:: 4/2008

Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz und die amtliche Statistik

Am 13. September 2007 wurde das zweite Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft, kurz: zweites Mittelstandsentlastungsgesetz (BGBl. 2007 Teil I, S. 2246) verkündet. Der Gesetzgeber verfolgt mit diesem Gesetz das Ziel, gerade für die mittelständische Wirtschaft neue Handlungsspielräume durch eine Reduzierung von unnötiger Bürokratie zu schaffen. Einige der im zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz enthaltenen Regelungen, die die amtliche Statistik betreffen, werfen erhebliche Umsetzungsprobleme auf, während sich gleichzeitig die Entlastungswirkung für die Unternehmen in Grenzen hält.

Hintergrund und wesentlicher Inhalt des Gesetzes

Das Bundeskabinett beschloss im April 2006 das Programm »Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung« zur systematischen Reduzierung der Bürokratie. Die Idee hinter dem Programm: Der Staat soll die Unternehmen so wenig wie möglich mit Anträgen, Formularen und Statistiken belasten. Neue Informations- und Berichtspflichten für die Wirtschaft sollen, wo es nur geht, von vornherein vermieden werden. Die Bundesregierung verspricht sich von dem Programm, dass neue Freiräume eröffnet und Chancen für Investition, Innovation und Beschäftigung geboten werden. Das ehrgeizige Ziel ist es, 25 % der bestehenden Bürokratie bis zum 31. Dezember 2011 abzubauen. Die beiden bisher verabschiedeten Mittelstandsentlastungsgesetze (MEG I und II) stellen zwei erste Mosaiksteine auf dem mit diesem Grundprogramm vorgezeichneten kontinuierlichen Weg des Bürokratieabbaus dar.

Bereits das erste Mittelstandsentlastungsgesetz vom 22. August 2006 (BGBl. I S. 1970), das auf die Vorschläge einer konzeptionell maßgeblich von Baden-Württemberg beeinflussten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zurückging, hat kurzfristig 16 überwiegend statistische und buchhalterische Pflichten für kleine und mittlere Unternehmen gelockert. Beispielsweise wurden deutschlandweit 20 000 Betriebe im Verarbeitenden Gewerbe von monatlichen Statistikmeldungen befreit.

Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz (MEG II) enthält weitere 19 Maßnahmen, die der Vereinfachung von Statistik-, Buchführungs-, Berichts- und Genehmigungspflichten dienen sollen. Folgende Gesetzesänderungen haben dabei für die amtliche Statistik besondere Bedeutung:

  • Kleinunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten sollen im Regelfall zu nicht mehr als drei statistischen Stichprobenerhebungen pro Jahr herangezogen werden.
  • Existenzgründer werden von Berichtspflichten zu verschiedenen Wirtschaftsstatistiken befreit.1
  • Mit dem neuen Dienstleistungskonjunkturgesetz wird die von der EU vorgeschriebene Dienstleistungskonjunkturstatistik durch eine weitgehende Verwendung von bereits in der Verwaltung vorhandenen Daten umgesetzt. Damit ist eine geringere Belastung der Berichtspflichtigen verbunden.

Die beiden erstgenannten Änderungen traten am 1. Januar 2008 und das neue Dienstleistungskonjunkturstatistikgesetz bereits rückwirkend zum 1. Juli 2007 in Kraft. Ob mit den Regelungen zur Befreiung kleinerer Unternehmen von mehr als drei Stichprobenerhebungen und zur Befreiung von Existenzgründern von statistischen Berichtspflichten in der Praxis wirklich wesentlich weniger Bürokratie verbunden sein wird, erscheint allerdings fraglich.

Befreiung kleiner Unternehmen von Stichprobenerhebungen

Die mit der Durchführung von Bundesstatistiken betrauten Stellen haben nach der durch das MEG II eingeführten Vorschrift des § 6 Abs. 4 Bundesstatistikgesetz (BStatG) den gesetzlichen Auftrag sicherzustellen, dass Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten zu nicht mehr als drei Stichprobenerhebungen im Kalenderjahr herangezogen werden.

