:: 12/2006

Öffentlicher Haushalt und Wirtschaftsentwicklung des Landes Baden-Württemberg

Staatliche Ausgabenpolitik stellt ein Politikfeld dar, welches von den politisch Verantwortlichen und der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird. Das wird nicht zuletzt an den Diskussionen um die Erfüllung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes deutlich. Dieses Jahr wird in Deutschland der Anteil der Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte am Bruttoinlandsprodukt (BIP) voraussichtlich unter 3 % liegen, nachdem diese Marke zuletzt vier Mal in Folge überschritten wurde. Auch in Baden-Württemberg wird der Entwicklung des Landeshaushalts vonseiten der Politik besondere Bedeutung beigemessen. So hat sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Vor diesem Hintergrund soll dargestellt werden, wie sich die Einnahmen, die Ausgaben und das Haushaltsdefizit des Landes Baden-Württemberg im Zeitablauf entwickelt haben. Anschließend wird untersucht, inwieweit ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und konjunkturellen Schwankungen einerseits und fiskalpolitischen Kenngrößen des Landes andererseits besteht.

Haushaltskonsolidierung oberstes finanzpolitisches Ziel

»Der Haushalt ist das in Zahlen gegossene Regierungsprogramm.« Dieser Satz von der Homepage des baden-württembergischen Finanzministeriums gilt sicherlich für die Aufteilung der Finanzmittel auf die Einzelpläne, aber auch für die Höhe des Gesamthaushalts und dessen Entwicklung im Zeitverlauf. So heißt es weiter, dass die Landesregierung an ihrem Ziel festhalte, die Neuverschuldung zurückzuführen und einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben. An anderer Stelle konkreter: »Ein Haushalt ohne Neuverschuldung bis zum Jahr 2011 ist das oberste finanzpolitische Ziel der Landesregierung. […] Eine Alternative hierzu gibt es nicht. Denn ohne einen ausgeglichenen Haushalt ist eine zukunftsfähige Politik nicht möglich.«1 Worin besteht nun aber die Gefahr für die Zukunftsfähigkeit? Staatsschulden sind mit Zinszahlungen verbunden, die wiederum Haushaltsmittel binden, was den politischen Gestaltungsspielraum der Landesregierung einschränkt: Je mehr Mittel für den Schuldendienst aufgewendet werden müssten, desto weniger Mittel stünden für Bildung, Forschung und Entwicklung sowie die Innere Sicherheit – erklärte Schwerpunkte der Politik der Landesregierung – zur Verfügung.

Seit 1954 sind die Ausgaben des Landes gegenüber dem Vorjahr fast immer gestiegen. Ausnahmen sind erst in den letzten 10 Jahren des Beobachtungszeitraums häufiger geworden, was auch für verstärkte Konsolidierungsbemühungen sprechen dürfte. Es ist zudem festzustellen, dass die Zuwächse tendenziell geringer werden, wobei ein abnehmender Wachstumstrend auch für die Entwicklung des BIP festzustellen ist. Allerdings reicht die bisherige Zurückhaltung bei den Staatsausgaben noch nicht aus, um den Anteil der Staatsschulden am BIP konstant zu halten: Seit Mitte der 70er-Jahre ist hier eine leichte Aufwärtsentwicklung zu verzeichnen (wenngleich auf niedrigem Niveau). Aktuell beläuft sich der Anteil der Schulden am BIP auf knapp 12 %. In Schaubild 1 deutet sich bereits an, dass die Ausgabenpolitik nahezu gleichgerichtet zur Konjunktur verläuft – ein Aspekt, auf den unten noch genauer eingegangen wird.

Für die weitere Untersuchung soll zunächst die Veränderungsrate des BIP in zwei Komponenten aufgeteilt werden: die langfristige Entwicklung des BIP wird als Trend2 und Abweichungen vom Trend werden als konjunkturell bedingt bezeichnet. Im Folgenden werden die Veränderungsraten von Staatsausgaben, -einnahmen und dem Budgetdefizit des Landes Baden-Württemberg im Zusammenhang mit dem Wachstumstrend des BIP und mit konjunkturellen Einflüssen betrachtet. Zu diesem Zweck werden die Veränderungsraten von Ausgaben und Einnahmen3 in Abhängigkeit von Wachstumstrend und Konjunkturverlauf des BIP geschätzt.

