:: 3/2008

Bundesländerspezifische Potenziale von Blockheizkraftwerken und Brennstoffzellen auf Kläranlagen in Deutschland

Klärgas, ein Nebenprodukt kommunaler Kläranlagen, kann zur Produktion von Strom und Wärme genutzt werden. Derzeit werden dafür deutschlandweit mehr als 700 Blockheizkraftwerke eingesetzt. Im Folgenden wird das technische Potenzial der Klärgasverstromung durch Brennstoffzellen bzw. Blockheizkraftwerke (BHKW) in Deutschland ermittelt. Das technische Potenzial umfasst die bei gegebenem Klärgasaufkommen auf Kläranlagen in Deutschland maximal installierbaren Kapazitäten der verschiedenen Technologien zur Klärgasverstromung und die damit gewinnbaren Strommengen. Beispielsweise können mit dem aktuellen Klärgasaufkommen in Deutschland1 durch den Einsatz von Brennstoffzellen pro Jahr 1,23 TWh Strom erzeugt werden, wodurch die Emissionen um mehr als 700 000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr (CO2/a) gesenkt werden könnten.

Die vorliegende Untersuchung ist ein Projekt der Universität Stuttgart, durchgeführt im Statistischen Landesamt Baden-Württemberg im Rahmen des Forschungsdatenzentrums.

Klärgasnutzung und Stromerzeugung in Deutschland

In über 1 100 kommunalen Kläranlagen in Deutschland fielen im Jahr 2004 insgesamt mehr als 4 400 GWh Klärgas an. Dieses Nebenprodukt der Abwasserreinigung kann zur Produktion von Strom und Wärme genutzt werden, womit der Energiebedarf von Kläranlagen zumindest teilweise gedeckt werden kann. Hierzu werden derzeit auf mehr als 700 Kläranlagen motorische Blockheizkraftwerke (BHKW) eingesetzt, mit denen 2004 eine kumulierte Stromproduktion von 865 GWh ermöglicht wurde.

Mit der Brennstoffzelle schickt sich nun eine neue Technologie an, den BHKW Konkurrenz zu machen. Im nachfolgenden Beitrag werden die technischen Potenziale des Brennstoffzelleneinsatzes auf deutschen Kläranlagen für einzelne Bundesländer ermittelt. Gleichzeitig wird auch die Frage behandelt, welche Spielräume der etablierten BHKW-Technologie bleiben bzw. welche Möglichkeiten des BHKW-Einsatzes bisher ungenutzt blieben.

Um das vorhandene Potenzial der Nutzung von Klärgas2 in Brennstoffzellen abzuschätzen, werden alle Kläranlagen mit anaerober, das heißt sauerstoffloser, Schlammstabilisierung erfasst, da nur diese Klärgas produzieren. Kläranlagen werden größenmäßig nach Einwohnerwerten (EW) kategorisiert. Die EW-Zahl besteht aus der Einwohnerzahl des Einzugsgebiets und den Einwohnergleichwerten, die unter anderem das Abwasseraufkommen aus der Industrie beziffern. Die Kläranlagen werden in Größenklassen von 1 (unter 1 000 EW) bis 5 (über 100 000 EW) eingeteilt. Zur besseren Einordnung wurde die Größenklasse 4 (10 000 bis 100 000 EW) für die Potenzialbestimmung in die Unterklassen 4a (10 000 bis 50 000 EW) und 4bc (über 50 000 bis 100 000 EW) differenziert. Da kleinere Kläranlagen überwiegend den Schlamm aerob, das heißt unter Sauerstoffeinsatz und damit ohne Klärgasanfall, stabilisieren, kommen in Deutschland nur 1 156 von insgesamt ca. 6 600 Kläranlagen für die Potenzialabschätzung infrage. Auf diesen Kläranlagen werden jährlich rund 4 400 GWh Klärgas produziert.

Der größte Anteil der Klärgasproduktion (64 %), der installierten BHKW-Leistung und der erzeugten Strommengen entfällt auf die Kläranlagen der Klasse 5. Die Klasse 4a besitzt aufgrund der höheren Anlagenzahl eine höhere kumulierte Klärgasproduktion als Klasse 4bc. Die Klassen 1 bis 3 spielen wegen der geringen Anzahl an Anlagen und des geringen Klärgasaufkommens keine nennenswerte Rolle bei der Klärgasverstromung.

Die sich aus diesen Daten ergebenden Potenziale für den Neubau und die kapazitive Optimierung bereits bestehender Stromerzeugungsanlagen auf Kläranlagen werden in den folgenden Abschnitten thematisiert.

