:: 5/2005

Arbeitsproduktivität und Lohnstückkosten im Standortvergleich

Was begründet einen Standortvorteil? Die Antwort besteht aus Vorsprüngen gegenüber Konkurrenten bei einer Reihe von Faktoren, wie beispielsweise rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder Zugang zu technologischem Wissen und Innovationsfähigkeit, aber auch »weichen« Bestimmungsgrößen wie Produktdesign und -qualität. Im vorliegenden Beitrag sollen Arbeitsproduktivität und Lohnstückkosten der Gesamtwirtschaft als zwei ausgewählte Standortfaktoren dargestellt werden.

Dabei stellt die Arbeitsproduktivität einen Maßstab für den Leistungsstand einer Volkswirtschaft dar, denn je leistungsfähiger eine Volkswirtschaft ist, desto mehr kann mit einem bestimmten Arbeitseinsatz produziert werden. Die Lohnstückkosten bringen das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Faktors Arbeit zum Ausdruck. Hohe Lohnstückkosten sind per se nicht negativ zu bewerten, sondern können auch Spiegelbild einer hoch qualifizierten Beschäftigtenstruktur und hoher Personalintensität sein. Im internationalen Vergleich liegt die Arbeitsproduktivität Baden-Württembergs knapp 8 % über dem Durchschnitt der EU 25, die Lohnstückkosten entsprechen etwa dem Durchschnitt der EU 25.

Stärkerer Anstieg der Lohnstückkosten als der Arbeitsproduktivität im langfristigen Vergleich

Im Zeitraum von 1970 bis 2004 stieg die Arbeitsproduktivität (vgl. i-Punkt) in Baden-Württemberg um 68 % an, im ehemaligen Bundesgebiet ohne Berlin1 nahm sie um 64 % zu. Der stärkste Anstieg war in Bayern zu verzeichnen, wo die Arbeitsproduktivität in dieser langfristigen Betrachtung um knapp 92 % zunahm. Mit einem Produktivitätswachstum von 41 % war in Nordrhein-Westfalen die geringste Zunahme zu beobachten.

Die Lohnstückkosten (vgl. i-Punkt) stiegen im gleichen Zeitraum in der Südwestwirtschaft um 155 % an, in Westdeutschland waren es 3 Prozentpunkte weniger. In Nordrhein-Westfalen war mit einem Zuwachs von 187 % das stärkste, in Hessen mit 123 % das geringste Anwachsen festzustellen.

Die Entwicklungsmuster der Arbeitsproduktivität und der Lohnstückkosten verliefen in den alten Bundesländern ohne Berlin ähnlich wie in Baden-Württemberg (Schaubild 1). Im Jahr 1970 lag die Arbeitsproduktivität, also das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen, im Südwesten bei knapp 32 500 Euro und damit um knapp 1 100 Euro unter dem Durchschnitt des alten Bundesgebietes. Bis Mitte der 80er-Jahre verlief die Entwicklung im Land und Bund parallel. Ab diesem Zeitpunkt stieg die Produktivität in der Südwestwirtschaft stärker als auf Bundesebene, sodass Baden-Württemberg mit dem Bundesgebiet 1988 gleichzog und dieses in den Folgejahren überholte. Ursächlich hierfür war nicht zuletzt ein Wachstumsschub im Südwesten in den Jahren 1989 bis 1991. Besonders der Dienstleistungsbereich konnte mit Zuwächsen aufwarten, die über dem Bundesdurchschnitt lagen. Dies änderte sich jedoch wieder in der Rezession des Jahres 1993: In Baden-Württemberg nahm die Arbeitsproduktivität um gut 3 % ab, was mehr als dem Doppelten des Rückgangs im alten Bundesgebiet entsprach.

Die kräftigere Abnahme in der Südwestwirtschaft war vor allem auf die nachlassende Auslandsnachfrage im Produzierenden Gewerbe zurückzuführen, wo die Arbeitsproduktivität infolge der hohen Produktionsausfälle um fast 6 % sank. Von 1998 bis 2001 war ein weiterer Wachstumsschub zu beobachten, der allerdings nicht mehr die Zuwächse wie Ende der 80er-Jahre aufwies. So stieg in Baden-Württemberg die Personenproduktivität wieder stärker als im Bundesgebiet an, was diesmal besonders durch Produktivitätssteigerungen im Verarbeitenden Gewerbe begünstigt wurde. Im Jahr 2004 erwirtschaftete ein Erwerbstätiger in Baden-Württemberg mit insgesamt gut 54 600 Euro knapp 500 Euro weniger als ein Beschäftigter im alten Bundesgebiet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass zum einen im Bund mehr Arbeitsplätze als im Land abgebaut wurden und zum anderen die Wirtschaftsleistung im Südwesten im Jahr 2002 um knapp 1 % zurückging, während im ehemaligen Bundesgebiet noch ein leichtes Wachstum zu verzeichnen war.