Es ist zu erkennen, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Einnahmenentwicklung des Landes und beiden Komponenten des Wirtschaftswachstums besteht was auch unmittelbar einsichtig ist, denn bei positiver Wirtschaftsentwicklung steigen die Steuereinnahmen, die die wichtigste Komponente staatlicher Einnahmen darstellen. Die Ausgaben des Landes erhöhen sich mit dem trendmäßigen Wachstum und folgen zudem dem Konjunkturverlauf.4 Offensichtlich wurde nicht versucht, mittels aktiver Ausgabenpolitik einen Konjunkturzyklus zu glätten, wie es die keynesianische Theorie nahelegt. Ein Argument für diese Vorgehensweise ist, dass das Volumen der Landesausgaben zu gering ist, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage spürbar zu stimulieren oder zu dämpfen. Zudem würde ein möglicher Einkommenseffekt aufgrund der intra- und internationalen Verflechtung der Südwestwirtschaft nicht auf Baden-Württemberg beschränkt bleiben. Weitere gewichtige Einwände gegen antizyklische Fiskalpolitik sind zeitliche Wirkungsverzögerungen und marktverzerrende Effekte.5

Stabilitätskonforme Entwicklung des Landeshaushalts?

Staatliche Ausgaben müssen durch Einnahmen (in erster Linie Steuereinnahmen) und, wenn diese nicht ausreichen, durch Kreditaufnahme finanziert werden. Aus dieser staatlichen Budgetrestriktion folgt, dass unter sonst gleichen Bedingungen das Budgetdefizit sinkt, wenn sich die (Steuer-)Einnahmen erhöhen. Steigen die Staatsausgaben, erhöht sich tendenziell das Budgetdefizit. Das Wachstum der Einnahmen und der Ausgaben hängen jeweils positiv sowohl vom langfristigen Wachstumstrend als auch vom Konjunkturverlauf ab, wie zuvor gezeigt wurde. Für die Entwicklung des Budgetdefizits im Konjunkturverlauf erhält man also grundsätzlich gegenläufige Effekte. Aus den Schätzergebnissen und der Budgetrestriktion lassen sich demnach Erkenntnisse darüber ableiten, wie das Budgetdefizit vom staatlichen Einnahme- und Ausgabeverhalten und damit letztlich von Wachstum und Konjunktur des BIP abhängt.

Die Ergebnisse zeigen, dass das um konjunkturelle Einflüsse bereinigte, das heißt das strukturelle Budgetdefizit, fast über den gesamten Beobachtungszeitraum steigt. Allerdings deutet sich ein Rückgang der Zuwachsrate an. Zudem kann die Schuldenpolitik des Landes im Konjunkturverlauf ausnahmslos als antizyklisch bezeichnet werden. Hier spiegelt sich das Wirken der sogenannten automatischen Stabilisatoren wider: In einer Phase schwacher Konjunktur (wie beispielsweise 1967, Mitte der 70er-Jahre, Anfang der 80er-Jahre und 1993) fallen die Steuereinnahmen geringer aus. Da die Ausgaben nicht entsprechend sinken (zum Beispiel durch größere Beanspruchung sozialer Leistungen), ist ein konjunkturelles Budgetdefizit die Folge, welches dazu beiträgt, Einkommensströme zu verstetigen, und daher als akzeptabel angesehen wird.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Fiskalpolitik des Landes Baden-Württemberg unter den Bedingungen des hier gewählten Analyseansatzes in eine »stabilitätskonforme« Richtung weist: dem rückläufigen Wachstumstrend der Wirtschaftsleistung entsprechend geht auch das strukturelle Wachstum der Landesausgaben zurück. Andererseits bewirkt die antizyklische Schuldenpolitik des Landes, dass einem Konjunkturabschwung nicht »hinterhergespart« wird, um einen Ausspruch des ehemaligen Bundesfinanzministers Eichel zu verwenden.

Die vorangegangenen Überlegungen sind als erste Annäherung an das Thema gedacht. Es liegt nahe, für eine vertiefende Betrachtung weitere Aspekte zu berücksichtigen, wie beispielsweise eine weitere Differenzierung nach Einnahme- und Ausgabearten. Ferner wurde hier auf die Rolle des Finanzausgleichs noch nicht eingegangen. Des Weiteren dürfte sich die Aussagefähigkeit der Ergebnisse erhöhen, wenn die Unterscheidung zwischen Trend und konjunkturellen Schwankungen differenzierter vorgenommen wird.

1 Pressemitteilung des Staatsministeriums vom 25. Juli 2006.

2 Zur Errechnung des Wachstumstrends des BIP wurde der Hodrick-Prescott-Filter verwendet.

3 Wenn von Ausgaben, Einnahmen oder Budgetdefizit des Landes die Rede ist, sind die entsprechenden Größen der Gemeinden oder Zweckverbände nicht enthalten.

4 Die geschätzten Zusammenhänge sind hoch signifikant.

5 Für die vielfältigen Vorbehalte gegen aktive fiskalpolitische Stabilisierungspolitik vgl. zum Beispiel das Jahresgutachten 2003/04 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, S. 252 ff.