:: 11/2005

Spitzengastronomie in Deutschland

Die Vielfalt der deutschen Regionen zeigt sich in objektiven und subjektiven Bereichen. Zu den objektiven Bereichen gehören zum Beispiel ganz elementare Unterschiede in der Geografie, aber auch etwa in der Wirtschaftskraft und -struktur. Zu den eher subjektiven Bereichen gehören unterschiedliche regionale Traditionen und Mentalitäten, die ihrerseits stark in der jeweiligen Geschichte wurzeln. In regionalen Gerichten und Küchentraditionen prägt sich die regionale Vielfalt besonders stark aus, und hier kommen objektive (zum Beispiel Geografie, Klima, Wohlstand) und subjektive Faktoren (Traditionen, Mentalitäten) zusammen.

In dieser Untersuchung geht es um einen ganz speziellen Aspekt der regionalen Küchen-Vielfalt, nämlich um die Spitzengastronomie – also um diejenigen Restaurants, die in den einschlägigen Gourmetführern mit Bewertungspunkten für herausragende gastronomische Leistungen belohnt wurden. Die regionale Verteilung der insgesamt 3 649 Spitzenrestaurants in Deutschland folgt einem bestimmten Muster, das im Folgenden dargestellt und untersucht wird. Zunächst werden einige allgemeine Bemerkungen über regionale Küchentraditionen und die Spitzengastronomie vorangestellt und dann die eigentlich statistischen Untersuchungen und thematischen Karten dargestellt. Dabei werden folgende Fragestellungen verfolgt: Lässt sich auch in der räumlichen Verteilung der Spitzengastronomie das aus anderen Zusammenhängen her bekannte Muster eines Südwest-Nordost-Gefälles feststellen? Wie ist die Verteilung zwischen Ballungszentren und ländlichem Raum? Welche Zusammenhänge gibt es mit dem regionalen Einkommen und dem Tourismus? Last but not least: Sowohl die Kochkunst als auch die Kunst des Genießens ist historisch und regional variabel – beides muss man erst lernen. Lassen sich also Zusammenhänge mit regionalen Traditionen und Mentalitäten erkennen?

Die Originalversion des Beitrags wurde erstmals in der Septemberausgabe 2005 der Statistischen Monatshefte Niedersachsen veröffentlicht.1 Wir drucken eine um bestimmte historische und norddeutsch-regionalspezifische Bezüge gekürzte Version und danken für die freundliche Abdruckgenehmigung.

Regionale Küchentraditionen in Deutschland und Europa

Vom ehemaligen französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle ist der verzweifelte Ausspruch überliefert: »Wie soll ich ein Land regieren, in dem es mehr Käsesorten als Tage im Jahr gibt?« Deutschland kann diesbezüglich mit Frankreich gut mithalten. Hier gibt es zum Beispiel etwa 300 verschiedene Brotsorten. Diese Vielfalt hat ihren Grund in traditionellen, regionalen Spezialitäten und der Verarbeitung von verschiedenen Getreidearten. Während in südlichen Ländern meist nur Weizenarten zu Brot verarbeitet werden, backen die deutschen Bäcker neben Roggen und Weizen Brot auch mit Hafer, Dinkel, Gerste, Reis und Hirse. Des Weiteren gibt es in Deutschland etwa 1 200 Wurstsorten, darunter unzählige regionale Spezialitäten, die sich auf etwa 100 Grundsorten zurückführen lassen. Eine noch größere Vielfalt weist das Brauereiwesen auf. Die Statistik des Deutschen Brauerbundes weist 1 274 Braustätten für das Jahr 2004 auf, darunter allein 629 in Bayern. Beim Käse schließlich gebührt zwar Frankreich neidlos der Vorrang, aber mit immerhin 150 einheimischen Käsesorten muss sich Deutschland nicht verstecken.

Die Vielfalt der Regionen Deutschlands und Europas zeigt sich eindrücklich in der Küche. In regionalen Ernährungsgewohnheiten und Rezepten spiegelt sich die Geografie, die Geschichte und die Sozialstruktur der Regionen wider. Ein bekanntes Beispiel bietet die italienische Küche: Im nördlichen Bologna kocht man mit Butter, in südlichen Neapel mit Olivenöl – und in Rom, dem Zentrum des Landes, kocht und brät man oft mit einer Mischung aus Butter und Olivenöl. Für die deutsche Küche lässt sich sagen, dass sie stark von der mitteleuropäischen Kochtradition geprägt wurde.

