:: 4/2005

Die »Hitzetoten« des Jahres 2003

Im Sommer 2003 waren die Medien voll von Berichten über die Auswirkungen der außergewöhnlichen Hitzewelle, die weite Teile Europas erfasst hatte. Zunächst stand vor allem Frankreich und dort in erster Linie Paris im Blickpunkt. Aber zunehmend geriet auch Deutschland und vor allem sein südlicher Teil in den Mittelpunkt des Interesses. Überall wurde vom Hitzetod gesprochen – einem Phänomen, dass sich offensichtlich nicht weiter konkretisieren ließ. Es war zu hören, dass vor allem alte Menschen gefährdet seien, und vor allem wurde bedauert, dass die amtliche Statistik nicht sofort mit Ergebnissen aus ihrer Todesursachenstatistik aufwarten konnte. Das aber beruhte (und beruht immer noch) auf der Konzeption dieser Statistik. Aus verschiedenen Gründen lässt sie sich nicht als ein Instrument gebrauchen, mit dessen Hilfe praktisch zeitgleich auf Ereignisse reagiert werden kann. Nur die Vollzähligkeit der Sterbefälle und der dazugehörenden Todesursachen schafft die Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige und verlässliche Statistik.

Der groß erscheinende zeitliche Versatz, mit dem die Auswertung über die Mortalität des Jahres 2003 erfolgt, hat seinen Grund. Es ist sinnvoll, die Sterbefälle des aktuellen Berichtsjahres nicht nur mit denen des Vorjahres, sondern auch, soweit es vertretbar erscheint, mit denen des folgenden Jahres zu vergleichen. Für 2004 lag zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses zwar kein Jahresergebnis vor, aber die Monate bis Oktober waren von der Zahl der Verstorbenen (ohne Todesursache) abgeschlossen. Dadurch bietet sich zumindest bis zum Ende der Sommermonate des Folgejahres von 2003 eine zusätzliche Vergleichsmöglichkeit.

Als Problem erwies sich in der Diskussion um die »Hitzetoten«, den während dieser Periode vermuteten Verstorbenen schon vorab eine zutreffende Todesursache zuzuordnen. Terminologisch kam man über den unklaren Begriff »Hitzetod« im Allgemeinen nicht hinaus. Bei der laufenden Verarbeitung der Todesbescheinigungen gab es allerdings so gut wie keine Angaben zu Todesursachen, die explizit auf die Einwirkung von ungewöhnlicher Wärme hingewiesen hätten. Zunächst konnte wenig mehr festgestellt werden, als dass die Zahl der Todesfälle insgesamt angestiegen war. So bewegte sich die öffentliche Diskussion weit gehend im spekulativen Bereich, hauptsächlich genährt von Zahlen und Feststellungen, die aus Frankreich vorlagen und von denen nicht so ganz klar war, wie sie denn zustande gekommen sind. Mit der Sommerhitze verflog dann aber auch rasch der Sensationswert der Ereignisse zu beiden Seiten des Rheins.

Deutlich mehr Todesfälle als im Vorjahr

Mitte des Jahres 2004 konnte die amtliche Statistik erstmals abgesicherte Zahlen zu Sterbefällen einschließlich der zugeordneten Todesursachen vorlegen. Danach starben 2003 landesweit 97 229 Menschen. Gegenüber dem Vorjahr bedeutete dies einen Anstieg um 2 119 Todesfälle (+ 2,2 %). Nach Jahren eines stetigen Rückgangs der Sterbefälle war zuvor schon 2002 im Vergleich mit 2001 eine leichte Zunahme um 1,1 % auf 95 110 zu verzeichnen gewesen.

Sterbefälle verteilen sich nie gleichmäßig auf die einzelnen Monate des Jahres. In der Regel haben wir es mit einer Spitze um die Jahreswende, die hier im Detail nicht weiter untersucht werden soll, und – unterjährig – während der folgenden Wintermonate zu tun. Hier können zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Zeiträumen nochmals starke Anstiege festgestellt werden. Danach ist ein deutliches Absinken der Werte zu beobachten, die dann bis November in eher flachen Wellenlinien verlaufen. Eine gravierendere Abweichung zeigte sich in den vergangenen 5 Jahren lediglich im Jahr 2000, wo der Scheitelpunkt bereits von Dezember 1999 auf den darauf folgenden Januar mit über 10 000 Toten überschritten wurde, die Kurve dann bis zur Jahresmitte ununterbrochen abfiel, um von da an wieder leicht anzusteigen (Schaubild 1).

