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Das Internet ist kein ortloser Raum – Das World Wide Web und seine regionalen Strukturen in Deutschland

Das Internet hat sich in Deutschland als mittlerweile nicht mehr ganz neues Medium fest etabliert. Informationsbeschaffung und Kommunikation über das World Wide Web ist in Forschungseinrichtungen, Unternehmen und öffentlicher Verwaltung zum Alltag geworden. Im 1. Quartal 2004 nutzten 78 % der Unternehmen das Internet. Von den Firmen, die 10 oder mehr Mitarbeiter beschäftigten, sind bereits 95 % mit einem Internetzugang ausgerüstet.1 37 % aller in Deutschland ansässigen Unternehmen haben im 1. Quartal 2004 sogar Produkte über das Web bestellt. Der folgende Beitrag.2 kommt zu dem Ergebnis, dass das Internet keine neuen wirtschaftlichen Strukturen innerhalb der Bundesrepublik geschaffen hat. Es hat vielmehr den Anschein, dass die bereits bestehenden regionalen Disparitäten im Hinblick auf die Innovationsfreundlichkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weiter reproduziert werden. Wir danken dem Statistischen Landesamt Niedersachsen für die freundliche Abdruckgenehmigung.

Wie schnell das Internet gerade in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, verdeutlicht ein Vergleich mit den Werten von 2002. Schaubild 1 ist zu entnehmen, dass der Anteil der Unternehmen, die das Internet nutzen, seit 2002 von 62 % auf 78 % gestiegen ist. Über eine eigene Website verfügten 2002 lediglich 33 % der Firmen. 2004 waren es bereits 59 %. Dementsprechend ist die Internetpräsenz deutscher Unternehmen in nur 2 Jahren um über 78 % angestiegen.

Auch in den privaten Haushalten in Deutschland hat sich das Internet weiter etabliert. 2004 waren bereits 57 % der Haushalte mit einem Internetanschluss ausgestattet. Das waren 14 Prozentpunkte mehr als 2002. Der Anteil der Menschen zwischen 16 und 74 Jahren, die das Internet im 1. Quartal 2004 nutzten, stieg ebenfalls von 46 % im Jahr 2002 auf nunmehr 60 %.3 50 % der Bevölkerung in dieser Altersklasse gehen mittlerweile regelmäßig aus privaten oder beruflichen Gründen ins Internet.

Deutschland steht mit diesen Werten im europäischen Vergleich ausgesprochen gut da, wie Schaubild 2 zeigt. In Bezug auf regelmäßige Internetnutzung liegt Deutschland mit einem Anteil von 50 % über dem europäischen Durchschnitt (EU-25) von 38 %. Besonders viele Menschen, die das Internet regelmäßig nutzen, leben in Island (77 % der Bevölkerung), Dänemark (70 %), Norwegen (68 %) und Finnland (63 %). In Europa zeigt sich damit ein gewisses Nord-Süd-Gefälle. Ebenso ist ersichtlich, dass in Osteuropa die Internetnutzung noch geringer entwickelt ist als im Westen. Ein ähnliches Bild ergibt sich im Hinblick auf die Ausstattung von Haushalten mit Internetanschlüssen. In Deutschland sind fast 60 % aller Haushalte im Netz und damit deutlich mehr als im europäischen Durchschnitt von 43 %. Besonders viele Online-Haushalte finden sich wieder in Island (81 %) und Dänemark (69 %).

Die Bedeutung der .de-Domain

Die Inhalte des Internets lassen sich auf internationaler Ebene derzeit kaum untersuchen, wohl aber auf nationaler Ebene innerhalb der Bundesrepublik mithilfe der deutschen Countrycode-Top-Level-Domain (ccTLD). Dieser Code ist am Ende vieler Internetadressen zu finden und gibt fast immer Aufschluss über die nationale Herkunft der Internetseite. Der deutsche ccTLD lautet .de, der spanische beispielsweise .es, der US-amerikanische .us. Neben den ccTLD existieren noch andere Codes, die das Ende einer Internetadresse bilden können. Diese so genannten generischen TLDs (gTLD) lauten häufig .com, .net, .biz, .org… Von diesen Codes kann nicht auf die nationale Herkunft einer Internetseite, wohl aber gelegentlich auf ihren Inhalt geschlossen werden. So steht .com meist für Verkaufsplattformen und .org für Organisationen.

