:: 3/2008

Das regionale Wanderungsgeschehen in Baden-Württemberg

Welche Kreise haben am stärksten profitiert?

Die Wanderungsbewegungen sind der »Motor« des Bevölkerungswachstums in Baden-Württemberg. Etwas mehr als 70 % des Anstiegs der Bevölkerungszahl um gut 4 Mill. Menschen resultierten seit 1952, dem Gründungsjahr des Südweststaates, aus Wanderungsgewinnen gegenüber dem Ausland und den anderen Bundesländern, die übrigen knapp 30 % aus Geburtenüberschüssen. Den höchsten Wanderungsgewinn gab es im Jahr 1990 nach dem »Mauerfall« als 182 000 Personen mehr nach Baden-Württemberg zu- als wegzogen. In den letzten Jahren sind die Wanderungsgewinne stetig zurückgegangen; im Jahr 2006 erreichte der Wanderungssaldo nur noch ein Plus von etwa 4 000 Personen.

Nicht nur das Wanderungsgeschehen Baden-Württembergs insgesamt war im Zeitablauf von starken Schwankungen geprägt. Auch innerhalb des Landes gab und gibt es erhebliche Unterschiede. Da Wanderungsgewinne mit einer hohen Attraktivität eines Raumes in Verbindung gebracht werden, soll in diesem Kurzbeitrag der Frage nachgegangen werden, welche Stadt- und Landkreise in den letzten 10 Jahren überdurchschnittliche Wanderungsgewinne bzw. -verluste erzielt haben und worauf diese räumlichen Unterschiede zurückgeführt werden können.

Landkreis Karlsruhe mit höchsten absoluten Wanderungsgewinnen und …

In den letzten 10 Jahren hat Baden-Württemberg per saldo 293 000 Personen durch Wanderungen hinzugewonnen, der Anstieg der Einwohnerzahl durch Geburtenüberschüsse lag dagegen »nur« bei 72 000. Absolut betrachtet waren die Wanderungsgewinne in den bevölkerungsstarken Landkreisen Karlsruhe, Rhein-Neckar-Kreis, Heilbronn und Ludwigsburg mit jeweils über 15 000 Personen am höchsten. Von den neun Stadtkreisen des Landes hat Freiburg im Breisgau das größte Plus erzielen können. Wanderungsverluste hatten im Betrachtungszeitraum 1997 bis 2006 vier dünner besiedelte Landkreise – Sigmaringen, Heidenheim, Main-Tauber- und Zollernalbkreis – sowie der Stadtkreis Mannheim (vgl. auch i-Punkt).

… Baden-Baden mit den größten relativen Gewinnen

Bezogen auf die Einwohnerzahl ergibt sich ein etwas anderes Bild: Baden-Baden, kleinster Kreis des Landes und deshalb bezüglich des absoluten Wanderungsgewinns nur im unteren Drittel der 44 Stadt- und Landkreise, belegt hier den Spitzenplatz: Seit 1997 erhöhte sich die Bevölkerungszahl durch Wanderungen um 9 %, landesweit waren es »nur« 3 %. Die Nächstplatzierten – Freiburg im Breisgau sowie die Landkreise Konstanz und Breisgau-Hochschwarzwald – belegten bereits beim absoluten Wanderungsgewinn vordere Plätze. Ebenfalls gering sind die Rangverschiebungen bei denjenigen Kreisen, in denen im Betrachtungszeitraum per saldo mehr Personen weg- als zugezogen sind.

Stadtkreise sind für Zuziehende attraktiver geworden

Die Wanderungsverhältnisse in der Mehrzahl der Stadt- und Landkreise waren und sind im Zeitablauf von starken Schwankungen geprägt: Dies zeigt sich bereits dann, wenn der Betrachtungszeitraum in zwei Teilabschnitte zerlegt wird: In 16 Kreisen lagen die Wanderungsgewinne zwischen 2002 und 2006 zum Teil erheblich höher als noch zwischen 1997 und 2001 (beziehungsweise haben sich Wanderungsverluste in -gewinne verwandelt). Dagegen haben sich in immerhin 28 Kreisen die Wanderungsgewinne teilweise erheblich verringert bzw. die Wanderungsverluste erhöht.

