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Das neue Mikrozensusgesetz ab 2005

Der Mikrozensus ist eine gesetzlich angeordnete Stichprobenbefragung, die jährlich bei 1 % aller Haushalte im gesamten Bundesgebiet durchgeführt wird. Seit 1957 stellt diese Repräsentativerhebung zuverlässige statistische Informationen über die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung, der Familien und der Haushalte, den Arbeitsmarkt, die Berufe, die Wohnsituation und die Ausbildung zur Verfügung. Die Ergebnisse des Mikrozensus bilden damit eine unverzichtbare Informationsquelle für die Entscheidungsträger in Politik, Verwaltung und Wirtschaft, für die Wissenschaft und nicht zuletzt auch für die Bürgerinnen und Bürger.

Am 1. Januar 2005 trat ein neues Mikrozensusgesetz1 in Kraft. Die wesentlichste Änderung gegenüber den früheren Mikrozensusgesetzen ist die Umstellung vom Berichtswochenkonzept auf eine kontinuierliche Erhebungsform. Ferner enthält das Gesetz eine Reihe von zusätzlichen Merkmalen sowie eine Regelung, die ein flexibles Reagieren auf aktuelle Datenanforderungen grundsätzlich ermöglicht. Gleichzeitig wurden jedoch bewährte methodische Vorgehensweisen – wie zum Beispiel die Auskunftspflicht – beibehalten.

Mikrozensus seit 1957 – ein Rückblick

Seit In-Kraft-Treten des ersten Mikrozensusgesetzes 1957 gilt der Mikrozensus als verlässliche Datenquelle, die jährlich schnell und Kosten sparend bevölkerungs- und erwerbsstatistische Daten bereitstellt. Lediglich in den Jahren 1983 und 1984 wurde die Mikrozensuserhebung als Folge der Auseinandersetzung um die für 1983 geplante und 1987 durchgeführte Volkszählung ausgesetzt. Im Rahmen des Mikrozensus wird bundesweit jährlich 1 % der Haushalte befragt. Ein objektives mathematisches Zufallsverfahren garantiert, dass alle Haushalte die gleiche Auswahlchance haben. Nach derzeitigen Bevölkerungszahlen werden somit jährlich bundesweit rund 370 000 Haushalte mit 820 000 Personen, in Baden-Württemberg ca. 45 000 Haushalte mit rund 100 000 Personen befragt. Die Haushalte bleiben bis maximal 4 Jahre in der Befragung. Dieses Verfahren stellt einen Kompromiss dar hinsichtlich der Belastung der auskunftspflichtigen Haushalte und der Möglichkeiten aussagekräftiger Auswertungen im Zeitvergleich. Da der Mikrozensus als Mehrzweckstichprobe mit vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten konzipiert ist – so können beispielsweise die Daten des Mikrozensus nicht nur auf der Individualebene, sondern auch im Haushalts- oder Familienzusammenhang dargestellt werden –, kann der breite Informationsbedarf von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft zufrieden stellend bedient werden.

Seit 1968 wird der Mikrozensus zusammen mit der Arbeitskräfteerhebung der Europäischen Union durchgeführt. Da Frageprogramm und Erhebungsmethode beider Erhebungen weit gehend übereinstimmen, konnten die Fragen der EU-Arbeitskräfteerhebung in den Mikrozensus integriert werden. Damit werden erhebliche Mehrkosten und die Belastung der Bürger durch eine weitere amtliche Erhebung vermieden.

Die im Rahmen des Mikrozensus bzw. der EU-Arbeitskräfteerhebung erhobenen Daten zur Erwerbsstruktur basieren auf dem so genannten »Labour-Force-Konzept« der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Damit ist gewährleistet, dass zur Erwerbsbeteiligung international vergleichbare Daten produziert werden, die aufgrund der immer stärkeren internationalen Verflechtungen eine zunehmend höhere Bedeutung erlangen. Die Ergebnisse des Mikrozensus und der EU-Arbeitskräfteerhebung haben auch insofern einen besonderen Stellenwert, weil auf ihrer Grundlage über die Vergabe von Geldern aus den Sozial- und Regionalfonds der EU entschieden wird.

Umstellung auf den unterjährigen Mikrozensus seit 1. Januar 2005

Seit Beginn der Mikrozensusbefragungen im Jahr 1957 bis einschließlich 2004 wurde der Mikrozensus nach dem so genannten Berichtswochenkonzept durchgeführt: Berichtswochenkonzept bedeutet, dass jedes Jahr eine Woche bestimmt wurde, auf die sich die meisten Angaben der Befragten bezogen – dies war in der Regel eine feiertagsfreie Woche Ende April oder Anfang Mai. Nach Ablauf dieser Berichtswoche wurden die Haushalte zur Situation in dieser Berichtswoche befragt, das heißt, die Befragung spiegelt die Situation einer Woche im Jahr wider. Für die Erfassung relativ stabiler Strukturen (wie zum Beispiel der »Normalarbeitsverhältnisse«) gilt das Berichtswochenkonzept als zuverlässiges und anerkanntes Erhebungskonzept. Da ein Themenschwerpunkt des Mikrozensus jedoch in der Darstellung von Arbeitsmarktdaten liegt und der Arbeitsmarkt durch die zunehmende Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen immer schneller verlaufenden Wandlungsprozessen unterliegt, wird das Geschehen auf dem Arbeitsmarkt mit dem unterjährigen Erhebungskonzept umfassender dargestellt.

