:: 12/2005

Gesundheitsausgaben in Baden-Württemberg und Deutschland1

Ausgaben für Gesundheit werden in der wirtschaftspolitischen Diskussion vor allem als Kostenfaktor angesehen. Dabei wird insbesondere auf die kräftigen Ausgabensteigerungen verwiesen. Ein wichtiger Einflussfaktor auf die Ausgabenentwicklung ist die demografische Entwicklung. Es ist bereits heute abzusehen, dass die Aufwendungen der gesetzlichen Aus-gabenträger in ganz Deutschland stark ansteigen werden. Allerdings ist in Baden-Württemberg mit einem geringeren Ausgabenanstieg je Einwohner als in Deutschland zu rechnen, da hier zu Lande die Bevölkerungsentwicklung etwas günstiger verläuft.

Demografische Alterung bewirkt Anstieg der stationären Krankenhausausgaben

In Baden-Württemberg könnte, ausgehend von einem Ausgabenniveau von 6,2 Mrd. Euro im Jahr 2001, aufgrund der demografischen Entwicklung mit einem Anstieg der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für stationäre Krankenhausaufenthalte bis ins Jahr 2030 unter den Annahmen der Status-quo-Vorausrechnung2  auf 7,7 Mrd. Euro gerechnet werden, was einer Zunahme von rund 25 % entspricht. Der Anstieg würde im Südwesten im Vergleich mit Deutschland3  knapp 6 Prozentpunkte höher liegen. Ursächlich für diese Entwicklung sind vergleichsweise höhere Zuwachsraten bei der älteren Bevölkerung, wodurch die Krankenhausfälle in Baden-Württemberg stärker zunehmen würden als bundesweit. Dies hängt damit zusammen, dass die Bevölkerung im Südwesten gegenwärtig ein niedrigeres Durchschnittsalter aufweist als das übrige Bundesgebiet.

Da die dargestellte Bevölkerungsentwicklung, insbesondere durch die Altersstrukturverschiebung, verursacht wird, greift eine ausschließliche Betrachtung der Ausgabesummen zu kurz. Aus diesem Grund werden im Folgenden die vorausgerechneten Ergebnisse auf die jeweilige Bevölkerung bezogen. Hier zeigt sich, dass die Ausgaben je Einwohner im Bund höher sind als im Land, da sowohl heute als auch in der näheren Zukunft der Anteil der älteren Bevölkerung in Deutschland höher ist als in Baden-Württemberg. Insgesamt würden die Fallzahlen je Einwohner sowohl im stationären Krankenhaus- als auch im Pflegebereich in Deutschland stärker als in Baden-Württemberg zunehmen, woraus höhere Ausgabensteigerungen je Einwohner im Bund resultieren.

Bei der Berechnung der Ausgaben wurden aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit anderer Daten und der Unsicherheit über die künftigen Kostensätze die Werte des Basisjahres mithilfe der Fallzahlen der Status-quo-Vorausrechnung fortgeschrieben. Folglich spiegeln die vorliegenden Ergebnisse ausschließlich die isolierte Wirkung der demografischen Entwicklung auf die Ausgaben wider. Die dargestellten Ergebnisse können daher keineswegs als eine Prognose der tatsächlichen künftigen Ausgabenentwicklung interpretiert werden. Neben der Bevölkerungsentwicklung ist noch eine Vielzahl anderer Einflussgrößen von Bedeutung. Dennoch ist es wichtig, den besonderen Effekt der demografischen Entwicklung auf die Ausgaben der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung deutlich zu machen, da hier zum Ausdruck kommt, welche Herausforderung auf die sozialen Sicherungssysteme im Gesundheitsbereich zukommt.

Pro-Kopf-Ausgaben der GKV steigen im Land demografisch bedingt weniger als im Bund

Im Jahr 2030 würden unter den Annahmen der Vorausrechnung 693 Euro an stationären Krankenhausausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Baden-Württemberg auf einen Einwohner kommen, über 100 Euro weniger als im Bundesgebiet (Schaubild 1). Bereits im Jahr 2001 lagen im Südwesten die Ausgaben je Einwohner mit 642 Euro um knapp 59 Euro niedriger als in Deutschland. Wie oben erwähnt, ist bis 2030 in Baden-Württemberg mit einem stärkeren Zuwachs der stationären Krankenhausausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung als in Deutschland zu rechnen. Bezieht man jedoch die Ausgaben bestimmenden Krankenhausfälle als auch die Krankenhaustage auf die jeweilige Bevölkerung, ist in Baden-Württemberg bei beiden Größen aufgrund des vergleichsweise günstigeren Durchschnittsalters der Bevölkerung ein schwächerer Anstieg als in Deutschland zu erwarten. Bereits im Basisjahr war bei beiden Größen hier zu Lande ein niedrigeres Niveau als bundesweit zu beobachten. Somit können die Ausgabenunterschiede je Einwohner zwischen Bund und Land erklärt werden, die sich bis ins Jahr 2030 noch ausweiten könnten.