Die Verschiebungen im Zeitablauf waren zum Teil enorm: In den Landkreisen Heilbronn, Böblingen und dem Rems-Murr-Kreis gingen die Wanderungsgewinne um jeweils mehr als 4 000 Personen zurück. Auf der anderen Seite verbesserten die Stadtkreise Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Heilbronn und Pforzheim ihre Positionen erheblich: Die Wanderungsgewinne lagen hier zuletzt um mindestens 2 000 Personen höher als im Zeitraum 1997 bis 2001. Aber auch die übrigen Stadtkreise haben ihren Wanderungsgewinn gesteigert, obwohl im selben Zeitraum landesweit der Wanderungssaldo um ein Fünftel zurückgegangen ist. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Zentren in den letzten Jahren an Attraktivität gewonnen haben. Somit könnte diese Entwicklung als ein weiterer Beleg für eine »Renaissance der Großstädte« angesehen werden.1

Zuwanderungen: vor allem arbeitsplatzinduziert und …

Worauf sind diese regionalen Entwicklungsunterschiede im Wanderungsverhalten zurückzuführen? Die Ursachen für die Zu- und Abwanderung, das heißt die Wanderungsmotive, sind vielschichtig. Neben der sogenannten Ausbildungs-, der Familien-, der Wohnungsmarkt- sowie der Alterswanderung dürfte hierfür nicht zuletzt die Entwicklung des regionalen Arbeitsplatzangebots sein. Und tatsächlich zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der relativen Entwicklung der Beschäftigtenzahl und dem Niveau der Zuwanderung – wenn auch im Zeitablauf mit abnehmender Tendenz:2 So belegte beispielsweise der Landkreis Heilbronn sowohl bei der Beschäftigtenentwicklung als auch beim relativen Wanderungsgewinn im Zeitraum 1997 bis 2001 den Spitzenplatz. Im Zeitraum 2002 bis 2006 war dort der Anstieg der Beschäftigtenzahl »nur« noch der siebthöchste, die relativen Wanderungsgewinne lagen sogar nur noch knapp über dem Durchschnitt (Rang 15 unter den 44 Stadt- und Landkreisen).

Besonders schwierig war die Entwicklung im Landkreis Heidenheim: 1997 bis 2001 stagnierte die Beschäftigtenzahl (Rang 37), die Wanderungsverluste bezogen auf die Einwohnerzahl waren die zweithöchsten im Land. Im Zeitraum 2002 bis 2006 war sowohl die Zuzugs-/Wegzugsrelation als auch die Beschäftigtenentwicklung im Landkreis Heidenheim die ungünstigste aller Stadt- und Landkreise.

… auf landschaftliche Attraktivität einer Region zurückzuführen

Allerdings gibt es auch Kreise, für welche der Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzentwicklung und Wanderungsintensität erheblich schwächer ausgeprägt ist. So haben insbesondere die Landkreise Emmendingen und Konstanz weit überdurchschnittliche Wanderungsgewinne erzielt, während die Beschäftigungsentwicklung lediglich geringfügig überdurchschnittlich (Landkreis Konstanz) oder sogar schwächer als landesweit war (Landkreis Emmendingen).

Das bedeutet, dass das Wanderungsmotiv »Arbeitsplatzangebot« von anderen bereits genannten Motiven überlagert wurde. Eine wesentliche Rolle dürfte hierbei – insbesondere für die »Altersruhesitzwanderung« – der Attraktivität der Landschaft und der allgemeinen Lebensqualität eines Raumes zukommen. Vor allem der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald und der Bodenseekreis sowie der Stadtkreis Baden-Baden dürften von diesen »weichen Standortfaktoren« profitieren: Denn die Übernachtungszahlen im Beherbergungsgewerbe – sicherlich ein starkes Indiz für eine hohe landschaftliche und/oder kulturelle Attraktivität – sind in den genannten Kreisen weit überdurchschnittlich.3

Ein weiterer Grund, weshalb der Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Arbeitsmarktentwicklung nur eingeschränkt gilt, ist in dem der Analyse zugrunde gelegten räumlichen Bezugssystem – den 44 Stadt- und Landkreisen – zu finden. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Ein Zuzug aus Norddeutschland sei arbeitsmarktbedingt; der Zuzug erfolgt aber nicht in die Stadt A, in der sich die künftige Arbeitsstelle befindet, sondern in der Gemeinde B in einem Nachbarkreis. Das heißt, die eigentlich arbeitsmarktinduzierte Zuwanderung wird häufig durch eher kleinräumige wohnungsmarktbedingte Wanderungen überlagert. Dies gilt insbesondere für die Verflechtungen zwischen Stadtkreisen als Arbeitsplatzzentren und angrenzenden Landkreisen, wenn auch – wie bereits angedeutet – mit abnehmender Tendenz.

