:: 11/2006

Krebssterblichkeit in Baden-Württemberg

Eine allgemeine Krankheitsartenstatistik gibt es in Deutschland nicht. Krebsneuerkrankungen werden in der Regel nur in jenen Bundesländern verlässlich erfasst, die über ein flächendeckendes Krebsregister verfügen. Baden-Württemberg ist gerade im Begriff ein solches Krebsregister aufzubauen. Bis von dieser Einrichtung verwertbare Zahlen vorliegen, lässt allein die Todesursachenstatistik Rückschlüsse auf die Entwicklung dieser gefährlichen Erkrankung zu. Im Land ist in den vergangenen Jahren nicht nur die Zahl der Krebssterbefälle, sondern auch deren Anteil an den Todesursachen insgesamt angestiegen. Das scheint nicht gerade von großen Erfolgen der immensen Anstrengungen zu zeugen, die bei der Bekämpfung dieser Krankheit und ihrer Folgen unternommen werden. Allerdings ist bei der Interpretation der gestiegenen Fallzahlen auch der demografische Wandel zu berücksichtigen.

Die beiden Ursachengruppen, die bei der Sterblichkeit auch in Baden-Württemberg die dominierende Rolle spielen, sind die Folgen von Erkrankungen des Kreislaufsystems und die von bösartigen Neubildungen oder Krebs (vgl. i-Punkt). Zusammen waren sie im Jahre 2005 für knapp 69 % der insgesamt 94 071 Sterbefälle verantwortlich. Der Tod durch Kreislauferkrankungen lag dabei mit einem Anteil von gut 43 % deutlich vor dem Krebstod mit gut 25 %. Mit großem Abstand folgten Krankheiten der Atmungsorgane sowie des Verdauungssystems mit knapp über bzw. unter 6 % und Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten mit etwas mehr als 4 %. Krankheiten des Nervensystems nehmen zu weniger als 3 % einen tödlichen Ausgang, solche des Urogenitalsystems zu 2 %.

Während der Anteil von Erkrankungen des Kreislaufsystems nach einem zunächst starken Anstieg seit 1985 eine leicht rückläufige Tendenz zeigte, war bei Krebs seit 1970 eine stetige Zunahme um insgesamt 6 Prozentpunkte zu beobachten. Bei den Krebssterbefällen sorgten vor allem die Männer für den Anstieg. Gleichzeitig waren sie der Grund für die Rückgänge bei den Todesfällen infolge Kreislauferkrankungen.

Demografischer Wandel und medizinischer Fortschritt

Der Anstieg der Todesfälle infolge von Krebserkrankungen ist vor allem auch vor dem Hintergrund einer erheblich zugenommenen Bevölkerungszahl zu sehen. Stand den 17 728 Krebstoten von 1970 eine durchschnittliche Bevölkerung von knapp 8,9 Mill. gegenüber, wuchsen bis 2005 die Zahlen auf 23 764 bzw. gut 10,7 Mill. an. Umgerechnet auf die Bevölkerung bedeutet dies für 1970, dass auf 100 000 Einwohner 199 Krebssterbefälle kamen, dagegen 222 im Jahr 2005. Erlagen absolut gesehen 1970 noch etwas mehr Frauen als Männer einem Krebsleiden (9 079 bzw. 8 649), hat sich dieses Verhältnis im aktuellen Vergleichsjahr geändert. 2005 starben 12 521 Männer und 11 243 Frauen. Die diesen Ergebnissen gegenüberstehende Bevölkerungsgröße hat sich allerdings auch deutlich geändert. Dabei wuchs die Zahl männlicher Einwohner stärker an als die der weiblichen, ohne diese zu erreichen oder gar zu übertreffen. Als Ergebnis ist die Sterbeziffer der Männer von 202 auf 238 stärker gestiegen als die der Frauen von 197 auf 206. Die Steigerungsraten hängen zweifelsfrei von der zunehmenden Alterung der Gesellschaft ab. Im Jahr 2005 gab es deutlich mehr ältere Menschen als 35 Jahre zuvor. Die Zahl der über 70-Jährigen wuchs um gut 656 000 an, die der Krebstoten in diesem Alter um etwa 6 000. Dies bedeutet, dass fast der gesamte Anstieg der Krebssterbefälle in diesen Altersbereich fiel und zwar nahezu hälftig auf Männer und Frauen. Der Unterschied von 200 Sterbefällen zuungunsten der Männer erscheint auf den ersten Blick nicht sehr gravierend. Allerdings ist hier die Zahl der männlichen Bevölkerung um 120 000 kleiner als die der weiblichen. Das lässt den Unterschied zu den weiblichen Krebssterbefällen doch wesentlich größer erscheinen.

