:: 6/2006

Wird der Norden »abgehängt«? – Süd-Nord-Gefälle in Wissenschaft und Wirtschaft?

Wirtschaftskraft und Wirtschaftsleistung in den Bundesländern

Gewinner der ersten Wettbewerbsrunde der »Exzellenzinitiative – Spitzenuniversitäten für Deutschland« in der Förderlinie »Zukunftskonzepte« sind vor allem süddeutsche Hochschulen. Nach Auswahl der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Wissenschaftsrats am 20. Januar 2006 wurde insgesamt zehn »Elite-Unis« Spitzenforschung mit überzeugenden Zukunftskonzepten attestiert, davon vier in Baden-Württemberg, drei in Bayern und je eine in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin. Mit insgesamt sieben ausgewählten Spitzenuniversitäten schneidet der Süden Deutschlands als Universitäts- und Wissenschaftsstandort deutlich besser ab als die nördlichen Länder. Spiegeln sich diese Divergenzen in der Wirtschaft wider? Schneidet der Norden auch beim Wachstum schlechter ab?

Wirtschaftswachstum – Süd-Nord-Gefälle?

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im Jahr 2005 im Vergleich zum Vorjahr preisbereinigt um 0,9 % gestiegen. Die leichte Belebung des Jahres 2004 (+ 1,6 %) hat sich damit wieder etwas abgeschwächt. Im Wachstumsranking der Bundesländer 2005 belegten Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein mit jeweils + 1,5 % hinter dem Saarland mit + 2,7 % den zweiten Platz, knapp gefolgt von Hamburg (+ 1,3 %), Bayern (+ 1,2 %) sowie Sachsen-Anhalt mit + 1,1 % und schlossen somit deutlich besser ab als Deutschland insgesamt. Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Hessen erreichten den Bundesdurchschnitt, die übrigen Länder lagen zum Teil deutlich darunter. Die Veränderungsrate des preisbereinigten BIP gegenüber dem Vorjahr dient allgemein als Messgröße für das Wirtschaftswachstum. Das BIP stellt den Gesamtwert der innerhalb eines Jahres erstellten Waren und Dienstleistungen einer Region abzüglich der als Vorleistungen eingesetzten Güter dar.

»Bleibt der Norden wirtschaftlich zurück?« – Zur Klärung der Frage wurden die 16 Bundesländer entsprechend ihrer geografischen Lage in sieben Süd- und neun Nordländer eingeteilt, bei für beide Teilgebiete insgesamt ausgeglichener Landesfläche und Einwohnerzahl sowie annähernd gleich hoher Wirtschaftsleistung. Datenbasis sind die vom Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« vorgelegten Regionalergebnisse zum Wirtschaftswachstum. 2005 stießen demnach jeweils drei »Nord- und Südländer« in die Spitzengruppe mit überdurchschnittlichem Wachstum vor, das heißt die Lage war ausgewogen. Um kurzfristige Konjunkturschwankungen auszublenden, soll hier die Wirtschaftsentwicklung im 3- bzw. 7-jährigen Durchschnitt von 1999 bzw. 2003 bis 2005 betrachtet werden.

»Südländer« beim Wachstum vorn

Entsprechend der Entwicklung 2003 bis 2005 in ganz Deutschland zeigte sich in den meisten Bundesländern eine moderate konjunkturelle Belebung. Zu den wachstumsstärkeren Regionen, mit durchschnittlichen Zuwächsen über der 1,5%-Marke, gehörte neben Bayern und dem Saarland unter den neuen Ländern Thüringen. Als einziges nördliches Bundesland konnte sich Schleswig-Holstein mit einem Anstieg des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts von + 1,1 % in der Gruppe der Länder mit überdurchschnittlichem Wachstum behaupten. In den übrigen »Nordländern« blieb die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts deutlich hinter der allgemeinen Entwicklung zurück. Im längerfristigen Durchschnitt 1999 bis 2005 ein ähnliches Bild: Neben sechs »Südländern« lag nur ein »Nordland«, diesmal Brandenburg, beim BIP-Ranking auf den vorderen Plätzen. Insgesamt zeichnet sich beim Wirtschaftswachstum ein deutliches Süd-Nord-Gefälle ab. Vor allem der Norden scheint von der Wirtschaftsflaute der vergangenen Jahre stärker betroffen und konnte offenbar nur schwach von der konjunkturellen Belebung 2004 profitieren.