Baden-Baden nicht nur für Ältere attraktiv

Abschließend lohnt sich eine etwas genauere Betrachtung des Wanderungsgeschehens Baden-Badens. Der Kurstadt haftet das Image an, ganz überwiegend nur für ältere Menschen attraktiv zu sein. Die in den letzten Jahren zu beobachtenden hohen Wanderungsgewinne seien deshalb auf einen großen Anteil »Altersruhesitzwanderer« zurückzuführen.4 Und tatsächlich hat die mittelbadische Stadt im Betrachtungszeitraum annähernd 1 400 Personen im Alter von 60 und mehr Jahren per saldo durch Zuwanderungen hinzugewonnen; das bedeutet – gemessen an den Wanderungsgewinnen insgesamt – der dritthöchste Anteil aller Kreise des Landes nach dem Neckar-Odenwald-Kreis und dem Landkreis Calw.

Baden-Baden profitiert aber nicht nur vom Zuzug älterer Menschen – auch der Wanderungsgewinn bei den unter 60-Jährigen war erstaunlich hoch: Bezogen auf die entsprechende Bevölkerung sind in keinem der 44 Stadt- und Landkreise per saldo mehr Menschen zugezogen als in Baden-Baden!5 Und dies könnte – und damit schließt sich der Kreis – vor allem darauf zurückzuführen sein, dass in den letzten Jahren in der Kurstadt die Arbeitsplatzentwicklung positiv war.

Wettbewerb um neue Bürger verstärkt sich

In Zukunft wird es in weiten Teilen Baden-Württembergs aufgrund der Alterungsstruktur der Bevölkerung stets mehr Sterbefälle als Geborene geben. Ein – gegebenenfalls gewünschter – Anstieg der Bevölkerungszahl in einer Kommune wird deshalb wohl nur noch mittels Zuwanderungen möglich sein. Da derzeit nur noch von eher moderaten Wanderungsgewinnen Baden-Württembergs gegenüber anderen Bundesländern und dem Ausland ausgegangen werden muss, könnte sich unter den Städten und Gemeinden der Wettbewerb um neue Bürger in Zukunft verstärken.

1 Die Entwicklungen zum Thema »Reurbanisierung« sollen in einem späteren Beitrag detaillierter analysiert und beschrieben werden.

2 Der Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson lag für den Zeitraum 1997 bis 2001 bei 0,7, für den Zeitraum 2002 bis 2006 nur noch bei 0,5. Oft wird im Zusammenhang mit der Arbeitsplatzwanderung lediglich auf den Wanderungssaldo 25- bis unter 30-Jähriger abgestellt. Dies ergab aber einen schwächeren Zusammenhang mit der Beschäftigtenentwicklung – möglicherweise deshalb, weil es in dieser Altersgruppe auch verstärkt zu Familien- und Wohnungsmarktwanderungen kommt.

3 Die Zahl der Übernachtungen je Einwohner liegt hier etwa drei- bis viermal so hoch wie landesweit.

4 Die Ergebnisse einer detaillierten Analyse der »Altersruhesitzwanderung« in Baden-Württemberg werden in einem späteren Heft vorgestellt.

5 Das Phänomen »Altersruhesitzwanderer« beginnt zum Teil bereits vor dem 60. Lebensjahr. Wird deshalb – um diese »Altersruhesitzwanderung« möglichst vollständig herauszurechnen – in einer Alternativrechnung das Wanderungsverhalten der unter 55-Jährigen zugrunde gelegt und auf die entsprechende Bevölkerung bezogen, so erzielt Baden-Baden nach Freiburg im Breisgau immerhin den zweithöchsten Wert.