Tatsächlich präsentierte sich das Jahr 2003 in dieser Hinsicht zunächst durchaus typisch. Neben dem üblichen Anstieg um die Jahreswende 2002/2003 mit circa 8 500 Toten überschritten der Februar und März dieses Ergebnis um rund 1 000 Fälle und markierten damit den Spitzenwert des gesamten Jahres. Danach war ein steiles Absinken der Todesfallkurve zu beobachten, dem zunächst eine plateauähnliche Phase bis in den Frühsommer folgte. Hier blieb die Zahl der Todesfälle konstant bei etwa 7 750. Der August brachte dann einen jähen Anstieg der Zahl der Verstorbenen auf fast 8 900, was – einmal abgesehen von der Jahreswende – zu der zweiten markanten und im Vergleich mit den Vorjahren untypischen Spitze des Jahres 2003 führt. Danach ist wiederum ein steiles Abfallen der Kurve auf jahreszeitlich zu erwartende Werte festzustellen.

Die maßgeblichen Todesursachen

Auf das Jahr gesehen haben die Haupttodesursachen, nämlich die Kreislauferkrankungen, die bösartigen Neubildungen (Krebs) und die Atemwegserkrankungen mit rund 45 %, 24 % und 6 % weit gehend stabile Anteile an den Todesursachen insgesamt. Danach folgen Krankheiten des Verdauungssystems, Sterbefälle infolge äußerer Ursachen sowie Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten. Daran hat sich auch 2003 im Prinzip nichts geändert. Allerdings verteilten sich die 2 119 Sterbefälle, die gegenüber 2002 zusätzlich zu beklagen waren, nicht ganz proportional auf die Anteile der einzelnen Gruppen. In absoluten Zahlen ausgedrückt wurden 935 Kreislaufsterbefälle mehr gezählt und überraschenderweise 966 Tote als Folge von Erkrankungen des Atmungssystems. Mehr Fälle wurden auch infolge Erkrankungen des Verdauungs- sowie des Urogenitalsystems registriert (zwischen 260 und 270). Um 120 stieg die Todesfallzahl nach äußeren Ursachen an. Dagegen verstarben an Krebs 372 Personen weniger als noch im Vorjahr.

So kann es kaum überraschen, dass es gerade die zahlenmäßig dominierenden Todesursachengruppen sind, die über Zu- und Abnahmen der Sterbefallzahlen sowohl aufs Jahr als auch auf die einzelnen Monate bezogen entscheiden. Ausnahmen davon könnten sich schlimmstenfalls aus Epidemien, Naturkatastrophen und Krieg ergeben. Nachdem Epidemien immer durch ansteckende Krankheiten hervorgerufen werden, stellt sich die Frage, ob man die Hitzewelle des Sommers 2003 als Naturkatastrophe bezeichnen kann. Immerhin starben in dem Zeitraum Juli und August über 1 800 Menschen mehr als im Vorjahr. Ein Wesenszug von Naturkatastrophen besteht darin, dass sie eine Bevölkerung unterschiedslos trifft oder aber ihrem Wesen nach nur bestimmte Teile der Bevölkerung besonders in Mitleidenschaft zieht.