Eine Möglichkeit, Veränderungen in der Sterblichkeit festzustellen, ist die Berechnung altersspezifischer Sterbeziffern (vgl. i-Punkt). Hier wird, was oben als Bezug aller Krebssterbefälle auf die gesamte Bevölkerung berechnet wurde, auf die einzelnen Altersklassen angewandt. Die Gegenüberstellung der beiden Vergleichsjahre zeigt, sowohl für Männer wie für Frauen, sehr deutliche Unterschiede. Bis auf die Altersgruppe der 90-Jähri-gen und Älteren – der Männer wie der Frauen – sind 2005 in allen anderen Altersgruppen gegenüber 1970 Rückgänge der Gestorbenen auf 100 000 der jeweils gegenüberstehenden Bevölkerung zu verzeichnen. In nur wenigen Altersgruppen ist die Besetzungszahl tatsächlich rückläufig. Rückgänge treten dabei ausschließlich in einigen Altersgruppen der unter 35-Jährigen auf. In diesen Altersgruppen spielt der Krebstod zahlenmäßig glücklicherweise ohnehin nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dies bedeutet, dass, obwohl gegenüber 1970 die männliche und weibliche Bevölkerung in den meisten – vor allem in den stärker besetzten – Altersgruppen zugenommen hat, die Krebssterblichkeit, sogar die der Männer, die in der Regel stärker als die Frauen vom Krebstod betroffen sind, rückläufig war. Sonst müssten mit der steigenden Bevölkerungszahl vor allem in den höheren Altersgruppen auch die Sterbefallzahlen proportional zugenommen haben. Das ist nicht geschehen. Bei der Größenordnung der Sterbefallzahlen kann diese Tendenz kein Zufall sein. Es ist auch der medizinische Fortschritt, der sich in diesem Ergebnis niederschlägt.

Entwicklung einzelner Krebsarten unterschiedlich

Lungenkrebs, die verschiedenen Darmkrebsarten, der Brustkrebs bei Frauen sowie bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes bestimmen im besonderen Maße die Höhe der Todesfallzahlen infolge Krebserkrankungen. Zusammen mit den übrigen in Tabelle 2 aufgeführten Ursachen decken sie rund 83 % aller Krebssterbefälle ab. Diese bedeutenden Krebsarten haben gegenüber 1970 allesamt erhebliche Zunahmen zu verzeichnen. Der Vergleich zwischen 1970 und 2005 zeigt allerdings zum Teil ganz unterschiedliche Veränderungen auf. So ist beim Magenkrebs ein Rückgang um nahezu 1 800 Sterbefälle zu beobachten. Bei bösartigen Neubildungen der weiblichen Geschlechtsorgane ist die Zahl der verstorbenen Frauen um immerhin gut 300 gesunken. Alle anderen aufgeführten Krebsarten haben zum Teil ganz erhebliche Zuwächse zu verzeichnen. So weisen bösartige Neubildungen der Leber, Gallenblase und Gallenwege, der Bauchspeicheldrüse enorme Veränderungsraten von 102 bzw. 152 % auf. Melanome und sonstige bösartige Neubildungen der Haut liegen mit einer Zunahme knapp 128 % dazwischen, sind aber von der Fallzahl her gesehen weniger bedeutend.

