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Zukunftschancen der Stadt- und Landkreise in Deutschland und Baden-Württemberg

Die Zukunftschancen aus dem Wechselspiel zwischen künftiger Bevölkerungsentwicklung, Wohlstand, Arbeitsmarkt sowie Wettbewerb und Innovationsfähigkeit hat die PROGNOS AG für die 439 Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands untersucht.1 Ein Fazit war für PROGNOS, dass die deutschen Großstädte »noch keine Rolle in der Liga der Global Cities spielen«.2 Weiter stellt PROGNOS fest: »Sich auf Stärken auszuruhen, ist gefährlich. Harte Standortvorteile werden im europäischen Wettbewerb schnell relativiert. Mit innovativen Technologien und jungen Zukunftsbranchen treten neue »Hot Spots« auf den Plan.«

Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg hat die überwiegend auf Daten der amtlichen Statistik beruhenden Ergebnisse typologisch geclustert und dabei eine Reihe bemerkenswerter Charakteristika für »Speckgürtel-Kreise« oder solche Kreise feststellen können, die von Hochschulen oder von der Automobilindustrie oder vom Dienstleistungsbereich geprägt sind.

Hot Spots in Deutschland

Hot Spots sind im eigentlichen Sinne heiße Magmakammern nahe an der Erdoberfläche, deren Energie sich vor allem durch Vulkane bemerkbar macht. Bevor es zu kleinräumigen Eruptionen kommt, bebt die Erde, weiträumig entstehen Verschiebungen und Veränderungen. In dieser Phase befindet sich Deutschland und Baden-Württemberg mit seinem nun schon vier Jahrzehnte andauernden ökonomischen und demografischen Strukturwandel. Die einst bedeutendsten Industriezweige Baden-Württembergs, die Textil- und Bekleidungsindustrie, sind unter Arbeitsplatzgesichtspunkten unbedeutend geworden; die in Baden noch vor einem halben Jahrhundert ganze Landstriche prägende Tabakindustrie ist ebenfalls bis auf kleine Reste verschwunden. Prägend sind heute hoch technisierte Industriezweige und zunehmend der Dienstleistungsbereich und dort vor allem das Gesundheitsweisen. PROGNOS meint weiter, »dass Regionen, die sich auf strategische Cluster konzentrieren, beim Wachstum vorn liegen (werden). Nur sie entwickeln genug Ausstrahlungskraft, um auch das Umfeld profitieren zu lassen«.

Top- oder sehr hohe Zukunftschancen attestiert PROGNOS nur wenigen der 439 deutschen Kreise. Bemerkenswert sind einige typologische Auffälligkeiten. In den Spitzengruppen sind die Universitäts- und Hochschulstädte München, Freising, Heidelberg, Mainz, Ulm, Freiburg im Breisgau mit am besten platziert. Diese Städte und Kreise erreichen zwar nur mittlere bis schlechte Ränge für die »soziale Lage und den Wohlstand«, dafür aber hohe Ränge am Arbeitsmarkt und für ihre »Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit« (Tabelle). Dass PROGNOS diesen Gebieten vordere Ränge für »Demografie« bescheinigt, ist so nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Diese Städte und Kreise haben wegen des hohen Anteils Studierender zwar eine junge Bevölkerung, wegen der Geburtenzurückhaltung vieler junger Akademiker und Akademikerinnen lässt sich ein nachhaltiger Beitrag zur Bevölkerungsentwicklung nicht unmittelbar erkennen. Die Spitzenstellung Heidelbergs ist auch als Erfolg einer nachhaltigen Kommunalpolitik und Stadtplanung zu sehen, die sich über einen strategischen Indikatorenkatalog, ein transparentes, nachvollziehbares, datenorientiertes Controllingsystem aufbaute, das an quantitativen Größen schon Erreichtes oder noch nicht Erreichtes der Stadt und den Bürgern offen legt.3

Zu den Städten mit sehr guten Zukunftsaussichten zählte PROGNOS die Banken- und Dienstleistungszentren Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf. Hier fällt die extreme Schieflage der Ränge bei »Wohlstand und soziale Lage« im Vergleich zu jenen Rängen für »Wettbewerb und Innovation« auf. Die »Wohlstandsränge« sind so schwach, dass selbst die Kreise mit hohen oder sogar jene Kreise mit sehr

hohen Zukunftsrisiken in der Mehrheit besser abschneiden. Gleichzeitig stellt PROGNOS gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt fest. Hier stellt sich die Frage nach der »Ausstrahlungskraft«, von der das Umfeld profitieren soll. Es scheint sich doch eher ein Weg in eine dualistische Gesellschaft abzuzeichnen.

