:: 9/2006

Geflügelhaltung in Baden-Württemberg: ein exotischer Betriebszweig

Die überragende Bedeutung der Viehhaltung und der tierischen Produktion für die Einkommen der baden-württembergischen Landwirte ist bekannt. Im Kalenderjahr 2004 stammte exakt die Hälfte (1,5 Mrd. Euro) der gesamten Verkaufserlöse der Landwirtschaft aus der Viehhaltung. Die wichtigsten Erzeugnisse sind Schlachtrinder (263 Mill. Euro), Schlachtschweine (481 Mill. Euro) und Milch (644 Mill. Euro). Dagegen fristet die Geflügelhaltung zur Eier- (23 Mill. Euro) und Fleischerzeugung (52 Mill. Euro) nur ein Nischendasein.

Insgesamt 685 Mill. Eier durften sich 2005 mit dem Prädikat »Made in Baden-Württemberg« schmücken. Fein säuberlich Löffeleier aneinander gereiht, ergäbe dies eine Eierkette von 27 400 Kilometern Länge, also mehr als der doppelte Erddurchmesser. Trotz dieses beachtlichen Produktionsumfanges deckt die heimische Markterzeugung nur etwa ein Drittel des Bedarfs von rund 2 Mrd. Eiern im Land.

Im Rahmen der Geflügelstatistik wird die Eierproduktion in spezialisierten Geflügelhaltungsbetrieben mit jeweils mehr als 3 000 Hennenhaltungsplätzen nachgewiesen. Mit knapp 150 Betrieben bilden die Spezialbetriebe eine vergleichsweise kleine Gruppe unter den insgesamt 60 600 landwirtschaftlichen Betrieben in Baden-Württemberg. Bei einem Gesamtbestand von 1,6 Mill. Legehennen haben sie im vergangenen Jahr ca. 415 Mill. Eier erzeugt. In landwirtschaftlichen Betrieben mit kleineren Beständen – das heißt mit weniger als 3 000 Haltungsplätzen – produziert eine weitere Million an Legehennen jährlich rund 270 Mill. Eier. Statistisch betrachtet legt eine baden-württembergische Henne damit 262 Eier im Jahr (Bundesdurchschnitt: ca. 280 Eier/Henne); dies entspricht einer durchschnittlichen monatlichen Legeleistung von knapp 22 Eiern.

Ausgeprägte saisonale Schwankungen in der Eierproduktion

Charakteristische saisonale Schwankungen prägen Jahr für Jahr die Eiererzeugung. Die Produktionshöhepunkte liegen zum einen im März und damit vor Ostern, zum anderen im Oktober, wenn die Produktion von Weihnachtsgebäck auf Hochtouren läuft. Die Legehennenbestände werden dabei so geführt, dass die Tiere zu diesen Zeitpunkten die meisten Eier legen. Umgekehrt ist die Eiererzeugung in den Sommermonaten am niedrigsten. Viele Verbraucher ändern offenbar im Jahresverlauf ihr Ernährungsverhalten. Angesichts der Sommerhitze verzichten sie auf Teigwaren oder Ähnliches und bevorzugen stattdessen leichte, vitaminreiche Kost. Die Geflügelhalter nutzen diese Zeit deshalb häufig zum Herdenwechsel. Ältere Tiere, deren Legeperiode zu Ende geht, werden ausgesondert, die Stallungen gereinigt und anschließend desinfiziert.

Je größer ein Betrieb ist und je mehr Eier er demzufolge vermarkten muss, umso ausgeprägter ist dieses Verhalten. Denn die Kunden der größeren Betriebe sind zumeist Großhandel und Großverbraucher, für die das Oster- und das Weihnachtsgeschäft herausragende Bedeutung hat. Bei den kleinen Hennenhaltungen überwiegt dagegen der Direktabsatz an den Endverbraucher, sei es ab Hof, auf dem Wochenmarkt oder im Haustürverkauf mit festem Abnehmerkreis. Hier sind die Absatzschwankungen weit weniger ausgeprägt.

Legehennenhaltung büßt an Attraktivität ein

Seit 1990 haben sich unter dem Eindruck starker Auslandskonkurrenz1 und schrumpfender Inlandsnachfrage sowohl die heimische Eiererzeugung als auch der Legehennenbestand (ca. 2,6 Mill. Tiere im Jahresdurchschnitt 2005) um über ein Viertel verringert.