Bezogen auf die Bevölkerung zeigt sich freilich, dass die Veränderungsraten bei den Zunahmen wegen der gewachsenen Bevölkerung wesentlich geringer sind, bei den Abnahmen jedoch erheblich größer. Dies bedeutet, dass in Relation zu der zwischenzeitlich gestiegenen Bevölkerungszahl eigentlich eine eher höhere Zahl an Krebssterbefällen zu erwarten gewesen wäre. Aber trotz dieser Abschläge, die bei den Veränderungsraten der Sterbeziffern in Ansatz gebracht werden können, bleiben bei der Bewertung Aspekte, die weiterhin Anlass zu Besorgnis geben.

So haben Sterbefälle infolge von Krebserkrankungen bei aller Berücksichtigung der demografischen Entwicklung zugenommen. Die Entwicklung der Sterblichkeit durch Lungenkrebs wird zunehmend durch die steigende Zahl weiblicher Todesfälle bestimmt. Das gleiche gilt für den Krebs der Bauchspeicheldrüse. Umgekehrt ist die Veränderung der männlichen Sterblichkeit infolge bösartiger Neubildungen der Leber und Gallenblase und der Gallenwege signifikant. Der medizinische Fortschritt stößt hier offenbar an Grenzen. Grenzen, die möglicherweise auch durch individuelle Verhaltensweisen gesetzt werden. So wird zumindest der Lungenkrebs allgemein mit Tabakkonsum in Zusammenhang gebracht und gilt deswegen als eine Art des Krebstodes, die wenigstens zum Teil vermeidbar sein dürfte.

Andererseits können sich die Fortschritte in der medizinischen Behandlung Krebserkrankter auch in einer Verschiebung des Sterbealters der Patienten manifestieren. Das mittlere Sterbealter, der sogenannte Median, gibt den Punkt oder das Alter an, in dem sich genau die erste Hälfte aller Todesfälle, die andere Hälfte aber noch nicht ereignet hat. Auf die Krebssterbefälle bezogen ist festzustellen, dass sowohl für den Krebs insgesamt, als auch für die ausgewählten Arten ein Anstieg dieses Sterbezeitpunkts zu beobachten ist. Die Ergebnisse fallen dabei sehr unterschiedlich aus. So steigt das mittlere Sterbealter für alle Krebsarten seit 1970 um 4,5 auf 73,5 Jahre an, wobei das der Männer nur um 3,1 auf 71,9, das der Frauen jedoch um 6,4 auf 75,7 Jahre zunimmt. Magenkrebs, die Krebsart mit der deutlich gesunkenen Fallzahl, wies schon im Jahre 1970 ein überdurchschnittlich hohes Sterbealter von 72,1 Jahren auf. 2005 stieg diese Maßzahl um weitere 3,8 Jahre an. Wobei auch hier die Frauen günstiger abschnitten. Ungewöhnlich hohe Zuwächse an Altersjahren gab es bei den bösartigen Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes. Das mittlere Sterbealter aller an diesen Krebserkrankungen Gestorbenen stieg um 10,6 Jahre auf 74,8 Jahre an. Das der Frauen sogar um 12,4 auf 76,6 Jahre.

Eine eher geringe positive Veränderung war bei Lungenkrebs zu verzeichnen. Mit einem Anstieg von nur 2,5 Jahren auf lediglich 69,8 Jahre blieb diese Krebsart sowohl was den Zugewinn an Jahren als auch was das mittlere Sterbealter angeht deutlich unter dem Durchschnitt. Hier ist bei den verstorbenen Frauen sogar ein Rückgang von 68 auf 65,7 Jahre eingetreten.

Ein regionaler Aspekt

Die These, dass Krebs vor allem im fortgeschritteneren Alter zum Tode führt, wird nicht nur durch die bisher dargestellten Ergebnisse bestätigt. Baden-Württemberg hat Stadt- und Landkreise mit einer jüngeren und solche mit einer älteren oder gar alten Bevölkerung.