Arbeitsproduktivität und Lohnstückkosten im Konjunkturzyklus

Bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Baden-Württemberg seit 1970 waren sich wiederholende Verlaufsmuster festzustellen. Die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Arbeitsproduktivität wiesen einen etwa gleichartigen Verlauf auf (Schaubild 1). Jedoch waren jeweils nach den Rezessionen Mitte der 70er-, Anfang der 80er- und Anfang der 90er-Jahre die Zuwächse der Arbeitsproduktivität zunächst höher als die Wachstumsraten des BIP. Durch den Arbeitsplatzabbau infolge der zuvor abnehmenden Wirtschaftstätigkeit nahmen die Wachstumsraten der Arbeitsproduktivität stärker als die des BIP zu. Diese Produktivitätsentwicklung wird auch als Entlassungsproduktivität.2 bezeichnet. In den Jahren zwischen den Rezessionen, wie beispielsweise von 1983 bis 1991 oder von 1996 bis 2001, blieben die Produktivitätsgewinne hinter der BIP-Entwicklung zurück, da Rationalisierungspotenziale zum Großteil bereits in den Rezessionsphasen identifiziert und genutzt wurden.

Bei den Veränderungsraten der Lohnstückkosten ist im Vergleich mit den Wachstumsraten des BIP eine gewisse Phasenverschiebung zu beobachten. Insbesondere ist bemerkenswert, dass zu Beginn rezessiver Phasen die Lohnstückkosten weiter anstiegen, während das BIP-Wachstum bereits abnahm. Der Grund hierfür ist, dass vor Rezessionen – infolge einer positiven Wirtschaftsentwicklung – die Löhne und Gehälter je Arbeitnehmer zunahmen. Die gestiegenen Lohnkosten konnten jedoch nicht durch eine höhere Arbeitsproduktivität kompensiert werden. Vielmehr verschlechtert sich die Arbeitsproduktivität zunächst, weil die Beschäftigung aufgrund der gesetzlichen Vorschriften (zum Beispiel Kündigungsschutz) nur mit zeitlichen Verzögerungen auf die Produktionsausfälle reagiert.

Kräftiger Produktivitätsschub im Bereich Verkehr und Nachrichtenübermittlung

Hinsichtlich der Produktivitäts- und Lohnstückkostenentwicklung auf Wirtschaftsbereichsebene ergibt sich ein sehr differenziertes Bild (Tabelle 1). Den höchsten Produktivitätszuwachs hatte Baden-Württemberg im Bereich Verkehr und Nachrichtenübermittlung zu verzeichnen. Infolge des Informations- und Technologie-Booms stieg hier die Arbeitsproduktivität gegenüber 1991 um 85 % auf gut 75 000 Euro je Erwerbstätigen im Jahr 2002 an. Die Lohnstückkosten sanken durch diese Entwicklung um ein Drittel. Der Wertschöpfungsanteil dieses Wirtschaftsbereichs an der Südwestwirtschaft machte jedoch im Jahr 2002 nur gut 6 % aus. Etwa 30 % der Wertschöpfung in Baden-Württemberg entfällt auf das Verarbeitende Gewerbe, wo 2002 ein Erwerbstätiger gut 52 500 Euro erwirtschaftete. Im Vergleich zum Jahr 1991 stieg hier die Arbeitsproduktivität um knapp 13 %, jedoch nahmen auch die Lohnstückkosten in diesem Zeitraum um fast ein Viertel zu.

Während die Wertschöpfung leicht abnahm (rund - 3 %), sank in diesem Wirtschaftsbereich die Beschäftigung um 14 %, gleichzeitig stiegen die Arbeitnehmerentgelte um knapp 20 % an. Die Position des Verarbeitenden Gewerbes hat sich somit im Standortwettbewerb verschlechtert, da die Lohnstückkosten deutlich stärker als die Arbeitproduktivität angestiegen sind.

Bemerkenswert ist die Entwicklung im Bereich Grundstückswesen, Vermietung und Unternehmensdienstleistungen, auf den knapp 24 % der Wirtschaftleistung in Baden-Württemberg im Jahr 2002 entfielen. Die Produktivität lag hier bei gut 106 500 Euro je Erwerbstätigen und nahm gegenüber 1991 um ein Viertel ab. Dies lag daran, dass zwar die Wertschöpfung um 43 % anstieg, die Beschäftigtenzahl aber um gut 90 % infolge zunehmender Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse stieg. Die Lohnstückkosten stiegen – aufgrund der stärkeren Personalintensität – um über 73 % an, wobei die Arbeitnehmerentgelte um mehr als das Dreifache (149 %) der Wirtschaftsleistung zunahmen.