2003 – ein Jahr mit zwei Sterbegipfeln

Der monatliche Verlauf der Sterbefälle nach Ursachen zeigte 2003 die prägende Funktion der Kreislauferkrankungen. Sie gaben die Wellenbewegungen mit ihren Gipfeln und Tälern gleichsam in einer kleineren Skala vor. Aber selbst die in diesem Jahr insgesamt rückgängigen Sterbefälle infolge bösartiger Neubildungen vollziehen die Entwicklung dergestalt mit, dass auch bei ihnen in den fraglichen Wintermonaten und Sommermonaten erhöhte Werte vorlagen (Schaubild 2). Diese Feststellung lässt sich vor allem für den August zu allen Ursachengruppen treffen, nicht dagegen für Februar und März. Besonders ausgeprägt war in den fraglichen Monaten die Zunahme bei den Kreislauferkrankungen und den Erkrankungen des Atmungssystems. In den beiden Perioden mit überhöhter Sterblichkeit nahmen diese beiden Gruppen um 1 137 und 732 bzw. 473 und 283 Todesfälle zu. Auffällig ist die hohe Beteiligung der Pneumonie am Ergebnis der Atemwegserkrankungen in diesen Zeiträumen. Sie allein nahm in 387 und 338 Fällen einen tödlichen Ausgang, was für diese Ursache gegenüber dem Vorjahr 174 bzw. 163 Sterbefälle mehr bedeutet. 89 Menschen fielen im Verlauf des ersten Jahresgipfels der Grippe zum Opfer. Das sind zwar 82 Fälle mehr als im Vorjahr, aber im direkten Vergleich zur Pneumonie ein doch recht niedriges Ergebnis. Von den prägenden Ergebnissen der beiden beschriebenen Todesursachengruppen abgesehen, sind die Spitzenwerte des Jahres nicht auf das unvermittelte Auftreten einer außergewöhnlichen Häufung einer bestimmten Ursachengruppe oder Einzelursache zurückzuführen. Vielmehr trägt jede Todesursachengruppe weit gehend in Übereinstimmung mit ihrem jeweiligen Gewicht innerhalb des Ganzen vor allem zu dem zweiten Gipfel des Jahres 2003 ihren Teil bei. Für den Sommer bedeutet dies aber nichts anderes, als dass der so genannte Hitzetod viele und bekannte Gesichter hatte (Tabelle).

Mehr alte Menschen – mehr Sterbefälle

Von Sterbefällen infolge Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen sind in der Regel ältere Menschen betroffen. In den vergangenen 5 Jahren waren von den an Kreislauferkrankungen verstorbenen Männern zwischen 58 und 60 % über 74 Jahre alt , von den Frauen zwischen 85 und 88 %. Der jeweils höchste dieser Anteile wurde 2003 erreicht. Von den 17 404 betroffenen Männern befanden sich 60 % in dieser Altersgruppe. Von den 25 326 Frauen waren es 88 %. Gegenüber 2002 bedeutet dies eine Zunahme um 343 bzw. 666 Fälle. Zu den 1 009 Fällen, die in dieser Altersgruppe an Kreislauferkrankungen gegenüber dem Vorjahr zusätzlich verstarben, kommen noch einmal 829 Fälle, um die das Jahresergebnis bei den Atemwegserkrankungen im gleichen Alterssegment das von 2002 übertraf. Diese beiden Gruppen zusammengenommen machten unter den Älteren gut 79 % aller zusätzlichen Sterbefälle des Jahres 2003 aus.

Innerhalb dieser breiten und nach oben offenen Altersgruppe fallen die Ergebnisse wiederum differenziert aus, sobald man die Gruppe in Altersschritte zu 5 Jahren aufteilt und den rechten Altersrand erst bei 85 und mehr Altersjahren öffnet. Diese schmälere nach oben offene Klasse weist 2003 gegenüber dem Vorjahr überraschenderweise sogar 55 Sterbefälle weniger aus. Danach sind von dem Anstieg der Todesfälle in erster Linie die 75- bis 84-Jährigen betroffen. Der Rückgang in der »reduzierten« oberen Altersgruppe resultiert vor allem aus einem Rückgang der Krebssterblichkeit um 329 und der Kreislauftoten um 180, dem eine starke Zunahme von Sterbefällen infolge Erkrankungen der Atemwege (+ 414) und ein weniger starker Anstieg infolge von Erkrankungen der Verdauungsorgane gegenübersteht.

Vorweggenommene Sterbefälle

Nach Jahren rückläufiger Sterbefallzahlen sind nach der Jahrtausendwende wieder zunehmende Werte zu verzeichnen. Einen vorläufigen Höhepunkt innerhalb dieser neuen Phase markierte das Jahr 2003 mit seinen zwei hohen Sterbewellen. Februar und März übertrafen den vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres um 2009 Sterbefälle, Juli und August um 1 833 Fälle. Auffallend folgten diesen Gipfeln Täler, in denen das Vorjahresergebnis unterschritten wird. So sinkt die Zahl der Verstorbenen in den auf den März unmittelbar folgenden Monaten um 587 unter das Vorjahresergebnis und geht im Nachsommer sogar um 1 152 zurück. Per saldo ergibt sich daraus, dass sich die erste Sterbewelle mit einem Plus von 1 422 sehr viel stärker auf das Gesamtergebnis des Jahres 2003 auswirkt als die zweite Welle im Sommer mit 681 zusätzlichen Toten.