Bestimmung des technischen Neubaupotenzials von Anlagen zur Klärgasverstromung

Obwohl ein Betrieb von BHKW auf Kläranlagen wirtschaftlich möglich ist, wird heute noch in 430 der betrachteten 1 156 Kläranlagen das Klärgas höchstens zur Wärmeerzeugung in Kesseln genutzt. Bei der Ermittlung des technischen Neubaupotenzials werden alle Kläranlagen ohne eigene Stromerzeugung berücksichtigt. Als Untergrenze für die BHKW-Leistung werden 25 kW zugrunde gelegt. Bei einer entsprechenden Auslegung kann eine Jahresnutzung von 7 500 Volllaststunden erreicht werden.

Unter diesen Rahmenbedingungen beträgt das Neubaupotenzial von BHKW 34,8 MW mit einer Stromproduktion von 261 GWh/a. Ein besonders hohes technisches Neubaupotenzial für BHKW ergibt sich mit 221 zusätzlichen Anlagen für die Klasse 4a. Trotz der geringeren Anzahl von 33 Anlagen entfällt jedoch das größte Neubaupotenzial auf die Klasse 5 mit einer elektrischen Leistung von 16,6 MW und einer möglichen Stromerzeugung von 122 GWh/a.

Brennstoffzellen haben zwar einen höheren elektrischen Wirkungsgrad als BHKW, erreichen aber wegen der höheren Mindestanlagengröße (250 kW) nur ein ähnlich großes Neubaupotenzial wie BHKW-Anlagen. 26 Kläranlagen ohne bisherige Stromerzeugung können mit einer oder mehreren MCFC (molten carbonat fuel cell – Schmelzkarbonatbrennstoffzelle) (Vgl. i-Punkt) à 250 kW ausgestattet werden (insgesamt 17 MW), die meisten davon auf Anlagen der Klasse 5. In den niedrigeren Größenklassen ist keine Kläranlage vorhanden, für die der Neubau einer MCFC mit der aktuell verfügbaren Leistungsgröße infrage kommt.

Die größten Anteile an Neubaupotenzialen weisen die BHKW in Nordrhein-Westfalen (13,0 MW) und Hessen (4,7 MW) auf; bei den MCFC Nordrhein-Westfalen mit 7,0 MW und Hessen mit 3,3 MW (bezogen auf die aktuelle Modulgröße von 250 kW).

Technische Optimierungsmöglichkeiten auf Kläranlagen mit bestehenden BHKW

Bei der Bestimmung des technischen Optimierungspotenzials wird abgeschätzt, inwieweit auf Kläranlagen mit bereits vorhandenen BHKW-Anlagen die Möglichkeit zu Kapazitätserweiterungen besteht. Hierfür werden die Fackelverluste, die ungenutzten Klärgasmengen und die Auslegung des BHKW kläranlagenspezifisch analysiert. Fallen Klärgasmengen an, die über die Kapazität des bestehenden BHKW hinausgehen, so werden die überschüssigen Klärgasmengen in entsprechende elektrische BHKW-Leistungen umgerechnet.

Das technische Optimierungspotenzial für Kläranlagen in Deutschland ergibt sich für 2004 mit insgesamt zusätzlichen 11,0 MW sowie einer Stromproduktion von 82,3 GWh/a. In den sonstigen Klassen 1 bis 3 sowie in der Klasse 4a bestehen nur geringe Optimierungsmöglichkeiten. Bei den Kläranlagen der Klasse 4bc sind die installierten Kapazitäten so gut an die vorhandenen Klärgasmengen angepasst, dass sich ebenfalls nur ein geringes technisches Optimierungspotenzial von 2,1 MW ergibt. Das höchste Optimierungspotenzial unter den Kläranlagen in Deutschland haben mit 8,2 MW die Anlagen der Klasse 5.

Die Verteilung der elektrischen Leistung des BHKW-Bestandes und der zugehörigen technischen Optimierungs- und Neubaupotenziale von BHKW und MCFC zur Klärgasnutzung in Deutschland ist in Schaubild 1 grafisch dargestellt. Es zeigt sich, dass durch Optimierung der BHKW-Stromerzeugungskapazitäten vor allem auf Kläranlagen der Klasse 5 große Strommengen zusätzlich gewinnbar sind.

Der höchste Anteil an Optimierungspotenzialen der BHKW entfällt auf Baden-Württemberg (4,5 MW).