Ebenso blieb im Wirtschaftsbereich Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen und Gebrauchsgütern die Entwicklung der Wertschöpfung deutlich hinter der der Arbeitnehmerentgelte zurück. Während in diesem Wirtschaftsbereich – in dem knapp 10 % der Wirtschaftsleistung erbracht werden – die Arbeitsproduktivität von 1991 bis 2002 nur um knapp 4 % zunahm, stiegen die Lohnstückkosten um ein Fünftel und damit deutlich stärker als die Arbeitsproduktivität an.

Zur ungefähren Einordnung kann festgehalten werden, dass kapitalintensive Wirtschaftszweige eine höhere Arbeitsproduktivität (wie zum Beispiel Energie- und Wasserversorgung) und personalintensive Wirtschaftszweige (wie etwa das Gastgewerbe und das Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen) vergleichsweise höhere Lohnstückkosten aufweisen. Weiterhin sind Wirtschaftsbereiche tendenziell mit einer höheren Arbeitsproduktivität gekennzeichnet, je höher die Entgelte je Arbeitnehmer und somit auch die Qualifikationsanforderungen sind – so beispielsweise das Kredit- und Versicherungsgewerbe.

Flexible Beschäftigungsformen verzerren Ergebnisse

Aufgrund der steigenden Anzahl von flexiblen Beschäftigungsformen, wie beispielsweise Teilzeitbeschäftigung und Minijobs, wird die Berechnung der Arbeitsproduktivität und Lohnstückkosten unter Zugrundelegung der Erwerbstätigenzahl verzerrt. Im Jahr 2004 legte der Arbeitskreis »Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder« deshalb erstmals das geleistete Arbeitsvolumen für die Bundesländer ab 1998 vor. Dieses Datenmaterial erlaubt es, die genannten Standortfaktoren, Arbeitsproduktivität und Lohnstückkosten, auf der Basis der erbrachten Arbeitsstunden zu berechnen. In Baden Württemberg betrug 1998 die Produktivität eines Erwerbstätigen 36,40 Euro je Arbeitsstunde. Bis 2003 war ein Anstieg auf 37,90 Euro zu verzeichnen. Die Produktivität je geleisteter Erwerbstätigenstunde nahm im Südwesten um gut 4 % und somit gegenüber der Personenproduktivität im gleichen Zeitraum um rund 2 Prozentpunkte stärker zu, das heißt die Personenproduktivität unterzeichnet offenbar die tatsächliche Produktivitätsentwicklung (Schaubild 2). Im alten Bundesgebiet ohne Berlin nahm die Arbeitsproduktivität stärker zu: Die Stundenproduktivität, die 2003 bei 38,20 Euro je Erwerbstätigenstunde lag, stieg von 1998 bis 2003 um 6 % an und wuchs hier ebenfalls dynamischer als die Personenproduktivität, deren Anstieg 3 Prozentpunkte schwächer ausfiel. Der Grund für die schlechtere Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Baden-Württemberg ist, dass hier das Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen um 2 ½ Prozentpunkte stärker als in Westdeutschland gestiegen ist, während das Wirtschaftswachstum nur um knapp 1 Prozentpunkt stärker zunahm.

Die Lohnstückkosten stiegen in Baden-Württemberg auf Basis des Arbeitsvolumens von 1998 bis 2003 um 7 % an, auf Basis der Personen lag die Zunahme nur geringfügig darüber. Im alten Bundesgebiet fiel der Unterschied zwischen den Berechnungsmethoden ebenfalls nur geringfügig aus. Jedoch nahmen die Lohnstückkosten in Westdeutschland im gleichen Zeitraum nur um gut 4 % zu. Ursächlich für den stärkeren Anstieg der Lohnstückkosten hier zu Lande ist, dass in Baden-Württemberg die Arbeitnehmerentgelte um knapp 4 Prozentpunkte und das Arbeitsvolumen der Arbeitnehmer um knapp 3 Prozentpunkte stärker als in Westdeutschland gestiegen sind.

