:: 11/2006

Ausbildung im dualen System 2005: Ungünstige Perspektiven für Hauptschul-Abgänger

Im Jahr 2005 wurden 73 076 Ausbildungsverträge im dualen System abgeschlossen, darunter rund 24 400 von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss. Die Entwicklung in den letzten 10 Jahren zeigt die zunehmenden Schwierigkeiten, die Hauptschulabsolventen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz haben. So sank der Anteil Jugendlicher mit und ohne Hauptschulabschluss an den neuen Verträgen in diesem Zeitraum von 40 auf 35 %. In Berufen, in denen sie 1995 noch stark vertreten waren, wie zum Beispiel Arzthelfer1, werden in zunehmendem Maß Schulabgänger mit mittlerem Abschluss bevorzugt. Die Berufe der Baubranche und der damit verbundenen Bereiche, in denen Hauptschulabgänger noch die Mehrheit stellen, litten unter der wirtschaftlichen Entwicklung, die zum Verlust vieler Ausbildungsplätze geführt hat. Tendenziell besteht in den Berufen mit überdurchschnittlichem Anteil von Auszubildenden mit Hauptschulabschluss auch ein höheres Vertragslösungsrisiko.

Anfang Juni 2006 legte das Konsortium »Bildungsberichterstattung« den ersten nationalen Bildungsbericht »Bildung in Deutschland« vor.2 Dieser Bericht ist eine aktuelle indikatorengestützte Zustandsbeschreibung des deutschen Bildungssystems. Zu den zentralen Befunden gehört unter anderem die Tatsache, dass Hauptschulabsolventen zunehmend Probleme haben, ohne »Umwege« über weitere schulische Bildungsmaßnahmen einen Ausbildungsplatz zu finden, sowie ihr höheres Risiko, einen einmal geschlossenen Ausbildungsvertrag wieder aufzulösen. Inwieweit diese Befunde auch für Baden-Württemberg zutreffen, untersucht der folgende Beitrag. Dabei werden hier vor allem die Chancen und Risiken der Hauptschulabsolventen im dualen System analysiert.

2005: Stagnation bei Neuabschlüssen von Ausbildungsverträgen

Im Jahr 2005 wurden insgesamt 73 076 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Das waren 500 weniger als ein Jahr zuvor. Damit hat sich das Zwischenhoch des Jahres 2004, als nach drei Jahren rückläufiger Zahlen erstmals wieder ein Plus verzeichnet werden konnte, nicht ausgeweitet. Da die Zahl der Schulabgänger 2005 zudem leicht angestiegen ist, dürfte sich die Lage für die Jugendlichen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz weiter verschärfen. Im Jahr 2005 befanden sich in Baden-Württemberg fast 197 600 junge Menschen in der Ausbildung zu einem nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder Handwerksordnung (HwO) anerkannten Ausbildungsberuf. Im dualen System stellen die männlichen Auszubildenden mit knapp 60 % die Mehrheit. Besonders die industriell-gewerblichen und die handwerklichen Berufe sind für junge Frauen wenig attraktiv: Nur gut 10 bzw. gut 17 % der Auszubildenden waren in diesen Bereichen weiblich. In den kaufmännischen Ausbildungsberufen waren männliche Auszubildende dagegen mit einem Anteil von knapp 41 % in der Minderheit.

Mittlerer Bildungsabschluss im dualen System mittlerweile am häufigsten

Von den Jugendliche mit einen Ausbildungsvertrag hatten

  • 24 400 einen Hauptschulabschluss,
  • 30 600 einen mittleren Bildungsabschluss,
  • 10 600 die Fachhochschul- oder Hochschulreife,
  • 900 keinen Schulabschluss,
  • 6 500 bereits einen anderen beruflichen Abschluss.

