:: 12/2005

Alterung wird Zahl der Kreislauf- und Tumorerkrankungen stark steigen lassen1 

Die Entwicklung der Fallzahl und des Pflegetagevolumens in Krankenhäusern hängt von vielen verschiedenen Einflussfaktoren ab. Einer der wichtigsten ist die demografische Entwicklung, also die Veränderung von Zahl und Alterszusammensetzung der Bevölkerung. Vor allem die Alterung der Bevölkerung dürfte in der Zukunft eine erhebliche Steigerung des stationären Versorgungsbedarfs bewirken. Geht man von den heutigen Morbiditätsverhältnissen aus, dann würde allein aus demografischen Gründen etwa die Zahl der stationären Behandlungsfälle im Zeitraum von 2002 bis 2030 um knapp 25 % steigen. Insbesondere bei Krankheiten, deren Auftreten einen engen Zusammenhang mit dem Alter aufweisen wie beispielsweise Kreislauf- oder Tumorerkrankungen, dürfte der stationäre Versorgungsbedarf beträchtlich zunehmen.

Demografische Alterung wirkt erhöhend auf Fallzahl und Pflegetagevolumen

Einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf die stationäre Krankenhausversorgung ist die demografische Entwicklung. Die Effekte dieser Entwicklung lassen sich durch Veränderungsraten für die Zahl der Behandlungsfälle und die Zahl der Behandlungstage beschreiben. Die Berechnung dieser demografischen Effekte basiert auf einer so genannten Status-quo-Vorausrechnung (vgl. i-Punkt).2 Diese Methode hat zur Folge, dass die Rechenergebnisse für die künftigen Behandlungsfälle bzw. das Pflegevolumen nur in Abhängigkeit von der Bevölkerungszahl und deren Alterszusammensetzung interpretiert werden dürfen. Es handelt sich bei den ausgewiesenen Ergebnissen also nicht um eine Prognose der gesamten Fallzahl bzw. des gesamten Pflegetagevolumens. Der Grund für diese Einschränkung liegt darin, dass neben der demografischen Entwicklung noch eine Vielzahl anderer Faktoren auf die Gesamtgrößen einwirken. Beispiele sind der medizinisch-technische Fortschritt und die organisatorischen Bedingungen, denen die stationäre Behandlung unterliegt. Der isolierte Effekt der demografischen Entwicklung auf die Zahl der stationären Behandlungsfälle und der stationären Behandlungstage lässt sich jedoch nur dann bestimmen, wenn diese übrigen Einflussfaktoren für den Vorausrechnungszeitraum als konstant betrachtet werden.

Die Status-quo-Vorausrechnung führt zu dem Ergebnis, dass die demografische Entwicklung die Zahl der stationären Behandlungsfälle in Baden-Württemberg von 2002 bis 2030 um rund 400 000 steigen lassen würde. Dies entspräche gegenüber 2002, als in Baden-Württemberg 1,88 Mill. Behandlungsfälle gezählt wurden, einer Zunahme der Fallzahl um knapp 25 %. Der demografische Effekt auf das Pflegetagevolumen beläuft sich im Vorausrechnungszeitraum auf ein Plus von knapp 6 Mill. Behandlungstagen. Addiert man diese Zahl zu den 18 Mill. Behandlungstagen, die im Jahr 2002 verzeichnet wurden, dann ergäbe sich bis zum Jahr 2030 ein demografisch bedingter Anstieg des Pflegetagevolumens in der stationären Versorgung auf knapp 24 Mill. Tage, was einer Steigerung um 30 % entsprechen würde.

Da die Zahl der Einwohner in Baden-Württemberg von 2002 bis 2030 vermutlich nur um 5 % steigen wird, kann die beträchtliche Zunahme der Behandlungsfälle und des Pflegetagevolumens in diesem Zeitraum nicht primär auf die Steigerung der Bevölkerungszahl zurückgeführt werden. Es ist vielmehr die Alterung der Bevölkerung, die zu diesen starken demografischen Effekten im Bereich der stationären Krankenhausversorgung führt.

Kreislauferkrankungen: demografisch bedingter Anstieg um 46 % bis 2030

In der Status-quo-Vorausrechnung der Fallzahl und des Pflegetagevolumens wurde nach den Gründen, die zu dem stationären Krankenhausaufenthalt geführt haben, differenziert. Erkrankungen stehen bei den Gründen für den Krankenhausaufenthalt natürlich im Vordergrund, allerdings können auch andere Ursachen vorliegen, etwa eine Entbindung oder eine Organspende. Die verschiedenen Diagnosen, die zu einer stationären Behandlung führen können, wurden zu 20 Diagnosegruppen zusammengefasst.

