:: 7/2006

Wenn besondere Förderung notwendig ist: Sonderschulen und sonderpädagogische Förderung in Baden-Württemberg

Knapp 55 000 Schüler besuchen im aktuellen Schuljahr 2005/06 eine der rund 580 Sonderschulen im Land, das sind 4 % der Gesamtschülerzahl. Die Sonderschulen sind in neun Sonderschultypen gegliedert, wobei fast die Hälfte der Schüler eine Förderschule (früher: Schule für Lernbehinderte) besucht. Ausländische Kinder und Jugendliche sind an Sonderschulen relativ stark vertreten, mehr als jeder vierte Sonderschüler hat einen ausländischen Pass oder ist Aussiedler. Auffallend ist, das der Anteil der Mädchen mit 37 % vergleichsweise gering ist. Die Sonderschulen bieten – je nach Behinderungsart und Einrichtung – ein breites Spektrum an Bildungsgängen an, die von der Schule für Geistigbehinderte, der Förderschule über die Grund-, Haupt- und Realschule bis zum Gymnasium reichen.

Ziel ist die individualisierte Förderung behinderter Schüler

In Baden-Württemberg besuchen im laufenden Schuljahr 54 804 Schüler eine der rund 580 Sonderschulen. Das sind 4,2 % der Gesamtschülerzahl, der Anteil war in den letzten 15 Jahren relativ konstant. Aufgaben und Ziele der Sonderschule und der sonderpädagogischen Förderung sind im Schulgesetz1 (SchG) festgelegt. Dort heißt es in § 15 (1): »Die Sonderschule dient der Erziehung, Bildung und Ausbildung von behinderten Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die in den allgemeinen Schulen2 nicht die ihnen zukommende Erziehung, Bildung und Ausbildung erfahren können.« Sie gliedert sich in Schulen oder Klassen, die dem besonderen Förderbedarf der Schüler entsprechen und nach sonderpädagogischen Grundsätzen arbeiten; sie führt je nach Förderungsfähigkeit der Schüler zu den Bildungszielen der übrigen Schularten, soweit der besondere Förderbedarf der Schüler nicht eigene Bildungsgänge erfordert.

Sonderschulen sind insbesondere:

  • Schulen für Blinde,
  • Schulen für Hörgeschädigte,
  • Schulen für Geistigbehinderte,
  • Schulen für Körperbehinderte,
  • Förderschulen,
  • Schulen für Sehbehinderte,
  • Schulen für Sprachbehinderte,
  • Schulen für Erziehungshilfe,
  • Schulen für Kranke in längerer Krankenhausbehandlung.

Fast jeder zweite Schüler einer Sonderschule besucht eine Förderschule

Förderschulen sollen Kinder mit besonderer Förderungsbedürftigkeit auf Beruf und Leben vorbereiten und ein Höchstmaß an Aktivität und Teilhabe sichern. Die Förderschulen (früher »Schulen für Lernbehinderte«) haben mit 45 % den weitaus größten Anteil an den Sonderschulen, weitere 16 % der Schüler einer Sonderschule besuchen eine Schule für Geistigbehinderte, 11 % eine für Erziehungshilfe und 10 % eine für Sprachbehinderte. Den geringsten Anteil haben die Schulen für Blinde (0,6 %) und für Sehbehinderte (1,0 %). Mädchen sind an allen Sonderschularten weniger stark vertreten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspräche. Am stärksten sind ihre Anteile mit je 44 % bei den Schulen für Blinde und bei den Schulen für Kranke in längerer Krankenhausbehandlung, gefolgt von den Förderschulen mit 42 %. An den Schulen für Geistigbehinderte und für Körperbehinderte sind 4 von 10 Schülern weiblich. Bemerkenswerterweise sind an den Sonderschulen für Sprachbehinderte nur 28 % der Schüler weiblichen Geschlechts, an den Schulen für Erziehungshilfe ist sogar nur jeder sechste Schüler weiblich.