Der Einfluss der Geografie auf die regionale Küche macht sich zum Beispiel dadurch bemerkbar, dass natürlich im Norden, vor allem an der Küste und küstennahen Bereichen, relativ mehr Seefisch als im Süden konsumiert wird. Erst moderne Kühlungsmethoden machen es möglich, dass dieser auch in küstenfernen Gegenden unkonserviert in größeren Mengen verzehrt wird. Die regionale Küche im Süden und Westen Deutschlands kennt dafür schon lange das Kochen und Würzen mit Wein. Vor der Entwicklung ausgefeilter Logistik-Ketten, die Produkte aus aller Herren Länder in die Küchen und auf den Tisch brachten, war man eben im Wesentlichen auf die Produkte angewiesen, die in der näheren Umgebung produziert werden konnten.

Deutlich feststellbar ist auch der Einfluss der jeweiligen Grenznachbarn. So ist die Küche des Saarlandes, Baden-Württembergs und die von Rheinland-Pfalz von Frankreich und dem Elsass beeinflusst, und in der Küche Brandenburgs und Mecklenburgs mit ihrem Hang zum Süßsauren bemerkt man polnische, pommersche und ostpreußische Einflüsse. Viele der typisch norddeutschen Gerichte wurden von der skandinavischen, polnischen oder russischen Küche beeinflusst.

Deutlich sind auch geschichtliche Einflüsse auf die Küche. Die lange Zugehörigkeit Ostdeutschlands zum sowjetischen Herrschaftsbereich hat in der dortigen Küche Spuren hinterlassen, so zum Beispiel in Gestalt der Soljanka oder des ursprünglich aus Ungarn stammenden Letscho. Vor allem im Westen haben die Immigranten aus dem Mittelmeerraum die Küche und die Verzehrgewohnheiten nachhaltig beeinflusst: Zucchini und Auberginen, Schafskäse, Olivenöl und Pesto bereichern den Küchenzettel, und die Schnellgastronomie wird – neben den amerikanischen Burgern – beherrscht von Pizza, Döner und Co.

Trotz einer gewissen Nivellierung durch die Systemgastronomie und durch die nahezu unumschränkte Verfügbarkeit aller Nahrungsmittel haben aber die verschiedenen Regionen des Landes ihre eigenen charakteristischen Essgewohnheiten und Kochtraditionen bewahrt. So spielen nach wie vor in Süddeutschland Kartoffeln nicht so eine bedeutende Rolle wie in Nord- und Ostdeutschland. Stattdessen gibt es mehr Getreideprodukte: die schwäbischen Spätzle sind hierfür ein typisches Beispiel. Der Südwesten Deutschlands ist, wie man auch an solchen Details erkennen kann, stärker von der Mittelmeerkultur beeinflusst als der Norden: Schon zur Grundausrüstung eines römischen Legionärs gehörte eine tägliche Zuteilung von ca. zwei Pfund Getreide, die er röstete, zerrieb und als Brei oder als Fladen zu sich nahm. Dieses Gericht, »puls« oder »pulmentum« genannt, finden wir noch heute in Gestalt der Polenta, einer unentbehrlichen Beilage der norditalienischen Küche. Die Mittelmeerküche basiert noch heute stark auf Getreideprodukten, sei es als Pita/Pizza, sei es als Pasta, sei es als Brot als Beilage zum Essen.

Regionale Küchentraditionen vom Ausland beeinflusst

Die gehobene Küche und die Spitzenküche ist mehr im Mittelmeerraum beheimatet. Als Geburtsjahr der französischen »Haute Cuisine« gilt die Übersiedlung der Florentinerin Katharina Medici nach Frankreich anlässlich ihrer Heirat mit dem zukünftigen König Heinrich II. im Jahr 1533. Sie brachte in ihrem Gefolge eine ganze Anzahl von Spitzenköchen mit, und deren Künste und Rezepte fielen am Pariser Hof und davon ausgehend in ganz Frankreich auf fruchtbarsten Boden – ein schönes Beispiel für Know-how-Transfer.

Ganz entscheidende Impulse für die Küchen Europas kamen mit Columbus und seinen Nachfolgern aus der Neuen Welt: Die wichtigsten sind natürlich Kartoffel, Tomate, Paprika, Mais und Kakao, die sich allmählich auf den Speisezetteln der »Alten Welt« durchsetzten.

