:: 3/2008

Strukturwandel in der Landwirtschaft setzt sich fort

Im Rahmen der Allgemeinen Agrarstrukturerhebung 2007 erfolgte eine umfassende agrarstrukturelle Bestandsaufnahme, deren wichtigste Ergebnisse in einer kleinen Reihe kurzer Beiträge wiedergegeben werden sollen. Der Strukturwandel hat viele Facetten: So wird die Zahl der Betriebe geringer, während ihre Flächenausstattung größer wird, es gibt Veränderungen in der Tierhaltung und Bodennutzung, der eine oder andere Betrieb ändert die Wirtschaftsweise und wieder andere erschließen sich neue Tätigkeits- und Wertschöpfungsfelder.

Der vorliegende, erste Beitrag befasst sich mit dem wichtigsten und bekanntesten Indikator für die strukturelle Entwicklung: der Betriebsgrößenstruktur, also den Veränderungen in Zahl und Größe der landwirtschaftlichen Betriebe.

Noch 57 000 landwirtschaftliche Betriebe im Land

Die Landwirtschaft in Baden-Württemberg hat in wenigen Jahrzehnten einen enormen Strukturwandel vollzogen. Die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe hat sich aufgrund biologischer und technischer Fortschritte in der Landwirtschaft selbst und des zeitgleich verlaufenden wirtschaftlichen Aufschwungs im sekundären und tertiären Wirtschaftssektor dramatisch verringert. Bei der ersten landwirtschaftlichen Betriebszählung nach dem 2. Weltkrieg 1949/50 wurden noch annähernd 400 000 landwirtschaftliche Betriebe im Land ermittelt. Die Zahl von 1949 ist zwar aufgrund verschiedener methodischer Brüche mit der aktuellen Zahl nicht unmittelbar vergleichbar, sie vermittelt dennoch sehr anschaulich die Ausmaße des strukturellen Wandels bis heute. Im Jahr 2007 wurden im Rahmen der Allgemeinen Agrarstrukturerhebung (i-Punkt) noch 57 049 landwirtschaftliche Betriebe in Baden-Württemberg festgestellt.

Für einen längerfristigen Vergleich blendet man die Betriebe mit weniger als 2 Hektar (ha) landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF) am besten aus, da der darunter liegende Betriebsgrößenbereich wegen der wiederholten Veränderungen der Erfassungsgrenze (zuletzt 1999) kaum vergleichbar ist. Konzentriert man sich somit auf die etwas größeren Betriebe ab 2 ha LF, dann zeigt sich in der langfristigen Betrachtung zwar eine eindeutige Entwicklungsrichtung – die Zahl der Betriebe nimmt kontinuierlich ab – aber auch ein deutliches Auf und Ab in der Dynamik des Strukturwandels (Schaubild 1). Auf eine Phase verhaltener Veränderung in den 50er-Jahren folgte in den 60er-Jahren ein deutlich beschleunigter Strukturwandel, der durch eine breit einsetzende Mechanisierung ermöglicht und durch attraktive außerlandwirtschaftliche Alternativen befördert wurde.

Es folgten Jahre vergleichsweiser Stabilität, in denen Produktivitätsfortschritte und garantierte Preise und Mengen ein Sicherheitskorsett für die Landwirtschaft bildeten. Eine deutliche Beschleunigung im Strukturwandel zeigte sich dann ab Mitte der 80er-Jahre, als sich der Erfolg der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik in Milchseen, Butter- und Getreidebergen abzuzeichnen begann und Reformen unausweichlich wurden. Ende der 80er-Jahre kam die Milchquotenregelung, deren Ende aktuell diskutiert wird; es folgte Anfang der 90er-Jahre die erste und nach der Jahrtausendwende die zweite Stufe der EU-Agrarreform. In dieser wechselvollen und immer wieder von Unsicherheiten geprägten Phase lagen die jährlichen Abnahmeraten der Zahl landwirtschaftlicher Betriebe bei teils deutlich über 3 %.

