:: 6/2007

Der Freiburger Bürgerentscheid über den Verkauf des städtischen Wohnungsbestandes

Die Freiburger Bürgerschaft bestimmte am 12. November 2006 durch einen Bürgerentscheid, dass die »Stadt Freiburg Eigentümerin der Freiburger Stadtbau GmbH und der städtischen Wohnungen bleibt«. Damit wurde der vom Freiburger Gemeinderat am 18. Juli 2006 gefasste Beschluss aufgehoben, 94,9 % der städtischen Beteiligung an der Freiburger Stadtbau (FSB) zur Entlastung des Haushalts zu verkaufen. Mit dieser nach der Gemeindeordnung bindenden Entscheidung endete zunächst eine politische Auseinandersetzung, die die Freiburger Kommunalpolitik über ein halbes Jahr intensiv beschäftigte. Da sich neben Freiburg auch viele andere finanziell Not leidende Städte mit der Überlegung beschäftigen ihre kommunalen Wohnungsbestände zu veräußern, fand der Freiburger Bürgerentscheid weit über die regionalen Grenzen hinaus große Beachtung. Gleichzeitig handelt es sich um den ersten erfolgreichen Bürgerentscheid in der Geschichte Freiburgs. Der Erfolg beruht neben der erfolgreichen politischen Mobilisierung gegen den Verkauf auch auf den seit 2005 erleichterten gesetzlichen Rahmenbedingungen für Bürgerentscheide in Baden-Württemberg. Dieser Artikel beschreibt den Verlauf und das Ergebnis des Freiburger Bürgerentscheides und geht dabei auf die wahlrechtlichen Rahmenbedingungen und Besonderheiten dieser kommunalen Wahlform ein.

Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg bedankt sich bei Herrn Dr. Peter Höfflin vom Amt für Bürgerservice und Informationsverarbeitung der Stadt Freiburg im Breisgau für den interessanten Gastbeitrag.

Vorgeschichte – Der Dresdener Wohnungsverkauf als Vorbild

Am 9. März 2006 beschließt der Dresdener Stadtrat die städtische Wohnbaugesellschaft WOBA mit einem Bestand von ca. 48 000 Wohnungen an den amerikanischen Finanzinvestor Fortress zu verkaufen. Durch den Verkaufserlös von 981,7 Mill. Euro netto wird Dresden bundesweit zur ersten schuldenfreien Großstadt. Das Dresdener Beispiel findet bundesweite Beachtung und führt auch in der Freiburger Kommunalpolitik zu entsprechenden Überlegungen. Nachdem bereits Mitte März die CDU-Fraktionsvorsitzende öffentlich entsprechende Überlegungen anstellt, ob Freiburg nicht dem Dresdener Vorbild folgen solle, bestätigt Oberbürgermeister Dieter Salomon (GRÜNE) am 1. April 2006 gegenüber der lokalen Presse, dass die Stadtverwaltung die Absicht verfolgt, durch den Verkauf der städtischen Wohnungen den Haushalt zu sanieren. Damit war der Startschuss für eine heftige politische Auseinandersetzung gegeben, die die Freiburger Öffentlichkeit bis zum Bürgerentscheid im November vergangenen Jahres in Atem hielt und die Stadt in Befürworter und Verkaufsgegner spaltete.

Die Verkaufsgegner sammelten sich vor allem in der Bürgerinitiative »Wohnen ist Menschenrecht«, die unter dem Emblem einer durchgestrichenen Heuschrecke den Protest gegen den Wohnungsverkauf organisierte. Unterstützt wurden sie von den Gemeinderatsfraktionen der SPD, der unabhängigen Listen und der FDP sowie vom Mieterbund, den Gewerkschaften, der Freiburger Architektenkammer, den Bürgervereinen und verschiedenen anderen Organisationen. Sie argumentierten, dass die Stadt durch einen Verkauf ihre Aufgaben in der sozialen Wohnungsversorgung nicht mehr wahrnehmen könne und ein wertvolles Instrument für die soziale Stadtentwicklung aus der Hand gegeben würde. Zudem seien langfristige Nachteile für die Mieter und den Freiburger Wohnungsmarkt zu befürchten. Vor allem die FDP zweifelte, ob die Verwaltung das Geld aus dem Verkaufserlös sinnvoll investieren würde und die Stadt dann aufgrund des nach wie vor bestehenden strukturellen Defizits über kurz oder lang wieder vor einem Schuldenproblem stehen würde.

