:: 7/2006

Deutlicher Anstieg der Zahl der Studienberechtigten absehbar

Voraussichtliche Entwicklung der Schulabgängerzahlen bis 2020

Das einschneidendste Ereignis im Zeitraum bis 2020 wird der »doppelte« Abiturientenjahrgang im Jahr 2012 sein. In diesem Jahr dürften rund 71 000 Abiturienten die Gymnasien verlassen. Dazu kommen dann voraussichtlich noch fast 16 000 Absolventen mit Fachhochschulreife, sodass im Jahr 2012 nahezu 87 000 Studienberechtigte zu erwarten sind. Ab 2008 ist pro Jahr mit mehr als 60 000 Studienberechtigten zu rechnen. Die Studienberechtigtenquote könnte damit im Lauf des Vorausrechnungszeitraums von heute rund 43 % auf Werte um 50 % ansteigen. Mit Ausnahme des Jahres 2012 wird aber der mittlere Bildungsabschluss der häufigste bleiben. Bis 2007 dürfte hier noch ein Anstieg auf knapp 66 000 erfolgen. Danach sind rückläufige Zahlen bis hin zu nicht mehr ganz 52 000 im Jahr 2020 absehbar. Der Hauptschulabschluss wird im Jahr 2020 wohl nur noch von weniger als 34 000 Schulabgängern erworben.

Die voraussichtliche Entwicklung der Schulabgängerzahlen wurde auf der Basis der Vorausrechnung der Schülerzahlen bis 2020 – vgl. erster Titelbeitrag im vorliegenden Heft – berechnet. Diese Daten sind besonders für die Situation auf dem Lehrstellenmarkt und für die Kapazitätsplanung von Hochschulen bedeutsam.

2005: Rund 118 000 Abgänger von allgemein bildenden Schulen

Zum Ende des Schuljahres 2004/05 verließen rund 125 000 Jugendliche die allgemein bildenden Schulen im Land. Darunter waren knapp 26 400 Abiturienten, 49 500 Abgänger mit Realschulabschluss und rund 40 400 Abgänger mit Hauptschulabschluss. Etwa 8 400 junge Menschen gingen von der Schule ab, ohne einen allgemein bildenden Abschluss erworben zu haben. Darunter waren allerdings auch über 3 300 Schulabgänger mit Abschluss der Förderschule, bei der in der Regel der Hauptschulabschluss nicht vorgesehen ist.

Ziel der beruflichen Schulen ist meist die Vermittlung beruflicher Grundkenntnisse oder eines Berufsabschlusses. Darüber hinaus können an vielen Bildungsgängen aber auch allgemein bildende Abschlüsse erworben werden. Über 12 500 Abiturienten kamen im Jahr 2005 von beruflichen Gymnasien, Technischen Oberschulen oder Wirtschaftsoberschulen. Knapp 12 100 Schulabgänger erwarben an beruflichen Schulen die Fachschulreife. Diese ist als mittlerer Abschluss das Pendant zum Realschulabschluss an allgemein bildenden Schulen. Die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzuholen, nutzten rund 6 600 Schülerinnen und Schüler. Die meisten von ihnen schafften dies im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahres.

Im Jahr 2012 werden 71 000 Abiturienten erwartet

Das »herausragende« Ereignis der kommenden Jahre ist der Abiturientenjahrgang 2012, wie Schaubild 1 deutlich zeigt. In diesem Jahr geht der letzte Schülerjahrgang des 9-jährigen gleichzeitig mit dem ersten umfassenden Jahrgang des 8-jährigen Bildungsgangs in die Abiturprüfung. Dies führt zu einer außergewöhnlich großen Zahl an Abiturienten. Nach den hier getroffenen Annahmen ist 2012 mit 56 700 Absolventen zu rechnen. Zusammen mit den Abgängern der beruflichen Gymnasien dürften in diesem Jahr rund 71 000 Schülerinnen und Schüler die Hochschulreife erwerben. Darüber hinaus werden voraussichtlich weitere 15 900 junge Menschen an beruflichen Schulen und Freien Waldorfschulen die Fachhochschulreife zuerkannt bekommen.

Insgesamt fast 87 000 Studienberechtigte bedeuten gegenüber 2005 einen Anstieg um 62 %. Dies ist keine Verdoppelung, was daran liegt, dass nur ein Teil der Studienberechtigten ihren Abschluss an den allgemein bildenden Gymnasien erwirbt. Die beruflichen Gymnasien und die Bildungsgänge, die zur Fachhochschulreife führen, bleiben von der flächendeckenden Einführung des 8-jährigen Gymnasialzugs unberührt. Auch für die allgemein bildenden Gymnasien entspricht die erwartete Zahl von 56 700 Abiturienten nicht dem vollen Umfang zweier Jahrgänge. Zum einen wurde ein Teil der Schülerschaft bereits vor 2004 in Schulversuchen mit 8-jähriger Dauer unterrichtet. Zum anderen wurde für die Berechnung die Annahme getroffen, dass die Wiederholer des letzten 9-jährigen Jahrgangs erst ein Jahr später in die Abiturprüfung gehen.