Ein Vergleich der Anzahl von verschiedenen ccTLDs ergibt ein überraschendes Bild: So existierten im Juli 2005 8 932 261 .de-Internetadressen und lediglich 872 522 .us-Internetadressen4 Diese immense Diskrepanz ist nicht darauf zurückzuführen, dass es zehn Mal mehr deutsche als amerikanische Internetadressen gibt. Tatsächlich ist es in Deutschland unüblich, nach gTLD zu unterscheiden. Anders als in den USA werden in der Bundesrepublik auch Verkaufsplattformen und Organisationen mit der ccTLD versehen. Dementsprechend eignet sich die ccTLD nicht für internationale Vergleiche.

Da jede deutsche ccTLD (.de-Domain) auf die Person, Firma oder Organisation registriert sein muss, die für den Inhalt der Internetseite verantwortlich ist, liegen Daten darüber vor, wo die Besitzer der Internetadresse gemeldet sind. Demgemäß lässt sich innerhalb Deutschlands nachvollziehen, wo und wie viele Personen, Firmen oder Organisationen gemeldet sind, die über eine eigene Internetadresse verfügen. Zwar ist nicht hinter jeder Internetadresse zwangsläufig eine Internetseite zu finden: So hat sich in den letzten Jahren »Domaingrabbing« entwickelt. Dabei lassen Personen oder Firmen eine Vielzahl von de.-Domains auf sich registrieren, um sie später teuer verkaufen zu können.

Ungeachtet dessen ist aber die Anzahl von .de-Domains innerhalb der Bundesrepublik ein wertvoller Innovationsindikator. Schließlich ist der Erwerb einer Internetadresse praktisch nur für denjenigen sinnvoll und möglich, der im Umgang mit PC und Internet versiert ist. Darüber hinaus steht hinter dem Erwerb einer Internetseite fast immer die Absicht, Informationen, Unterhaltung oder Produkte öffentlich anzubieten.

Regionale Verteilung der .de-Domains in Deutschland

In Schaubild 3 stellen die blauen Kreise die Anzahl der im Jahr 2004 gemeldeten .de-Domains in den Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands dar. Dabei gilt: je größer die Kreise, desto mehr Domains sind in dem entsprechenden Gebiet zu finden.

Schaubild 3 zeigt ein deutliches West-Ost-Gefälle sowie eine starke Diskrepanz zwischen Peripherie und Zentrum. Diese Phänomene sind zum Teil auf Unterschiede der Besiedlungsdichte zurückzuführen. Wo viele Menschen leben, dort sind auch viele Internetadressen gemeldet.

Dementsprechend finden sich die meisten .de-Domains in den großen Städten wie Berlin (437 320), Hamburg (311 736), München (281 859), Köln (181 422) und der Region

Hannover (132 821). Den höchsten Wert in Baden-Württemberg erreicht mit knapp 100 000 .de-Domains die Landeshauptstadt Stuttgart (91 943).

Entwicklung der Domainzahlen im Jahresvergleich

Schaubild 3 zeigt außerdem die Entwicklung der Domainzahlen von 2003 auf 2004 (Veränderungsrate in %). Es gilt: je dunkler der Farbton, desto stärker die jeweilige Ausprägung. Gebiete mit geringen Domainzahlen weisen oft hohe Wachstumsraten auf. Dieser Nachholeffekt ist allerdings relativ gering. Die Domaindichte korreliert mit dem Domainwachstum zwar negativ, aber mit einem Wert von r = −0,15 ist der Zusammenhang schwach. Bundesweit sieht man Aufholtendenzen in Ostdeutschland, diese sind aber nicht stark genug, um die Verteilung nachhaltig zu verändern.

In Baden-Württemberg verzeichneten die Stadtkreise Pforzheim (4,3 %), Baden-Baden (8,0 %), Heilbronn (9,5 %), Karlsruhe (13,6 %) und Heidelberg (14,1 %) Zuwachsraten unter 15 %, ebenso die Landkreise Waldshut (8,0 %) und Schwarzwald-Baar (12,5 %). Im Ostalbkreis (−0,9 %) war sogar ein leichter Rückgang der Domainzahlen zu beobachten. Die höchsten Zuwächse konnte mit 25,3 % der Landkreis Esslingen verzeichnen, dessen Ausstattung mit .de Domains 2004 deutlich über dem Bundesdurchschnitt lag.

Dichte des .de-Domain-Besatzes – Zusammenhänge mit Besiedlungsstruktur und Wirtschaftskraft

Schaubild 4 zeigt die relative Domainzahl je 1 000 Einwohner in den Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands. Abermals gilt: je dunkler der Farbton, desto stärker ist die jeweilige Ausprägung. Diese mit der Einwohnerzahl standardisierte Karte ist ein wertvoller Indikator für die regionale Konzentration von intensiver Internetnutzung.