Die Verkaufsbefürworter argumentierten mit der aus ihrer Sicht dringenden Notwendigkeit, mit dem Verkaufserlös die Schulden der Stadt vollständig zu tilgen. Die finanzielle Lage der Stadt sei dramatisch und ohne den Wohnungsverkauf wäre es nicht möglich, für die Jahre 2007/2008 einen genehmigungsfähigen Haushalt vorzulegen. Damit kämen alle freiwilligen Leistungen in den Bereichen Kultur, Soziales, Sport und Umwelt auf den Prüfstand und würden noch viel stärkere Kürzungen erfahren als bisher. Nicht nur die städtischen Einrichtungen wie Bäder, Büchereien und Theater würden starke Einschränkungen hinnehmen müssen, auch viele Einrichtungen von Vereinen und Organisationen würden ohne städtische Zuschüsse vor dem Aus stehen. Die Mieter seien durch eine umfangreiche Sozialcharta geschützt, die ihnen über das geltende Mietrecht hinaus Sicherheit verschaffen würden. Ohnehin würden bereits jetzt Mieterhöhungen durch den Mietspiegel begrenzt. Zur Absicherung der Mitarbeiter der Freiburger Stadtbau würde ein Personalkonzept vereinbart, mit einem generellen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen bis 2010. Die Verantwortung für die Wohnversorgung einkommensschwacher Haushalte könne die Stadt durch den Kauf von Belegungsrechten und die rund 1 000 im städtischen Eigentum verbleibenden Mietwohnung sicherstellen.

Der Weg zum Bürgerentscheid

Am 18. Juli 2006 beschloss der Gemeinderat mit einer Mehrheit von 30 zu 17 Stimmen, 94,9 % der städtischen Beteiligung an der Freiburger Stadtbau (FSB) zur Entlastung des Haushaltes zu verkaufen. Schon kurz nach dem Bekanntwerden der Verkaufsabsichten gründete sich die Bürgerinitiative »Wohnen ist Menschenrecht« und verfolgte das Ziel durch einen Bürgerentscheid nach § 21 der Gemeindeordnung Baden-Württembergs den Verkauf der Wohnungen zu verhindern.

Ein Bürgerentscheid kann grundsätzlich auf zwei Wegen initiiert werden:

? Zum einen kann der Gemeinderat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, eine Angelegenheit aus seinem Wirkungskreis der Entscheidung der Bürger zu unterstellen. Ausgenommen von der Möglichkeit eines Bürgerentscheides sind 7 fest in einem Negativkatalog (§ 21 Abs. 2) umrissene Zuständigkeitsbereiche, wie etwa bestimmte Weisungsaufgaben des Bürgermeisters, die innere Organisation der Verwaltung, die Haushaltssatzung, Bauleitpläne und Ähnliches.

? Zum anderen besteht die Möglichkeit, einen Bürgerentscheid durch ein Bürgerbegehren in Gang zu setzen. Das Bürgerbegehren muss schriftlich eingereicht werden und mindestens von 10 % der Bürger unterzeichnet sein, wobei je nach Gemeindegrößenklasse aber weitere Höchstgrenzen gelten (i Punkt). Weiterhin muss die zur Entscheidung zu bringende Frage, eine Begründung und einen Vorschlag zur Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme im Begehren enthalten sein (§ 21 Abs. 3 GemO).

Unterschieden wird weiterhin zwischen einem sogenannten »initiierenden Bürgerbegehren«, das nicht an bestimmte Fristen gebunden ist und einem »kassierenden Bürgerbegehren«, das sich gegen einen konkreten Gemeinderatsbeschluss wendet. Im letzten Fall ist das Begehren innerhalb von 6 Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses einzureichen. Das Freiburger Beispiel zeigt, dass ein initiierendes durchaus zu einem kassierenden Begehren werden kann.

In Freiburg begann die Bürgerinitiative »Wohnen ist Menschenrecht« bereits vor diesem Gemeinderatsbeschluss zum Wohnungsverkauf mit der Unterschriftensammlung. Neben der Frage »Sind Sie dafür, dass die Stadt Freiburg Eigentümerin der Freiburger Stadtbau GmbH und der städtischen Wohnungen bleibt?«, enthielten die Unterschriftenlisten eine Begründung mit vier Argumenten, die gegen einen Verkauf sprechen. Einen Kostendeckungsvorschlag enthielt das Begehren nicht, wobei nach obergerichtlicher Rechtsprechung1 ein solcher Vorschlag bei einem Begehren gegen die Veräußerung städtischen Vermögens auch nicht zu verlangen ist, da diese Maßnahme keine unmittelbaren Kosten nach sich ziehe.

