:: 9/2005

Ackerbau oder Weideviehbetrieb? – Klassifikation der landwirtschaftlichen Betriebe

Neben der Beschreibung der aktuellen Struktur- und Anbauverhältnisse in der Landwirtschaft und dem Aufzeigen von Entwicklungstrends im Bereich der pflanzlichen und tierischen Produktion sind im Rahmen der Agrarstrukturerhebungen Aussagen über die wirtschaftliche Ausrichtung der landwirtschaftlichen Betriebe auf bestimmte Produktionszweige von Interesse. In Baden-Württemberg waren im Jahr 2003 vier Fünftel der knapp 65 800 landwirtschaftlichen Betriebe den so genannten Spezialbetrieben zuzuordnen, ein Fünftel der Betriebe fiel in die Gruppe der Verbundbetriebe mit geringerem Spezialisierungs-grad. Insgesamt dominierten die Weideviehbetriebe (23 400) vor den Dauerkulturbetrieben (14 900) und den Ackerbaubetrieben (11 100).

Vor allem in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts haben sich tief greifende Veränderungen in der Landwirtschaft Deutschlands vollzogen. Technischer und züchterischer Fortschritt brachten eine fortschreitende Mechanisierung der Betriebe und Optimierung der betrieblichen Abläufe, die Flächenausstattung wuchs stetig, die Tierhaltung löste sich zunehmend von der betriebseigenen Futtergrundlage. In der Folge führte dies zu einer immer ausgeprägteren Spezialisierung in der betrieblichen Produktionsausrichtung. Die ursprünglichen Gliederungsmerkmale (Flächengröße, Hauptproduktionsrichtung, Art der Bodennutzung) konnten diese Veränderungen nur unzureichend wiedergeben. Daher wurde im Vorfeld der Landwirtschaftszählung 1971 nach einem zeitgemäßen Klassifizierungsverfahren gesucht, das den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen konnte. Da abzusehen war, dass auf europäischer Ebene so schnell keine Einigung auf ein gemeinsames Klassifizierungssystem zu erzielen sei, wurde ein nationales System entwickelt1, das in der amtlichen Agrarstatistik bis zum Jahr 2001 Anwendung fand.

Umstieg auf die EU-Klassifikation mit der Agrarstrukturerhebung 2003

Die Agrarwirtschaft ist ein Wirtschaftssektor, der seit Jahrzehnten überwiegend durch Vorgaben und Leitlinien der Europäischen Union geprägt wird; die nationale Ausgestaltung agrarpolitischer Vorstellungen tritt dabei immer mehr in den Hintergrund. Ziel ist die Schaffung ähnlicher Produktionsbedingungen in allen europäischen Mitgliedstaaten. Um die Ergebnisse aus der amtlichen Agrarstatistik national und auch EU-weit mit weiteren Landwirtschaftsstatistiken vergleichen zu können, war ein Umstieg auf das gemeinsame Klassifizierungssystem der EU unvermeidbar. Bislang war in Deutschland eine nachträgliche Anpassung der nationalen Ergebnisse an das seit 1978 parallel existierende EU-Klassifikationsschema nötig. Mit der Agrarstrukturerhebung 2003 wurde erstmals auch in Deutschland das EU-Klassifizierungssystem angewandt (siehe i-Punkt). Bereits seit dem Wirtschaftsjahr 2001/02 – zeitgleich mit der Währungsumstellung – werden die Betriebe des Testbetriebsnetzes des BMVEL und weiterer Buchführungsstatistiken in der Landwirtschaft nach der EU-Typologie dargestellt. Grundlage bildet das Informationsnetz landwirtschaftlicher Buchführungen (INLB), für das die einheitliche EU-weite Klassifizierung der Betriebe vorgeschrieben ist.

Durch den Umstieg auf die EU-Typologie haben sich die Bedingungen für die Zuordnung der landwirtschaftlichen Betriebe zu bestimmten Produktionszweigen grundlegend geändert und eine Vergleichbarkeit mit den Vorjahren ist nicht mehr gegeben. Der vorliegende Beitrag stellt die Grundzüge des EU-Klassifizierungssystems (siehe i-Punkt) sowie die daraus resultierenden Ergebnisse für Baden-Württemberg aus der Agrarstrukturerhebung 2003 vor.