Technisches Gesamtpotenzial des Brennstoffzellen- bzw. BHKW-Einsatzes zur Klärgasverstromung in Deutschland

Bei der Bestimmung des Gesamteinsatzpotenzials von Brennstoffzellen werden auch diejenigen Kapazitäten berücksichtigt, die sich aus dem Ersatz bestehender BHKW-Anlagen durch Brennstoffzellen ergeben können.

Für das aktuelle Klärgasaufkommen ergibt sich bei konstant gehaltenen Rahmenbedingungen für die Mindestanlagengröße von 250 kW für MCFC ein technisches Gesamtpotenzial der MCFC von rund 164 MW, die sich auf 226 Kläranlagen in Deutschland verteilen ließen.

Dabei zeigt sich vor allem in den Klassen 4 und 5, dass der überwiegende Teil des technischen Leistungspotenzials der Brennstoffzellen aus dem Ersatz bestehender BHKW resultiert.

Die größten Potenziale der Klärgasverstromung ergeben sich bei beiden Technologien für Anlagen der Klasse 5. In den Klassen 3 und kleiner (Klasse Sonstige) weisen Brennstoffzellen nur geringe technische Stromerzeugungspotenziale auf.

Die Potenziale von MCFC-Brennstoffzellen (Modulgröße 250 kW) und BHKW bezüglich installierbarer Leistung und Stromerzeugung sind in Tabelle 3 aufgeteilt auf die einzelnen Bundesländer dargestellt. Aus datenschutzrechtlichen Gründen können die Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen nur in aggregierter Form dargestellt werden.

Die Stromerzeugungspotenziale in Nordrhein-Westfalen und den Stadtstaaten fallen aufgrund des siedlungsstrukturbedingt hohen Anteils von Großkläranlagen besonders hoch aus, welche den Einsatz der vergleichsweise großen Brennstoffzellenmodule begünstigen.

Generell fallen die Leistungspotenziale der Brennstoffzelle deutlich geringer aus, als die der BHKW. Neben der ungünstigen Modulgröße der Brennstoffzelle beruht dieser Effekt auch auf einer Überdimensionierung der bestehenden BHKW-Anlagen, wodurch die BHKW-Ersatzpotenziale sinken. Dagegen befinden sich die Stromerzeugungspotenziale von BHKW und MCFC für die meisten Länder auf einem Niveau, das heißt, die Modulgrößenvorteile der BHKW und die Wirkungsgradvorteile der MCFC halten sich die Waage. Ausnahmen sind die Länder, deren Klärgas zu einem hohen Maß auf kleineren Kläranlagen anfällt, wie etwa Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz/Saarland. Solange keine deutlich kleineren Modulgrößen von Brennstoffzellen angeboten werden, bleibt dieser Vorteil der BHKW bestehen.

Insgesamt können mit dem aktuellen Klärgasaufkommen in Deutschland Brennstoffzellen mit einer kumulierten Leistung von 164 MWel betrieben werden, womit sich pro Jahr 1 228 GWh Strom erzeugen und Emissionen von über 700 000 Tonnen CO2/a pro Jahr vermeiden lassen.

Potenziale von MCFC in Abhängigkeit der Modulgröße

MCFC werden derzeit für den Demonstrationsbetrieb mit einer Leistung von 250 kW angeboten. Für die Markteinführung werden verschiedene Anlagengrößen erwartet. Zusätzlich zu einer variablen Leistungsgröße (das heißt, jede beliebige Leistungsgröße wäre verfügbar) werden feste Modulgrößen von 50 kW, 125 kW und 250 kW betrachtet.

Durch die Verkleinerung der Modulgröße kann eine höhere elektrische Leistung in Brennstoffzellen installiert und die genutzte Klärgasmenge sowie die produzierte Strommenge gesteigert werden. Mit 50 kW-Modulen der MCFC können 86,9 % des Klärgasaufkommens (gegenüber 59,1 % bei 250 kW-Modulen) genutzt und das technische Leistungspotenzial um 46 % bzw. 77 MW gesteigert werden. Eine variable Leistungsgröße der MCFC-Brennstoffzellen brächte im Vergleich zum 50 kW-MCFC-Modul dagegen nur noch weitere 15 MW.

Die Gesamtpotenziale der MCFC für die einzelnen Modulgrößen sind, aufgeteilt nach Neubau- und Bestandsanlagen (bisher mit BHKW betriebene Kläranlagen), in Tabelle 4 dargestellt.

Beim BHKW-Ersatzpotenzial der Brennstoffzellen ergeben sich die höchsten Potenziale für Nordrhein-Westfalen (40,5 MW) und Bayern (30,0 MW).