Drei Bundesländer stellen die Hälfte des gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukts

Ökonomische Vergleiche zwischen Regionen werden in der Regel am BIP, an der Einwohnerzahl und an den Erwerbstätigen festgemacht. Unter den Bundesländern wiesen die nach der Zahl der Einwohner größten Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg 2005 die höchste Wirtschaftsleistung auf. Der Wert der in diesen drei Ländern insgesamt erstellten Waren und Dienstleistungen belief sich auf gut 1 200 Mrd. Euro, das ist mehr als die Hälfte (54 %) des gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukts (2 244 Mrd. Euro). Allein die Wirtschaftsleistung des Landes Nordrhein-Westfalen entsprach 2005 mit knapp 490 Mrd. Euro gut einem Fünftel des Bundeswertes oder etwas mehr als dem BIP aller neuen Bundesländer zusammen zuzüglich der Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen sowie dem Saarland.

Nach Aufteilung in Nord- und Südländer entfielen 2005 auf den Süden rund 53 % des gesamtdeutschen BIP. Verglichen mit knapp 51 % Anteil Anfang der 90er-Jahre hat sich das wirtschaftliche Gewicht des Südens damit gegenüber dem Norden leicht erhöht.

Beim »BIP-Pro-Kopf« liegen Hamburg und Bremen vorn …

Aussagefähigere Vergleiche der Wirtschaftskraft verschieden großer Länder mit unterschiedlich großer Wirtschaftsleistung werden eigentlich erst ermöglicht, wenn man das regionale Bruttoinlandsprodukt auf die jeweilige Bevölkerungszahl bzw. auf die Erwerbstätigen der Region bezieht. Betrachtet man so zum Beispiel die durchschnittliche Wirtschaftsleistung der Bundesländer je Einwohner 2003 bis 2005, ergibt sich ein ganz anderes Bild. An der Spitze liegen dann nämlich die Stadtstaaten Hamburg und Bremen, gefolgt von den wirtschaftsstarken »Südländern« Hessen, Bayern und Baden-Württemberg. Innerhalb Deutschlands gibt es demnach ein ausgeprägtes Regionalgefälle der wirtschaftlichen Entwicklung mit einer Spanne des nominalen Bruttoinlandsprodukts je Einwohner zwischen 68 % des gesamtdeutschen Durchschnitts in Mecklenburg-Vorpommern bis zu 169 % in Hamburg.

…insgesamt fällt die Wirtschaftskraft im Norden aber zurück

Nicht nur zwischen Ost und West, auch zwischen Nord und Süd bestehen unübersehbare Unterschiede hinsichtlich der Wirtschaftskraft. Im Jahresdurchschnitt 2003 bis 2005 war das »BIP-Pro-Kopf« in den neun nördlichen Bundesländern mit rund 25 100 Euro immerhin knapp 12 % geringer als im Süden. Beim BIP je Erwerbstätigen schnitt der Norden zwar etwas besser ab, lag aber auch hier um gut 5 % unter Südniveau.

In Regionen mit Einpendlerüberhang, wie zum Beispiel Hamburg, wird die Aussagekraft der Kenngröße »BIP je Einwohner« allerdings relativiert, da die gesamtwirtschaftliche Leistung zum Teil deutlich über der von der ansässigen Erwerbsbevölkerung erstellten Wirtschaftsleistung liegt. Beim Vergleich des auf die Zahl der Erwerbstätigen bezogenen BIP verringert sich der »Vorsprung« der Hansestadt, sie liegt aber als größtes Dienstleistungszentrum Norddeutschlands auch bei der gesamtwirtschaftlichen Produktivität im Bundesländerranking vorn.

Seit Anfang der 90er-Jahre hat sich der Produktivitätsabstand der Nordländer kontinuierlich vergrößert: Gemessen am BIP je Einwohner fiel die Wirtschaftskraft von 97 % auf knapp 94 % und beim BIP je Erwerbstätigen von über 100 % auf gut 97 % des gesamtdeutschen Durchschnitts zurück. Im Süden war die Wirtschaftskraft demgegenüber 2005 gut 6 % bzw. knapp 3 % höher als im Bundesdurchschnitt.