:: 7/2006

Tourismus 2005: Aufschwung bei fortgesetztem Strukturwandel

Im baden-württembergischen Übernachtungstourismus hat sich die seit Herbst 2004 erkennbare Trendwende im Jahr 2005 gefestigt. Bei den Ankünften wurde durch einen Zuwachs um 3,8 % mit fast 15 Mill. Gästen erneut ein Rekordwert erzielt. Die für das Gewerbe letztlich entscheidendere Übernachtungszahl nahm – wegen des anhaltenden Trends zu immer kürzeren Aufenthalten – mit 1,2 % auf fast 41 Mill. zwar erneut schwächer zu, immerhin bedeutet dies aber im Vergleich zum vorjährigen Zuwachs um lediglich 0,3 % eine deutliche Stabilisierung des Aufschwungs. Wie bereits im Vorjahr lag Baden-Württemberg damit sehr nahe beim Bundestrend, aus dem lediglich die beiden großen Stadtstaaten Berlin und Hamburg mit Übernachtungszuwächsen über 10 bzw. 8 % deutlich herausragten. Innerhalb des Landes entwickelten sich die verschiedenen Betriebs- und Gemeindekategorien sowie die Reisegebiete jedoch wie fast stets in der Vergangenheit nicht einheitlich. Dies beruht einerseits auf eher kurzfristig wirksamen Einflüssen, ist andererseits aber auch Ausdruck struktureller Veränderungen. Im Mittelpunkt des folgenden Beitrags steht insbesondere der letztgenannte Aspekt, konkret eine Betrachtung der mittelfristigen Entwicklung seit 1995.

Hotellerie gewinnt zu Lasten des Kurwesens weiter an Bedeutung

Insgesamt lässt sich die Übernachtungsentwicklung seit 1995 in vier Phasen unterteilen: Einem kräftigen Rückgang um nahezu 10 % bis 1997. Dem folgte eine Aufwärtsentwicklung bis 2000/01, als das Ausgangsniveau wieder um gut 1 % übertroffen wurde. Die beiden Folgejahre 2002 und 2003 standen ganz im Zeichen der konjunkturellen Schwäche, die das Übernachtungsaufkommen des Landes wieder um knapp 5 % sinken ließ. Nach einer Wende 2004 mündete die Entwicklung in einen verstärkten Anstieg um 1,2 % im Jahr 2005, der das Niveau wieder bis auf 2 % unter den Ausgangslevel von 1995 heranführte.

Zu diesem Gesamtergebnis trugen die verschiedenen Betriebskategorien aber in sehr unterschiedlichem Maß bei: Die stärkste Bedeutung kommt traditionell der klassischen Hotellerie (Hotels, Hotels garni, Gasthöfe, Pensionen) zu, die sich seit Mitte der 90er-Jahre zudem deutlich überdurchschnittlich entwickelte. Mit wenigen Ausnahmen galt dies auch für die einzelnen Jahre, so auch in 2005 mit einem Übernachtungszuwachs um 2,7 %. Gegenüber 1995 stieg die Übernachtungszahl in diesem Betriebszweig bis 2005 um fast 12 % auf ein nie zuvor erreichtes Niveau von 25 Mill. Dadurch erhöhte sich auch der Anteil an den gesamten Gästeübernachtungen des Landes von 54 % im Jahr 1995 auf knapp 62 %. Die Entwicklung der Parahotellerie, zu der zum Beispiel Ferienwohnungen, Campingplätze, Jugendherbergen oder Erholungsheime gezählt werden, wich in den einzelnen Jahren teils nach oben, teils nach unten von der Gesamtentwicklung ab. Insgesamt aber lag das Übernachtungsniveau 2005 analog zum gesamten Landesergebnis um 2 % unter dem Wert von 1995. Der Anteil an den Übernachtungen von 21 % blieb damit im Vergleich zum Ausgangsjahr konstant.