Zugleich haben sich bei den Haltungsformen gravierende Änderungen vollzogen, wobei ein Ende dieser Entwicklung noch nicht abzusehen ist. Vor 15 Jahren lagen mit 96 % nahezu alle der in den baden-württembergischen Spezialbetrieben vorhandenen Hennenhaltungsplätze in Käfigen bzw. Legebatterien. Damit war es möglich, alle die Gesundheit und die Leistung der Tiere negativ beeinflussenden Faktoren (einschließlich Belichtungsdauer und Stallklima) weitgehend zu kontrollieren. Bei den im Dezember letzten Jahres in den Spezialbetrieben vorhandenen Hennenhaltungsplätzen waren dagegen nur noch sechs Zehntel in Käfigen bzw. Legebatterien. Auf der anderen Seite beziffert sich der Anteil der Produktionskapazitäten in Boden-, Auslauf- und Freilandhaltungen aktuell auf vier Zehntel. Hintergrund für die weiter ansteigende Tendenz ist, dass Fragen der Ethik und des Tierschutzes zunehmend Eingang in die öffentliche Diskussionen gefunden haben. Zu beachten gilt hierbei auch, dass im Bereich der Kleingeflügelhaltungen (mit weniger als 3 000 Haltungsplätzen) traditionell ein größerer Anteil auf die letztgenannten Haltungsformen entfallen dürfte.

»Eierland« Niedersachsen

Der Schwerpunkt der bundesdeutschen Eiererzeugung liegt in Niedersachsen. Über ein Drittel der in den bundesdeutschen Spezialbetrieben erzeugten Eier stammt von dort. Nordrhein-Westfalen und Bayern steuern jeweils 9 % bei. Die größten Betriebe sind allerdings in den neuen Bundesländern anzutreffen, so in Sachsen mit durchschnittlich rund 116 000 Hennenhaltungsplätzen je Betrieb. Auf den Plätzen rangieren Thüringen (113 000), Sachsen-Anhalt (69 000) und Mecklenburg-Vorpommern (63 000). Mit weitem Abstand folgt dann mit Niedersachsen (35 000) das erste der alten Bundesländer; der entsprechende Vergleichswert für Baden-Württemberg liegt bei 13 000. Trotz dieser scheinbar enormen Produktionskapazitäten liegt der Selbstversorgungsgrad in der Bundesrepublik Deutschland bei gerade mal 72 %. Die Versorgungslücke wird durch Importe vorrangig aus den Niederlanden geschlossen.

Geflügelfleischerzeugung mit stetigen Zuwachsraten

Das gestiegene Gesundheitsbewusstsein hat in weiten Teilen der Bevölkerung zu einem Wandel der Ernährungsgewohnheiten geführt. Im Trend liegen Frischobst und Gemüse. Tierische Fette werden zunehmend von pflanzlichen verdrängt. Bei insgesamt rückläufigem Fleischkonsum erfolgt zudem eine spürbare Nachfrageverlagerung hin zu fettärmeren Fleischsorten wie Geflügel. Letzteres wird von einem großen Teil der Konsumenten als gesundes und zugleich preiswertes Fleischprodukt angesehen. Verstärkt wird dieser Trend durch die Tierseuchenproblematik, wie beispielsweise BSE beim Rind oder die Schweinepest.

Bei der Geflügelfleischerzeugung waren in den vergangenen Jahren stetige Zuwachsraten zu verzeichnen. In 2005 verließen 53 600 Tonnen Geflügelfleisch die sechs Geflügelschlachtereien im Land, die alle über Schlachtkapazitäten von über 2 000 Tieren im Monat verfügen. Gegenüber 1990 (33 000 Tonnen) bedeutet dies eine Steigerung um über 60 %. Es handelte sich dabei fast ausnahmslos um Putenfleisch, das zerlegt als Frischware den Weg in die Verkaufstheken der Supermärkte fand.

1 Wichtige Wettbewerbsvorteile insbesondere der holländischen Erzeuger sind unter anderem niedrigere Gebäudekosten aufgrund geringerer baubehördlicher Auflagen, weniger restriktive Umweltschutzbestimmungen, geringere Futterkosten durch die Nähe zu den Seehäfen, relativ niedrigere Transportkosten durch die Marktnähe zur größten Zuschussregion, dem Ruhrgebiet.