:: 4/2006

Von Clara Zetkin zu Angela Merkel

Heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen als Regierungsmitglieder amtieren oder als Abgeordnete in den Parlamenten der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesländer – wenn auch immer noch unterrepräsentiert – vertreten sind. Das war nicht immer so. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Kampf um die Durchsetzung des Frauenwahlrechts das Grundanliegen der in ihren Absichten von einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft lange diskriminierten Frauenbewegung. Erst im Jahre 1918, einhergehend mit der Bildung der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie, erhielten die Frauen das aktive und passive Wahlrecht und wurden gleichberechtigte Wahlbürgerinnen.1

Angela Merkel die erste Bundeskanzlerin

Den vorläufigen Höhepunkt der politischen Emanzipation der Frauen in Deutschland bildete die Wahl Angela Merkels am 22. November 2005 zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Diese politische Entscheidung bewog sogar die Gesellschaft für deutsche Sprache, das Wort »Bundeskanzlerin« zum Wort des Jahres 2005 zu wählen. Begründet wird die Wortwahl damit, dass noch vor wenigen Jahrzehnten eine Frau an der Regierungsspitze als Bundeskanzler bezeichnet worden wäre. In der inzwischen mehr als 50-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist die Zahl der Frauen in hohen Regierungsämtern unverhältnismäßig gering. Als erste Frau im Rang einer Bundesministerin betrat Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) eine Männerdomäne. Sie war in den Jahren 1961 bis 1965 für das Gesundheitswesen verantwortlich. Auch danach leiteten auf Bundesebene Frauen vor allem so genannte weiche Ressorts wie Familie, Frauen und Gesundheit. Die Wahl für das höchste Amt im Staat – das Bundespräsidentenamt – konnte trotz einiger Bewerbungen bisher noch keine Frau für sich entscheiden. Immerhin haben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bereits zwei Politikerinnen das protokollarisch zweithöchste Amt im Staat innegehabt. Von 1972 bis 1976 waren Annemarie Renger (SPD) und von 1988 bis 1998 Rita Süssmuth (CDU) Präsidentin des Deutschen Bundestages.

Frühzeitige Regierungsverantwortung auf Länderebene

Auch auf Bundesländerebene finden sich im Zeitverlauf weitaus weniger Frauen als Männer in verantwortlichen Positionen der Landesregierungen. Bereits kurz nach Kriegsende übernahmen allerdings in den späteren Bundesländern Berlin, Hamburg und Bremen Frauen auf Minister-/Senatorenebene Verantwortung. Louise Schroeder (SPD) amtierte in Berlin von 1946 bis 1947 sogar als Oberbürgermeisterin. Hamburg und Berlin zählen seitdem die meisten Ministerinnen. Auch aktuell ist die weibliche Mitsprache in den beiden Stadtstaaten sowie in Brandenburg und Rheinland-Pfalz am stärksten. Mit einem Frauenanteil von rund einem Drittel in den Landesregierungen liegen sie weit vor den anderen Bundesländern. Am aktivsten in Sachen Gleichstellung ist der Bund. In vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung war Heide Simonis (SPD). Sie amtierte in Schleswig-Holstein nicht nur von 1988 bis 1993 als Finanzministerin, sondern von 1993 bis 2005 sogar als die bisher einzige deutsche Ministerpräsidentin. Hätte sie im April 2005 nicht aus dem Amt ausscheiden müssen, wäre sie turnusgemäß auch Präsidentin des Deutschen Bundesrates und damit zugleich Stellvertreterin des Bundespräsidenten geworden.2 Mit Annemarie Griesinger wurde 1972 zum ersten Mal eine Frau in ein Kabinett der baden-württembergischen Landesregierung berufen. Bis 1980 leitete sie das Ressort für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung. Danach war sie bis 1984 Ministerin für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Baden-Württemberg in Bonn sowie Europa-Beauftragte der Landesregierung. Ihr folgten in chronologischer Reihenfolge Barbara Schäfer (CDU), Dr. Marianne Schultz-Hector (CDU), Helga Solinger (SPD), Brigitte Unger-Soyka (SPD), Dr. Annette Schavan (CDU), Gerdi Staiblin (CDU) und Corinna Werwigk-Hertneck (FDP) in unterschiedlichen Ministerämtern im deutschen Südwesten. Im derzeit noch im Amt befindlichen Kabinett von Ministerpräsident Günther Oettinger leitet Tanja Gönner das Umweltministerium und Dr. Monika Stolz das Sozialministerium des Landes.