Am 23. Juni 2006 reichte die Bürgerinitiative das Begehren mit 23 843 Unterschriften ein. Für ein erfolgreiches Begehren waren zu diesem Zeitpunkt 14 922 gültige Unterschriften notwendig. Das Amt für Bürgerservice und Informationsverarbeitung hat die eingereichten Unterschriften mit dem Wählerverzeichnis abgeglichen. Wahlberechtigt sind die Bürger der Gemeinde, also die Deutschen im Sinne von Artikel 116 des Grundgesetzes und die Unionsbürger mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens 3 Monaten in der Gemeinde leben. Insgesamt wurden von den überprüften 20 762 Unterschriften 15 979 als gültig anerkannt. Am 18. Juli 2006 stellte der Gemeinderat daraufhin nach § 21 Abs. 4 der Gemeindeordnung die Zulässigkeit des Begehrens fest und beschloss, einen Bürgerentscheid zur vorgelegten Frage am 12. November 2006 durchzuführen. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit steht dem Gemeinderat kein Ermessen zu. Sind die Voraussetzungen für einen Bürgerentscheid erfüllt, hat der Gemeinderat entsprechend zu entscheiden. Ihm bleibt nach § 21 Abs. 4 der Gemeindeordnung lediglich die Alternative, die im Bürgerbegehren verlangte Maßnahme selbst zu beschließen. Danach würde der Bürgerentscheid entfallen.

Mit der Entscheidung einen Bürgerentscheid durchzuführen, wurde ein Wahlverfahren in Gang gesetzt, das auf den gesetzlichen Bestimmungen der Bürgermeisterwahl beruht. Dies bedeutet, dass das kommunale Wahlamt eine vollständige Wahl zu organisieren hat, die sich etwa im Hinblick auf Bekanntmachungen, Wahlausschüsse, Briefwahl und Ähnliches nicht von einer herkömmlichen Bürgermeisterwahl unterscheidet.

Nachdem durch das erfolgreiche Bürgerbegehren und den damit erwirkten Gemeinderatsbeschluss der Bürgerentscheid festgesetzt war, begann in Freiburg der Wahlkampf um das heiß umstrittene Thema »Wohnungsverkauf«. Im Rahmen eines Bürgerentscheides ist die Stadtverwaltung nach der Gemeindeordnung dazu verpflichtet, den Bürgerinnen und Bürgern die innerhalb der Gemeindeorgane vertretene Auffassung darzulegen (§ 21 Abs. 5 GemO). Diesem Auftrag kam die Stadt Freiburg mit der Durchführung von vier Bürgergesprächen, Sonderseiten im Amtsblatt und Themenseiten auf der städtischen Homepage im Internet nach.

Das Ergebnis – Erster erfolgreicher Bürgerentscheid in Freiburg

Nach der Gemeindeordnung (§ 21 Abs. 6) gilt folgendes Verfahren: Die bei einem Bürgerentscheid gestellte Frage ist in dem Sinn entschieden, in dem sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde. Allerdings muss diese Mehrheit mindestens 25 % der Stimmberechtigten erreichen. Die für eine bin-dende Beschlusskraft des Bürgerentscheides zu erreichende Stimmenzahl lag damit bei 37 078 Stimmen. Wird das Quorum weder für eine Ja-Entscheidung noch für eine Nein-Entscheidung erreicht, so ist der Bürgerentscheid nicht verbindlich und der Gemeinderat muss noch einmal über das Thema entscheiden.

Das Ergebnis: Die für das Quorum notwendige Anzahl wurde um 4 503 Stimmen überschritten (Schaubild 1). Somit haben sich 28,0 % der Wahlberechtigten für Ja entschieden. Der Bürgerentscheid entfaltet damit die Wirkung eines endgültigen Beschlusses des Gemeinderates (§ 21 Abs. 7 GemO). Er kann im Unterschied zu einem Gemeinderatsbeschluss innerhalb von 3 Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden.

Der Bürgerentscheid zum Stadtbauverkauf ist der erste Freiburger Bürgerentscheid, der in dem Sinn erfolgreich war, dass er neben einer eindeutigen Mehrheit auch das erforderliche Quorum erreichte (Schaubild 2).