Der Süden und Südwesten Deutschlands waren und blieben im Einflussbereich der italienischen und französischen Küche – diese Einflüsse wurden nach Norden und Osten hin tendenziell immer schwächer. Die Reformation im 16. und 17. Jahrhundert verstärkte dies noch: Luther, viel stärker noch die radikaleren Zwingli, Calvin und Münzer, wetterten in ihren Predigten und Traktaten heftigst gegen Luxus und Völlerei, auch wenn sie selber gutem Essen und Trinken nicht völlig abhold waren. Der sinnenfrohe Katholizismus beherrschte nach dem Dreißigjährigen Krieg den Süden und Westen Deutschlands und der asketische Protestantismus den Norden und Osten.

Deutschland: von Gourmands …

Anfang des 19. Jahrhunderts zu napoleonischen Zeiten schrieb Anthelme Brillat-Savarin – von ihm stammt die berühmte Unterscheidung zwischen Gourmand (Schlemmer) und Gourmet (Feinschmecker) – sein klassisches Werk über die »Physiologie des Geschmacks«. Erst 1865 wurde dies Standardwerk ins Deutsche übersetzt. Ein Zeitgenosse Brillat-Savarins, der große Romancier Stendhal, war unter Napoleon französischer Besatzungsoffizier in Norddeutschland. Über die norddeutsche Gastronomie wusste er wenig Schmeichelhaftes zu berichten2 Die Gastronomie Norddeutschlands hatte eben durchaus nicht das Niveau der Pariser bzw. französischen Küche. Biografischen Aufzeichnungen kann man entnehmen, dass auch noch 70 Jahre später zur Gründerzeit sogar die gesellschaftlichen Spitzen der Provinzhauptstadt Hannover eher gefräßige Gourmands als kultivierte Feinschmecker waren.3

Besonders im Norden Deutschlands galt für die große Masse der ländlichen Bevölkerung bis hinein in die jüngste Vergangenheit das »Schlachtfest« im November als höchster vorstellbarer Gaumengenuss. Und im Süden war bis spät in das 19. Jahrhundert der Brot- und Suppenstandard verbreitet, und das wesentlichste Essbesteck der Landbevölkerung war der eigene Löffel, nicht selten aus Holz geschnitzt.

Auch wenn es natürlich zu (fast) allen Zeiten und allen Orten gute Gastronomen gab, die exzellentes Essen zubereiteten – die Spitzengastronomie entstand in Deutschland erst in den 70er- und 80er-Jahren. Davor kam die »Fress-Welle« – in den Anfängen des Wirtschaftswunders und nach den Entbehrungen des Zweiten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit war gutes Essen gleichbedeutend mit »viel essen«.

… zu Gourmets

Die Einflüsse in Richtung einer verfeinerten Lebensart und gehobenen Gastronomie kamen vor allem aus Frankreich, zum Teil auch aus Italien. Der wohl berühmteste Restaurantführer, der Guide Michelin, erschien erstmals 1900 in Frankreich; seit 1926 vergibt er die berühmten »Sterne« für herausragende Leistungen. Der Gault Millau erschien 1969 erstmals in Frankreich, und 1983 gab es die erste deutsche Lizenzausgabe. Den Varta-Führer gibt es immerhin schon seit den 50er-Jahren. Die beiden wohl bekanntesten deutschen Zeitschriften, die sich mit Essen und Gastronomie beschäftigen, gibt es seit 1972 (»essen und trinken«) bzw. 1975 (»Der Feinschmecker«). Voraus ging, dass in Frankreich seit Anfang der 70er-Jahre die »Nouvelle Cuisine« entstand, die wenig opulent und eher kalorienarm ist und größten Wert auf frische und exquisite Zutaten legt. Bei ihrem Hauptvertreter, Paul Bocuse, haben zahlreiche deutsche Köche gelernt, unter anderem Eckart Witzigmann, der erste deutsche »Drei-Sterne-Koch«. Die beiden wahrscheinlich prominentesten deutschen Gastronomiekritiker begannen ebenfalls in dieser Zeit ihre oft gefürchtete Tätigkeit. Wolfram Siebeck, von der französischen Regierung 1998 zum »Chévalier du Mérite Agricole« ernannt, schrieb 1982 sein erstes Gastronomie-Buch. Gert von Paczensky – auch er zeigt seine französisch-kulinarischen Wurzeln durch Mitgliedschaft in der »Academie Internationale du Vin« und als Ehrenbürger der Stadt Cognac – schrieb seit 1973 Restaurantkritiken.