Frauen im neuen Bundestag

Ebenso wie in den Regierungen ist es den Frauen in den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene bisher nicht gelungen, nur annähernd die Hälfte der Mandate zu erringen. Noch 1969 waren Frauen im Bundestag so eindeutig unterrepräsentiert, wie die Beamten überrepräsentiert waren. Die Frauen stellten damals einen Anteil von etwa 54 % der Wahlberechtigten, etwa 15 % der Parteimitglieder und 6,6 % der Bundestagsabgeordneten. Dies stand eindeutig im Gegensatz zur verstärkt aufgekommenen Diskussion zur Rolle der Frau in der Gesellschaft.3

Auch im neu gewählten 16. Deutschen Bundestag sind die Frauen immer noch unterrepräsentiert, denn von den insgesamt 614 gewählten Abgeordneten sind nur 193 Frauen; das entspricht einem Anteil von 31,4 %. Gegenüber der Bundestagswahl 2002 ist damit der Frauenanteil sogar leicht gesunken. Damals waren 194 von 603 gewählten Abgeordneten weiblich (32,2 %). Baden-Württemberg entsendet insgesamt 76 Abgeordnete nach Berlin; darunter sind 20 Frauen, was einem Anteil von 26,3 % entspricht und damit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Vergleicht man nun den Frauenanteil an den Bewerbern zur Bundestagswahl 2005 mit dem an den Gewählten, so kann für die Kandidatinnen dennoch ein positives Fazit gezogen werden:

Für die Direktmandate (Erststimmen) deutschlandweit

Bewerberinnen21,4 %,
Gewählte23,1 %.

Bei den Landeslisten deutschlandweit

Bewerberinnen32,2 %,
Gewählte 39,7 %.

Das heißt, relativ waren Frauen bei der Bundestagswahl 2005 erfolgreicher als ihre männlichen Mitstreiter.

Weniger günstig ist die Bilanz für die Wahlkreiskandidatinnen in Baden-Württemberg:

Für die Direktmandate (Erststimmen)

Bewerberinnen20,6 %,
Direktmandate10,8 %.

Damit bildet Baden-Württemberg hinsichtlich des Frauenanteils an den gewählten Direktmandaten das Schlusslicht in Deutschland.

Anders bei der Landesliste:

Bewerberinnen31,5 %,
Gewählte41,0 %.

Es begann mit Clara Zetkin

87 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts ist das traditionelle Geschlechterverhältnis noch nicht umgewälzt, aber zumindest in Bewegung geraten. Eine der vehementesten Vorkämpferinnen für die politische Gleichstellung der Frauen in Deutschland war Clara Zetkin. Die lange Zeit in Stuttgart wohnende Clara Zetkin organisierte vom 18. bis 24. August 1907 die erste Internationale Frauenkonferenz in der Liederhalle. Daraus ging das Internationale Frauensekretariat hervor, dessen Sekretärin sie wurde. Auf ihre Initiative hin beschloss die Internationale Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910 die Durchführung des Internationalen Frauentags am 8. März als Kampftag für Gleichberechtigung, Demokratie, Frieden und Sozialismus. Clara Zetkin gehörte als eine von wenigen Frauen dem Deutschen Reichstag von 1920 bis 1932 an. Als besondere Auszeichnung durfte sie den 1932 neu gewählten Reichstag als Alterspräsidentin am 30. August 1932 eröffnen.4 Ihr sollten immer wieder herausragende Frauenpersönlichkeiten in deutschen Parlamenten folgen. Exemplarisch sei hier auf die Frau des ersten Bundespräsidenten verwiesen. Elly Heuss-Knapp wurde 1946 in den Landtag von Württemberg-Baden gewählt und legte ihr Mandat erst 1949 vor der Wahl ihres Mannes zum Bundespräsidenten nieder. Es dauerte lange Zeit, bis der frühe Kampf von Clara Zetkin späte Früchte trug. So gehören dem kürzlich gewählten 14. Landtag von Baden-Württemberg 33 Frauen an. Das entspricht einem Anteil von knapp 24 %. 12 Frauen gehören der CDU, 11 der SPD, 4 der FDP und 6 der Fraktion der GRÜNEN an. Wann einmal gleich viel oder mehr Frauen als Männer in den Regierungen und Parlamenten sitzen werden, ist derzeit noch nicht absehbar.

1 Vgl. Hochreuter, Ina: Frauen im Parlament, Stuttgart 1992, S. 5.

2 Quelle: IWD Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Jg. 31, 17. November 2005.

3 Vgl. Kaack, Heino: Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, Opladen 1971, S. 653.

4 Vgl. Hochreuter, Ina: Frauen im Parlament, Stuttgart 1992, S. 44 ff.