Im Unterschied zur Abstimmung über die geplante Kultur- und Tagungsstätte im Jahr 1988 ist der Abstand zwischen Ja- und Nein-Stimmen mit 41,0 Prozentpunkten gegenüber 10,8 Prozentpunkten wesentlich größer. Verglichen mit dem letzten Bürgerentscheid zum Verlauf der Stadtbahn war diesmal die Wahlbeteiligung wesentlich höher. Während sich 1999 nur etwas mehr als ein Fünftel der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligten, lag die Wahlbeteiligung diesmal bei 39,9 %. Die jeweils erwarteten positiven oder negativen Auswirkungen des Wohnungsverkaufes betreffen letztlich die gesamte Bürgerschaft, die sich dieser Entscheidung durch eine hohe Wahlbeteiligung gestellt hat.

Am ehesten vergleichbar ist das Abstimmungsergebnis des Bürgerentscheides mit der Entscheidung über die Flugplatzbebauung im Jahr 1995. Sowohl die Wahlbeteiligung, wie auch die Ja/Nein-Anteile der beiden Entscheide, decken sich fast bis auf einen Prozentpunkt genau. Allerdings scheiterte der Flugplatzentscheid am Quorum, das damals noch bei 30 % der Wahlberechtigten lag. Der Flugplatzentscheid ist aus der Sicht der damaligen Initiatoren aber sicher ebenfalls als erfolgreich zu werten, da sich der Gemeinderat aufgrund des Abstimmungsergebnisses entschloss, den Bebauungsbeschluss zu revidieren.

Eine Analyse des Wahlverhaltens

Während bei überregionalen Wahlen Umfragen und Trends vorliegen und bei kommunalen Wahlen zumindest regelmäßige Vorwahlergebnisse zur Verfügung stehen, fällt es bei Bürgerentscheiden bedeutend schwerer, eine Prognose über den Wahlverlauf und die Ergebnisse aufzustellen. Es ist deshalb eine spannende Frage, welche Besonderheiten sich bei einer Analyse des Wahlverhaltens ergeben. Wie sieht es etwa mit der Wahlbeteiligung und dem Abstimmungsverhalten im Vergleich zu anderen Wahlen aus?

Vergleicht man die Wahlbeteiligung und den Briefwähleranteil verschiedener Wahlarten und der zurückliegenden Bürgerentscheide so fallen bestimmte Regelmäßigkeiten auf (Tabelle). Bei Kommunalwahlen liegt die Beteiligung stets deutlich unter der Beteiligung bei der Bundestagswahl. Dabei spielt sicher die größere Aufmerksamkeit der Medien und vor allem des Fernsehens eine gewichtige Rolle. Auch wenn die Bedeutung der kommunalen Ebene nicht unterschätzt werden sollte, dürfte eine weiterer Grund für die geringere Wählermobilisierung bei kommunalen Abstimmungen darin zu sehen sein, dass die Wählerinnen und Wähler hier geringere Auswirkungen auf ihre Lebensbedingungen erwarten als bei bundespolitischen Entscheidungen. Dass diese individuelle Nutzenabwägung auch bei den Bürgerentscheiden eine wichtige Rolle spielt, zeigt die starke Schwankung der Wahlbeteiligung bei den zurückliegenden Bürgerentscheiden, die zwischen 22,2 % bei der Abstimmung über den Verlauf der Stadtbahn und 50,0 % beim Entscheid über die Kultur- und Tagungsstätte lagen.

Der Briefwähleranteil lag bei den bisherigen Bürgerentscheiden relativ konstant bei einem Fünftel der Wahlberechtigten. Aufgrund der bis zum Freitag vor der Wahl ausgegebenen Wahlscheine wäre eine Anzahl von etwa 42 000 Wählern zu erwarten gewesen. Tatsächlich beteiligten sich dann aber fast 17 000 Wählerinnen mehr, als dies aufgrund des Briefwahlanteiles der vergangenen drei Bürgerentscheide zu erwarten gewesen wäre. Der Briefwahlanteil lag mit lediglich 13,8 % nicht nur deutlich unter den Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen, sondern auch nahezu ein Drittel unter dem Briefwahlanteil der bisherigen Bürgerentscheide. Angesichts der komplexen Debatte über den Wohnungsverkauf wollten sich viele Stimmberechtigte die Optionen bis zum Wahltag offenhalten. Sicher spielt aber auch die Struktur der Wählerschaft eine Rolle. Erfahrungsgemäß machen vor allem konservative, ältere Wähler von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch. Da beim Bürgerentscheid über den Stadtbauverkauf aber vor allem die Wählerschaft in den SPD-Hochburgen stärker mobilisiert wurde, ergibt sich ein insgesamt geringerer Briefwähleranteil.