Erste und noch vorläufige Ergebnisse der Sterbefälle 2004, denen noch keine Todesursachen zugeordnet sind, zeigen, dass für die vorliegenden Monate Januar bis September bisher deutlich niedrigere Fallzahlen zu erwarten sind als 2003. Diese Ergebnisse bestätigen im Übrigen auch den üblichen Sterbefallgipfel innerhalb der ersten drei Monate des Jahres (Schaubild 3).

Setzt man die zusätzlichen Sterbefälle 2003 mit der Altersstruktur der Verstorbenen in Bezug, so zeigt sich, dass vor allem Menschen ab 75 und mehr Lebensjahren betroffen waren. Die beiden Ereignisgipfel im Winter und Sommer haben so einerseits Sterbefälle nachgeholt und damit vor allem Menschen getroffen, die durch eine wachsende Lebensdauer in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre zunächst zu einer sinkenden Sterblichkeit beigetragen haben. Andererseits wurden im Jahr 2003 aber auch Sterbefälle vorweggenommen. Darauf deuten die starken Rückgänge der Todesfallzahlen jeweils nach den beiden Gipfeln hin. Es ist davon auszugehen, dass innerhalb des Jahres 2003 ein niedrigerer Wintergipfel zu einem höheren Sommergipfel beigetragen hätte. Ältere Menschen, die den Winter dann überlebt hätten, wären der Sommerhitze zum Opfer gefallen. So hat der ungewöhnliche Verlauf dieses Jahres sozusagen zu einer zweimaligen Auslese geführt. Die bei Redaktionsschluss vorliegenden noch vorläufigen Monatsergebnisse der Sterbefälle für 2004 lassen vermuten, dass sich die Ereignisse von 2003 auch in das Folgejahr hinein auswirken werden.

Sommer 2003 war keine Klima- und schon gar keine Naturkatastrophe

Das Jahr 2003 wies nicht nur klimatische, sondern auch demografische Besonderheiten auf. Der ungewöhnlich heiße Sommer und hier vor allem der Monat August führten dazu, dass deutlich mehr Menschen starben als während dieser Jahreszeit üblich. Auf dieses Phänomen konzentriert, geriet erst gar nicht ins Blickfeld, dass es mit großer Regelmäßigkeit in den Wintermonaten eine erste Sterbewelle gibt. Es waren die zwei unterjährigen Sterbefallgipfel, die dazu führten, dass gegenüber dem Vorjahr 2,2 % mehr Todesfälle zu beklagen waren. Betroffen waren vor allem Menschen im Alter von 75 bis 84 Jahren. Sterbealter der Verstorbenen und Verlauf der Todesfallkurve deuten darauf hin, dass es sich sowohl um nachgeholte als auch um vorgezogene Sterbefälle handelte.

Ausschlaggebend waren die Todesursachen infolge von Kreislauferkrankungen und von Atemwegserkrankungen. Bei letzteren spielte die Pneumonie eine unerwartet wichtige Rolle. Eine herausragende Todesursache, die sich explizit auf die Hitze bezieht, wurde nicht festgestellt.

Der Sommer des Jahres 2003 war sicher keine Klima- und schon gar keine Naturkatastrophe. Er stellt mit seinen hohen Temperaturen eine klimatische Besonderheit dar, der große Aufmerksamkeit zuteil wurde – eine Aufmerksamkeit, die zum Beispiel den wiederkehrenden erhöhten Sterbefallzahlen um die Jahreswende und in den Monaten vor Frühlingsbeginn nicht zuteil wird. Offensichtlich werden diese Sterbefälle, soweit bekannt, als typisch für einen Jahresverlauf angesehen. Sollte es hier zu Lande je zu einer gewissen Regelmäßigkeit von sehr heißen Sommern kommen, so dürfte sich dort aller Wahrscheinlichkeit nach ein weiterer Sterbegipfel als fester Bestandteil der monatlichen Verteilung der Todesfälle etablieren.