Schlussbetrachtung und Ausblick

Im Zuge der Potenzialermittlung stellen sich die auf deutschen Kläranlagen installierten BHKW-Kapazitäten als über weite Strecken überdimensioniert heraus. Auch werden noch nicht alle BHKW in klärgasgeführter Fahrweise betrieben, wodurch den Betreibern unter anderem höhere Einspeisevergütungen entgehen. Für Kläranlagen ohne bisherige eigene Stromerzeugung empfiehlt sich aus ökologischen und ökonomischen Gründen die Installation optimal dimensionierter Stromerzeugungsanlagen (mehr unter /BWPLUS 2004/3).

Zu einer möglichst optimalen Abdeckung des Marktsegments Klärgas empfiehlt sich die Einführung kleinerer Leistungsgrößen von Brennstoffzellen. Bei einer Reduktion der Modulgröße bis auf 50 kW kann das Marktvolumen auf maximal 241 MW gesteigert werden, ein Zuwachs von 47 % gegenüber dem jetzigen Stand. Das erreichbare BHKW-Ersatzpotenzial beträgt dann 205,7 MW (+40 %), die Stromerzeugung könnte um bis zu 47 % steigen.

Der größte Nachteil der zur Klärgasverstromung geeigneten Brennstoffzellen liegt in derzeit zu hohen Investitionskosten. Hier bedarf es erheblicher Kostensenkungen, die unter anderem durch Einführung von Serienfertigung und Systemvereinfachungen erzielt werden können.4

Die Stromerzeugung in Kläranlagen5 nimmt in Deutschland ca. 0,1 % an der gesamten Bruttostromerzeugung ein. Unter den erneuerbaren Energien hatte sie ein Gewicht von ca. 1,2 %. Allein der Bau von neuen Stromerzeugungsanlagen könnte die Bedeutung von Klärgas bereits deutlich steigern. Würden die hier beschriebenen Neubaupotenziale mittels der BHKW-Technik genutzt, könnte die Stromerzeugung aus Klärgas um ca. 40 % gesteigert werden. Das Neubaupotenzial von MCFC-Brennstoffzellen variiert mit der Verfügbarkeit der Leistungsgrößen. Unter Verwendung der derzeit verfügbaren Leistungsgröße von 250 kW würde sich die Stromproduktion aus Klärgas um 42 % erhöhen lassen. Bei uneingeschränkter Verfügbarkeit verschiedener Leistungsgrößen von MCFC-Brennstoffzellen sogar um 128 %.

Bezüglich der Datenbasis ist festzustellen, dass die Ermittlung der aktuell auf den verschiedenen Kläranlagen jeweils installierten BHKW-Leistung bislang nur auf Basis einiger bekannter BHKW-Anlagen für alle Kläranlagen abgeschätzt werden kann. Diesbezüglich wäre es für künftige Erfassungen des Klärgasangebots und dessen Nutzung äußerst wünschenswert, bei den Kläranlagen Angaben zur installierten Stromerzeugungskapazität sowie aller installierten Wärmeerzeugungskapazitäten (Gaskessel und BHKW) abzufragen.

Die Potenzialabschätzung beschränkt sich auf die Bestimmung der bezüglich des maximal verfügbaren Klärgasaufkommens realisierbaren Kapazitäten zur Klärgasverstromung in Deutschland. Die durchgeführte Potenzialabschätzung konzentriert sich auf die Bestimmung der aus dem Klärgasangebot in Deutschland maximal zu erzielenden Strommengen und der hierzu benötigten Kapazitäten. Nicht thematisiert werden dagegen mögliche alternative Klärgasnutzungsmöglichkeiten, wie der Verkauf an externe Kunden oder der Betrieb einer Klärschlammtrocknungsanlage.

1 Die Werte beziehen sich auf das Jahr 2004.

2 Angaben aus der Klärgasstatistik in Verbindung mit der Statistik der öffentlichen Abwasserbehandlung 2004. Statistische Ämter des Bundes und der Länder; Forschungsdatenzentren, Stuttgart, 2006.

3 Keicher, K./Krampe, J./Rott, U./Ohl, M./Blesl, M./Fahl, U.: Systemintegration von Brennstoffzellen auf Kläranlagen – Potenzialabschätzung für Baden-Württemberg. (19. Februar 2008).

4 Blesl, M./Ohl, M./Fahl, U.: Hochtemperaturbrennstoffzellen und deren Kostenentwicklung. BWK 56 (2004), Nr. 5, pp 72–78.

5 Die Stromerzeugung aus Klärgas in anderen Kraftwerken, zum Beispiel der Energieversorger, ist hier nicht berücksichtigt.