Spezialisierung: Deutliche Unterschiede in der betrieblichen Ausstattung

In Baden-Württemberg waren im Jahr 2003 vier Fünftel der knapp 65 800 landwirtschaftlichen Betriebe den Spezialbetrieben zuzuordnen (vgl. Übersicht). Insgesamt wurden gut ein Drittel (35,5 %) der landwirtschaftlichen Betriebe der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Weideviehbetriebe (bzw. Futterbaubetriebe) zugerechnet. An zweiter Stelle folgten die Dauerkulturbetriebe (22,7 %) vor den Ackerbaubetrieben (16,8 %). Die Gartenbaubetriebe2 machten einen Anteil von 3 % aus und die auf Geflügel- bzw. Schweinehaltung spezialisierten Veredlungsbetriebe bildeten mit einem Anteil von knapp 2 % das Schlusslicht im Land. Die restlichen 20 % der Betriebe wurden den drei Klassen der Verbundbetriebe zugeordnet (Tabelle 1).

Die Spezialisierung eines Betriebes spiegelt sich in der unterschiedlichen Ausstattung mit Produktionsfaktoren wider: Zu der Klasse der knapp 23 400 Weideviehbetriebe zählen Betriebe mit Milchviehwirtschaft und/oder Rindermast und -aufzucht, jedoch auch Schaf- oder Pferdehaltungen, wobei Grünlandwirtschaft hier die Futtergrundlage bietet. Die durchschnittliche Flächenausstattung dieser Weidevieh- bzw. Futterbaubetriebe liegt bei 24,8 Hektar (ha); davon werden fast 70 % als Grünland bewirtschaftet. Rund 40 % dieser Betriebe werden im Haupterwerb geführt, was unter anderem in der täglichen Versorgung des Viehs begründet sein dürfte, die einen regelmäßigen Arbeitseinsatz erfordert. Der Anteil der Vollbeschäftigung in diesen Betrieben liegt bei knapp 21 %.

Bei den 11 100 Ackerbaubetrieben liegt die durchschnittliche Flächenausstattung um 3 Hektar höher (27,7 ha), allerdings wird ein weitaus größerer Anteil der Betriebe im Nebenerwerb geführt (80 %), was sich auch im niedrigen Grad der Vollbeschäftigung (8,5 %) niederschlägt.

Ganz anders sieht die Situation in den knapp 2 000 Gartenbaubetrieben aus, die sich durch viele manuelle Arbeitsgänge und einen hohen Spezialisierungsgrad auszeichnen. Bei gerade mal durchschnittlich 3,9 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF) werden die meisten Arbeitskräfte (6,9) pro Betrieb beschäftigt. Pro 100 ha LF wird eine Arbeitsleistung von 91,4 Arbeitskraft-Einheiten (AK-E)3 erbracht; das entspricht gegenüber dem Landesdurchschnitt (5,2) einem 18fach erhöhten Wert und ist Ausdruck sowohl für die arbeitsintensive Bewirtschaftung als auch für die Intensität der Flächennutzung im Gartenbau. Mehr als 80 % der Gartenbaubetriebe werden im Haupterwerb bewirtschaftet und mehr als ein Drittel der Arbeitskräfte arbeitet hier in Vollzeit.

Wie oben bereits erwähnt, ist eine Vergleichbarkeit zwischen der Betriebssystematik bis 2001 und der EU-Klassifizierung ab 2003 aufgrund der methodischen Differenzen nicht gegeben. Dies liegt vor allem an den unterschiedlichen Schwellenwerten für die Anteile der Standarddeckungsbeiträge bei der Zuordnung zu den einzelnen Produktionszweigen. Zudem bilden beispielsweise die Gartenbaubetriebe keinen eigenen Betriebsbereich mehr, sondern gehören zu den Landwirtschaftsbetrieben und die regionalen Unterschiede werden nicht mehr auf Kreis-, sondern auf Regierungsbezirksebene berücksichtigt.