Allerdings müssen beim Vergleich der Pro-Kopf-Werte einige Einschränkungen gemacht werden. Basiert die Bevölkerungsvorausrechnung für Baden-Württemberg auf dem Jahr 2001, liegt den Werten für Deutschland Zahlenmaterial des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) mit dem Basisjahr 1999 zugrunde.4 Die Lebenserwartung hier zu Lande wurde für das Jahr 2030 für die Männer auf etwa 80 Jahre, für die Frauen auf etwa 85 Jahre vorausberechnet. Auf Bundesebene würde die geschätzte Lebenserwartung bei den Männern um rund 2 Jahre, bei den Frauen um ca. 1 Jahr niedriger liegen. Dadurch, dass den Berechnungen des DIW eine ältere Bevölkerungsprognose zugrunde liegt, wird die Lebenserwartung und somit auch die Einwohnerzahl tendenziell unterschätzt. Aus diesem Grund kann angenommen werden, dass die stationären Krankenhausausgaben je Einwohner für Deutschland etwas zu niedrig ausgewiesen sind, denn bei einer stärkeren Zunahme der Bevölkerung würden auch die Behandlungsfälle und demzufolge auch die Ausgaben ansteigen.

Weiterhin spielt die Zuwanderung eine wichtige Rolle für die Bevölkerungsentwicklung. Die Attraktivität Baden-Württembergs für Zuwanderer zeigt sich in einer geringeren Arbeitslosigkeit und höheren Löhnen als im Durchschnitt des übrigen Bundesgebiets. Da sich die Zuwanderer in der Regel im erwerbsfähigen Alter befinden, würde dies bedeuten, dass die Bevölkerung in Bezug auf das Durchschnittsalter des Landes langsamer altert. Dieser Umstand würde aber auch zu geringeren stationären Krankenhausausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung je Einwohner im Land führen.

Annahme konstanter Ausgabenprofile könnte die künftige Ausgabenentwicklung überschätzen

Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass altersspezifische Ausgabenprofile langfristig konstant bleiben. Wenn eine steigende Lebenserwartung dazu führt, dass die Zahl der aktiven Lebensjahre sich erhöht und das Gesundheitsverhalten sich positiv verändert, würden die Ausgaben durch die Fortschreibung heutiger Werte für die Zukunft zu hoch ausgewiesen. Unter der Annahme flacher verlaufender altersspezifischer Kostenprofile — bei einer Verschiebung des Morbiditätsniveaus um 5 Jahre — ist mit einer Ausgabenentwicklung zu rechnen, die etwa 7 Prozentpunkte unter dem oben beschriebenen rein demografisch bedingten Ausgabenzuwachs von 25 % liegen dürfte.5

Auf der anderen Seite werden die Ausgaben durch die Nichtberücksichtigung des medizinisch-technischen Fortschritts in der Modellrechnung unterschätzt. Bei einer Analyse der Wirkungen des produktmedizinischen Fortschritts auf die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung der Jahre 1975 bis 1995 zeigt sich, dass diese Ausgaben durchschnittlich um 1 % pro Jahr stärker zunahmen als die rein demografisch bedingten Ausgaben. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieses Ergebnis tendenziell auch zukünftig Gültigkeit haben wird – vorausgesetzt, man unterstellt, dass alle medizinisch notwendigen Maßnahmen im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung verbleiben und dieser im Zeitablauf um neue diagnostische und therapeutische Behandlungsmethoden erweitert wird.6 Der medizinisch-technische Fortschritt könnte also durch die Anschaffungskosten für neue technische Apparate kostentreibend wirken. Es ist jedoch auch denkbar, dass die damit verbundenen verbesserten Behandlungsmöglichkeiten zu einem geringeren stationären Versorgungsbedarf führen und es so zu einer Dämpfung der Ausgabenentwicklung kommen könnte.

Im Land steigen die Ausgaben der SPV je Einwohner demografisch bedingt weniger als im Bund

Künftig werden in ganz Deutschland die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung (SPV) von hohen Zuwächsen gekennzeichnet sein. Von 2001 bis 2030 würde auf Basis der Modellrechnung für Baden-Württemberg, unter Zugrundelegung der in der Status-quo-Vorausrechnung berechneten Fallzahlen der Pflegebedürftigen, mit einer Ausgabenzunahme von knapp 1,2 Mrd. Euro auf rund 2 Mrd. Euro zu rechnen sein. Dies würde ein Plus von 71 % bedeuten. Der Ausgabenanstieg fiele jedoch für Deutschland stärker aus.7 Da die Leistungsausgaben der sozialen Pflegeversicherung mit konstanten Kostensätzen berechnet wurden, basiert die Ausgabenentwicklung allein auf der demografisch bedingten Zunahme der Zahl der Pflegebedürftigen.