Für diesen gastronomischen Aufschwung gab es einige Voraussetzungen: ein gehobener Wohlstand bei vielen (denn Spitzengastronomie setzt auch zahlungskräftige und -willige Gäste voraus), die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen und frischen Lebensmitteln aller Art, die Bereitschaft zum verfeinerten Genuss und damit auch eine gewisse Offenheit und Neugierde auf neue, sinnliche Erfahrungen. In der ehemaligen DDR waren einige dieser Voraussetzungen nicht gegeben – die internationalen, vor allem französischen Einflüsse fehlten ebenso wie die hochwertigen Zutaten, die gegen Devisen hätten beschafft werden müssen. Spitzengastronomie gab es hier, wenn überhaupt, nur in wenigen internationalen Hotels (»Interhotels«). Ansonsten war die DDR-Gastronomie eher auf Massenabspeisung gerichtet und ist heute noch mit Begriffen wie »Würzfleisch«, dem »Gold-Broiler«, der Resteverwertungssuppe »Soljanka« und der legendären »Sättigungsbeilage« verbunden.

Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern mit der höchsten »Versorgungsdichte«

Die 3 649 Spitzenrestaurants verteilen sich auf die Bundesländer wie folgt:

Baden-Württemberg808(22%)
Nordrhein-Westfalen757(21%)
Bayern547(15%)
Rheinland-Pfalz262(7%)
Hessen262(7%)
Niedersachsen259(7%)

Unter den ostdeutschen Ländern hält Mecklenburg-Vorpommern mit 121 Restaurants (3,3 %) den Spitzenplatz, während diese vor allem in Sachsen-Anhalt (34) und Thüringen (44) rar gesät sind.

Die »Versorgungsdichte« (Spitzenrestaurants pro 1 Million Einwohner) liegt bundesweit bei 44, die Spannweite der Länder reicht von 14 (Sachsen-Anhalt) bis 75 (Baden-Württemberg) (Tabelle 1). Klar überdurchschnittliche Werte weisen auch die beiden Stadtstaaten Bremen (57) und Hamburg (54) auf – ein Hinweis darauf, dass die Spitzengastronomie sich in den städtischen Zentren ballt. Deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegen alle Länder Ostdeutschlands bis auf Mecklenburg-Vorpommern, das mit einem Wert von 70 den zweiten Platz hinter Baden-Württemberg einnimmt. Schleswig-Holstein (48), das Saarland (45), Bayern (44), Hessen (43) und Nordrhein-Westfalen (42) weisen insgesamt durchschnittliche Werte auf. Niedersachsens Wert von 32 ist der niedrigste der zehn westdeutschen Länder und liegt leicht vor den preußischen Ländern Berlin (26) und Brandenburg (25). Die relativ hohen Werte für Schleswig-Holstein und vor allem Mecklenburg-Vorpommern gehen, wie die folgende Untersuchung auf Kreisebene noch genauer zeigen wird, auf den gehobenen Tourismus an Nord- und Ostsee zurück.

Zahl der Spitzenrestaurants: Deutliches Süd-West-Nord-Ost-Gefälle

Welche Zusammenhänge werden sichtbar? Korrelationsanalysen wurden auf Länderebene mit dem »verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte« und der Tourismusintensität (Gästeübernachtungen pro Einwohner) durchgeführt. Die Annahme war, dass die Spitzengastronomie auf ein zahlungskräftiges Publikum angewiesen ist. Dieses zahlungskräftige Publikum kann vor Ort wohnen, aber auch als Tourist »angelockt« werden. Also müssten sich positive Korrelationen mit dem verfügbaren Einkommen und der Tourismusintensität ergeben.

Der Korrelationskoeffizient r, der Werte von -1 (extrem negative Korrelation) bis +1 (extrem hohe Korrelation) annehmen kann, nimmt folgende Werte an:

»Restaurantdichte« mit Pro-Kopf-Einkommen+0,55
»Punkte pro Einwohner« mit Pro-Kopf-Einkommen+0,56
»Restaurantdichte« mit Tourismusintensität+0,42
»Punkte pro Einwohner« mit Tourismusintensität+0,38

Die Annahmen haben sich damit bestätigt,4  wobei auf Länderebene der Zusammenhang zur Tourismusintensität etwas schwächer ist als der zum Einkommen. Das mag unter anderem daran liegen, dass in den Übernachtungszahlen auch weniger kaufkräftige Gäste enthalten sind. Fasst man die Werte der 16 Länder zu vier Ländergruppen zusammen, werden großräumige Unterschiede sichtbar, die auch die Stadtstaateneffekte – hohe Werte für Hamburg und Bremen, die mit relativ niedrigen ihres Umlandes korrespondieren (diese statistischen Effekte treten in Süd- und Westdeutschland nicht auf) – beseitigen. Die Ländergruppen sind:

  • Norddeutschland: Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein
  • Ostdeutschland: Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen
  • Westdeutschland: Nordrhein-Westfalen
  • Süddeutschland: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland.