Mit dem Umstieg auf das unterjährige Erhebungskonzept werden die Schwächen des Berichtswochenkonzepts vermieden: Ziel ist es, nicht nur eine Woche des Jahres, sondern alle Wochen des Jahres abzubilden. Dazu wird der Stichprobenumfang (in Baden-Württemberg rund 45 000 Haushalte) möglichst gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt befragt. In Baden-Württemberg werden nach derzeitigem Stichprobenumfang jede Woche rund 865 Haushalte befragt. Die Berichtswoche ist »gleitend«, das heißt, die Fragen beziehen sich jeweils auf die Woche vor dem Interview.

Die Forderung, den Mikrozensus zukünftig als unterjährige Erhebung durchzuführen, geht letztlich auf die Initiative der EU zurück. Seit 1998 schreibt die EU-Verordnung zur Durchführung der EU-Arbeitskräfteerhebung 2ein unterjähriges Erhebungskonzept vor. Da in Deutschland die EU-Arbeitskräfteerhebung zusammen mit dem Mikrozensus erhoben wird, war von dieser EU-Vorgabe auch der Mikrozensus tangiert. Deutschland hat in den letzten Jahren lediglich noch auf Basis einer Ausnahmegenehmigung die EU-Arbeitskräfteerhebung nach dem Berichtswochenkonzept durchgeführt. Nach einer Organisationsuntersuchung zur Unterjährigkeit im Rahmen des Mikrozensus 2000 beschlossen die Amtsleiter der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, mit dem ab 2005 notwendig werdenden neuen Mikrozensusgesetz den Übergang vom Berichtswochenkonzept auf einen unterjährigen Mikrozensus mit gleitender Berichtswoche einzuführen.

Mit der Umstellung auf das unterjährige Erhebungskonzept ab dem 1. Januar 2005 erwartet man eine bessere Datenqualität in dem Sinne, dass statt einer Momentaufnahme (Berichtswochenkonzept) ein Gesamtabbild der Erwerbsbeteiligung eines Jahres produziert wird, da saisonale Spitzen und flexible Arbeitsverhältnisse, bei denen bislang eine gewisse Untererfassung bestand, in die Ergebnisse des Mikrozensus einfließen können. Ein weiterer Vorteil des neuen Erhebungskonzeptes liegt in der Aktualität: Mit der Umstellung auf eine unterjährige Erhebung können neben Jahresergebnissen auch Quartals- und Monatszahlen bereitgestellt werden, mit anderen Worten, man bekommt aktuellere Daten.

ILO-Arbeitsmarktstatistik – Bereitstellung monatlicher international vergleichbarer Arbeitsmarktdaten

Die Rahmenbedingungen der Arbeitsmarktpolitik haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert: War Arbeitsmarktpolitik noch in den 70er-Jahren in erster Linie eine nationale Angelegenheit, so muss sie heute im Kontext einer zunehmenden Europäisierung und Globalisierung gesehen werden. Der deutsche Arbeitsmarkt endet nicht mehr an den Landesgrenzen, sondern steht in Konkurrenz mit der Arbeitsmarktentwicklung in der Europäischen Union und weltweit. Dies bedeutet, dass international vergleichbare Arbeitsmarktdaten immer wichtiger werden. Der Mikrozensus bzw. die EU-Arbeitskräfteerhebung stellen zwar bereits seit Jahren international vergleichbare Daten zur Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit bereit, bislang standen jedoch nur einmal jährlich Daten zur Verfügung. Zukünftig wird das Statistische Bundesamt monatlich international vergleichbare Daten zur Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit veröffentlichen.

Neuer Merkmalskatalog ab 2005

Das neue Mikrozensusgesetz bringt nicht nur die Umstellung auf das kontinuierliche Erhebungskonzept, sondern auch einen veränderten Merkmalskatalog mit sich. Das neue Gesetz ist im Juni 2004 nach sehr kontroversen Diskussionen zwischen Bund und Ländern verabschiedet worden. Umstritten waren sowohl Frageninhalte als auch der Umfang des Fragenkatalogs. Seitens des Bundes war ein sehr umfangreicher Fragenkatalog vorgelegt worden. Die meisten Länder waren der Ansicht, dass der Fragenkatalog möglichst nicht noch weiter ausgeweitet werden sollte, um die Akzeptanz der Mikrozensusbefragung nicht zu gefährden. Das neue Gesetz stellt eine Kompromisslösung dar. Dennoch ist der Umfang des Fragebogens – auch aufgrund zusätzlicher Datenanforderungen seitens der EU – stark gewachsen. Neu hinzugekommen sind zum Beispiel Fragen zur Migration. Die Ausweitung des Fragenkatalogs wurde jedoch auch dadurch verursacht, weil Merkmale, die bisher nur alle 4 Jahre erhoben wurden, nach dem neuen Gesetz jedes Jahr im Programm sind.