In der Agrarstrukturerhebung 2007 wurden noch 48 098 landwirtschaftliche Betriebe mit 2 ha und mehr LF in Baden-Württemberg festgestellt, im Jahr 2005 waren es dagegen noch 50 870 Betriebe. Für den Zeitraum 2005 bis 2007 errechnet sich damit eine jährliche Abnahmerate von – 2,8 %. Sie liegt damit zum ersten Mal seit rund zwei Jahrzehnten wieder unter 3 % und könnte den Beginn einer Phase moderateren Strukturwandels einleiten.

Durchschnittliche Betriebsgröße 25,2 ha LF

Im Zuge des Strukturwandels änderte sich nicht nur die Zahl, sondern auch die Größe der Betriebe. Von Ausnahmen in Grenzertragslagen1 abgesehen, bedeutet die Aufgabe von Betrieben nicht automatisch auch das Ende der Bewirtschaftung dieser Flächen. Die Nutzung zusätzlicher Flächen bedeutet erweitertes Produktions- und damit Einkommenspotenzial. In der Regel wird daher die Bewirtschaftung von Flächen der aufgebenden Betriebe von den verbleibenden Betrieben durch Ausweitung der Pachtflächen übernommen, die dadurch auch immer größer werden. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten hat sich die durchschnittliche Betriebsgröße annähernd verdoppelt und erreichte im Jahr 2007 einen Wert von 25,2 ha LF.

Wachstumsschwelle bei 75 bis 100 ha LF

Die Wachstumsschwelle definiert jenen Betriebsgrößenbereich, in dem im Zeitvergleich eine Zunahme der Betriebe festzustellen ist. Vor dem Hintergrund der immer größer werdenden Betriebe verschiebt sich auch die Wachstumsschwelle fortlaufend nach oben. Bis 1991 lag die Wachstumsschwelle im Größenbereich der Betriebe zwischen 30 und 50 ha LF. Deren Anzahl bezifferte sich damals auf 9 077, im Jahr 2007 wurden noch 6 288 Betriebe zwischen 30 und 50 ha LF gezählt. Die Funktion der Wachstumsschwelle übernahm anschließend die Größenklasse von 50 bis 75 ha und konnte sie bis ins Jahr 2001 beibehalten. Mittlerweile liegt die Wachstumsschwelle im Bereich zwischen 75 und 100 ha LF, das heißt nur noch die Zahl der Betriebe mit 75 ha LF und mehr nimmt noch zu, während in den darunter liegenden Größenklassen die Zahl der Betriebe abnimmt. Im Jahr 2007 gab es 2 194 Betriebe in diesem Größenbereich. Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass die Funktion der Wachstumsschwelle nur noch für begrenzte Zeit in diesem Größenbereich bleiben wird: Die Zuwachsrate der Betriebe wird auch in dieser Größenklasse von Jahr zu Jahr kleiner:

2001/2003+126 Betriebe
2003/2005+ 98 Betriebe
2005/2007+ 65 Betriebe

Die Wachstumsschwelle allein hat allerdings in einem naturräumlich so heterogenen Land wie Baden-Württemberg, das ganz unterschiedliche Betriebsformen hervorbringt, nur beschränkte Aussagekraft. Für intensiv wirtschaftende Betriebe mit Sonderkulturen wie Obst oder Wein gelten andere Maßstäbe als für einfach zu organisierende Ackerbaubetriebe, die mit der heutzutage technisch möglichen Schlagkraft große Fläche effizient und mit hoher Präzision bewirtschaften können. Ebenso sind an Betriebe mit Vieh abweichende Maßstäbe anzulegen, die zudem noch zwischen flächengebundener Haltung von Raufutterfressern und flächenunabhängiger Veredlungswirtschaft unterscheiden sollten.