Der Indikator »Spitzenrestaurants je 1 Million Einwohner« nimmt folgende Werte an:

Süddeutschland56
Westdeutschland42
Norddeutschland40
Ostdeutschland26

und zeigt damit ein klares Gefälle: Süden-Westen-Norden-Osten.

Hamburg hat am meisten Spitzenrestaurants unter den Landkreisen und kreisfreien Städten

Entsprechend der eingangs formulierten Fragestellung geht es im Folgenden um die regionale Verteilung der Spitzenrestaurants. In Schaubild 1 sind die Bewertungspunkte der Spitzenrestaurants den Landkreisen und kreisfreien Städten zugeordnet. Dabei wurden in der jeweiligen Regionaleinheit die Volkenborn-Punkte der Restaurants schlicht addiert. Die Anzahl der Bewertungspunkte, die an Restaurants eines Gebietes vergeben worden sind, ist in Form von Kreisen im Schaubild dargestellt. Dabei gilt: je größer der Kreis, desto höher die Punktzahl. Weist ein Gebiet null Punkte auf, bleibt es leer. Die Spannweite ist dabei enorm: Das Minimum liegt bei Null, das Maximum bei 2 948 Punkten in der Stadt Hamburg. Damit ist jedoch noch nichts über die Anzahl der Restaurants ausgesagt, da aufgrund des Systems ein Gebiet mit vielen »durchschnittlichen Spitzenrestaurants« vor einem Gebiet mit wenigen Spitzenrestaurants mit absoluten Spitzenwerten liegen kann.

Beim Blick auf Schaubild 1 sind hinsichtlich der regionalen Verteilung recht klare Strukturen zu erkennen. Zum einen gehören kreisfreie Städte und Metropolen wie Berlin oder Hamburg zu den Gebieten mit den höchsten Punktzahlen (mindestens 360), zum anderen handelt es sich vor allem um Landkreise entlang des Rheins, in Südwestdeutschland (vor allem an der Grenze zu Frankreich) und am Alpenrand. Nach Nordosten werden zum Teil deutlich geringere Punktzahlen erreicht. In Ostdeutschland häufen sich Landkreise und kreisfreie Städte, die nur 60 Punkte oder weniger aufweisen: von 44 Gebieten mit null Punkten liegen allein 28 in Ostdeutschland. Ausnahmen im Norden und Nordosten, also Gebiete zumeist mit Werten von 120 bis 180 Punkten, finden sich vor allem im Umland der großen Städte. Auffällig sind außerdem fünf Gebiete an Nord- und Ostseeküste. An der Nordsee sind dies die Landkreise Cuxhaven (374 Punkte) und vor allem Nordfriesland (1 613), an der Ostsee Ostholstein (607), Rügen (537), Ostvorpommern (599) und Nordvorpommern (312).

Als Ergänzung zu Schaubild 1 ist Schaubild 2 zu sehen. Hier ist die Zahl der Spitzenrestaurants pro Regionaleinheit dargestellt. Die Zahl der Spitzenrestaurants entspricht dabei den – im Schaubild willkürlich innerhalb der jeweiligen Regionaleinheit angeordneten – kleinen Punkten. Spitze ist hier wie schon bei den absoluten Punkten die Stadt Hamburg mit 94 Spitzenrestaurants. Schaubild 2 korrespondiert natürlich aufs Engste mit Schaubild 1, denn je mehr Restaurants es gibt, desto höher ist im Schnitt die Zahl der Bewertungspunkte. Dementsprechend sind in der regionalen Verteilung auch kaum Unterschiede auszumachen. Beim Betrachten von Schaubild 2 mag sich der Eindruck ergeben, dass in einigen Gebieten – etwa in solchen, die in Schaubild 1 durch einen besonders großen Kreis auffällig waren – mehr Punkte eingezeichnet sein müssten. Dies ist nicht so. Es handelt sich vielmehr um Gebiete, in denen im Vergleich zu anderen Gegenden zwar eine etwas geringere Zahl von Spitzenrestaurants angesiedelt ist, diese aber derartig gute Bewertungen erhalten haben, dass sie nach Punkten stärker herausragen, als es die Anzahl der Spitzenrestaurants vermuten ließe.