Bei der Beurteilung der Chancen von Hauptschulabsolventen richtet sich der Blick zunächst auf die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge. In den vergangenen 10 Jahren sank der Anteil der Auszubildenden mit und ohne Hauptschulabschluss an den Neuabschlüssen von 40 auf 35 %. Im Gegenzug stieg der Anteil der Ausbildungsanfänger mit mittlerem Bildungsabschluss von 30 auf 42 % an. Damit sind Realschulabschluss und Fachschulreife als mittlere Bildungsabschlüsse inzwischen bei den Ausbildungsbeginnern häufiger anzutreffen als der Hauptschulabschluss. Der Anteil der Auszubildenden mit Fachhochschul- oder Hochschulreife veränderte sich nur wenig.

Bei der Interpretation dieser Zahlen muss man jedoch die stark schwankenden Anteile der »sonstigen Abschlüsse« berücksichtigen (vgl. i-Punkt). Lag dieser Anteil 1995 bei knapp 17 %, so betrug er 2005 weniger als 9 %. Daraus folgt, dass der mittlere Bildungsabschluss etwas weniger an Boden gewonnen hat, als es die genannten Zahlen erscheinen lassen. Der Rückgang der Hauptschulabsolventen dürfte dagegen noch etwas deutlicher ausgefallen sein und mehr als 5 Prozentpunkte betragen.

Sinkende Chancen für Hauptschulabsolventen

Die Daten der letzten Jahre zeigen die zunehmenden Schwierigkeiten der Absolventen mit Hauptschulabschluss bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Bis 2002 lag die »Als-ob-Übergangsquote« (i-Punkt) für diese überwiegend im Bereich zwischen 75 und 80 %. Seitdem ging sie deutlich bis auf 60 % im Jahr 2005 zurück. Aus diesem Ergebnis kann aber nicht gefolgert werden, dass 60 % der Hauptschulabsolventen die Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Die Tendenz weist eindeutig nach unten, was sich mit den Befunden des nationalen Bildungsberichts deckt.3 Dennoch ist hier auch etwas Positives festzuhalten: Nach wie vor findet ein großer Teil der Absolventen mit Hauptschulabschluss den Weg ins duale System. Allerdings kann hier nicht beurteilt werden, welche Umwege hierfür in Kauf genommen werden müssen.

Die »Als-ob-Übergangsquote« für Schulabgänger mit mittlerem Abschluss war bis um das Jahr 2000 von Werten um 50 % bis auf fast 60 % angestiegen. Bis 2004 sank sie nun wieder auf rund 50 % ab. Das im Vergleich zu den Absolventen mit Hauptschulabschluss niedrigere Niveau lässt sich durch die Alternativen erklären, die Jugendlichen mit Realschulabschluss oder Fachschulreife offenstehen. Viele nutzen die Möglichkeit zum Besuch eines beruflichen Gymnasiums oder wählen eine vollzeitschulische Ausbildung an einem Berufskolleg. Dort findet unter anderem die Ausbildung in Berufen statt, die nicht nach BBiG oder HwO geregelt sind. Die Quote der Schulabsolventen, die über die Fachhochschul- oder die Hochschulreife verfügen, sank bis 2002 von rund 25 auf gut 15 % ab. Bis 2005 stieg sie wieder auf 20 % an. Möglicherweise ist dies eine Folge wachsender Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen, die dort zu sinkenden Erstsemesterzahlen geführt haben.