Problematisch ist der Gesetzestext des § 6 Abs. 4 BStatG schon deswegen, weil dort der Begriff der Stichprobenerhebung verwendet wird, ohne dass eine eindeutige gesetzliche Definition existiert, welche Erhebungen als Stichprobenerhebungen in diesem Sinne zu gelten haben. Nach rein am Wortlaut haftender Auslegung könnte man auf die Idee kommen, dass mit Stichprobenerhebungen alle diejenigen gemeint sind, bei denen nur ein Teil einer Grundgesamtheit ausgewählt wird, ganz gleich nach welchen Kriterien die Auswahl stattgefunden hat. Aus der Entstehungsgeschichte des MEG II und der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/4391) ergibt sich aber, dass der Gesetzgeber lediglich die Erhebungen im Auge hatte, bei denen eine Auswahl auf Grundlage eines nach mathematisch-statistischen Methoden erstellten Stichprobenplans durchgeführt wurde (echte Zufallsstichproben) oder bei denen eine bewusste Auswahl erfolgt, wie beispielsweise bei der Preisstatistik. Andernfalls könnte die vom Gesetzgeber vorgesehene Entlastung kleiner Unternehmen nicht dadurch erreicht werden, dass eine Häufung von Stichprobenbefragungen vermieden wird. Denn werden kleine Unternehmen nach der neuen gesetzlichen Regelung aus der Berichtspflicht entlassen, müssen vergleichbare Unternehmen als Ersatz herangezogen werden. Voraussetzung hierfür ist, dass bei der zu beurteilenden Erhebung ein Austausch der Erhebungseinheiten überhaupt möglich ist. Totalerhebungen mit Abschneidegrenze wie im Verarbeitenden Gewerbe, bei denen dies nicht der Fall ist, zählen daher nicht zu den Stichprobenerhebungen.

Die Heranziehung von Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten zu mehr als drei Stichprobenerhebungen zu vermeiden, ist in der Praxis zudem nur schwer zu realisieren. Für manche Unternehmen ist ihre Einbeziehung in eine bestimmte Statistik je nach Branche, Region und Größe zwingend erforderlich, für eine andere Statistik könnte dieses Unternehmen auch durch ein anderes ersetzt werden. Diese Zusammenhänge sind aber nicht feststehend, sondern unterliegen der zeitlichen Veränderung und können daher nur schwer bei jeder einzelnen Stichprobenziehung vorhergesehen werden.

Zur vollständigen Umsetzung der gesetzlichen Regelung wäre eine Koordination aller Stichprobenziehungen zu allen betroffenen Erhebungen notwendig. Und dies bei vollständiger und aktueller Kenntnis, wie viele Beschäftigte ein Unternehmen hat, zu welchen Stichprobenerhebungen für Bundesstatistiken ein Unternehmen im laufenden Jahr bereits berichtspflichtig ist und zu welchen Stichprobenerhebungen es im laufenden Jahr noch berichtspflichtig wird. Nur so könnten bei Ziehung einer neuen Stichprobe alle vorhandenen Erhebungen berücksichtigt werden. Erschwert wird dies zusätzlich dadurch, dass einige Bundesstatistiken von öffentlichen Stellen außerhalb des Kreises der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder durchgeführt werden (zum Beispiel die vom Kraftfahrtbundesamt durchgeführte Güterkraftverkehrsstatistik nach § 27 Abs. 2 Verkehrsstatistikgesetz). Zudem müsste im Vorfeld festgelegt werden, welche Prioritäten die einzelnen Erhebungen untereinander haben und wer entscheidet, ob und wie Unternehmen ausgetauscht werden.

Das Unternehmensregister stellt das einzige Instrument der Statistischen Ämter dar, mit dem die Regelung des MEG II wenigstens zum Teil umgesetzt werden kann. Hierzu müssen die nach § 6 Abs. 4 BStatG relevanten Informationen entsprechend gekennzeichnet und bei künftigen Stichprobenziehungen berücksichtigt werden.