Dass in Schaubild 1 neben dem Südwesten vor allem die Metropolen und Messestädte als Gebiete mit der höchsten Punktezahl, also dem größten Angebot an Spitzengastronomie, hervortreten, ist nicht weiter überraschend: an solchen Standorten ist eine zumeist zahlungskräftige Klientel vorhanden und sind zig Unternehmen ansässig, die Bedarf an einer gehobenen Gastronomie für Geschäftsessen etc. haben. Daher ist ein Regionalvergleich mit ländlichen, dünner besiedelten Gebieten in absoluten Zahlen nicht ganz fair. Ein sachgerechter Regionalvergleich ist aber durch einen Bezug auf die Einwohnerzahl leicht möglich,5 Schaubild 3 zeigt dementsprechend die Bewertungspunkte der Spitzenrestaurants je 10 000 Einwohner eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt. Wie schon in Schaubild 1 ergibt sich die Größe des eingezeichneten Kreises aus der Anzahl der Bewertungspunkte. Die Spanne reicht dabei von null bis 103 Punkten, die in Baden-Baden ereicht werden. Die Stadt Baden-Baden besitzt also gemessen an der Einwohnerzahl das größte Maß an Spitzengastronomie. Gegenüber Schaubild 1 in ihrer Stellung relativiert sind nun vor allem die großen Städte und Metropolen sowie in einzelnen Fällen auch deren Umland.

An der oben beschriebenen Struktur ändert dies prinzipiell wenig. Gemessen an der Einwohnerzahl ist die Spitzengastronomie im Süden und Südwesten vor allem entlang des Rheins, an der Grenze zu Frankreich und am Alpenrand zu finden und im Norden bzw. Nordosten an der Küste. Herausragend sind in Baden-Württemberg außerdem nun die Landkreise Main-Tauber-Kreis (33), Hohenlohekreis (38) und Schwäbisch-Hall (27) sowie in Bayern Miltenberg (47) und Kitzingen (62). An der Nordseeküste sticht nur noch Nordfriesland (97) hervor. An der Ostseeküste vereinen nach wie vor Ostholstein (30), Nordvorpommern (27), Rügen (73) und Ostvorpommern (52) die meisten Punkte je 10 000 Einwohner auf sich.

Zusammenhänge der Restaurantdichte mit Einkommen und Tourismus

Geht es um die Ursachen dieser Verteilung bzw. bestimmende Faktoren, kommen neben der eingangs erwähnten Küchentradition und geografischer Nähe zu den ursprünglich anspruchsvolleren Küchen Italiens und Frankreichs vor allem die finanziellen Verhältnisse in Form von Durchschnittseinkommen der Einwohner in den jeweiligen Landkreisen und kreisfreien Städten sowie Tourismus infrage. Um einem möglichen Einfluss von Einkommen und Tourismus auf die Spur zu kommen, bieten sich Korrelationsanalysen nach Pearson an, wobei ein Ergebnis von r=1 eine perfekte positive Korrelation, ein Ergebnis von r=–1 eine perfekte negative Korrelation und ein Ergebnis um Null herum keinen Zusammenhang bedeuten würden. Hierfür wurden nicht die Originalwerte mit absoluten Zahlen, sondern nur mit der Einwohnerzahl standardisierte Beziehungszahlen herangezogen.

Unter der Annahme, dass die Bewohner in Gebieten mit hohem Durchschnittseinkommen sich Essen in einem Spitzenrestaurant eher bzw. öfter leisten (können), ist es angebracht, zu überprüfen, ob es einen positiven Zusammenhang zwischen dem verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte je Einwohner (Zahlen aus 2002) und der Zahl der Spitzenrestaurants je 1 Million Einwohner gibt. Das Ergebnis von r=0,2 ist zwar der Richtung nach positiv, aber viel zu schwach, um von einem klaren Zusammenhang sprechen zu können. Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen scheidet als bestimmender Faktor für Spitzengastronomiedichte also aus. Bleibt der Tourismus. Hierbei ist allerdings grundsätzlich die Frage, was man als ursächlichen Faktor ansehen will. Sowohl die Annahme: »Touristen, vor allem in bestimmten Gebieten, verfügen über genügend Geld, um sich Essengehen in einem Spitzenrestaurant leisten zu können und – da man sich im Urlaub vielleicht mehr gönnt als sonst – auch zu wollen« als auch die Annahme: »Spitzengastronomie, und gerade solche, die in Landgasthöfen und Hotels im ländlichen Raum ansässig ist, zieht Gäste an, die nach gutem Wein zu gutem Essen dort auch übernachten und so in die Beherbergungsstatistik eingehen«, sind plausibel. Für die Berechnung des Korrelationskoeffizienten spielt dies aber keine Rolle. Aus der Beherbergungsstatistik wurde für die Korrelationsanalyse die Zahl der Gästeankünfte und nicht die der Übernachtungen gewählt.