Der Karte ist auf den ersten Blick der ehemalige Grenzverlauf zwischen Ost- und Westdeutschland zu entnehmen. Mit nur wenigen Ausnahmen sind im Osten durchweg weniger .de-Domains zu finden als im Westen des Landes. Lediglich in Berlin und der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam kommen auf 1 000 Einwohner besonders viele Internetadressen (129 bzw. 143). In den Nachbarregionen dieser beiden Gebiete sind leicht unterdurchschnittliche Werte zu finden, die im Vergleich zum Rest der neuen Bundesländer jedoch positiv auffallen. Dabei handelt es sich offenbar um ein klassisches »Speckgürtel-Phänomen«.

In Ostdeutschland auffällig sind auch die Städte Dresden, Leipzig und Jena. Dass dort wesentlich mehr Domains gemeldet sind als in den übrigen Regionen Ostdeutschlands, ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass es in diesen Städten Universitäten gibt. Schließlich waren die Hochschulen die ersten Institutionen in Deutschland, die das Internet angenommen und verwendet haben. Diese Städte gehören aber auch zu den wenigen Wachstumszentren in Ostdeutschland.

Darüber hinaus zeigt sich im gesamten Bundesgebiet eine klare Zentrum-Peripherie-Struktur. In Anbetracht der Tatsache, dass mit dem Internet von jeder Lokalität aus gearbeitet werden kann, die über eine Telefonleitung verfügt, überrascht es zunächst, dass kein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen den Ballungsräumen und den ländlichen Gebieten zu beobachten ist. Zunächst einmal sind Internet-Anbieter nicht an einen bestimmten Ort gebunden, und nur von der Technik her gibt es keine komparativen Kostenvorteile, die eine Region als besonders geeignet für Internetanbieter qualifizieren würden. Die tatsächlichen Verhältnisse sind

jedoch genau andersherum. So zeigt sich, dass die Besiedlungsdichte mit der Dichte an gemeldeten Internet-Domains positiv korreliert. In den städtischen Ballungsräumen mit hoher Besiedlungsdichte ist auch die Dichte an gemeldeten Internet-Adressen hoch. Der Korrelationskoeffizient r liegt mit 0,54 angesichts seines theoretischen Maximums von 1,0 recht hoch.

Die höchste Dichte an Internetadressen findet sich in der bayerischen Metropole München. Hier kommen auf 1 000 Einwohner 225 gemeldete Internetadressen. Es folgen Bonn (218 Domains pro 1 000 Einwohner), Düsseldorf (217), Köln (187), Karlsruhe (184) und Frankfurt (180). In Baden-Württemberg stechen ansonsten die Werte für die Stadtkreise Karlsruhe (184), Stuttgart (156), Freiburg im Breisgau (154), Heidelberg (135), Baden-Baden (133), Ulm (122) und Mannheim (114) hervor.

Die meisten der in Schaubild 4 dargestellten Regionen mit über 100 .de.-Domains je 1 000 Einwohner verfügen über eine hohe Wirtschaftskraft. Der Zusammenhang wurde untersucht anhand des Indikators »Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf«. Dieser Indikator für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Regionen ist natürlich vor allem in den Einzugsgebieten der großen Zentren durch Pendlereffekte nur begrenzt aussagefähig, was aber bei der Vielzahl der untersuchten Regionen keine große Rolle spielt. Das BIP pro Kopf korreliert mit der Domainanzahl auf 1 000 Einwohner mit r = 0,67 stark positiv. Das bedeutet: Dort wo das Bruttoinlandsprodukt hoch ist, sind viele Internetadressen gemeldet. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungskraft einer Region und der Anzahl von gemeldeten Internetadressen.

In Baden-Württemberg lässt sich dieser Zusammenhang vor allem für den Stadtkreis Stuttgart, den Landkreis Böblingen sowie die Stadtkreise Karlsruhe, Heidelberg, Mannheim, Freiburg, Baden-Baden und Ulm feststellen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Das Internet ist kein ortloser Raum, sondern seine regionale Verteilung korrespondiert mit den vorgefundenen Raummustern. Diese zeigen ein weiteres Mal die großen Metropolräume in Deutschland, und zwar – von Nord nach Süd – Hamburg, Rhein-Ruhr (mit Köln und Bonn), Rhein-Main (mit Frankfurt, Mainz und Wiesbaden), Stuttgart und München, mit gewissen Einschränkungen wegen einer geringeren Strahlkraft in den Raum auch Berlin, Hannover und Nürnberg. Alle diese metropolitanen Räume sind ausgezeichnet durch eine hohe Konzentration von Bevölkerung, Wirtschaftsleistung und Forschungseinrichtungen. Auch die staatliche Administration ist hier oft konzentriert, und so entsteht auf Anbieter- wie auch auf Nachfragerseite die Basis für ein kreatives und innovatives Milieu.