:: 5/2005

Forschungs- und Entwicklungsintensive Industriezweige in Baden-Württemberg

Forschungs- und Entwicklungsintensive (FuE-intensive) Industriezweige haben in Baden-Württemberg ein überdurchschnittlich hohes Gewicht. Im Jahr 2004 trugen sie hier zu Lande knapp ein Fünftel zur gesamten Wirtschaftsleistung bei, im Bundesdurchschnitt dagegen nur gut ein Zehntel. Im Vergleich mit den nicht FuE-intensiven Industriezweigen hat sich der Technologiesektor Baden-Württembergs seit Mitte der 90er-Jahre deutlich besser entwickelt. Im Jahr 2003 waren erstmals mehr Personen in FuE-intensiven Branchen beschäftigt als in nicht FuE-intensiven Industriezweigen.

Im Zuge der beschleunigten Globalisierung hat sich der internationale Standortwettbewerb seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts erheblich verschärft. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 haben baden-württembergische Industrieunternehmen.1 Teile ihrer Produktionsprozesse in die mittel- und osteuropäischen Länder verlagert. Darüber hinaus nahm die Attraktivität von Produktionsstandorten in Übersee (insbesondere in Lateinamerika und Südostasien) infolge neuer oder verbesserter Informations- und Telekommunikationstechnologien (zum Beispiel Internet) sowie gesunkener Transportkosten zu. Hauptmotive der Unternehmer für die Verlagerung der Produktion ins Ausland sind die Markterschließung und vor allem die Kostenersparnis2 Aufgrund der vergleichsweise hohen Arbeitskosten wird die Zukunft des Industriestandorts Baden-Württemberg daher mit entscheidend davon abhängen, ob die Südwestindustrie in der Lage ist, ständig neue, innovative Produkte herzustellen, die ihr über den gewerblichen Rechtsschutz eine zeitweise Monopolstellung bescheren. Des Weiteren wird es entscheidend darauf ankommen, dass die baden-württembergische Industrie gegenüber den meist billigeren Konkurrenzprodukten aus dem Ausland einen Qualitäts- bzw. Technologievorteil erzielen kann, der für die Kunden die höheren Produktpreise rechtfertigt. Voraussetzung für Produktinnovationen sowie für die Erlangung von Qualitäts- und Technologievorsprüngen sind in der Regel hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung. Im folgenden Beitrag wird daher die Bedeutung und Entwicklung der FuE-intensiven Industriezweige in Baden-Württemberg im Zeitraum 1995 bis 2004 untersucht.

FuE-intensive Industriezweige in Baden-Württemberg von großem Gewicht

Die FuE-intensiven Industriezweige erzielten in Baden-Württemberg 2004 einen Umsatz von ca. 127 Mrd. Euro und beschäftigten im Jahresdurchschnitt knapp 600 000 Personen. An der gesamten baden-württembergischen Industrie repräsentieren die FuE-intensiven Industriezweige bei:

Umsatz57 %,
Beschäftigung51 %.

Ausgehend von ihrem Umsatzanteil an der Gesamtindustrie dürfte sich der Anteil der FuE-intensiven Industriezweige an der gesamten Bruttowertschöpfung der baden-württembergischen Wirtschaft auf schätzungsweise knapp ein Fünftel belaufen.3 Die Bedeutung der FuE-intensiven Industrie ist in Baden-Württemberg deutlich größer als im Bundesdurchschnitt: Die entsprechenden Anteile der FuE-intensiven Industriezweige an der Gesamtindustrie belaufen sich bundesweit auf:

Umsatz45 %,
Beschäftigung41 %.