Das Ergebnis von r=0,64 legt jedenfalls die Annahme eines deutlichen Zusammenhangs von Tourismus und Spitzengastronomie sehr nahe. Wenn man an die im Norden gastronomisch herausragenden und maritim/touristisch geprägten Landkreise Rügen (Mecklenburg-Vorpommern) und Nordfriesland (Schleswig-Holstein) denkt, wird der Zusammenhang noch klarer. Von den 46 Spitzenrestaurants des Landkreises Nordfriesland befinden sich allein 30 auf der Insel Sylt. Und die 23 Spitzenrestaurants der Insel Rügen finden ihre Kundschaft sicherlich weniger unter den Insulanern, deren Kaufkraft nach wie vor relativ gering ist (verfügbares Einkommen: 13 640 Euro pro Kopf), sondern unter betuchten Besuchern. Ein anderes Beispiel ist Baden-Baden: Hier kommen eine erhebliche touristische Attraktivität – schon im 19. Jahrhundert gab es in Baden-Baden einen mondänen Kurbetrieb, und die Stadt galt als »Sommerhauptstadt Europas« – und eine hohe interne Kaufkraft (verfügbares Einkommen: 21 043 Euro pro Kopf, der siebthöchste Wert bundesweit) zusammen.

Vergleich der Ergebnisse der Korrelationsberechnungen auf Länder- und Kreisebene

Sowohl auf Ebene der 16 Länder wie auch auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte ergaben sich mehr oder weniger klare Zusammenhänge zwischen Einkommen, Tourismusintensität und Spitzengastronomie, gemessen an der Zahl der Restaurants pro Einwohner. Allerdings fielen die Korrelationen unterschiedlich aus: Auf Kreisebene ergab sich ein nur schwacher Zusammenhang (0,2) zum Einkommen, aber ein hoher (0,64) zum Tourismus, auf Landesebene ergab sich zum Einkommen (0,55) ein etwas höherer Zusammenhang als zum Tourismus (0,42). Das kann entweder zwei rein statistische Gründe haben:

  • a) unterschiedlicher Datenstand, denn auf Länderebene sind aktuellere Indikatoren als auf Kreisebene verfügbar,
  • b) leicht unterschiedliche Indikatoren, denn auf Kreisebene wurde die Zahl der Gästeankünfte, auf Länderebene die der Übernachtungen zugrunde gelegt.

Oder aber die leichte Diskrepanz weist auf einen interessanten Zusammenhang hin.

Darum wurden auf Kreisebene noch einmal weitere Zusammenhänge geprüft, unter anderem auch mit Datenmaterial aus dem Jahr 2003.6 Das Ergebnis bestätigte die Befunde, denn es ergaben sich folgende Korrelationen:

Spitzenrestaurantdichte/Übernachtungen je 1 000 Einwohner 2003r=0,57
Spitzenrestaurantdichte/Ankünfte je 1 000 Einwohner 2003r=0,63

Die Korrelation wird übrigens höher, wenn man nicht alle Ankünfte und Übernachtungen, sondern nur die in Hotels und hotelähnlichen Betrieben heranzieht, also zum Beispiel Hütten, Jugendherbergen, Ferienwohnungen und Sanatorien außer Acht lässt, also solche Einrichtungen, in denen man sich in der Regel selber verpflegt oder aber bekocht wird – aber auf einem niedrigeren Level als dem der Spitzengastronomie.

Wie sind diese Zahlen zu interpretieren? Auf Kreisebene ist der klare Zusammenhang zu den Ankünften etwas höher als zu den Übernachtungen und deutlich höher als der schwache Zusammenhang zum Einkommen. Das deutet darauf hin, dass die Kunden der Spitzengastronomie oft gezielt zu einem der Restaurants anreisen und dort nach gutem Essen und Trinken auch übernachten, danach aber wieder abreisen. Solche gastronomischen Kurztrips erfolgen natürlich eher in die nähere Umgebung. Dies erklärt auch, warum der Zusammenhang zum Einkommen auf der Kreisebene schwach, auf der Länderebene aber recht ausgeprägt ist.

Regionale Herkunft der Spitzenköche

Um dem Faktor Küchentradition und geografische Nähe zur italienischen und französischen Küche weiter nachzugehen, kann ein Blick auf die Herkunft der Spitzenköche von Interesse sein, da davon auszugehen ist, dass sie im Umkreis ihres Geburtsortes aufgewachsen sind und dabei Erfahrung bzw. erste Kocherfahrungen überhaupt mit der jeweiligen Küche gemacht haben. Mithilfe eines Who’s who der Spitzenköche7  konnten von immerhin 79 Küchenchefs, die deutscher Nationalität sind und in deutschen Spitzenrestaurants arbeiten, die Geburtsorte ermittelt werden. Diese wurden den Bundesländern zugeordnet. Die regionale Verteilung ist Tabelle 2 zu entnehmen.

Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nehmen nach der absoluten Zahl die vorderen Plätze ein. Die beiden folgenden Spalten der Tabelle 2 prozentuieren die Zahl der Köche und die der Einwohner. Der Repräsentationsindex in Spalte 4 dividiert den Prozentanteil der Köche durch den der Einwohner. Indexwerte von weniger als 1 bedeuten eine Unterrepräsentation des Landes, Indexwerte über 1 eine Überrepräsentation. Jetzt ragen die an Frankreich angrenzenden Südwest-Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland noch deutlicher heraus. Vier Länder aus Ost- und Norddeutschland liegen mit Werten von 0 am anderen Ende. Alle Länder Norddeutschlands sind mehr oder weniger stark unterrepräsentiert, das stark touristisch geprägte Schleswig-Holstein (0,8) und die Metropole Hamburg (0,6) haben noch die höchsten Werte.

Fazit

In den Schaubildern wird eine regionale Verteilung mit einer Häufung von Spitzengastronomie in Südwestdeutschland entlang der französischen Grenze und am Alpenrand deutlich. Es wird – wie in anderen statistischen Indikatoren auch8 – ein Gefälle von Südwest nach Nordost sichtbar, wobei es natürlich auch im Norden und Osten »Inseln« gibt, in denen sich Spitzengastronomie ballt: dies sind in erster Linie touristische Intensivgebiete sowie einige Großstädte. Es gibt auf Ebene der Kreise einen schwachen Zusammenhang zum vor Ort verfügbaren Einkommen und einen deutlich stärkeren mit dem Tourismus. Das erklärt aber längst nicht alles.

Wichtiger noch ist die geografische Nähe zu ursprünglich anspruchsvolleren Küchen und Küchentraditionen aus dem Mittelmeerraum, wobei die Einflüsse der französischen Küche – sowohl der Haute Cuisine als auch der elsässischen Regionalküche – die Hauptrolle spielen. Dies zeigt sich vielleicht am deutlichsten bei der Analyse der Herkunft der Spitzenköche.

Aber es ist noch mehr. Auch Genuss will gelernt sein. Das gilt für das Individuum genauso wie für regionale Populationen. Im Süden und Westen Deutschlands hat sich über lange Zeiten hinweg im Zusammenspiel von Geografie und Geschichte – vor allem die Ergebnisse des Dreißigjährigen Krieges mit ihrer Festlegung protestantischer oder katholischer Territorien sind hier bedeutsam – eine Kultur herausgebildet, in der ein verfeinerter Genuss eine größere Rolle spielt als im Norden und Osten.

1 Der komplette Artikel ist unter Monatsheft 09/2005 kostenlos herunterzuladen.

2 Vgl. Stendhal, Henri B.: Eindrücke aus Norddeutschland, in: Eyssen/Storch, Niedersächsisches Lesebuch, Hildesheim 1984, S. 283 ff.

3 Vgl. Schuchhardt, Carl: Aus Leben und Arbeit, Berlin 1944, in: Hennig Rischbieter, Hannoversches Lesebuch Bd. 2, Hannover 1991, S. 121 f.

4 Die Pearson-Korrelationskoeffizienten zwischen +0,38 und +0,56 legen nahe, dass es außer den beiden genannten Einflussgrößen (Einkommen und Tourismus) noch weitere geben muss, die dieses starke Gefälle beeinflussen.

5 Die in der Untersuchung der Regionalstrukturen verwendeten Kreisdaten über Bevölkerung, Einkommen und Tourismus stammen im Wesentlichen aus der CD-Datenbank »Statistik regional«. Diese Datenbank wird von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder gemeinsam einmal jährlich herausgegeben. In Genesis-Online werden dieselben Dateninhalte regelmäßig aktualisiert und können kostenpflichtig abgerufen werden. Tourismusdaten für 2003 wurden hier eingestellt, nachdem die Autoren ihre Berechnungen für 2002 bereits abgeschlossen hatten.

6 Dieses Material steht in »Genesis-Online« seit neuestem zur Verfügung.

7 Angaben nach http://www.die-besten-koeche.com.

8 Vgl. vor allem Huter, Jessica/Eichhorn, Lothar: Historische Wurzeln des Süd-Nord- und West-Ostgefälles, in: Statistische Monatshefte Niedersachsen 2/2004, S. 50 – 61 (mit 4 thematischen Karten).