Mit § 13 enthält das neue Mikrozensusgesetz außerdem eine Regelung, die ein flexibles und relativ unbürokratisches Reagieren auf aktuelle Datenanforderungen ermöglicht: So können neue Erhebungsmerkmale eingeführt werden, wenn dies zur Deckung eines geänderten Datenbedarfs erforderlich ist und durch gleichzeitige Aussetzung anderer Merkmale eine Erweiterung des Erhebungsumfangs vermieden wird. Zudem können einzelne Erhebungsmerkmale ausgesetzt werden, die Periodizität verlängert, Erhebungszeitpunkte verschoben und der Kreis der Befragten eingeschränkt werden, wenn die Ergebnisse nicht mehr oder nicht mehr in der ursprünglichen Ausführlichkeit oder Häufigkeit gebraucht werden.

Technische Neuerungen

Aus der Bereitstellung von Monats- und Quartalsdaten resultiert ein erhöhter Termindruck. Bis einschließlich 2004 wurden ausschließlich Jahresergebnisse produziert. Nach dem neuen Mikrozensusgesetz müssen jeden Monat zu einem festgelegten Termin Daten an das Statistische Bundesamt geliefert werden. In den Statistischen Landesämtern wird der höhere Termindruck bei der Datenerhebung und -aufbereitung dadurch kompensiert, indem die Interviewer nicht mehr mit Papierfragebögen arbeiten, sondern ausschließlich mit elektronischen Fragebögen auf Laptops. Die erhobenen Daten werden arbeitstäglich per Datenfernübertragung von den Interviewern an das Statistische Landesamt geliefert.

Bewährte methodische Verfahrensweisen bleiben erhalten

Das neue Mikrozensusgesetz bringt jedoch nicht nur Veränderungen mit sich. Methodische Vorgehensweisen, die sich bewährt haben, bleiben bestehen. Dies betrifft vor allem den Auswahlplan, die Auskunftspflicht und den Methodenmix von mündlicher und schriftlicher Befragung. Der Mikrozensus wird auch weiterhin auf der Basis des Auswahlplans von 19903 nach dem Prinzip einer einstufigen Flächenstichprobe durchgeführt. Nach einem mathematischen Zufallsverfahren wurden Gebäude bzw. Gebäudeteile ausgewählt. Die Haushalte, die in den ausgewählten Gebäuden oder Gebäudeteilen wohnen, sind auskunftspflichtig. Um die hohe Qualität und Genauigkeit der Mikrozensusergebnisse zu gewährleisten, ist auch im neuen Mikrozensusgesetz die Auskunftspflicht verankert. Die Auskunftspflicht erstreckt sich über maximal 4 Jahre. Dieses Verfahren stellt einen Kompromiss dar hinsichtlich der Belastung der auskunftspflichtigen Haushalte und der Möglichkeiten aussagekräftiger Auswertungen im Zeitvergleich. Das neue Mikrozensusgesetz sieht ferner den bewährten Methodenmix von mündlicher Befragung durch Erhebungsbeauftragte und schriftlicher Befragung, bei der die Befragten auf Wunsch den Fragebogen selbst ausfüllen können, vor. Dieser Methodenmix gewährleistet das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Befragten im Rahmen der gesetzlichen Regelungen, dient aber auch dazu, eine hohe Ausschöpfung der Mikrozensusstichprobe zu erzielen.

Fazit

Das neue Mikrozensusgesetz ab 2005 markiert vor allem aus methodischer, aber auch aus technischer und organisatorischer Sicht eine neue Phase in der nun fast 50-jährigen Erfolgsgeschichte des Mikrozensus. Für die Statistischen Landesämter und das Statistische Bundesamt stellt die Umstellung auf das unterjährige Erhebungskonzept mit den damit verbundenen technischen und organisatorischen Neuerungen eine große Herausforderung dar, die jedoch aufgrund der Aufgabenstellung der amtlichen Statistik – nämlich als Informationsdienstleisterin aktuelle, objektive, neutrale und nach den neuesten wissenschaftlichen Kenntnissen erhobene Daten anzubieten – gerechtfertigt ist.

1 Gesetz zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt sowie die Wohnsituation der Haushalte (Mikrozensusgesetz 2005 – MZG 2005) vom 24. Juni 2004 (BGBl. I S. 1350).

2 Verordnung (EG) Nr. 577/98 des Rates vom 9. März 1998 zur Durchführung einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in der Gemeinschaft (Amtsblatt der EG Nr. L 77 vom 15. März 1998, S. 3).

3 Frank, Eberhard/ Kafurke, Andrea: Die Mikrozensusstichprobe ab 1990 auf neuer Auswahlgrundlage, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl, Heft 4/1990, S. 154-164.