»Krankheiten des Kreislaufsystems« bilden die Diagnosegruppe, die am häufigsten zu einer stationären Behandlung führt. Auf sie entfielen im Jahr 2002 rund 16 % der Behandlungsfälle. Es folgen die »Neubildungen«, also Tumorerkrankungen, mit einem Anteil von knapp 12 % und die Krankheiten des Verdauungssystems mit 10 %. In der Status-quo-Vorausrechnung nehmen insbesondere bei den Kreislauferkrankungen und bei den Neubildungen die Fallzahlen und das Pflegetagevolumen überdurchschnittlich zu (vgl. Schaubild und Tabelle). Bei den Krankheiten des Kreislaufsystems ergibt sich eine Steigerung der Fallzahl bis zum Jahr 2030 von 46 % und beim Pflegetagevolumen von sogar 52 % gegenüber dem Niveau von 2002. Bei den Neubildungen liegt die Zahl der Behandlungsfälle um 35 % und die Zahl der Pflegetage um 38 % über dem Niveau von 2002. Stellt man nur die demografisch bedingten Veränderungen in Rechnung, dann würde knapp ein Drittel der Behandlungsfälle und des Pflegetagevolumens im Jahr 2030 auf diese beiden Diagnosegruppen entfallen. Im Jahr 2002 betrug der Anteil dagegen lediglich rund 28 %. Die Ursache für den gegenüber der gesamten Veränderungsrate der Fallzahl in Höhe von 25 % überproportionalen Anstieg liegt in den mit dem Alter erheblich zunehmenden Fallhäufigkeiten in den beiden Diagnosegruppen, was ihren Ruf als »Alterskrankheiten« rechtfertigt. Ähnliches gilt für Augenkrankheiten und endokrine Krankheiten, die zum Teil noch höhere Veränderungsraten aufweisen. Allerdings haben sie nur ein geringes Gewicht an der Gesamtzahl der Behandlungsfälle.

Zu den Diagnosegruppen mit einer unterproportionalen Zunahme der Behandlungsfälle im Vorausrechnungszeitraum gehören »Psychische und Verhaltensstörungen« mit einem Plus von knapp 8 %, »Krankheiten des Ohres« mit 11 % und die Infektionskrankheiten mit 14 %. Allerdings kann es gerade bei diesen Diagnosen dazu kommen, dass das Pflegetagevolumen erheblich stärker steigt als die Fallzahl. Dies gilt für die »Krankheiten des Ohres« mit einer Steigerung des Pflegetagevolumens von 2002 bis 2030 um 17 % und die Infektionskrankheiten mit einem Plus von 29 %. Die Divergenz zwischen der Entwicklung von Fallzahl und Pflegetagevolumen ist darauf zurückzuführen, dass die durchschnittlichen Behandlungsdauern bei diesen Diagnosegruppen mit steigendem Alter sehr stark zunehmen.

Zu einem deutlichen Rückgang der Fallzahl kommt es im Rahmen der Vorausrechnung bei denjenigen Diagnosegruppen, die mit Schwangerschaft und Geburt in Verbindung stehen. Dazu gehört die Gruppe »Geburt, Schwangerschaft und Wochenbett«, bei der sowohl die Zahl der Behandlungsfälle als auch das Pflegetagevolumen um 12 % sinken. Bei den Diagnosegruppen »Bestimmte Zustände, die ihre Ursache in der Schwangerschaft haben« sowie »Angeborene Fehlbildungen, Deformationen und Chromosomenanomalien« beläuft sich der demografische Effekt bei der Fallzahl bis 2030 auf ein Minus von 9 % und 7 %. Das Pflegetagevolumen geht auch bei diesen beiden Diagnosegruppen im gleichen Maße zurück wie die Fallzahl.

Ergebnisse der Status-quo-Vorausrechnung: keine Prognosen, aber Orientierungspunkte

Auch wenn die Ergebnisse der Status-quo-Vorausrechnung nicht als Prognose zur zukünftigen Entwicklung von Fallzahl und Pflegetagevolumen interpretiert werden können, so machen sie doch deutlich, welche starke Wirkungen die demografische Entwicklung in der Zukunft im Bereich der stationären Krankenhausversorgung entfalten wird. Die Ergebnisse zeigen außerdem, in welchem Umfang dämpfende Maßnahmen wirksam werden müssen, um den demografisch bedingten Anstieg der Zahl der Behandlungsfälle und des Pflegetagevolumens ganz oder wenigstens teilweise zu verhindern. Dabei gibt insbesondere die Vorausrechnung nach Diagnosegruppen Anhaltspunkte dafür, in welchen Krankheitsgruppen mit den stärksten demografisch bedingten Veränderungen zu rechnen ist und wo deshalb Maßnahmen gegen den Anstieg am dringlichsten sind.

1 Eine Langfassung des Beitrags ist in: Staatsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Einfluss der demografischen Entwicklung auf die Pflege- und Krankenhausversorgung, Trends und Fakten 2004, erschienen.

2 Basis ist die 10. Koordinierte Bevölkerungsvorausrechnung des Bundes und der Länder.