Schulabschluss beeinflusst die Berufswahl

In Schaubild 3 sind die Berufsgruppen dargestellt, in denen im Jahr 2005 mindestens 1 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden. Bei den Auszubildenden mit und ohne Hauptschulabschluss sowie mit Herkunft aus dem BVJ stehen die Berufe in der Back-, Konditor- und Süßwarenherstellung mit einem Anteil von gut 76 % an der Spitze. Danach folgen mit jeweils rund 71 % Maler, Lackierer und verwandte Berufe sowie Verkaufspersonal. Mit Anteilen von 2 % bzw. 4 % sind Hauptschulabsolventen unter Bank-, Bausparkassen- und Versicherungsfachleuten sowie Rechnungskaufleuten und Informatikern nur selten zu finden. Auszubildende mit mittlerem Schulabschluss stellen bei den Elektroberufen mit 63 %, den Büroberufen und kaufmännischen Angestellten mit etwas über 59 %, den übrigen Gesundheitsdienstberufen mit fast 58 % und den Maschinenbau- und -wartungsberufen mit 55 % die Mehrheit. Zu den übrigen Gesundheitsdienstberufen zählen unter anderem Arzthelfer/-innen und zahnmedizinische Fachangestellte. Jeweils rund die Hälfte der Bank-, Bausparkassen- und Versicherungsfachleute, der Rechnungskaufleute und Informatiker sowie der anderen Dienstleistungskaufleute, die 2005 ihre Ausbildung begonnen haben, verfügen über die Fachhochschul- oder die Hochschulreife. Zur letztgenannten Berufsgruppe gehören beispielsweise Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleistungen, Reiseverkehrskaufleute und Werbekaufleute.

Beim Vergleich mit 1995 fällt auf, dass nur in drei Berufsgruppen der Anteil der Hauptschulabsolventen nennenswert angestiegen ist und zwar

bei Holz- und Kunststoffverarbeitungvon 41 auf 48 %,
bei Hotel- und Gaststättenberufenvon 21 auf 30 %,
im Gartenbau von 47 auf 56 %.

Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge lag im erstgenannten Bereich mit knapp 1 600 allerdings um 900 unter dem Wert vor 10 Jahren, im Gartenbau ging die Zahl um gut 100 auf knapp 1 200 zurück. Bei den Hotel- und Gaststättenberufen stieg sie dagegen um 600 auf 2 500. In den übrigen Berufsgruppen gab es zum Teil erhebliche Einbrüche und zwar

bei übrigen Gesundheitsdienstberufenvon 50 auf 25 %,
im Bereich Körperpflege (vor allem Friseure)von 75 auf 54 %,
bei Maschinenbau- und -wartungsberufenvon 52 auf 35 %,
bei Elektroberufenvon 35 auf 18 %.

Für alle Vorbildungen offen: Kaufleute im Einzelhandel

Die Beliebtheit der Einzelberufe zeigt signifikante Unterschiede: Einzelhandelskaufleute tauchen bei den Auszubildenden mit Hauptschulabschluss, jenen mit mittlerem Abschluss oder jenen mit Fachhochschul- bzw. Hochschulreife in der Liste der »Top 10« auf . Mit dem Industriemechaniker und dem Kraftfahrzeugmechatroniker gehören lediglich zwei weitere bei Hauptschulabsolventen besonders beliebte Berufe auch zu den »Top 10« bei Jugendlichen mit mittlerem Bildungsabschluss. Unter den Jugendlichen mit mittlerem Bildungsabschluss und jenen mit Fachhochschul- bzw. Hochschulreife gibt es ähnliche Verhaltensweisen: Immerhin fünf Berufe – alle aus dem kaufmännischen Bereich – tauchen in beiden »Top 10«-Listen auf.

Unter den von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss vorrangig gewählten Ausbildungsberufen war in den vergangenen 10 Jahren mehr Bewegung. Zwar stehen nach wie vor die Kaufleute im Einzelhandel an der Spitze, von den übrigen »Top 10« des Jahres 1995 sind in der Liste von 2005 nur noch vier zu finden. Bei den Gesundheitsdienstberufen Arzthelfer und Zahnarzthelfer4 wirkt sich hierbei neben dem generellen Rückgang der Auszubildendenzahlen auch die Verdrängung durch Schulabsolventen mit mittlerem Abschluss aus. Der Arbeitsplatz- und in dessen Folge auch der Ausbildungsplatzverlust in der Baubranche im weiteren Sinne dürfte hauptverantwortlich für das Verschwinden der Berufe Maurer, Elektroinstallateur5 und Tischler aus der Spitzengruppe sein.