Arbeitsproduktivität der Südwestwirtschaft im internationalen Vergleich auf hohem Niveau

Um einen aussagekräftigen internationalen Vergleich gewährleisten zu können, müssen die monetären Größen in einheitlicher Währung – hier in Kaufkraftstandards.3 ausgedrückt werden. Die Arbeitsproduktivität in Baden-Württemberg lag im Jahr 2003 knapp 8 % über dem Durchschnitt der EU 25. Noch besser waren Bayern und mit einem leicht größeren Abstand Hessen positioniert.4 Deutschland5 lag leicht über dem Durchschnitt der EU (Schaubild 3). In der Ländergruppe, die sich etwa im Mittelwert der EU 25 bewegten, befanden sich neben Deutschland auch die skandinavischen Länder und Nordrhein-Westfalen. Die höchste Arbeitsproduktivität wiesen die USA auf, deren Wirtschaft durch eine dynamische Entwicklung und flexible Arbeitsmarktregelungen gekennzeichnet ist. Aber auch in Belgien und Frankreich ist ein hohes Niveau der Arbeitsproduktivität zu verzeichnen. Die Gründe hierfür sind in Belgien unter anderem in der starken Präsenz der Dienstleistungen zu finden. Der Dienstleistungsbereich weist insbesondere mit seinen Bereichen Kredit- und Versicherungsgewerbe und unternehmensnahe Dienstleistungen eine höhere Arbeitsproduktivität auf. In Frankreich nehmen die arbeitsproduktiven Wirtschaftsbereiche Automobil sowie Luft- und Raumfahrt eine starke Stellung ein. Am unteren Ende befanden sich die EU-Beitrittsländer, wobei die fortgeschritteneren Nationen wie Ungarn und die Tschechische Republik gut 30 % unter dem Niveau der EU 25 lagen. Das geringste Produktivitätsniveau wiesen die baltischen Staaten auf.

Lohnstückkosten der neuen EU-Länder steigend

Bei den Lohnstückkosten lag der Südwesten geringfügig über dem Durchschnitt der EU 25 (Schaubild 4). Die anderen Bundesländer, die in den internationalen Vergleich einbezogen wurden, und Deutschland bewegten sich unter dem Mittelwert der EU. Wie beim Vergleich der Arbeitsproduktivität ist auch hier ein breites »Mittelfeld« zu beobachten, in dem die Lohnstückkosten sich nur geringfügig unterscheiden. Bemerkenswert bei den Lohnstückkosten ist die Position Polens. In den letzten 10 Jahren nahm hier zwar die Arbeitsproduktivität um knapp 47 % zu, die Lohnkosten stiegen jedoch um fast 250 % an. Diese Zunahme resultiert nicht allein aus dem starken Anstieg der Löhne und Gehälter, sondern auch aus einer kräftigen Entwicklung der Lohnnebenkosten. Ähnlich – wenn auch weniger stark ausgeprägt – verlief die Entwicklung in der Tschechischen Republik und Slowenien, sodass diese Länder für Investoren bei einer Fortsetzung dieses Trends an Attraktivität verlieren könnten. Hier wird ersichtlich, dass die Lohnstückkosten das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Faktors Arbeit darstellen und für die Beurteilung eines Standortvorteils neben dem Niveau auch die Entwicklung entscheidend ist. Am unteren Ende lag neben den baltischen Staaten die Slowakische Republik. Wegen der hier noch sehr niedrigen Lohnstückkosten und eines attraktiven Steuersystems6 rückte in den letzten Jahren dieses Land als Produktionsstandort der Automobilindustrie in den Mittelpunkt des Interesses.

1 Um die Vergleichbarkeit der Entwicklung auf Landes- und Bundesebene sicherzustellen, wird im Folgenden das alte Bundesgebiet ohne Berlin als Vergleichsmaßstab herangezogen.

2 Der Sachverständigenrat schlägt zur Bereinigung der »Entlassungsproduktivität« vor, die Produktivität mithilfe der Veränderungsrate der Beschäftigung und der Lohnquote zu korrigieren. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2003/2004, Stuttgart, 2003, S. 362 f.

3 Künstliche Währung, die internationale Preisniveauunterschiede eliminiert.

4 Da Kaufkraftparitäten auf regionaler Ebene nicht vorliegen, wurde für die hier betrachteten Bundesländer die nationale Kaufkraftparität verwendet.

5 Im internationalen Vergleich werden Produktivität und Lohnstückkosten üblicherweise für Deutschland ausgewiesen. Die gesamtdeutschen Werte liegen dabei unter dem westdeutschen Niveau.

6 Das Steuersystem wurde in der Slowakischen Republik radikal vereinfacht. Seit dem 1. Januar 2004 wird ein einheitlicher Steuersatz von 19 % auf Einkommen, Unternehmensumsätze und Waren bzw. Dienstleistungen erhoben. Steuerbasen wurden vereinheitlicht, Ausnahmen abgeschafft.