Die mit Abstand stärksten Schwankungen wiesen jedoch die Vorsorge- und Reha-Kliniken auf. Durch die damaligen Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, die schwerpunktmäßig auf die Kuren zielten, brach das Übernachtungsniveau bis 1997 um über ein Viertel ein. Da dem Kurwesen im Bäderland Baden-Württemberg traditionell ein relativ starkes Gewicht zukommt, erklärt dies auch maßgeblich den Rückgang beim Gesamtergebnis. Bis zum Jahr 2000 folgte dann eine relativ rasche Erholungsphase des Kurwesens. Nach einer erneuten Wende 2001 ging die Entwicklung in einen kontinuierlichen Abstieg über, der sich auch 2005 mit einem Rückgang um 5,1 % nahezu unvermindert fortsetzte (siehe auch i-Punkt). Im vergangenen Jahr lag das Übernachtungsaufkommen der stationären Kureinrichtungen gerade noch bei zwei Dritteln des Ausgangswerts aus dem Jahr 1995, der Übernachtungsanteil sank binnen 10 Jahren von fast 25 auf 17 %.

Starker Zuwachs in den Großstädten

Die Verlagerungen zwischen den Betriebsarten bleiben nicht ohne Rückwirkungen auf die Verteilung zwischen den unterschiedlichen Gemeindetypen, denn zwischen diesen beiden Merkmalen besteht ein deutlicher Zusammenhang. In der Beherbergungsstatistik wird dabei zunächst zwischen den Gemeinden mit einem touristischen Prädikat (Erholungsorten, Luftkurorten sowie Heilbädern mit drei Unterkategorien) und den sonstigen Gemeinden (ohne Prädikat) unterschieden. Zusätzlich ist auch ein Nachweis nach Gemeindegrößenklassen möglich. Die Vorsorge- und Reha-Kliniken konzentrieren sich nahezu ausschließlich auf die prädikatisierten Gemeinden, in denen sie 2005 auf einen Übernachtungsanteil von knapp 30 % kamen. In den höher prädikatisierten Heilbädern ist ihr Gewicht mit 43 % nochmals deutlich stärker. Betriebe der Parahotellerie sind zwar in allen Gemeindekategorien anzutreffen. Gleichwohl haben sie mit einem Übernachtungsanteil von einem Viertel einen deutlichen Schwerpunkt in den prädikatisierten Gemeinden, vor allem in den Erholungs- und Luftkurorten. In den sonstigen Gemeinden dominiert dagegen die Hotellerie mit einem Anteil von 81 % das Übernachtungsgeschehen eindeutig.

Vor diesem Hintergrund kann auch die abweichende Entwicklung zwischen den prädikatisierten und den sonstigen Gemeinden in den letzten 10 Jahren nicht überraschen. Bemerkenswerterweise stieg jedoch die Gästezahl in beiden Gemeindekategorien nahezu kontinuierlich. Mit insgesamt 25 gegenüber 17 % fiel der Zuwachs allerdings in den sonstigen Gemeinden stärker aus. Diese Gemeinden beherbergten 2005 eine deutliche Mehrheit von 62 % der Gäste. Bei den Übernachtungen dagegen überwogen weiterhin die prädikatisierten Gemeinden mit einem Anteil von 55 % am Landeswert. Dies liegt daran, dass die Gäste hier mit 3,9 Tagen fast doppelt so lange verweilten wie in den sonstigen Gemeinden mit 2 Tagen. In der Übernachtungsentwicklung der prädikatisierten Gemeinden lässt sich dabei in gedämpfter Form der Verlauf bei den Vorsorge- und Reha-Einrichtungen deutlich wiedererkennen. Immerhin aber fiel der Rückgang gegenüber 1995 mit 17 % noch deutlich moderater aus als bei den Kureinrichtungen selbst. Demgegenüber erhöhte sich das Übernachtungsaufkommen in den sonstigen Gemeinden im selben Zeitraum um 24 %, also fast genauso stark wie die Zahl der Ankünfte. Hier blieb die durchschnittliche Aufenthaltsdauer demnach weitgehend konstant, während sie sich in den prädikatisierten Gemeinden von 5,5 auf 3,9 Tage erheblich reduzierte, vor allem deshalb, weil die durchschnittliche Kurdauer in diesem Zeitraum von fast 29 auf knapp 20 Tage zurückging.