Der Anteil der FuE-intensiven Industriebranchen an der gesamten Bruttowertschöpfung fällt bundesweit mit gut einem Zehntel nur etwa halb so hoch aus wie in Baden-Württemberg.4 Die Bedeutung der FuE-intensiven Industriezweige für die gesamte Volkswirtschaft ist dabei sogar noch größer, als es diese Anteilsbetrachtung vermuten lässt: Über den Bezug von Vorleistungen aus anderen Branchen und über ihre zentrale Stellung im gesamtwirtschaftlichen Innovationsprozess erhöht sich die Bedeutung der FuE-intensiven Industriezweige zusätzlich. So sind die FuE-intensiven Betriebe über die Lieferung von Technologiegütern an andere Wirtschaftsbereiche und über den Bezug von Vorleistungen eng in die intersektorale Arbeitsteilung eingebunden. Dabei bilden sie das Zentrum der Herstellung neuer Produkte und Verfahren, von denen nachgelagerte Wirtschaftsbereiche, wie zum Beispiel der Dienstleistungssektor, häufig in erheblichem Umfang profitieren.

Schwerpunkt liegt auf Herstellung »Hochwertiger Technik«

Der Schwerpunkt der FuE-intensiven Industriezweige liegt in Baden-Württemberg eindeutig im Segment der »Hochwertigen Technik« (siehe i-Punkt). Die Betriebe dieses Segments, zu dem unter anderem die »Herstellung von Kraftwagen und -motoren« (Kfz-Hersteller), die »Herstellung von Teilen und Zubehör für Kraftwagen und -motoren« (Kfz-Zulieferer) und die »Herstellung von Werkzeugmaschinen« gerechnet werden (Übersicht), erzielten 2004 Umsätze von ca. 110 Mrd. Euro und beschäftigten 503 000 Personen. Dies entspricht rund 86 % der Erlöse und 84 % der Beschäftigten aller FuE-intensiven Industriebetriebe. Dabei macht sich bemerkbar, dass mit DaimlerChrysler, Audi, Porsche, Bosch, ZF Friedrichshafen, Trumpf und Walter – neben vielen anderen – zahlreiche große Unternehmen dieses Segments hier zu Lande ihren Hauptsitz oder große Betriebe angesiedelt haben. Auf der anderen Seite entfällt auf das Segment der »Spitzentechnik« nur ein Anteil von 14 % am Umsatz bzw. von 16 % an der Beschäftigung aller FuE-intensiven Industriezweige. Die Branchen der »Spitzentechnik« erwirtschafteten 2004 mit 96 000 Beschäftigten einen Umsatz von 17 Mrd. Euro. Industriezweige der »Spitzentechnik« sind neben der »Herstellung von Mess-, Kontroll-, Navigations- und ähnlichen Instrumenten und Vorrichtungen« unter anderem die »Herstellung von elektronischen Bauelementen«, die »Herstellung von nachrichtentechnischen Geräten und Einrichtungen« sowie die »Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen« (Übersicht). Bundesweit ist das Spezialisierungsmuster der FuE-intensiven Industrie ähnlich ausgeprägt wie in Baden-Württemberg: Innerhalb der FuE-intensiven Industrie entfielen im Bundesdurchschnitt 2004 jeweils ca. 81 % des Umsatzes und der Beschäftigung auf Industriezweige der Hochwertigen Technik und jeweils rund 19 % auf Industriebranchen der Spitzentechnik.

FuE-intensive Branchen weisen hohes Umsatzwachstum auf

Das Wachstumstempo zwischen FuE-intensivem und nicht FuE-intensivem Sektor der Industrie klafft seit Mitte der 90er-Jahre deutlich auseinander. Während die FuE-intensiven Branchen ihre Umsätze zwischen 1995 und 2004 um 77 % auf rund 127 Mrd. Euro steigerten, legten die nicht FuE-intensiven Industriezweige nur um 15 % auf knapp 98 Mrd. Euro zu. Von dem Umsatzzuwachs der Gesamtindustrie zwischen 1995 und 2004 in Höhe von rund 68 Mrd. Euro entfielen gut 55 Mrd. Euro auf die FuE-intensiven Branchen. Innerhalb des FuE-intensiven Industriesektors war das Wachstum im Segment der »Hochwertigen Technik«, dessen Umsätze um 86 % expandierten, besonders stark. Die Branchen der »Spitzentechnik« erzielten dagegen nur ein nominales Umsatzwachstum von 35 % (Schaubild 1).