Jede Region bietet Vorzüge für unterschiedliche Produktionsschwerpunkte

Auch die natürlichen Standortbedingungen beeinflussen die Entwicklung bestimmter Produktionsausrichtungen. Für die einzelnen Spezialisierungen sind daher unterschiedliche regionale Verbreitungsschwerpunkte erkennbar (Tabelle 2). Ackerbaubetriebe befinden sich vermehrt in den Regionen Heilbronn-Franken und Stuttgart auf den Standorten mit hochwertigen Böden sowie in der Region Donau-Iller. Die Weideviehbetriebe, die sich vor allem auf Rinderhaltung und -mast sowie Milchwirtschaft spezialisiert haben und demzufolge Grünlandstandorte bevorzugen, sind schwerpunktmäßig im Südschwarzwald, auf der Schwäbischen Alb sowie der Region Bodensee-Oberschwaben auszumachen. Gerade in den benachteiligten Gebieten in den Höhenlagen bietet die Grünlandwirtschaft Vorteile gegenüber dem Ackerbau, der hier aus wirtschaftlicher Sicht oftmals an seine Grenzstandorte gelangt. Dauerkulturbetriebe mit Bewirtschaftung von Rebland oder Obstanbau finden sich in den klimatischen Gunstlagen Baden-Württembergs, vor allem entlang der Hochrheinschiene, im Raum Stuttgart/Heilbronn und am Bodensee. Die Gartenbaubetriebe scheinen neben klimatisch ausgewogenen Verhältnissen eine gewisse Nähe zum Kunden zu favorisieren: mindestens jeder vierte Betrieb ist in der Region Stuttgart angesiedelt. Weitere Verbreitungsschwerpunkte der Gartenbaubetriebe sind die Regionen Südlicher Oberrhein und Hochrhein-Bodensee. Veredlungsbetriebe mit Schweine- oder Geflügelhaltung und -mast konzentrieren sich im Osten des Landes, vor allem in den Regionen Heilbronn-Franken sowie Donau-Iller, in denen allein mehr als 60 % der Veredlungsbetriebe ansässig sind.

Weidevieh und Grünlandwirtschaft bei den Ökobetrieben vorherrschend

Knapp 5 % der landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg wirtschaften nach ökologischen Grundsätzen. Das Grundprinzip des ökologischen Landbaus ist eine naturnahe, extensivierte und ressourcenschonende Wirtschaftsweise. Daher erstaunt es auch nicht, dass im Jahr 2003 mehr als die Hälfte der 3 100 ökologisch wirtschaftenden Betriebe (knapp 1 800 bzw. 57 %) den Weideviehbetrieben zuzurechnen waren. Häufig ist die Rinderhaltung – oft in Form von Ammen- und Mutterkuhhaltung – an eine extensive Grünlandbewirtschaftung mit Weidehaltung geknüpft. Die Veredlungsbetriebe hingegen haben mit ihren meist sehr intensiven Haltungsformen im Bereich der Schweine- und Geflügelhaltung mit einem Anteil von 0,4 % am ökologischen Landbau kaum Bedeutung. Die Dauerkulturbetriebe, die durch ihre mehrjährigen Kulturen eine Form der intensiven Bodennutzung darstellen, sind ebenfalls anteilsmäßig deutlich weniger vertreten: Lediglich 9 % der Biobetriebe sind diesem Betriebszweig zuzuordnen, im Durchschnitt aller landwirtschaftlichen Betriebe sind es knapp 23 % (Schaubild).

Anpassungsbedarf durch neue Themen in der EU-Agrarpolitik?

Spätestens seit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union zum 1. Januar 2005 rücken zunehmend neue Themen ins Blickfeld, und damit verlagert sich auch der Informationsbedarf über die Verhältnisse in der Landwirtschaft. Das neue System der EU-Agrarförderung orientiert sich nicht mehr an tier- oder produktbezogenen Prämien, sondern verteilt die Zuschüsse flächengebunden. Entwicklung der ländlichen Räume, Pflege der Kulturlandschaft und Einkommensalternativen sind hier die neuen Stichworte. Es ist allgemeiner Konsens, dass das bestehende Klassifizierungssystem der EU diese neuen Anforderungen nicht ausreichend berücksichtigen und darstellen kann. Zur Landwirtschaftszählung 2010 ist deshalb eine generelle Überarbeitung der EU-Typologie geplant. Damit steht nach gerade einmal 7 Jahren ein erneuter Umstieg in der Klassifizierung der landwirtschaftlichen Betriebe an mit der Konsequenz eines weiteren Bruches in der zeitlichen Vergleichbarkeit.

1 Mit der Entwicklung beauftragt war eine Arbeitsgruppe des damaligen Bundesressorts für Landwirtschaft, des heutigen Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL).

2 Als nationale Besonderheit werden die Baumschulen den Gartenbaubetrieben und nicht den Dauerkulturbetrieben zugeordnet.

3 Die AK-E ist die Maßeinheit der Arbeitsleistung einer im Berichtszeitraum mit betrieblichen Arbeiten vollbeschäftigten und nach ihrem Alter voll leistungsfähigen Person. Die Arbeitsleistung wird aus der je Arbeitskraft für den Betrieb angegebenen Arbeitszeit ermittelt.