Knapp ein Viertel der Kinder und Jugendlichen an Sonderschulen sind Ausländer

Während der Anteil ausländischer Schüler an der Gesamtschülerzahl bei den allgemein bildenden Schulen insgesamt (ohne 2. Bildungsweg) 2004/05 bei 12,3 % lag, war er an den Sonderschulen mit 24,2 % fast doppelt so hoch. Im aktuellen Schuljahr haben 13 004 Sonderschüler (23,7 %) eine ausländische Nationalität, weitere 1 333 (2,4 %) sind Aussiedler.

Schüler mit ausländischer Nationalität und Aussiedler sind sehr unterschiedlich über die einzelnen Behinderungsarten verteilt. Am stärksten sind sie an den Förderschulen vertreten. Dort sind 33,2 % Ausländer und 3,3 % Aussiedler. Hier kommen sicherlich auch sprachliche Defizite zum Tragen, die es diesen Kindern erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen, dem Unterricht an einer Grundschule oder einer weiterführenden Schule zu folgen. Nur leicht überrepräsentiert mit 15,1 % sind ausländische Kinder und Jugendliche wie im Vorjahr auch an den Schulen für Erziehungshilfe, an denen durch besondere pädagogische Hilfen der schulische Lernerfolg gesichert werden soll.

Einmal Sonderschule – immer Sonderschule?

Schüler mit Behinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf sind nicht immer zum Besuch einer Sonderschule verpflichtet. Ob diese Pflicht im Einzelfall besteht und welcher Typ der Sonderschule für den Sonderschulpflichtigen geeignet ist, entscheidet die Schulaufsichtsbehörde. Dabei ist das Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten anzustreben (§ 82 (1) und (2) SchG). Nach § 83 (3) SchG endet die Pflicht zum Besuch einer Sonderschule, wenn von der Schulaufsichtsbehörde »festgestellt wird, dass der Sonderschulpflichtige mit Erfolg am Unterricht der allgemeinen Schulen teilnehmen kann.« Die Amtliche Schulstatistik bietet derzeit noch keine Verlaufsstatistik, mit der sich die »schulische Laufbahn« eines einzelnen Schülers von der Einschulung bis zum Abgang aus dem allgemein bildenden Schulsystem nachvollziehen ließe. Es sind aber aggregierte Daten zu den Übergängen von der Sonderschule auf andere Schulen vorhanden.

Zwischen Schuljahresbeginn und Schuljahresende 2004/05 sind insgesamt 6 144 Schüler einer Sonderschule auf eine andere Schule übergegangen, davon 1 147 auf eine Sonderschule anderen Typs und 2 173 auf Sonderschulen gleichen Typs. Auf eine all-gemeine Schule (zurück) – also weg von der Sonderschule – sind 2 824 Schüler gewechselt, dies sind 5,2 % der zum Stichtag im Oktober 2004 an Sonderschulen gemeldeten Schüler. Dabei wird unter den allgemeinen Schulen am häufigsten auf eine Hauptschule gewechselt, am zweithäufigsten auf eine Grundschule. Übergänge auf eine Realschule oder ein Gymnasium kommen nur sehr selten vor. Generell wechseln überproportional viele Jungen auf eine andere Schulart. Unter den Übergängern auf eine Grund- oder Hauptschule waren nur 29 bzw. 31 % Mädchen; von den Übergängern auf eine Realschule oder ein Gymnasium war sogar nur jeweils jeder Vierte weiblich. Dies liegt aber daran, dass an den Schulen für Erziehungshilfe, den Schulen für Sprachbehinderte und den Förderschulen, von denen man typbedingt eher wechseln kann, in der Regel (siehe oben) mehr Jungen als Mädchen sind.

Jeder fünfte Absolvent einer Sonderschule erzielt den Hauptschulabschluss

In den Sonderschulen können alle Bildungsabschlüsse der allgemeinen Schulen erreicht werden, das heißt, je nach Behinderungsart und Einrichtung reicht das Spektrum an Bildungsgängen von der Schule für Geistigbehinderte, der Förderschule über die Grund-, Haupt- und Realschule bis hin zum Gymnasium.