In der konjunkturellen Schwächephase der Jahre 2002 und 2003 zeigte sich das Segment »Hochwertige Technik« insgesamt konjunkturresistenter als das Segment »Spitzentechnik«. Während es den Branchen der »Hochwertigen Technik« gelang, auch in diesen Jahren ihren Umsatz zu steigern, gingen die Erlöse im Segment »Spitzentechnik« deutlich zurück. Der Rückgang fiel sogar stärker aus als in den Industrien, in denen FuE als unternehmerischer Aktionsparameter keine überragende Rolle spielt. Ausschlaggebend dafür war in erster Linie der weltweit starke Nachfrageeinbruch nach Gütern der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK). Bei der »Herstellung von nachrichtentechnischen Geräten und Einrichtungen« folgten einem rasanten Wachstum bis 2001 in den beiden darauf folgenden Jahren kräftige Umsatzrückgänge. Trotz einer erneuten Zunahme im Jahr 2004 lagen die Umsätze im vergangenen Jahr nur knapp 32 % über dem Wert von 1995.

Unter den 46 FuE-intensiven Industriezweigen.5 hat sich insbesondere der umsatzstarke Fahrzeugbau, der dem Segment der »Hochwertigen Technik« zugerechnet wird, als Wachstumskern herausgeschält. Die Kfz-Hersteller und Kfz-Zulieferer erzielten Erlöszuwächse von gut 150 % bzw. knapp 140 %, und auch der Umsatzzuwachs des weniger bedeutenden »Schienenfahrzeugbaus« lag im dreistelligen Prozentbereich. Aus diesen Branchen hat der Bereich »Hochwertige Technik« seit 1995 in besonderem Maße seine Wachstumskräfte bezogen. Denn von dem gesamten Umsatzzuwachs des Segments »Hochwertige Technik« von knapp 51 Mrd. Euro entfielen gut 36 Mrd. Euro allein auf diese drei Industriezweige. Ohne sie hätte sich das Umsatzwachstum im Segment »Hochwertige Technik« insgesamt auf knapp 42 % mehr als halbiert und wäre damit nur noch wenig höher ausgefallen als im Segment »Spitzentechnik«. Die Tatsache, dass im Vergleich aller FuE-intensiven Industriezweige sieben Branchen der »Hochwertigen Technik« zwischen 1995 und 2004 die ungünstigste Umsatzentwicklung aufwiesen, unterstreicht die überaus heterogene Entwicklung innerhalb dieses Technologiesegments.

Dynamische Entwicklung des Auslandsgeschäfts

Im Zeitraum 1995 bis 2004 entwickelten sich die Auslandsumsätze der FuE-intensiven Industriezweige Baden-Württembergs wesentlich dynamischer als die Inlandserlöse, und zwar:

Auslandsumsatz+126 %,
Inlandsumsatz+36 %.

Die Exportquote.6 stieg damit im FuE-intensiven Industriesektor seit 1995 von 45 % auf 58 %. Weniger dynamisch entwickelten sich dagegen seit 1995 die nicht FuE-intensiven Branchen, und zwar:

Auslandsumsatz+65 %,
Inlandsumsatz+2 %.

Durch die größeren Erfolge im Auslandgeschäft stieg die Exportquote auch bei den nicht FuE-intensiven Branchen; sie war 2004 mit gut 13 % aber immer noch deutlich geringer als jene der FuE-intensiven Industriezweige.

Im Vergleich mit den FuE-intensiven Industriezweigen schnitten die nicht FuE-intensiven Branchen seit 1995 auf dem Inlandsmarkt – relativ betrachtet – noch deutlich schlechter ab als im Ausland. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die heimische Industrie gerade auf dem Inlandsmarkt für nicht FuE-intensive Erzeugnisse Marktanteile an billigere Konkurrenten aus dem Ausland verloren haben dürfte. Zudem schränkte die schwache Entwicklung des privaten Konsums in Deutschland das Expansionspotenzial der teilweise sehr konsumabhängigen, nicht FuE-intensiven Industriezweige generell ein. Schließlich dürfte in den gestiegenen Auslandsumsätzen teilweise auch die vor allem bei der Herstellung standardisierter, arbeitsintensiver Produkte intensivierte internationale Arbeitsteilung zum Ausdruck kommen.