Das Durchschnittsalter der Bevölkerung Baden-Württembergs lag 2005 bei 41,4 Jahren. Dabei sind die Abweichungen nach der einen wie nach der anderen Seite der Altersskala im All-gemeinen nicht sehr gravierend. Im Landkreis Tübingen wohnt mit einem Durchschnittsalter von 39,4 Jahren die jüngste Bevölkerung, im Stadtkreis Pforzheim mit einem durchschnittlichen Alter von 42,5 Jahren die zweitälteste. Die Spanne zwischen dem Landesdurchschnitt und den jüngeren bzw. älteren Kreisen ist somit nicht sehr gravierend. Lediglich der älteste Kreis, die Stadt Baden-Baden, weicht mit einem Durchschnittsalter von 46,2 erheblich vom Landesmittel ab.

Sortiert man die rohe Sterbeziffer in den einzelnen Stadt- und Landkreisen, also die Zahl der Gestorbenen in Bezug auf die Bevölkerung dieser Kreise, in eine Reihenfolge von Kreisen mit zunehmender Krebssterblichkeit, schneidet Baden-Baden mit einer Sterbeziffer von 272 Sterbefällen auf 100 000 Einwohner am ungünstigsten ab. Tübingen dagegen hat die niedrigste Krebssterberate mit 173 Verstorbenen. Vergleicht man die Ergebnisse der Sterblichkeitsberechnung mit dem durchschnittlichen Alter der Kreisbevölkerung, findet man eine recht hohe Übereinstimmung von Kreisen mit niedriger Sterbeziffer und »jüngerer« Bevölkerung sowie höherer Sterbeziffer und »älterer« Bevölkerung. Die Spitze und das Ende dieser Skala der Sterbeziffern stimmen mit dem Durchschnittsalter der Bevölkerung sogar völlig überein.

Neben dem Aspekt des Alters lassen sich allerdings aus diesen regionalen Ergebnissen keine weiteren Rückschlüsse ziehen. So finden sich im Ranking der Stadt- und Landkreise über- wie unterhalb des Landesdurchschnitts sowohl eher ländliche Kreise bis auf die Ebene der medizinischen bzw. stationären Grundversorgung als auch Stadtkreise mit medizinischer Maximalversorgung. Unmittelbare Auswirkungen des regionalen Versorgungsgrades lassen sich an der lokalen Krebssterblichkeit somit nicht unbedingt ablesen.

Zusammenfassung

Generell ist festzustellen, dass Krebssterbefälle im höheren Alter zugenommen haben, weil die Zahl älterer Menschen deutlich zugenommen hat. Gleichzeitig ist aber auch ein Rückgang von Krebssterbefällen in den jüngeren Altersgruppen zu verzeichnen. Dies deutet auch auf Fortschritte in der medizinischen Behandlung von Krebserkrankungen hin. Besonders eindruckvoll wird dies durch die Veränderung der Todesfallzahlen infolge von Magenkrebserkrankungen belegt. Inwieweit der fortschreitende Alterungsprozess diese Fortschritte konterkariert, bleibt abzuwarten. Es bleibt auch abzuwarten, ob die dargestellten positiven Effekte nur temporärer Natur sind. Ein Sieg über den Krebs ist trotz großer Anstrengungen in Wissenschaft und Forschung nicht in Sicht, wenngleich sich bei bestimmten Krebsarten immer wieder kleinere Erfolge einstellen. Dennoch hat er nichts von seiner Gefährlichkeit eingebüßt und ist weiterhin eine tödliche Bedrohung. Nur haben sich durch therapeutische Verbesserungen die Sterbezeitpunkte verschoben. Danach können Patienten, die unter den medizinischen Rahmenbedingungen früherer Jahre bereits verstorben wären, unter den heutigen Bedingungen etwas länger leben.