Hauptschulabsolventen überwiegend in Berufen mit höherem Vertragslösungsrisiko zu finden

Der Abschluss eines Ausbildungsvertrags garantiert noch nicht den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung. Im Jahr 2005 wurde rund jeder sechste Ausbildungsvertrag vorzeitig gelöst. Das Vertragslösungsrisiko ist nicht in jedem Ausbildungsberuf gleich hoch. So wurden zum Beispiel im Bereich des Handwerks 20 % der Verträge vorzeitig gelöst, im Bereich Industrie und Handel dagegen nur etwa 14 %.6 Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die jeweils 10 Ausbildungsberufe mit der höchsten und der niedrigsten Vertragslösungsquote, wobei diese nach der einfachen Methode berechnet wurde (vgl. i-Punkt). Hierbei fanden nur Berufe Berücksichtigung, in denen im Jahr 2005 mindestens 100 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden.

Bei den höchsten Lösungsquoten ist der Hotel- und Gaststättenbereich mit Restaurantfachleuten, Fachkräften im Gastgewerbe, Fachleuten für Systemgastronomie und Hotelfachleuten stark vertreten.7 Weit überwiegend weisen die Berufe mit dem höchsten Lösungsrisiko über-durchschnittliche Anteile an Auszubildenden mit Hauptschulabschluss oder Herkunft aus dem BVJ auf. Lediglich Sport- und Fitnesskaufleute und Hotelfachleute liegen hier unter dem Durchschnittswert von knapp 34 %. Demgegenüber sind in drei Berufen – wenn man die Fachkräfte im Gastgewerbe und die Bau- und Metallmaler mit ihren recht hohen Anteilen an Auszubildenden ohne Hauptschulabschluss dazu zählt sogar in fünf Berufen – Anteile von Hauptschul-/BVJ-Absolventen von mehr als 70 % anzutreffen. Dieser Befund bestätigt die Aussagen des nationalen Bildungsberichts über das höhere Vertragslösungsrisiko für Auszubildende mit Hauptschulabschluss.8

Unter den Berufen mit dem niedrigsten Lösungsrisiko sind dagegen nur vier mit überdurchschnittlichem Anteil an Hauptschul-/BVJ-Absolventen zu finden. Interessanterweise sind hier auch nur in einem Beruf Auszubildende mit Fachhochschul- bzw. Hochschulreife stärker als im Durchschnitt vertreten. In sechs der hier aufgeführten Berufe stellen Jugendliche mit mittlerem Abschluss die Mehrheit der Auszubildenden – zum Teil mit Werten von deutlich über 70 %.

1 Im Text wird auf die additive Nennung der femininen und maskulinen Berufsbezeichnungen aus Gründen besserer Lesbarkeit verzichtet. Sie werden als Gattungsbegriffe aufgefasst, die beide Geschlechter umfassen.

2 Konsortium Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld 2006. (Zitierweise: Bildung in Deutschland). Mitglieder des Konsortiums Bildungsberichterstattung sind das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt (Federführung), das Deutsche Jugendinstitut e.V. (DJI) in München, die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) in Hannover, das Soziologische Forschungsinstitut e.V. an der Universität Göttingen (SOFI), das Statistische Bundesamt und die Statistischen Ämter der Länder.
Kompletten Bericht als Pdf-Datei herunterladen: Bildung in Deutschland

3 Bildung in Deutschland, S. 82 f.

4 Der Beruf »Zahnarzthelfer« wurde mittlerweile durch den Beruf »Zahnmedizinischer Fachangestellter« ersetzt.

5 Der Beruf »Elektroinstallateur« wurde mittlerweile durch den Beruf »Elektroniker – Energie- und Gebäudetechnik« ersetzt.

6 Die hier genannten Lösungsquoten wurden nach dem »Schichtenmodell« berechnet (vgl. i-Punkt).

7 Ausführliche Erläuterungen zu den Ausbildungsabbrüchen im dualen System finden sich bei Wörner, Manfred: Weniger Ausbildungsverträge aufgelöst als vor 3 Jahren, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2005, S. 15-19.

8 Bildung in Deutschland, S. 92 f.