Zusätzliche Arbeitsplätze nur bei Herstellern »Hochwertiger Technik«

Analog zur günstigeren Umsatzentwicklung fällt auch die Beschäftigungsbilanz der FuE-intensiven Industriezweige besser aus als jene der nicht FuE-intensiven Branchen. Mit insgesamt knapp 600 000 Beschäftigten waren in den High-Tech-Betrieben Baden-Württembergs 2004 beinahe 41 000 oder gut 7 % mehr Personen beschäftigt als 9 Jahre zuvor. Bei den nicht FuE-intensiven Industriezweigen sank dagegen die Zahl der Beschäftigten um 88 000 Personen bzw. 13 % auf rund 585 000 (Schaubild 2). Der starke Strukturwandel führte dazu, dass im Jahr 2003 erstmals mehr Personen in FuE-intensiven als in nicht FuE-intensiven Betrieben arbeiteten. Diese Differenz hat sich 2004 weiter erhöht. Im Jahr 1995 waren in den nicht FuE-intensiven Industriezweigen noch über 110 000 Personen mehr beschäftigt als im FuE-intensiven Sektor der Industrie.

Innerhalb der FuE-intensiven Industriebranchen waren es aber ausschließlich die Branchen der »Hochwertigen Technik« (siehe i-Punkt), die per saldo Arbeitsplätze schufen. In diesem Technologiesegment nahm die Zahl der Beschäftigten seit 1995 um gut 50 000 auf rund 503 000 Personen zu. Dies entspricht einem Zuwachs von rund 11 %. Maßgeblich dafür war wiederum die günstige Entwicklung bei den Kfz-Herstellern und Kfz-Zulieferern. Andererseits ging die Beschäftigung zwischen 1995 und 2004 in den Branchen der »Spitzentechnik« um knapp 10 000 Personen oder ca. 9 % auf 96 000 Personen zurück. Der Arbeitsplatzabbau im Spitzentechnikbereich erstreckte sich bis auf zwei Ausnahmen auf alle Branchen. Im Allgemeinen wird vom Technologiesektor der Industrie heute kaum mehr eine unmittelbare Lösung der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsprobleme erwartet. Vielmehr dürften die Beschäftigungswirkungen von Innovationen größtenteils indirekt, das heißt bei den Nutzern von Innovationen, insbesondere im wissensintensiven Dienstleistungssektor anfallen.7 In diesem Beitrag wird der Begriff »Industrie« als Synonym für die wirtschaftssystematische Bezeichnung »Verarbeitendes Gewerbe« verwendet.

1 Deutscher Industrie- und Handelskammertag (Hrsg.): Investitionen im Ausland – Ergebnisse einer DIHK-Umfrage bei den Industrie- und Handelskammern, Frühjahr 2005, Berlin, S. 4 f.

2 Dieser Berechnung liegt die Annahme einheitlicher Vorleistungsquoten von forschungs- und nicht forschungsintensiven Industriezweigen zugrunde. Diese Annahme konnte mit Daten zu Produktionswerten und Vorleistungen in Baden-Württemberg und Deutschland für das Jahr 2002 – aktuellere Daten lagen nicht vor – auf der Gliederungsebene der Wirtschaftsabteilungen (WZ 93) bestätigt werden. Daneben wird ein bei forschungsintensiven und nicht forschungsintensiven Industriezweigen identischer Anteil des Werts selbst erstellter Anlagen, der Bestandsveränderungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen aus eigener Produktion und des Eigenverbrauchs am Produktionswert angenommen. Das Volumen dieser Restgrößen ist jedoch vernachlässigenswert gering.

3 Vgl. Fußnote 3.

4 Aus dem Industriezweig »Herstellung und Verarbeitung von Spalt- und Brutstoffen« wird in Baden-Württemberg in der amtlichen Statistik des Verarbeitenden Gewerbes kein Betrieb erfasst.

5 Anteil der Auslandsumsätze an den Gesamtumsätzen.

6 Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Bundesbericht Forschung 2004, S. 514.