Eine andere Spitzengruppe sind die innovativen Hightech- und Autostädte bzw. Landkreise wie Stuttgart, Wolfsburg, Böblingen, Ingolstadt und Groß-Gerau. Auch diese Kreise erreichen meist nur durchschnittliche bis schwache Ränge für ihre »soziale Lage und den Wohlstand«. Besonders günstige Ränge bescheinigte PROGNOS für »Wettbewerb und Innovation«; das ist insofern nicht überraschend, als die meisten Patentanmeldungen von der Autoindustrie bzw. von Unternehmen kommen, die mit der Autoindustrie kooperieren. Die sehr günstigen Arbeitsmarktränge sind dann infrage zu stellen, wenn Global Player eher als Global Gambler auftreten, denen das Wort Sustainability oder Nachhaltigkeit manchmal fremd zu sein scheint oder zu spät einfällt.

TOP-Zukunftschancen oder sehr gute Aussichten bescheinigt PROGNOS einer Reihe von »Speckgürtel-Kreisen«. Die Aussichten basieren nach PROGNOS vor allem auf »Wohlstand« und guten Rängen für »Wettbewerb und Innovation«. Meist nur mittlere Ränge erreichen die Speckgürtel beim Zukunftsindex »Demografie«. Mit Blick auf die Tabelle ist man verleitet zu sagen: »Je näher am Geld, desto schlechter die demografischen Aussichten«.

Zukunftschancen der Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs

Für 12 der 44 baden-württembergischen Kreise stellt PROGNOS zum Teil sehr gute, gute oder hohe Zukunftsaussichten fest (Schaubild). Dabei werden die Ränge – vom Gewicht her – vor allem durch die bestehende »Stärke« und weniger durch die zukunftsweisende »Dynamik« bestimmt.4 Dass es sich nicht lohnt, »sich auf Stärken auszuruhen, da harte Standortvorteile im europäischen Wettbewerb schnell relativiert werden«, scheint im Mittleren Neckarraum und im Rhein-Neckar-Gebiet allerdings verinnerlicht zu sein, wie die andauernde Exportorientierung bestätigt.5

Die Orientierung auf wenige sehr dynamische und exportabhängige Branchen birgt Risiken, wenn diese in Turbulenzen geraten. Der für die nächsten Jahre geplante Arbeitsplatz- und Lehrstellenabbau bei DaimlerChrysler in Sindelfingen mag zur Sanierung des Unternehmens unabwendbar sein, für eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik kann er nicht stehen. Schon in wenigen Jahren wird es in Europa, Deutschland und – etwas weniger ausgeprägt – auch in Baden-Württemberg einen empfindlichen Arbeitskräftemangel geben, wie Eurostat, das Statistische Bundesamt und das Landesamt berechnet haben.

PROGNOS stellt für die am besten platzierten Stadt- und Landkreise des Landes fest, dass diese unter anderem wegen der überdurchschnittlichen Kaufkraft, dem hohen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, der geringen Arbeitslosigkeit, der positiven Wanderungsbilanz und dem großen Anteil junger Erwachsener ähnliche qualitative Potenziale aufweisen wie der Großraum München oder das Rhein-Main-Gebiet.

Bei den Kreisen mit hohen und besseren Zukunftschancen fällt die weit über dem Bundesdurchschnitt liegende »Stärke« auf. Für die Universitäts- und Automobilkreise attestiert PROGNOS zudem eine hohe Dynamik. Außer für Pforzheim werden allen baden-württembergischen Stadtkreisen gute bis sehr gute Zukunftschancen eingeräumt. Darüber hinaus sind räumlich mehrere Cluster entlang des Neckars und in Oberschwaben festzustellen. Das gilt so nicht für die Gebiete des südlichen Badens trotz der grenzüberschreitenden Aktivitäten.

Weniger günstig schätzt PROGNOS die Chancen für die alt-industrialisierten Gebiete am Rande der Schwäbischen Alb und den »topografisch schwierigen« gebirgigen oder eher dünn besiedelten Gebieten ein. Für 11 der 35 Landkreise des Landes reichte es nur zu Rängen, die unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Für diese Kreise ermittelte PROGNOS vor allem unterdurchschnittliche »Stärken«. Für den Alb-Donau-Kreis und den Landkreis Emmendingen dürften die Aussichten aber günstiger sein als von PROGNOS ermittelt, da sie in unmittelbarer Nähe zu den zukunftsträchtigen Oberzentren Ulm und Freiburg liegen.

Insgesamt erreichen 33 von 44 baden-württembergischen Stadt- und Landkreisen über dem Bundesdurchschnitt liegende Ränge. Vergleichsweise bedenklich zeigt sich die Situation nur im Neckar-Odenwald-Kreis (Rang 269), dem Zollernalbkreis (Rang 295) und im Landkreis Sigmaringen (Rang 312). Insgesamt werden dem Land von PROGNOS aber gute Entwicklungschancen attestiert. Bei den dargestellten Randfolgen fällt auf, dass im weiten mittleren Feld die Unterschiede beider »Sammel-Indikatoren« gering bis sehr gering sind. Die Verteilungsparameter für die Indikatoren »Dynamik« und »Stärke« der baden-württembergischen Stadt- und Landkreise sind:

Die Variationskoeffizienten von 8 und 9 zeigen, dass die Rangnummern mehr Unterschiede vortäuschen als in der Realität tatsächlich vorhanden sind.