Wachstumsschwellen bei Wein, Obst und Vieh

Auch für diese speziellen Kategorien lassen sich Wachstumsschwellen, also Größenbereiche, in denen im Zeitvergleich die Zahl der Betriebe trotz insgesamt rückläufiger Entwicklung noch zunimmt, identifizieren. Bei Rebland liegt die Wachstumsschwelle im Durchschnitt des Landes im Bereich zwischen 6 und 7 ha Rebland je Betrieb. Es zeigt sich jedoch ein kleiner Unterschied zwischen den Betrieben im Anbaugebiet »Baden« und denen im Anbaugebiet »Württemberg«. Im badischen Anbaugebiet liegt die Wachstumsschwelle bei über 8 ha Rebland je Betrieb und damit höher als im Anbaugebiet »Württemberg«, wo die Zahl der Betriebe mit 5 bis 6 ha Rebland noch gerade unverändert ist. Bei Rebland hat die Wachstumsschwelle eine vergleichsweise große Aussagekraft, weil den einzelbetrieblichen Auf- und Abstockungen ein insgesamt sehr stabiles Produktionsvolumen zugrunde liegt. Bei den Ergebnissen der Agrarstrukturerhebung ist allerdings zu berücksichtigen, dass hier nicht das gesamte Rebland, sondern nur das von landwirtschaftlichen Betrieben ab einer gewissen Größe bewirtschaftete Rebland dargestellt wird.

Auch für andere Produktionsmerkmale lassen sich im Zeitvergleich Wachstumsschwellen feststellen. Für den Obstbau liegt sie bei etwa 10 bis 15 ha Obstanlagenfläche, in der Haltung von Milchkühen bei über 60 Milchkühen und in der Zuchtsauenhaltung nimmt nur noch die Zahl der Betriebe mit 150 Tieren und mehr zu.

Schärfster Wandel bei den mittleren Betrieben

Die Wachstumsschwelle liefert einen Blick auf die Produktionskapazitäten, die aus Sicht der Betriebsinhaber anzustreben sind bzw. in die sie hineinwachsen wollen. Die alleinige Betrachtung der Wachstumsschwelle versperrt aber die Sicht darauf, dass die eigentliche »Schicksalsgrößenklasse« für die Betriebe in aller Regel deutlich darunter liegt. Die Betriebe im Bereich der Wachstumsschwelle haben den Strukturwandel gewissermaßen »geschafft«, während Betriebe in den unteren Größenklassen sich längerfristig überwiegend noch entscheiden müssen.

Lässt man die an sich notwendigen Differenzierungen im Hinblick auf Sonderkulturen oder Viehhaltung außer Acht, dann lassen sich drei große Entwicklungslinien unterscheiden. Es gibt zum einen die Gruppe der kleineren Betriebe (unter 10 ha) mit einer deutlichen Tendenz zur Aufgabe. Im Vergleich 2003 mit 2007 weist diese Gruppe die stärksten Abnahmeraten auf (bis – 20 %, siehe Tabelle). Daneben gibt es die Gruppe der aufstrebenden, größeren Betriebe ab etwa 50 ha Fläche. In dieser Gruppe herrscht sehr viel mehr Dynamik, als der Saldo vorgibt. Der Saldo beträgt für die Betriebe zwischen 50 und 75 ha zum Beispiel −0,7 %. In Wirklichkeit wurde innerhalb von vier Jahren rund ein Fünftel der Betriebe ausgetauscht, überwiegend nach oben. In der Praxis heißt dies, dass viele Betriebe die Größenklasse durch Aufstockung nach oben verlassen haben und durch Aufstocker aus den darunter liegenden Größenklassen ersetzt wurden.

Im mittleren Größenbereich treffen nun alle Effekte zusammen: es gibt aufgebende Betriebe, hinzu kommen abstockende Betriebe, die sich verkleinern und aufstockende Betriebe, die sich vergrößern. In der Summe verliert der mittlere Bereich deutlich mehr Betriebe als er seinerseits durch Aufstockungen von unten oder Abstockungen von oben gewinnt. Im Saldo der Jahre 2003 bis 2007 ergeben sich daher für die mittleren Betriebe Abnahmeraten, die nur wenig unter den Abnahmeraten der kleinen Betriebe liegen, obwohl die echten Aufgaberaten viel geringer sind. Es wäre daher naheliegend, sich den mittleren Betrieben, denen sich die Frage des »Wachsens oder Weichens« offensichtlich in besonderer Deutlichkeit stellt, in besonderem Maße zu widmen.

1 Standorte, die aufgrund ihrer natürlichen Bedingungen an der Grenze einer nachhaltigen (land-) wirtschaftlichen Nutzung liegen; meist handelt es sich dabei um extensiv genutztes Grünland (Wacholderheiden, Trockenrasen, etc.).