Betrachtet man in Schaubild 1 den gesamten Vorausrechnungszeitraum fällt das hohe Niveau der Hochschulzugangsberechtigungen auf. Ab 2008 bis fast zum Ende des Zeitraums im Jahr 2020 dürften in jedem Jahr mehr als 60 000 Absolventen mit Hochschul- oder Fachhochschulreife die Schulen verlassen. Der Anteil eines Altersjahrgangs, der eine Hochschulzugangsberechtigung erwirbt, wird weiter ansteigen. Diese Studierberechtigtenquote lag Mitte der 90er-Jahre bei knapp 35 %, bis 2004 war sie auf 42 % angestiegen. Gegen Ende des Vorausrechnungszeitraums könnte sie bereits Werte um 50 % annehmen. Das bedeutet, die Hälfte eines Altersjahrgangs würde die Hoch-schul- oder Fachhochschulreife erwerben.

Starke Belastung für Hochschulen

Der Abiturientenjahrgang 2012 wird die Hochschulen, die bereits jetzt teilweise bis zu den Grenzen ihrer Kapazität ausgelastet sind, vor große Probleme stellen. Baden-Württemberg wird als das Land, in dem die meisten Hochschulen in Deutschland angesiedelt sind, besonders davon betroffen sein. Gut ein Drittel der Studierenden an den Hochschulen des Landes kommt aus der näheren Umgebung der jeweiligen Hochschule und ein weiteres knappes Drittel aus den anderen Kreisen Baden-Württembergs, wie das Statistische Landesamt in einer Untersuchung der Herkunft der Studierenden festgestellt hat.1 Dieser derzeit recht ausgeprägte Wunsch der Landeskinder, eine Hochschule innerhalb Baden-Württembergs zu besuchen, wird sich für einen erheblichen Teil der Abiturienten des Jahrgangs 2012 wohl nicht erfüllen lassen. Wenn die Kapazität der baden-württembergischen Hochschulen nicht an diese Spitze angepasst werden kann, könnte eine Ausweichmöglichkeit im Besuch einer ostdeutschen Hochschule liegen. Durch den Rückgang der Geburtenzahlen in den neuen Bundesländern ab der Wiedervereinigung um rund 50 % sowie die teilweise verbreitete Abwanderung nach Westdeutschland bestehen dann an den dortigen Hochschulen durchaus Kapazitätsreserven.

Starke Abiturientenjahrgänge aufgrund der Verkürzung der Gymnasialzeit sind allerdings kein spezifisch baden-württembergisches Problem. In 11 Bundesländern sind derzeit entsprechende Regelungen getroffen worden. Durch die unterschiedlichen Umsetzungsverfahren kommt es in diesen Ländern vom Jahr 2007 bis zum Jahr 2014 zu »doppelten« Abiturjahrgängen.

Diese verteilen sich folgendermaßen:

2007:Sachsen-Anhalt
2008:Mecklenburg-Vorpommern
2009:Saarland
2010:Hamburg
2011:Bayern, Niedersachsen
2012:Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen2
2013:Hessen, Nordrhein-Westfalen
2014:Hessen

In Brandenburg und Schleswig-Holstein besteht ebenfalls die Absicht, die Schulzeit bis zum Abitur zu verkürzen. Allerdings ist hierfür noch kein Zeitpunkt beschlossen worden.

Die Kultusministerkonferenz geht für den Zeitraum von 2007 bis 2017 von bundesweit 280 000 zusätzlichen Studienanfängern aus. Im Jahr 2004 begannen knapp 368 000 Erstsemester ihr Studium an den Hochschulen (einschließlich der Berufsakademien) in Deutschland. Im Jahr 2012 wären es bei einer Übergangsquote3 von 75 % nach den Berechnungen der Kultusministerkonferenz dagegen fast 406 000.4 Sollten Abiturienten durch diese Überlast oder mögliche Zugangsbeschränkungen verstärkt nach Alternativen suchen, könnte es zu einem Verdrängungswettbewerb auf dem Lehrstellenmarkt führen.