Innerhalb der nicht prädikatisierten Gemeinden legte der Tourismus in den neun Großstädten des Landes mit mehr als 100 000 Einwohnern deutlich überdurchschnittlich zu. In den 10 Jahren seit 1995 stiegen die Gästezahlen um 39 % und die Übernachtungen um 37 %. Mit fast 6,8 Mill. gingen im Jahr 2005 immerhin bereits 37 % der 15 Mill. Übernachtungen in den sonstigen Gemeinden auf das Konto der Großstädte. Damit lässt sich innerhalb des Landes ein Trend zum Städtetourismus erkennen, der sich bundesweit beispielsweise auch in über-durchschnittlichen Zuwächsen der Stadtstaaten ausdrückt.

Unterschiedliche Prägung der Reiseziele bestimmt Entwicklung wesentlich

Die verschiedenen Gemeindekategorien sind innerhalb des Landes regional sehr ungleichmäßig verteilt. Folglich setzt sich auch das Übernachtungsaufkommen der Reisegebiete sehr unterschiedlich nach Gemeindegruppen zusammen. So gingen 2005 im baden-württembergischen Teil des Taubertals neun von zehn Übernachtungen auf das Konto einer Prädikats-Gemeinde, während im Reisegebiet Mittlerer Neckar überhaupt keine Gemeinde zu dieser Kategorie gerechnet wird.1 Besonders stark von prädikatisierten Gemeinden geprägt sind neben dem Taubertal das Württembergische Allgäu-Oberschwaben sowie die drei Teilbereiche des Schwarzwalds, der insgesamt weiterhin das mit Abstand bedeutendste Reiseziel des Landes darstellt. Mit Übernachtungsanteilen von knapp zwei Dritteln spielen prädikatisierte Gemeinden zudem in den Reisegebieten Bodensee und Neckartal-Odenwald-Madonnenländchen eine überdurchschnittliche Rolle. Auf der anderen Seite steuern die Großstädte Heidelberg und Mannheim zum Weinland zwischen Rhein und Neckar sowie Stuttgart zum Mittleren Neckar jeweils etwa die Hälfte der Übernachtungen bei.

Betrachtet man die Entwicklung der Übernachtungen in den letzten 10 Jahren, so weisen gerade diese beiden besonders großstädtisch geprägten Reisegebiete die stärksten Zuwächse auf. In drei weiteren Reisezielen mit überdurchschnittlichem Gewicht der sonstigen Gemeinden, nämlich Neckar-Hohenlohe-Schwäbischer Wald, Schwäbischer Alb und Hegau, stiegen die Übernachtungszahlen ebenfalls an. Mit dem Bodensee fällt damit lediglich ein Reisegebiet aus diesem Erklärungsmuster, in dem die Übernachtungen trotz eines überdurchschnittlichen Anteils der prädikatisierten Gemeinden gestiegen sind. Zwar entwickelten sich die sonstigen Gemeinden auch hier besser, entgegen dem Landestrend verbuchten am Bodensee aber auch die prädikatisierten Gemeinden einen leichten Zuwachs. Bei allen anderen Reisegebieten mit stärkerem Gewicht der Prädikats-Gemeinden schlugen deren Übernachtungsrückgänge auf das Gesamtergebnis durch, besonders stark im Taubertal sowie im Neckartal-Odenwald-Madonnenländchen.

Insgesamt belegen die dargestellten Zusammenhänge zwischen Betriebsarten, Gemeindekategorien und Reisegebieten deutlich, dass die regionale Entwicklung zwar durchaus von ortsspezifischen Faktoren wie beispielsweise dem speziellen Angebot an Beherbergungseinrichtungen beeinflusst sein kann. Wesentlich wird die Entwicklung aber auch von überregional wirksamen Trends geprägt.

1 Die Zuordnung erfolgt immer nur für ganze Gemeinden. Wenn lediglich Gemeindeteile über ein Prädikat verfügen, die den Tourismus der gesamten Gemeinde nicht wesentlich prägen, dann erfolgt eine Zuordnung zu den sonstigen Gemeinden. Dies ist zum Beispiel in Stuttgart (Ortsteile Bad Cannstatt und Berg mit Prädikat) oder Ludwigsburg (Ortsteil Hoheneck mit Prädikat) der Fall.