten die antibiotikaresistenten Formen der Tbc mit flächendeckenden Programmen bekämpft und die Menschen aufgeklärt werden, so wie es in Baden-Württemberg und der gesamten Bundesrepublik bei den herkömmlichen Formen der Tbc in den letzten Jahrzehnten gelang.

1 Vgl.: Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2003.