Während des Schuljahres 2004/05 verließen insgesamt 5 540 Schüler die Sonderschule. 811 dieser Abgänger hatten den Abschluss der Schule für Geistigbehinderte und 2 982 das Abschlusszeugnis der Förderschule. Dabei handelt es sich um spezifische Sonderschulabschlüsse, die aber unterhalb des Hauptschulabschlussniveaus liegen. Daher verließen mehr als drei Viertel der Absolventen die Sonderschule ohne Hauptschulabschluss. Jeder fünfte Sonderschulabsolvent erzielte den Hauptschulabschluss. Nur 2 % gingen mit Realschulreife und nur 0,5 % mit Hochschulreife ab.

Mädchen haben in vielen Bereichen der Amtlichen Schulstatistik die Nase vorn: sie werden viel häufiger früh eingeschult und viel seltener spät als Jungen, sie werden deutlich weniger oft nicht versetzt, und sie erreichen an den allgemein bildenden Schulen insgesamt öfter (formal) höherwertigere Schulabschlüsse. Auch die Sonderschulbesuchsquote der Mädchen ist insgesamt geringer als die der Jungen. Wenn Mädchen aber auf der Sonderschule sind, sind sie weniger erfolgreich als Jungen. So sind im Schuljahr 2004/05 drei Viertel der Jungen ohne Hauptschulabschluss von der Sonderschule gegangen, bei den Mädchen waren es 81 %. Während von den männlichen Abgängern 22 % den Hauptschulabschluss erzielten, waren es bei den Mädchen nur 17 %.

Von den ausländischen Schulabgängern aus Sonderschulen verließen 86 % das allgemein bildende Schulsystem ohne Hauptschulabschluss, die meisten von ihnen kamen aus einer Förderschule; das heißt 14 % konnten mit dem Hauptschulabschluss abgehen.

Entwicklungen im Bereich Integration und Kooperation

Gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern kann sich positiv auf die Lernleistung, das soziale Verhalten und die sozialen Kompetenzen aller Schüler auswirken.

In Baden-Württemberg lassen sich im Prinzip drei verschiedene integrative Ansätze unterscheiden:

  • Einzelintegration
  • Außenklassen
  • Integrative Schulentwicklungsprojekte (ISEP)

Unter Einzelintegration versteht man, wenn Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf allgemeine Schulen besuchen. Nach § 15 (4) SchG werden behinderte Schüler dann in allgemeinen Schulen unterrichtet, »wenn sie aufgrund der gegebenen Verhältnisse dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in diesen Schulen folgen können. Die allgemeinen Schulen werden dabei von den Sonderschulen unterstützt«. Im aktuellen Schuljahr werden 19 203 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, ggf. mit sonderpädagogischer Unterstützung, als Maßnahme der Einzelintegration an einer allgemeinen Schule unterrichtet.

Nach § 15 (6) SchG können Sonderschulklassen an allgemeine Schulen verlegt werden (»Außenklassen«). Die Außenklassen sind jeweils einer Partnerklasse zugeordnet, wobei die Verantwortung der Sonderschullehrkräfte für die jeweiligen Klassen ihrer Schulart erhalten bleibt. Für die Schüler der Außenklassen gelten die Bildungspläne ihrer Sonderschulen. Im Schuljahr 2005/06 wurden 206 Außenklassen mit 1 269 Schülern an 169 Partnerschulen gemeldet. Die Partnerschulen sind zum größten Teil Grundschulen, in einzelnen Fällen Hauptschulen oder Realschulen.

Im aktuellen Schuljahr sind an 22 Standorten 28 Integrative Schulentwicklungsprojekte (ISEP) an öffentlichen Schulen eingerichtet. Es handelt sich dabei um Schulversuche, bei denen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine allgemeine Schule besuchen. ISEP stellt eine Form der Kooperation mit zieldifferentem Unterricht dar, und zielt auf die Entwicklung eines Schulkonzeptes ab, das die Heterogenität der Schüler stärker in den Mittelpunkt stellt.3

1 Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG) in der Fassung vom 1. August 1983 (GBl. S. 397; K.u.U. S. 584) zuletzt geändert durch Änderungsgesetz vom 11. Oktober 2005 (GBl. S. 669).

2 Die allgemein bildenden Schulen lassen sich einteilen in Sonderschulen und in allgemeine Schulen (Grund- und Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, etc.).

3 Vgl. Landtag von Baden-Württemberg, Antrag der Abgeordneten Renate Rastätter u.a. GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport: Gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern, Drucksache 13/4970.