Bezogen auf die Einwohnerzahl würde sich für Baden-Württemberg ein Aufwand der sozialen Pflegeversicherung von rund 180 Euro je Einwohner im Jahr 2030 ergeben (Schaubild 2). Im Bundesgebiet würden die Ausgaben für Pflegeleistungen je Einwohner darüber liegen. Im Jahr 2001 lagen die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung je Einwohner in Baden-Württemberg bei 111 Euro. Bereits im Basisjahr betrug der Ausgabenunterschied zwischen Land und Bund gut 20 Euro je Einwohner. Der Grund hierfür ist in der Tatsache zu suchen, dass auf 1 000 Einwohner in Baden-Württemberg etwa 20 Pflegebedürftige kamen, auf Bundesebene waren es dagegen 3,5 Pflegefälle mehr. Bis ins Jahr 2030 kann mit einer Ausweitung dieser Diskrepanz gerechnet werden. Die Pflegebedürftigen in Bezug auf die Einwohnerzahl würden aufgrund der Vorausrechnungen auf Bundesebene stärker als in Baden-Württemberg zunehmen.

Bedarf stationärer Pflege nimmt bundesweit stärker zu als im Südwesten

Die Ursache für den in Deutschland gegenüber dem Land höheren Ausgabenanstieg der Pflegeversicherung in Relation zur Bevölkerung dürfte der bundesweit stärkere Anstieg der Pflegebedürftigen, aber auch unterschiedliche Entwicklungen bei den Pflegearten sein. Während in Baden-Württemberg mit einer Zunahme des Anteils der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung bis 2030 um gut 1 Prozentpunkt auf gut 3 % zu rechnen ist, würde der Anstieg im Bundesgebiet rund 2 Prozentpunkte auf rund 5 % betragen. Auch die Anzahl der Personen, die stationär gepflegt werden, würde auf Bundesebene stärker als in Baden-Württemberg zunehmen. Die Zahl der Pflegebedürftigen, die künftig zu Hause mit Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes versorgt werden, würde im Bundesgebiet ebenfalls stärker ansteigen als hier zu Lande.

Als weitere Ursache der Unterschiede zwischen Bund und Land kann auf die Bevölkerungsentwicklung, insbesondere die Zuwanderung, verwiesen werden, die in Baden-Württemberg etwas günstiger als im Bundesgebiet verläuft.

Daneben könnten die Unterschiede zwischen den Modellrechnungen für Baden-Württemberg und Deutschland auch von der gegenwärtigen unterschiedlichen Angebotsstruktur und Verfügbarkeit der Pflegeplätze zwischen Bund und Land abhängen. Weiterhin dürften Sonderfaktoren auf Länderebene, wie beispielsweise eine regional unterschiedliche Begutachtungspraxis des medizinischen Dienstes, die Ausgabenentwicklung beeinflussen. Diese Unterschiede werden aufgrund der Status-quo-Vorausrechnung ebenfalls fortgeschrieben. Da jedoch anzunehmen ist, dass diesen Unterschieden seitens der Entscheidungsträger zunehmend zum Teil begegnet wird, können die vorausgerechneten Ergebnisse – und somit die Differenzen zwischen Baden-Württemberg und Deutschland – nur als Anhaltspunkte der zukünftigen Entwicklung angesehen werden.

1 Die Langfassung des Beitrags ist erschienen in: Staatsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), 2005: Einfluss der demografischen Entwicklung auf die Pflege- und Krankenhausversorgung, Trends und Fakten 2004.

2 Bei der Status-quo-Vorausrechnung wurden für den gesamten Vorausrechnungszeitraum die Bedingungen des Referenzjahres, hier das Jahr 2001, als konstant angenommen. Nur die Bevölkerungszahl und die Altersstruktur ändern sich im Zeitablauf gemäß der Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes.

3 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), 2001: Wirtschaftliche Aspekte der Märkte für Gesundheitsdienstleistungen, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Berlin, S. 98 f.

4 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), a.a.O., S. 84. Die Berechnung der Anzahl der Krankenhaustage und Krankenhausfälle im Jahr 2030 erfolgte anhand einer Intrapolation, da nur Werte für die Jahre 2020 und 2050 vorlagen. Die Zahlen für das Jahr 2001 für Deutschland stammen aus der Krankenhausstatistik: Statistisches Bundesamt, 2003: Gesundheitswesen, Kostennachweis der Krankenhäuser 2001, Fachserie 12, Reihe 6.3, S. 15, 46 f.

5 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), a.a.O., S. 100 ff.

6 Breyer, Friedrich/Ulrich, Volker, 2000: Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt: eine Regressionsanalyse, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 220, S. 1-17.

7 Schulz, Erika/Leidl, Reiner/König, Hans-Helmut, 2001: Starker Anstieg der Pflegebedürftigkeit zu erwarten: Vorausschätzung bis 2020 mit Ausblick auf 2050, in: Wochenbericht des DIW Nr. 5/2001, Berlin, S. 71. Da das Basisjahr dieser DIW-Studie das Jahr 1999 ist, wurde unter Annahme eines linearen Verlaufs der Anzahl der Pflegebedürftigen des Jahres 2001 berechnet, um für den Vergleich mit Baden-Württemberg ein einheitliches Basisjahr zu erhalten. Die durchschnittlichen konstanten Kostensätze stammen aus der Pflegeversicherungsstatistik für Baden-Württemberg. Dieses Vorgehen lässt sich unter der Annahme rechtfertigen, dass die Kostenstruktur zwischen Bund und Land sich nicht wesentlich unterscheidet.