Mittlerer Schulabschluss bleibt der häufigste

Im Schuljahr 2004/05 erreichten rund 49 500 Schülerinnen und Schüler den Realschulabschluss an einer allgemein bildenden Schule und etwa 12 100 die Fachschulreife an einer beruflichen Schule. Schaubild 2 zeigt, dass in den kommenden Jahren bis 2007 noch ein leichter Anstieg der Gesamtzahl um fast 7 % auf 65 800 zu erwarten ist. Damit läge die Zahl der Absolventen mit mittlerem Abschluss ungefähr auf dem Niveau von Anfang bis Mitte der 80er-Jahre, als die bisher höchsten Werte zu verzeichnen waren.

Die Tabelle zeigt die Stellung des mittleren Abschlusses als den Bildungsabschluss, der in Baden-Württemberg am häufigsten erworben wird. Diese Position hat er seit 1981 inne. Bis 1980 war der Hauptschulabschluss vorherrschend. Mit Ausnahme des Jahres 2012 wird der mittlere Abschluss diesen Rang beibehalten, auch wenn sich der Abstand zur Hochschulreife im Lauf der Jahre deutlich verringert. Im Vergleich zum Jahr 2005 dürfte die Zahl der Schulabgänger mit mittlerem Abschluss bis 2020 um rund 16 % auf 51 800 zurückgehen.

Zahl der Hauptschulabschlüsse rückläufig

Aus Schaubild 3 ist abzulesen, dass 1980 noch mehr als 70 000 Schulabgänger den Hauptschulabschluss erwarben. Bis 1992 sank deren Zahl auf nur noch knapp über 40 000 ab. Der dann einsetzende vorübergehende Anstieg auf 47 800 im Jahr 2004 ist einerseits auf etwas stärkere Geburtsjahrgänge und andererseits auf die Zunahme der Hauptschulabschlüsse an beruflichen Schulen – vor allem im Berufsvorbereitungsjahr – zurückzuführen.

In den kommenden Jahren ist wieder mit einem deutlichen Rückgang der Zahl der Hauptschulabschlüsse zu rechnen. Neben den wieder schwächer besetzten Geburtsjahrgängen ist dies vor allem auf den abnehmenden Anteil der Übergänge von der Grundschule auf die Hauptschule zurückzuführen. Im Jahr 2020 sind nach dieser Vorausrechnung nur noch 33 600 Schulabgänger mit Hauptschulabschluss zu erwarten, fast 30 % weniger als 2005.

Auch die Zahl derjenigen, die die allgemein bildenden Schulen ohne Abschluss verlassen dürfte zukünftig geringer werden. In den letzten 15 Jahren lag deren Zahl meist zwischen 8 300 und 9 200. Bis 2020 könnte sie bis auf knapp unter 7 000 sinken, was gegenüber 2005 einem Rückgang um 18 % entspräche.

Erwerb weiterführender Abschlüsse möglich

Bei allen oben genannten Zahlen ist zu bedenken, dass ein Schüler während seiner Schullaufbahn mehr als einmal als Schulabgänger gezählt werden kann. So kann zum Beispiel ein Schüler, der zunächst eine allgemein bildende Schule ohne Abschluss verlassen hat, im Berufsvorbereitungsjahr den Hauptschulabschluss nachholen. Für Schüler mit Hauptschulabschluss besteht die Möglichkeit, an 2-jährigen Berufsfachschulen die Fachschulreife zu erlangen. Schüler mit mittlerem Abschluss können an vielen Berufskollegs die Fachhochschulreife erwerben oder an ein berufliches Gymnasium wechseln, um dort zum Abitur zu gelangen. Vor allem die beruflichen Schulen – aber auch die Einrichtungen des 2. Bildungswegs – halten vielfältige Angebote zur weiteren Qualifikation bereit. Die Summe der Schulabgänger eines Jahres kann daher nicht mit der Zahl der Jugendlichen gleichgesetzt werden, die in diesem Jahr eine berufliche Ausbildung im dualen System oder an beruflichen Vollzeitschulen oder einen Studienplatz anstreben.

Natürlich kann die Vorausrechnung der Absolventenzahlen nur die Entwicklung aufzeigen, die unter den heute absehbaren Rahmenbedingungen als wahrscheinlich anzusehen ist. Für sie gelten also die gleichen Einschränkungen wie für die Vorausrechnung der Schülerzahlen.

1 Vgl. Walker, Michael: Herkunft der Studierenden an Baden-Württembergs Hochschulen, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2005, S. 3-10.

2 Hessen plant die Einführung der Schulzeitverkürzung phasenweise über mehrere Jahre.

3 Bei der Übergangsquote werden die Studienanfänger, die ihre Studienberechtigung in einem bestimmten Jahr erworben haben, auf die Gesamtzahl der Schulabschlüsse mit Studienberechtigung desselben Jahres bezogen.

4 Prognose der Studienanfänger, Studierenden und Hochschulabsolventen bis 2020, Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz, Dokumentation Nr. 176 – Oktober 2005.