Die Vorschrift des § 6 Abs. 4 BStatG beinhaltet lediglich einen sehr eingeschränkten Nutzen für die Wirtschaft. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs besteht der Effekt darin, dass bundesweit 625 Kleinunternehmen entlastet werden könnten (BT-Drucksache 16/4391, S. 21). Da aber gleichzeitig wegen des notwendigen Stichprobenumfangs andere Unternehmen zusätzlich belastet werden müssen, widerspricht die gesetzliche Regelung letztendlich dem Ziel, bürokratische Hemmnisse abzubauen. Sie kann allenfalls der Einzelfallgerechtigkeit dienen. Im Ergebnis stehen Verwaltungsaufwand und Nutzen der Befreiung von kleinen Unternehmen von mehr als drei Stichprobenerhebungen in einem Missverhältnis zueinander.2

Befreiung der Existenzgründer von statistischen Berichtspflichten

Durch jeweils gleichlautende Regelungen werden jene Unternehmen von der Auskunftspflicht zu bestimmten Statistiken3 befreit, deren Inhaber Existenzgründer im Sinne des § 7g Abs. 7 Satz 2 und 3 Einkommensteuergesetz (EStG) sind. Da der Text des Einkommensteuergesetzes Ende 2007 geändert worden ist, fehlt in der aktuellen Gesetzesfassung die Definition des »Existenzgründers«. Heranzuziehen ist hier der historische Text des EStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 2002 (i-Punkt). Während Existenzgründer im Jahr der Betriebseröffnung generell von statistischen Berichtspflichten befreit sind, ergibt sich eine Ausnahme von der Auskunftspflicht für die folgenden 2 Jahre nur, wenn das Unternehmen im jeweils letzten Geschäftsjahr Umsätze in Höhe von weniger als 500 000 Euro hatte.

Die Umsetzung dieser neuen Vorschriften begegnet Schwierigkeiten, denn die für die Durchführung der Statistiken zuständigen Statistischen Ämter des Bundes und der Länder haben keine Kenntnisse darüber, welche Unternehmen als Existenzgründer anzusehen sind. Möchte ein Unternehmen sich daher von statistischen Auskünften befreien lassen, muss es den Nachweis über die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen führen. Der Gesetzgeber hat selbst gesehen, dass dieses Verfahren einen nicht unerheblichen bürokratischen Aufwand mit sich bringen kann: In der Gesetzesbegründung stellt er fest, dass es jedem Existenzgründer freigestellt sei, sich an der Befragung zu beteiligen. Denn es sei unter anderem nicht auszuschließen, dass ein Existenzgründer sich dazu entscheide, an der Statistik teilzunehmen, »weil ihm der Nachweis der Existenzgründung aufwändiger erscheint als den Fragebogen zu einer Erhebung auszufüllen« (BT-Drucksache 16/4391, S. 39). Auf Seiten der Statistischen Ämter entsteht in jedem Fall ein zusätzlicher Bearbeitungs- und Prüfaufwand.

Erhebungen, für die Adressen aus dem Unternehmensregister gezogen werden, betreffen außerdem aktive Unternehmen von vor 2 Jahren. Eine Heranziehung zu statistischen Erhebungen konnte daher in aller Regel auch ohne die gesetzlich vorgesehene Befreiung von Existenzgründern frühestens im dritten Jahr erfolgen. Letztendlich beseitigt auch diese durch das MEG II eingeführte Neuregelung den bürokratischen Aufwand nicht und entlastet die Wirtschaft nur in begrenztem Umfang.

1 Bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD aus dem Jahre 2005 war im Rahmen einer Existenzgründeroffensive vereinbart worden, neue Unternehmen von Statistikpflichten zu befreien.

2 Aus diesem Grunde hat der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren die Streichung dieser gesetzlichen Regelung gefordert (BT-Drucks. 16/4764, S. 8). Obwohl die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats der Streichung zugestimmt hat (aaO. S. 16), wurde das MEG II gleichwohl in diesem Punkt unverändert vom Bundestag verabschiedet.

3 Statistiken nach dem Gesetz über die Kostenstrukturstatistik, dem Dienstleistungsstatistikgesetz, dem Gesetz über die Statistik im Produzierenden Gewerbe, dem Rohstoffstatistikgesetz, dem Handwerksstatistikgesetz, dem Handelsstatistikgesetz, dem Beherbergungsstatistikgesetz, dem Preisstatistikgesetz sowie dem Verdienststatistikgesetz.