:: 11/2007

Bauen oder nicht bauen, das ist die Frage

Mitte 2007 veröffentlichte das Statistische Landesamt Baden-Württemberg seine jüngste Wohnungsbedarfsprognose. Dort wurde für nur noch 10 der 44 Stadt- und Landkreise ein Wohnungsdefizit von mehr als 1 % berechnet, ein Neubedarf aufgrund steigender Haushaltszahlen für 37 und ein Ersatzbedarf natürlicherweise für alle Kreise. Würden nun die Defizite und Bedarfe schnell abgebaut bzw. befriedigt, sollte man annehmen, dass alles in Ordnung ist. Dem muss nicht so sein.

Gebaut wird aus unterschiedlichen Anlässen und mit divergierenden Folgen. Ein Dachgeschoss zur Wohnung umzubauen, wird den Bau- und Wohnungsmarkt nicht beeinflussen, eine Baulücke mit einem Zweifamilienhaus zu schließen sehr wenig. Wird dagegen ein Baugebiet für 40 Wohnungen ausgewiesen, dürfte dies bereits größere Auswirkungen haben. Kommt es zu einer Neubausiedlung mit Versorgungseinrichtungen, Kindergärten und Schulen, neuen Verkehrsanbindungen, dann kann sich eine extreme Konkurrenzsituation bilden und ein bestehender Markt, der bislang vielleicht nur von Wohnungswechseln lebte, in ein Ungleichgewicht geraten. Bleibt eine Wohnung ungenutzt, wundern sich vielleicht die Nachbarn. Ein lange Zeit unbewohntes Haus kann bereits auf eine schwache Nachfrage hindeuten. Verschwinden in einem Wohnblock zunehmend die Gardinen und bleiben nachts Parkplätze ungenutzt, dann steckt ein Gebiet schon in großen Schwierigkeiten. Es entwickeln sich letztlich räumliche Ungleichgewichte.

Vom Bauboom zur passiven Sanierung …

Sind derartige Ungleichgewichte und Probleme voraussehbar? Nicht selten sind sie es, selbst dann, wenn noch Wohnungsdefizite festgestellt werden. Stellen wir uns in einer hypothetischen Situation Folgendes vor (Schaubild 1): In der Region X fehlten im Jahr 2000 noch über 2 000 Wohnungen, im Jahr 2010 wird es gerade noch die Hälfte sein, 10 Jahre später sind Defizit und Neubedarf befriedigt, es bleibt – und das für die nächsten Jahrzehnte – noch der Ersatzbedarf wegen maroder Bausubstanz, Umwidmungen oder Abrissen. Mit den ab 2020 abnehmenden Bevölkerungs- und damit Haushaltszahlen kehrt sich das Defizit in einen Überschuss um. Spätestens um das Jahr 2020 wird folgender Effekt auftreten: Die bis dahin gebauten neuen Wohnungen werden wegen ihrer besseren Qualität und Energiebilanz, ihrer Lage und des Wohnwerts Bevölkerung aus Gebieten mit schlechteren Qualitätsmerkmalen »absaugen«, je länger desto mehr. Der Kampf um jeden Einwohner wird sich nicht mehr nur zwischen Gemeinden sondern zwischen Wohnquartieren abspielen. Dass es sich dabei nicht um Hypothesen handelt wurde in den USA und den neuen Bundesländern bereits demonstriert. An den Rändern ursprünglich intakter Kommunen und Zentren wurden Neubausiedlungen – zunächst »Platte« dann Einfamilienhäuser im Grünen – hochgezogen und gleichzeitig begannen Sanierungsprojekte in maroden Innenstadtvierteln. Parallel dazu sank wegen abnehmender Geburtenzahlen und Abwanderungen die Bevölkerungszahl. Die ökonomisch zwingende Folge war die Nutzung der neuen Wohneinheiten, da diese qualitativ besser und noch nicht abbezahlt, geschweige denn abgeschrieben waren. Ganze Straßenzüge und Stadtteile, ja Orte fielen der passiven Sanierung zum Opfer. Der »Rückbau« begann. Passive Sanierung und Städterückbau sind dabei nur euphemistische Umschreibungen eine nicht selten verfehlten Stadtplanung und Förderpolitik.

… auch in Baden-Württemberg?

Bereits Mitte der 80er-Jahre hatte Baden-Württemberg insgesamt einen kleinen Wohnungsüberschuss. Nach der Wende gab es nochmals einen kräftigen Anstieg des Defizits, das per saldo seit 1993 verringert wurde. Seit dem Jahr 2000 sind landesweit wieder Überversorgungen festzustellen. Was für das Land insgesamt zutrifft, traf und trifft nicht für die Teilräume zu. Für einige Mittelbereiche mit bevölkerungsreichen oder universitär geprägten Zentren wurden noch Defizite ermittelt. Die Gefahr der demografisch bedingten Überversorgung zeichnet sich allerdings bereits ab. In Schaubild 3 fallen Mittelbereiche auf, die bereits jetzt »umkippen«, in anderen wird in 5, 10 oder 20 Jahren der Absaugeffekt aus den Ortskernen und/oder qualitativ schwächeren Wohngebieten eintreten können. Die Mittelbereiche Mannheim, Albstadt und Schramberg laufen Gefahr, dass diese Prozesse noch in diesem Jahrzehnt beginnen. Nach 2010 ist das für die am dichtesten besiedelte Zone zwischen Karlsruhe und Göppingen, Geislingen, für einige Mittelbereiche im äußersten Südwesten und im Norden des Landes zu erwarten. Für die überwiegende Zahl der Mittelbereiche sind bis zum Ende des Vorausrechnungszeitraumes 2025 allerdings noch keine der beschriebenen Entleerungseffekte zu erwarten.

Würde man die Autoren der Bedarfsprognose nach Lösungen fragen, müssten sie passen. Erstens ist es nicht deren Aufgabe und zweitens könnten sie es nicht, da ihnen weder die kommunalen Planungen bekannt sind, noch wissen sie was tatsächlich eintreten wird. Sie wissen weder, ob es zu neuen Zuwanderungswellen aus dem Osten, Süden oder Krisengebieten kommt, noch wissen sie, ob sich die Ansprüche an Wohnraum erhöhen oder reduzieren werden oder ob es gelingt, so viele Arbeitsplätze zu schaffen, dass Bevölkerung aus anderen Bundesländern zuwandert. Hier ist die Wirtschafts-, Landes- und Kommunalpolitik gefordert. Statistiker können nur auf die beschriebenen Phänomene hinweisen. Letztlich müssen sich vor allem die kommunalen Entscheidungsträger im Klaren sein, ob sie bei zu erwartenden Bevölkerungsrückgängen unter kleinräumigen Aspekten auf Wachstum oder Konsolidierung, auf Familien- oder Seniorenfreundlichkeit, auf Konkurrenz oder Kooperation setzen. Im Klartext, ob Gemeinden noch Bauland ausweisen, obwohl in wenigen Jahren die Bevölkerungszahlen sinken werden oder ob sie auf Baulandausweisungen verzichten und damit einen temporär noch angespannten Wohnungsmarkt in Kauf nehmen.