Die zum Verkauf vorgesehenen Wohnungen verteilen sich nicht gleichmäßig über die Stadt, sondern konzentrieren sich vor allem in den ehemaligen Arbeiterquartieren und den Großwohnsiedlungen der 70er-Jahre im Westen der Stadt. Die in diesen Gebieten liegenden Wahlkreise fallen üblicherweise durch eine sehr geringe Wahlbeteiligung auf. Exemplarisch sei der Stadtteil Weingarten genannt, der bei der Bundestagswahl 2005 mit 64,9 % Wahlbeteiligung um 14,5 Prozentpunkte unter dem Stadtdurchschnitt lag und damit das Schlusslicht bildete. Beim Bürgerentscheid erreichte Weingarten mit 49,2 % Wahlbeteiligung nun ein Spitzenergebnis von fast 10 Prozentpunkten über der Wahlbeteiligung in der Gesamtstadt. Dies ist ein für die Wahlforschung interessantes Ergebnis, denn es zeigt, dass sich die in den benachteiligten Wohngebieten lebende Bevölkerung durchaus an Wahlen beteiligt, wenn sie erwarten kann, dass mit der Ausübung des Wahlrechtes ein direkter Nutzen vorhanden ist. Wahlsoziologisch gesprochen ist die ansonsten geringe politische Repräsentation dieser Bevölkerungsgruppen demnach eher auf ein fehlendes politisches Angebot und weniger auf eine generelle soziale Exklusion zurückzuführen.

Ein weiteres interessantes Ergebnis ist die breite Ablehnung des Wohnungsverkaufes in allen Bevölkerungsschichten. Erwartbar wäre eine Spaltung der Stadt gewesen, in der sich die eher sozialdemokratisch wählenden Bevölkerungsschichten für den Erhalt des kommunalen Wohnungsbestandes aussprechen, während in den schwarz-grünen Hochburgen entsprechend des Abstimmungsverhaltens der Gemeinderatsfraktionen für den Verkauf votiert würde. Tatsächlich stimmte aber auch in den Hochburgen der GRÜNEN und der CDU die deutliche Mehrheit gegen den Wohnungsverkauf. In keinem einzigen Wahlbezirk erreichten die Verkaufsbefürworter eine Mehrheit und selbst im Wahlbezirk 622-03, in dem die GRÜNEN bundesweite Spitzenergebnisse erzielen, sprachen sich 73,4 % der Wählerinnen und Wähler bei hoher Wahlbeteiligung gegen den Wohnungsverkauf aus.

Der Bürgerentscheid als Instrument der direkten Demokratie

Das Ergebnis des Bürgerentscheides wird je nach Ausgangsposition verschieden interpretiert. Während die einen in der Entscheidung einen »Meilenstein der demokratischen Geschichte Freiburgs« sehen, sprechen andere Kommentatoren von einer Blockade zwischen direkter und repräsentativer Demokratie. Der Freiburger Bürgerentscheid hat bundesweite Aufmerksamkeit gefunden und wird die Entscheidungen in anderen Städten beeinflussen.

Ob die Entscheidung der Bürgerschaft klüger war als die des Gemeinderates, wird die Zukunft zeigen müssen. Es zeigt sich hier aber das grundsätzliche Spannungsfeld zwischen den beiden politischen Entscheidungsverfahren. Die plebiszitären Elemente sind im politischen System der Bundesrepublik Deutschland bewusst schwach gehalten worden. Gerade nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus wurde bewusst auch ein größeres Vertrauen in die demokratisch gewählten Repräsentanten gesetzt. Spätestens mit den Bürgerinitiativen der 70er-Jahre geriet aber auch der repräsentative Politikansatz in die Krise und seine Schwächen wurden sichtbar.

Die heutige kommunalpolitische Debatte betont die Notwendigkeit partizipativer Politikansätze, die die Bürgerinnen und Bürger in vielfältigen Formen beteiligt. Zu diesen Formen gehören auch das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid. Mit dem formulierten Ziel »erweiterte Mitwirkungsrechte auf kommunaler Ebene zu schaffen«, hat der Landtag von Baden-Württemberg deshalb am 27. Juli 2005 beschlossen, die Gemeindeordnung zu ändern. Das Zustimmungsquorum wurde auf 25 % gesenkt, die möglichen Themenbereiche für einen Bürgerentscheid wurden erweitert und die Frist zur Einreichung eines Bürgerbegehrens, das sich gegen einen Beschluss des Gemeinderates richtet von 4 auf 6 Wochen verlängert. Die Freiburger Bürgerschaft hat von diesen Mitwirkungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht.

1 OVG Münster, Urteil vom 19.März 2004, AZ 15 B 522/04